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4. Die Rückkehr der Seele zu Gott

Die Rückkehr der Seele zu Gott vollzieht sich durch die Herstellung des Ebenbildes Gottes in uns.

Theätet Kap. 25. Stephanus I, pag. 176 A-D.

Sokrates spricht zu Theodoros, einem ausgezeichneten Mathematiker und auch sonst vielseitig gebildeten Manne aus Kyrene in Nordafrika.

Ort des Gesprächs: Eine zu einer Ringschule gehörige Säulenhalle.

Zeit: Das Jahr 399 v. Christus, als Sokrates bereits angeklagt war.

Kap. 25. Sokrates. Das Böse kann weder ausgerottet werden, o Theodoros, denn es muß immer etwas dem Guten Entgegengesetztes geben, noch kann es bei den Göttern seinen Sitz haben; unter der sterblichen Kreatur aber und hier auf Erden wandelt es umher, der Notwendigkeit gemäß. Deswegen muß man auch trachten, von hier auf das schleunigste dorthin zu entfliehen. Der Weg dazu ist Verähnlichung mit Gott so weit als möglich, und diese Verähnlichung, daß man gerecht und fromm werde auf Grund der Erkenntnis. Aber, mein Bester, es ist ja gar nicht leicht, einen davon zu überzeugen, daß man nicht aus dem Grunde sich der Tugend befleißigen muß, des Lasters aber nicht, aus welchem man nach der Meinung der großen Menge die Schlechtigkeit meiden und der Tugend nachgehen soll, nämlich damit man nicht ein schlechter, sondern ein wackerer Mann zu sein scheine; denn das ist, wie mich dünkt, das Geschwätz von alten Weibern; die Wahrheit aber wollen wir in folgenden Worten aussprechen: Gott ist niemals und in keiner Weise ungerecht, sondern im höchsten Sinne vollkommen gerecht, und nichts ist ihm ähnlicher, als wer von uns so gerecht als möglich geworden ist. Hierauf geht auch die wahre Meisterschaft eines Mannes, sowie seine Nichtigkeit und Unmännlichkeit. Denn die Erkenntnis hiervon ist wahre Weisheit und Tugend und die Allwissenheit hierin die offenbare Torheit und Schlechtigkeit.

Da Gott ein Geist ist, so stellen wir das Ebenbild Gottes in uns durch ein Leben im Geiste her.

Phädon Kap. 3-13. Stephanus I, pag. 59 D-69 E.

Personen des Gesprächs: Phädon, ein Lieblingsschüler des Sokrates; Kebes; Simias; Kriton, der Altersgenosse und Freund des Sokrates.

Ort der Handlung: Das Staatsgefängnis in Athen.

Zeit: Der Tag der Hinrichtung des Sokrates, 399 v. Chr.

Phädon erzählt dem Phliasier Echekrates, der an dem Geschicke des Sokrates den wärmsten Anteil nimmt, die Vorgänge und Gespräche bei dem letzten Zusammensein des Weisen mit seinen Freunden.

