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Hesperus.

Ich bat das Leben um ein freundlich Wort,
Das Kunde mir von dem Geliebten brächte!
Die Tage rollen unaufhaltsam fort –
Nun wend' ich flehend mich zu euch, Ihr Nächte!

Bringt, da der Sonne Glanz nichts mehr erhellt
Was meinem Herzen innig lieb gewesen,
Im Traume das geliebte Bild – im Feld
Der Sterne laßt mich seinen Nahmen lesen!

Im Juli 1821.


Hesperus

H 2, Seite 18, ohne Überschrift, als Nr. II bezeichnet und dem vorigen Gedicht angeschlossen. – H 1, Seite 21 mit der Überschrift: »Im Juli 21. Hesperus« und Seite 83 mit der Überschrift: »Hesperus«. Alle drei Fassungen stimmen überein, nur hat die letztere in Strophe 1, Vers 3 und 4 die Präterita: »rollten« und »wandt'« statt der Präsensformen. Strophe 2, Vers 1, heißt es H 1, Seite 21: »Sonnenglanz«; die beiden andern Fassungen haben: »Sonne Glanz«. – Signatur Sibyllens in allen drei Niederschriften: 5.

Hesperus war für Adele und Ottilie kein anderer als Heinke. Unter diesem Bilde begegnet er allenthalben in den Tagebuchblättern und Briefen der beiden Mädchen. Sonne und Sterne spielen in Adelens lyrischen Versuchen eine große Rolle, der Gedanke lag daher nahe, für irdische Erlebnisse Symbole am Himmelszelt zu wählen, zu dem sich in glücklichen und mehr noch in unglücklichen Stunden die sehnenden Augen so oft emporwandten. 1816 findet Adele das Symbol für ihre Liebe zu Heinke; aus Schwalbach schreibt sie am 18. Juli an Ottilie: »Gestern hab ich mir einen Stern gewählt: den Morgen- und Abendstern. Er gleicht meiner Liebe; Morgen wards im Innern und ein helles Licht stieg strahlend auf und ließ mich mein Herz wie die Welt anders und klarer sehen. Es war der Vorbote eines heiteren Tages, zu dem mein Leben durch den verkündenden Stern ward. Dann paßt auch das Abendgestirn vollkommen – die Liebe bot der Jugend, dem unbestimmten freudigen Hoffen, dem glücklich leichten Sinn: gute Nacht! Will ich dem allgemeinen Sinn, der den Abendstern den Stern der Liebe überhaupt nennt, folgen, sieh, so paßt es wieder, denn allgemeine Liebe zu allen Menschen und Milde gab mir das Himmelszeichen, und es zeigte mir den Himmel, wenn Liebe auch nicht zum Himmel selber werden konnte«. – Und ähnlich heißt es in einem Heinke gewidmeten Tagebuchblatt Ottiliens aus demselben Jahr (Nachlaß I 188): »Wie der Abendstern still und rein über der Erde steht, und in ihre Nächte hell schimmernd herabsieht: so stehst Du über dem nächtlichen Leben still und rein, und siehst wehmüthig lächelnd herab auf seine langen Schmerzen und kurzen Freuden, im traurenden Andenken an das einst Erlittene – und an entflohene glückliche Tage. ...« –

Jean Pauls »Hesperus« mag Anlaß zu der bestimmten Namensprägung gegeben haben; der Roman erschien zwar schon 1794, kam aber den Mädchen erst in diesen Jahren nahe, um dann bei Ottilie und Adele durch seinen Titel stets die gleichen Empfindungen auszulösen. Am 19. Juli 1815 schreibt Ottilie über den Eindruck der ersten Lektüre an ihre Mutter (Nachlaß I 134): »wie friedlich, wenngleich schmerzlich ist alles in ihm«; am 8. August 1816 (Nachlaß I 231) hat sie ihn nochmals gelesen und, so vertraut sie der Freundin an, »wunderbar viel aus meinem eigenen Leben« darin gefunden. Gleich nimmt auch diese in ihrem Tagebuch vom 24. September (am Rhein muß sich Heinke nach seiner Wiederherstellung 1814 zur Erholung aufgehalten haben) die Beziehung auf: »O du unbeschreiblich schöner Rhein, wie ists möglich, daß hier nicht alle Menschen froh und glücklich sind! Am Abend vollends machten die fernen Lichter, die flimmernden Sterne und mein Hesperus dem Fenster gerade gegenüber mich unbeschreiblich still glücklich. Jean Paul gibt mir denn hier auch eine mildere Stimmung, und ich bin nun wieder das achtzehnjährige Kind«. – Am 25. Oktober beunruhigt sie »die schreckliche Nachricht von Ottilien, daß Hesperus von Wolken sehr dicht umzogen ist«, soll heißen: Heinkes Ehe ist »nicht glücklich, nicht unglücklich«, wie ihr am 2. November bestätigt wird, und seiner Frau Charlotte geb. Werner Gesundheit ist durch eine frühe Niederkunft bedroht. Und schließlich die Tagebucheintragung vom Silvester desselben Jahres: »Auch dir, Heinke, einen Blick, einen Gruß! Mahnt mich ja ohnedies alles dieses Jahr an dich! Ferdinand, hast du es so gewollt? Hab ich wohl nach deinem Sinn gehandelt, gelebt, gedacht? Meine Seele war das ganze Jahr bei dir, und dir danke ich wieder alle Freuden, mein schöner, heller, freudiger Hesperus!« So setzt sich das Spiel mit dem Namen Hesperus noch weiter fort.


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