Kap. 3. Phädon. Ich will dir alles von Anfang an genau erzählen. Schon die vorhergehenden Tage pflegten ich und die anderen immer Sokrates zu besuchen, indem wir uns früh morgens in dem Gerichtshöfe versammelten, in dem auch der Prozeß verhandelt worden war; er lag nämlich in der Nähe des Gefängnisses. Wir warteten nun jedesmal, bis das Gefängnis geöffnet wurde, und brachten die Zeit bis dahin unter Gesprächen miteinander zu, denn es wurde nicht zeitig geöffnet; nachdem es aber geöffnet war, gingen wir zu Sokrates und waren meistens den ganzen Tag bei ihm. So versammelten wir uns denn auch damals, aber früher. Denn als wir am Abende des vorhergehenden Tages das Gefängnis verließen, hatten wir erfahren, das Fahrzeug sei von Delos zurück. Daher hatten wir uns miteinander verabredet, wir wollten uns recht früh an dem gewohnten Orte einfinden. Als wir nun kamen, trat der Türhüter, der uns zu öffnen pflegte, heraus und sprach, wir möchten warten und nicht eher eintreten, als bis er es uns sage. »Die Elfmänner lösen nämlich«, so fuhr er fort, »Sokrates die Fesseln und kündigen ihm an, daß er am heutigen Tage sterben muß.« Nach kurzem Verzuge kam er zurück und forderte uns auf, einzutreten. Bei unserm Eintritte trafen wir Sokrates, wie ihm eben die Fesseln abgenommen waren, und Xanthippe, die, mit seinem Knäblein auf dem Schoße, neben ihm saß. Als uns Xanthippe sah, schrie sie laut auf und sprach nach bekannter Frauenart ungefähr folgendes: »Mein Sokrates, zum letzten Male also werden jetzt deine Freunde zu dir sprechen und du zu ihnen.« Und Sokrates sah auf Kriton und sprach: »Lieber Kriton, es bringe sie einer nach Hause.« Und einige Diener Kritons brachten sie fort, während sie laut schrie und sich vor Jammer die Brust schlug. Sokrates aber setzte sich auf dem Bett aufrecht, krümmte das Bein und rieb mit der Hand die von der Fessel gedrückte Stelle. Während er aber rieb, sprach er: »Etwas wie Seltsames scheint doch das zu sein, was die Menschen angenehm nennen! In einem wie merkwürdigen Verhältnisse steht es zu dem, was sein Gegenteil zu sein scheint, zu dem Unangenehmen, insofern, als beide dem Menschen nicht zugleich zuteil werden wollen, wenn aber einer das eine verfolgt und gewinnt, er fast genötigt ist, auch das andere zu nehmen, gleich als ob sie, deren doch zwei sind, an dem einen Ende zusammengeknüpft wären. Meines Erachtens würde Äsop, wenn er das bemerkt hätte, eine Fabel gedichtet haben, daß der Gott, der sie, die im Streite miteinander waren, versöhnen wollte, da er das nicht vermochte, sie an den Enden zusammenband, und daß deswegen, wem das eine zuteil wird, später auch das andere nachfolgt. So scheint es in der Tat auch mir zu ergehen. Erst war infolge der Fessel Schmerz in meinem Beine, und nun scheint nachfolgend ein angenehmes Gefühl da zu sein.

Kap. 4. Da ergriff Kebes das Wort und sagte: »Beim Zeus, lieber Sokrates, gut, daß du mich an etwas erinnert hast. Wegen der Gedichte nämlich, die du gemacht hast, indem du die Erzählungen des Äsop in Verse brachtest und den Lymnus aus Apollo dichtetest, haben mich schon manche gefragt, ganz besonders aber neulich Euenos, in welcher Absicht eigentlich du sie gedichtet habest, nachdem du hierher gekommen bist, während du doch früher niemals ein Gedicht gemacht hast. Wenn dir nun etwas daran liegt, daß ich Euenos Bescheid geben kann, wenn er mich wieder darnach fragt, und ich weiß recht wohl, daß er es tun wird, sprich, was soll ich ihm sagen?« – »Sage ihm,« erwiderte er, »die Wahrheit, daß ich nicht in der Absicht, mit ihm und seinen Gedichten in Wettbewerb zu treten, diese Gedichte gemacht habe – ich wußte ja, daß das keineswegs leicht ist – sondern um zu erproben, was denn gewisse Traumgesichte zu bedeuten haben, ob sie mir etwa auftrügen, diese musische Kunst zu üben. Es verhält sich nämlich damit ungefähr so: Oft erschien mir dasselbe Traumgesicht in dem verflossenen Leben, bald in der, bald in jener Gestalt, aber immer mit derselben Rede. ›Sokrates,‹ sagte es, ›übe musische Kunst und betreibe sie.‹ Und in der früheren Zeit nahm ich an, es trage mir eben das auf, was ich trieb, und ermuntere mich, damit fortzufahren. Ich glaubte nämlich, gleich denen, welche die um die Wette Laufenden durch Zuruf anfeuern, sporne auch mich das Traumgesicht zu dem an, was ich schon tat; denn ich war der Überzeugung, die Philosophie sei die höchste musische Kunst, ich aber sei damit beschäftigt. Jetzt aber, wo das Urteil gefällt war und das Fest des Gottes meine Hinrichtung verzögerte, erschien es mir notwendig, wenn etwa das Traumbild mir auftrüge, die Musenkunst im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu üben, ihm nicht ungehorsam zu sein, sondern zu dichten. Denn ich hielt es für sicherer, nicht abzuscheiden, bevor ich der religiösen Pflicht genügt und gehorsam dem Traumbilde Gedichte gemacht hätte. So nun habe ich zuerst ein Gedicht auf den Gott gemacht, dem das gegenwärtige Opferfest galt. Darnach überlegte ich mir, daß ein Dichter, wenn er überhaupt ein Dichter sein soll, Fabeln dichten müsse und nicht Erzählungen, und da ich mir nun bewußt war, daß ich die Fähigkeit hierzu nicht besaß, brachte ich die Fabeln des Äsop, die mir gegenwärtig waren, in Verse, so wie sie mir gerade einfielen.

Kap. 5. Teile also, mein Kebes, Euenos dieses mit und sag ihm Lebewohl, und wenn er vernünftig ist, soll er mir so bald als möglich nachfolgen. Ich werde aber, allem Anscheine nach, noch heute abscheiden, denn so befehlen es die Athener.« Und Simias sprach: »Wozu forderst du da, o Sokrates, Euenos auf? Ich bin schon viel mit dem Manne zusammengewesen; nach meinen Beobachtungen wird er aber gar nicht geneigt sein, dir zu folgen.« – »Wie denn,« erwiderte er, »ist Euenos nicht Philosoph?« – »Ich glaube,« sagte Simias. – »Also wird Euenos dazu bereit sein gerade so gut wie ein jeder, der in der rechten Weise sich mit Philosophie beschäftigt. Jedoch wird er sich wohl nicht Gewalt antun; denn das ist, wie man sagt, gegen göttliches Gebot.« Bei diesen Worten setzte er die Füße auf den Boden und unterhielt sich fortan in dieser Haltung.

Kebes fragte ihn nun: »Wie meinst du das, mein Sokrates, daß es wider göttliches Gebot sei, sich Gewalt anzutun, daß aber der Philosoph dem Sterbenden nachfolgen wolle?« – »Wie denn, lieber Kebes? Habt ihr, du und Simias, bei eurem Verkehre mit Philolaos nichts hiervon gehört?« – »Nichts Bestimmtes, mein Sokrates.« – »Allerdings rede auch ich hierüber nur von Hörensagen; was ich aber vernommen habe, werde ich euch gern mitteilen. Denn für einen Mann, der im Begriffe steht, dorthin zu wandern, ziemt es sich wohl ganz besonders, seine Gedanken und Reden auf unsere Vorstellungen von dem Leben im Jenseits zu richten. Was könnte man auch sonst in der Zeit bis Sonnenuntergang tun?«

Kap. 6. »Inwiefern meint man denn, es sei gegen göttliches Gebot, sich selbst zu töten, mein Sokrates? Ich habe nämlich schon von Philolaos gehört, als er bei uns weilte, und auch schon von manchen anderen, man dürfe das nicht tun; Genaueres jedoch habe ich noch von keinem hierüber gehört.« – »Verliere nur den Mut nicht,« erwiderte er, »du wirst es schon hören. Vielleicht jedoch wird es dir wunderbar erscheinen, wenn der Selbstmord allein im Gegensätze zu allen anderen Dingen unbedingt verboten und nicht auch, wie alles andere, unter Umständen dem Menschen erlaubt sein soll. Unter Umständen und für manche ist es besser, tot zu sein als zu leben; es erscheint dir nun wohl wunderbar, wenn den Menschen, für die es besser ist tot zu sein, die Religion es nicht erlaubt, sich selbst diese Wohltat zu erweisen, sondern wenn sie auf einen anderen Wohltäter warten sollen.« Lächelnd sagte Kebes, jedoch in seiner Mundart: »Das mag Gott wissen.« – »Wenn man es so hört,« erwiderte Sokrates, »erscheint es allerdings widersinnig; es hat aber vielleicht doch seinen Grund. Das Wort, das in den Geheimlehren darüber gesagt wird, daß wir Menschen uns gewissermaßen in einem Gefängnisse befinden und daß man sich nicht selbst daraus befreien und davonlaufen darf, dieses Wort erscheint mir allerdings als ein gar großes und nicht leicht zu fassendes; das jedoch, glaube ich, ist ein trefflicher Ausspruch, lieber Kebes, daß die Götter es sind, die für uns sorgen, und daß wir Menschen ein Eigentum der Götter sind. Oder bist du nicht dieser Ansicht?« – Ganz gewiß«, sagte Kebes. – »Wenn nun«, erwiderte er, »ein Stück deines Eigentums, einer deiner Sklaven, sich selbst tötete, ohne daß du zu erkennen gegeben hättest, daß du seinen Tod willst, würdest du ihm da nicht auch zürnen und ihn strafen, wenn du ihn irgendwie strafen könntest?« – »Ganz gewiß«, sagte Kebes. – »Vielleicht nun erscheint es dir von diesem Gesichtspunkte aus nicht widersinnig, daß man sich nicht eher töten darf, als bis einem ein Gott eine Nötigung dazu schickt gleich der, die jetzt über mich verhängt ist.«

Kap. 7. »Das erscheint allerdings vernünftig«, sagte Kebes. »Was du jedoch eben sagtest, daß die Philosophen gern sterben wollen, das klingt seltsam, wenn anders das eben Gesagte seinen guten Grund hat, daß nämlich die Gottheit es ist, die für uns sorgt, und daß wir ihr Eigentum sind. Denn daß die Vernünftigsten es nicht schmerzlich empfinden sollten, aus dieser Pflege zu scheiden, bei der sie in der Obhut der besten Hüter von der Welt, der Götter, stehen, das kann man. sich nicht denken. Denn so einer meint doch wohl nicht, er werde, freigeworden, selbst besser für sich sorgen; sondern ein unvernünftiger Mensch glaubt das wohl und meint, man müsse unter allen Umständen seinem Herrn entlaufen, und bedenkt nicht, daß man nicht von dem guten Herrn fliehen darf, sondern so viel als möglich bei ihm bleiben muß; und so läuft er wohl in seiner Torheit davon. Der Vernünftige aber wird Verlangen tragen, immer bei einem zu bleiben, der besser ist als er selbst. So erscheint das Gegenteil von dem eben Gesagten als das Richtige: den Vernünftigen kommt es zu, sich über den Tod zu betrüben, den Unvernünftigen, sich darüber zu freuen.« Als Sokrates das hörte, freute er sich, wie es mir schien, über die geistige Regsamkeit des Kebes, und mit einem Blicke auf uns sagte er: »Kebes spürt doch immer irgendwelche Einwendungen aus und ist gar nicht gleich geneigt, dem andern zuzustimmen.« Simias aber sprach: »In dem vorliegenden Falle, mein Sokrates, ist das, was Kebes sagt, auch nach meiner Ansicht beachtenswert; denn was könnte wahrhaft weise Männer bestimmen, von Herren, die besser als sie selbst sind, zu fliehen und sich leichten Herzens davonzumachen? Und zwar scheint mir Kebes mit seiner Rede auf dich zu zielen, daß es dir so leicht wird, uns zu verlassen und gute Herren, wie du selbst zugibst, nämlich die Götter.« – »Ihr habt recht«, sagte er. »Ihr meint ja wohl, daß ich mich gegen diese Anschuldigungen verteidigen muß, wie wenn ich vor Gericht stünde.« – »Ganz gewiß«, erwiderte Simias.

Kap. 8. Sokrates sprach: »So will ich denn versuchen, mich vor euch überzeugender zu verteidigen als vor meinen Richtern. Wenn ich nämlich nicht glaubte, lieber Simias und Kebes, zu anderen weisen und guten Göttern zu kommen, sodann auch zu verstorbenen Menschen, die besser sind als die hier, so wäre es unrecht von mir, daß ich mich über den Tod nicht betrübe; nun aber hoffe ich, zu guten Männern zu kommen, wenn ich es auch nicht steif und fest behaupten will; daß ich jedoch zu Göttern kommen werde, die ganz gute Herren sind, das behaupte ich mit aller Zuversicht, soweit man auf diesem Gebiete überhaupt etwas fest behaupten kann. Daher bin ich ganz und gar nicht betrübt, vielmehr der frohen Zuversicht, daß es für die Verstorbenen ein Dasein gibt, und zwar für die Guten, nach einer alten Rede, ein viel besseres als hier.« – »Wie nun, o Sokrates?« entgegnete Simias. »Ist es deine Absicht, von uns zu gehen, indem du diese Erkenntnis für dich behältst, oder wirst du sie auch uns mitteilen? Denn nach meiner Überzeugung ist das ein gemeinschaftliches Gut, an dem auch uns ein Anteil zukommt, und zugleich wird es für dich eine Rechtfertigung sein, wenn du uns von dem, was du sagst, überzeugst.« – »Ich will es versuchen«, sagte er. »Zunächst aber wollen wir nachsehen, was denn Kriton dem Anscheine nach mir schon längst sagen will.« – »Nichts weiter, Sokrates,« sagte Kriton, »als daß der Mann, der dir das Gift reichen soll, schon lange auf mich einredet, man müsse dich bedeuten, so wenig als möglich zu sprechen. Er sagt nämlich, durch Reden erhitze man sich zu sehr, und das vertrage sich nicht mit dem Tranke, und die, die solches täten, seien nicht selten genötigt, zweimal und auch dreimal zu trinken.« hierauf sprach Sokrates: »Laß ihn! Er mag sich nur einrichten, daß er mir zweimal davon geben kann und nötigenfalls auch dreimal.« – »Ich wußte es wohl,« erwiderte Kriton; »aber er läßt mir ja keine Ruh'.« – »Laß ihn!« sagte er. »Euch aber will ich nunmehr als meinen Richtern die verlangte Rechenschaft darüber geben, daß mir ein Mann, der wirklich sein Leben in der Philosophie hingebracht hat, im Angesichte des Todes mit Grund guten Mutes zu sein scheint und der frohen Zuversicht, er werde dort nach dem Tode die höchsten Güter ernten. Wie nun der Philosoph von dieser Hoffnung erfüllt sein kann, das will ich, mein Simias und Kebes, darzutun versuchen.«

Kap. 9. »Die anderen Menschen scheinen gar nicht zu merken, daß alle, die sich in der rechten Weise mit Philosophie beschäftigen, nichts anderes üben, als zu sterben und tot zu sein. Wenn das wahr ist, so wäre es doch wohl ungereimt, im ganzen Leben nichts anderes zu erstreben als dies, und wenn das nun da ist, was sie längst erstrebten und übten, darüber unglücklich zu sein.« Da sprach Simias lachend: »Beim Zeus, mein Sokrates, obwohl es mir jetzt gar nicht wie Lachen zumute ist, hast du mich doch zum Lachen gebracht. Wenn nämlich die große Menge das hört, so wird sie meines Erachtens glauben, das treffe auf die Philosophen vollkommen zu, und meine Landsleute werden dem aus ganzer Seele zustimmen, daß die Philosophen wirklich zu sterben wünschen, und daß es ihnen gar nicht entgangen ist, daß sie das verdienen.« – »Damit würden sie die Wahrheit sagen; nur sollten sie nicht sagen, es sei ihnen nicht entgangen, wie die wahrhaften Philosophen den Tod wünschen, und wie sie ihn verdienen. Wir wollen uns aber miteinander unterreden und jene gehen lassen. Glauben wir, daß der Tod wirklich etwas ist?« – »Ganz gewiß«, siel Simias ein. – »Doch wohl nichts anderes als die Trennung der Seele von dem Leibe? und Totsein besteht darin, daß der Leib, losgelöst von der Seele, gesondert für sich besteht, und daß die Seele, losgelöst von dem Leibe, für sich existiert? Der Tod ist doch nichts anderes als das?« – »Nein, das ist er.« – »Sieh denn zu, mein Guter, ob auch du meiner Ansicht bist. Auf Grund des Folgenden, denke ich, werden wir den Gegenstand unserer Untersuchung noch besser erkennen. Erscheint es dir eines philosophischen Mannes würdig, auf sogenannte Freuden von der Art der Freude an Speise und Trank eifrig bedacht zu sein?« – »Ganz und gar nicht, mein Sokrates«, entgegnete Simias. – »Aber wohl auf Liebesgenuß?« – »Auf keinen Fall.« – »Wie aber? Scheint dir ein solcher äußerlichen Staat hochzuhalten? Meinst du z. B., daß er den Besitz von prächtigen Gewändern und Schuhwerk und sonstigem Putz schätze oder solche Dinge unbeachtet lasse, soweit er nicht geradezu gezwungen ist, sich damit abzugeben?« – »Solche Dinge verachtet der wahre Philosoph; das ist wenigstens meine Meinung«, erwiderte er. »Also scheint dir wohl das Denken und Tun eines solchen Mannes überhaupt nicht auf den Leib gerichtet, sondern, soweit als möglich, von diesem abgekehrt und der Seele zugewandt zu sein?« – »Gewiß.« – »Wird nun zunächst hierdurch offenbar, daß der Philosoph seine Seele so viel als möglich von der Gemeinschaft mit dem Leibe loslöst, ganz anders als die übrigen Menschen?« – »Jawohl.« – »Und die große Mehrzahl der Menschen ist doch wohl der Ansicht, wer an solchen Dingen gar keine Freude hat, für wen sie gar nicht vorhanden sind, für den lohne es sich gar nicht, zu leben, sondern einer, der sich gar nicht um die sinnlichen Genüsse kümmere, sei fast so gut wie tot.« – »Ganz gewiß.«

Kap. 10. »Wie steht es denn nun um den Erwerb der Erkenntnis der Wahrheit selbst? Ist dabei der Körper hinderlich oder nicht, wenn man ihn bei ihrer Erforschung als Teilnehmer hinzunimmt? Ich meine z. B. folgendes: Haben Gesicht und Gehör für den Menschen irgendwelche Wahrheit, oder singen auch die Dichter uns immer das alte Lied, daß wir weder etwas genau hören noch sehen? Und doch, wenn diese sinnlichen Wahrnehmungen nicht genau und deutlich sind, dann sind es die anderen schwerlich; denn alle diese stehen wohl insgesamt hinter den genannten zurück, oder meinst du nicht?« – »Ganz gewiß«, erwiderte er. – »Wann nun«, sagte der andere, »erfaßt die Seele die Wahrheit? Denn wenn sie im Verein mit dem Körper etwas zu betrachten versucht, dann wird sie offenbar von ihm getäuscht.« »Also ist doch wohl das Denken der einzige Weg, auf dem sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt?« – »Jawohl.« – »Das Denken vollzieht sich aber doch wohl dann am besten, wenn sie nichts dabei stört, weder Gehör noch Gesicht, weder Schmerz noch auch irgend welches Gefühl der Lust, sondern wenn sie so viel als möglich für sich allein ist und den Leib gehen läßt und, soweit dies geschehen kann, ohne Gemeinschaft und Berührung mit ihm nach der Wahrheit trachtet.« – »Das ist so.« – »Achtet nun nicht auch hierbei die Seele des Philosophen den Leib ganz besonders gering und strebt darnach, von ihm loszukommen und für sich allein zu sein?« – »Es scheint so.« – »Wie steht es nun mit dem Folgenden? Sagen wir, daß es ein Gerechtes an sich gibt oder nicht?« – »Gewiß, bei Gott, sagen wir das.« – »Und ein Schönes und ein Gutes an sich?« – »Wie sollten wir nicht?« – »Hast du nun je etwas derart mit Augen gesehen?« – »Keinesfalls«, entgegnete er. – »Aber mit irgend einer anderen Sinneswahrnehmung hast du sie erfaßt? Ich rede aber von allen Begriffen, wie von Größe, Gesundheit, Stärke und mit einem Worte, von dem Wesen aller anderen Dinge insgesamt. Wird ihr wahres Wesen mit dem Körper erschaut oder verhält es sich so: wer von uns sich am besten und sorgfältigsten vorbereitet hat, den Gegenstand seiner Betrachtung an sich zu durchdenken, der kommt seiner Erkenntnis am nächsten?« – »Ganz gewiß.« – »Bringt das nun nicht der am reinsten zustande, der so viel als möglich lediglich mit dem Denken an jeden Gegenstand herangeht, indem er weder dem Gesichte einen Platz bei dem Denken einräumt noch irgend eine andere Sinneswahrnehmung neben dem Denken heranzieht, sondern mit dem reinen Denken die reinen Begriffe zu erfassen sucht, so weit als möglich losgekommen von den Augen und den Ohren und beinahe von dem ganzen Leibe, in der Überzeugung, daß der Leib die Seele stört und sie nicht die Wahrheit und Erkenntnis gewinnen läßt, wenn er dabei ist? Wenn überhaupt jemand, so wird doch wohl dieser zur Wahrheit durchdringen?« – »Das ist ganz unbedingt wahr, lieber Sokrates«, erwiderte Simias.

Kap. 11. »Nach alledem müssen doch wohl«, sagte er, »die echten Philosophen aus folgenden Gedanken kommen und so zueinander sprechen: ›In der Tat scheint erst der Tod gleich wie ein Pfad uns aus den Schwierigkeiten heraus und an das Ziel zu führen, weil wir den Gegenstand unserer Sehnsucht, die Wahrheit, gewißlich nie erreichen, solange wir einen Körper haben und unsere Seele mit einem solchen Übel vermengt ist. Denn der Leib macht uns unendlich zu schaffen wegen der notwendigen Ernährung, und wenn noch Krankheiten hinzukommen, so hindern uns die an der Jagd nach der Wahrheit, und auch mit Gelüsten, Begierden, Sorgen und mancherlei Trugbildern und mit vieler Torheit erfüllt uns der Leib, so daß es uns nach dem bekannten Ausspruche in der Tat und Wahrheit unmöglich wird, je zu irgendwelcher Erkenntnis zu gelangen. Denn auch Kriege und Empörungen und Schlachten schafft uns nichts anderes als der Leib und seine Begierden. Denn wegen des Besitzes von Geld und Gut werden alle Kriege angefangen, und dieses müssen wir des Leibes wegen haben, da wir der Sorge für ihn unterworfen sind, und so haben wir aus allen diesen Gründen keine Zeit zur Philosophie. Und nun das Allerschlimmste! Wenn wir auch einmal Ruhe vor ihm haben und uns einer Untersuchung zuwenden, so kommt er überall bei der Forschung störend dazwischen, verursacht Unruhe und Verwirrung und bringt uns aus der Fassung, so daß wir seinetwegen die Wahrheit nicht erkennen können. So ist es uns ganz klar: sollen wir einmal zu einer reinen Erkenntnis gelangen, so müssen wir von ihm loskommen und müssen lediglich mit der Seele die Dinge an sich betrachten. Und wie unsere Erörterung zeigt, wird uns der Gegenstand unserer Sehnsucht und Liebe, die Erkenntnis der Wahrheit, offenbar erst dann zuteil, wenn wir gestorben sind, im Leben aber nicht. Denn wenn es nicht möglich ist, mit dem Leibe vereint, etwas rein zu erkennen, so findet eines von beiden statt: entweder ist es überhaupt nicht möglich, die Weisheit zu gewinnen, oder erst nach dem Tode; denn dann wird die Seele für sich sein ohne den Leib, früher aber nicht. Solange wir aber leben, werden wir der Weisheit dann am nächsten kommen, wenn wir, soweit es nicht unbedingt nötig ist, gar keinen Verkehr und keine Gemeinschaft mit dem Leibe haben und uns nicht mit seinem Wesen anfüllen, sondern rein von ihm bleiben, bis uns der Gott erlöst. Und wenn wir so rein von der Torheit des Leibes scheiden, so werden wir wahrscheinlich mit Reinen zusammen sein und werden durch uns selbst die reine Wahrheit erkennen. Denn Reines zu berühren ist einem Nichtreinen gewiß nicht verstattet.‹ So müssen, meine ich, o Simias, alle rechten Freunde der Erkenntnis zueinander sprechen und bei sich denken. Oder ist das nicht deine Ansicht?« – »Durchaus, mein Sokrates.«

Kap. 12. Sokrates fuhr fort: »Wenn das nun wahr ist, mein lieber Freund, so besteht große Hoffnung, ich werde, dahin gelangt, wohin ich jetzt gehe, wenn überhaupt wo, dort vollkommen das erreichen, um deswillen wir die viele Mühe in dem verflossenen Leben aufgewandt haben. Und so wird die mir jetzt aufgetragene Reise auch von einem anderen Manne mit froher Hoffnung angetreten, der überzeugt ist, daß er seine Seele gleichsam gereinigt und geläutert hat.« – »Ganz gewiß ist es so«, sagte Simias. – »Besteht nun nicht die Reinigung in dem, wovon wir schon längst bei unserer Erörterung sprechen, nämlich darin, daß man die Seele möglichst von dem Leibe sondert und daran gewöhnt, sich überallher aus dem Körper auf sich selbst zurückzuziehen und zu konzentrieren und so viel als möglich in der Gegenwart und in der Zukunft für sich zu wohnen, aus dem Körper sich lösend gleichwie aus Fesseln?« – »Sicherlich«, erwiderte er. – »Also heißt das Tod, die Lösung und Sonderung der Seele von dem Leibe?« – »Ohne Zweifel«, sagte er. – »Sie zu lösen trachten aber, wie wir sagen, in erster Linie, ja allein die in der rechten Weise Philosophierenden, und die Beschäftigung der Philosophen besteht eben in der Lösung und Sonderung der Seele von dem Leibe; oder nicht?« – »Es scheint so.« – »Wäre es nun nicht, wie ich von vornherein sagte, lächerlich, wenn ein Mann, der sein ganzes Leben so einrichtete, daß es dem Zustande nach dem Tode ganz nahe kam, dann, wenn dieser da ist, unwillig sein wollte?« – »Wie sollte es nicht?« – »In der Tat also«, fuhr er fort, »üben sich die rechten Philosophen darin, zu sterben, und der Tod ist ihnen am wenigsten unter den Menschen furchtbar. Erwäge es auch in folgender Weise: Da die Philosophen in jeder Weise mit dem Leibe verfeindet sind und darnach Verlangen tragen, die Seele rein für sich zu haben, wäre es da nicht große Unvernunft, wenn sie bei dem Eintritt dieses Zustandes sich fürchten und unwillig sein wollten und nicht freudig dahin gingen, wo sie Hoffnung haben, das zu erlangen, wonach sie im Leben trachteten, die Erkenntnis der Wahrheit, und von dem Zusammensein mit dem loszukommen, was ihnen zuwider war? Also wegen irdischer Lieblinge oder Frauen oder Kinder, die gestorben waren, haben viele freiwillig in den Hades gehen wollen, geleitet von der Hoffnung, dort die zu sehen, nach denen sie sich sehnten, und mit ihnen zusammenzusein; ein Mann aber, der in Wirklichkeit nach der Erkenntnis der Wahrheit trachtet und von eben dieser Hoffnung erfüllt ist, er werde sie nirgends anders genügend antreffen als im Jenseits, der wird unglücklich sein, wenn er sterben soll, und wird nicht freudig dorthin gehen? Das muß man glauben, wenn er in Wahrheit, mein Lieber, ein Freund der Weisheit ist; denn er wird davon überzeugt sein, daß er nur dort die Wahrheit schauen wird. Wenn sich das nun so verhält, wäre es da nicht, wie ich eben sagte, Unvernunft, wenn ein solcher den Tod fürchtete?« – »Wahrhaftig, große Unvernunft, bei Gott«, erwiderte er.

Kap. 13. »Ist dir das nun nicht ein hinreichender Beweis, daß einer, den du beim Nahen des Todes voll Schmerz und Unwillen siehst, demnach in seinem Leben nicht ein Freund der Weisheit war, sondern ein Freund der Fleischeslust? Ein solcher aber ist wohl auch ein Freund des Geldes und der Ehre, entweder das eine von diesen beiden oder beides.« – »Es verhält sich vollkommen so, wie du sagst.« – »Kommt nun nicht, mein Simias, auch das, was man Tapferkeit nennt, den so Gesinnten ganz besonders zu?« – »Ganz gewiß«, sagte er. – »Und auch die Mäßigung, ich meine damit das, was man im gewöhnlichen Leben mit diesem Namen bezeichnet, nämlich sich nicht von den Begierden fortreißen zu lassen, sondern sich gleichgültig gegen sie zu verhalten und anständig, kommt diesen allein zu, die den Körper am meisten geringschätzen und in der Liebe zur Wahrheit leben?« – »Notwendigerweise.« – »Denn wenn du«, fuhr er fort, »die Tapferkeit und Mäßigung der übrigen betrachten willst, so wird sie dir seltsam erscheinen.« – »Wieso?« – »Du weißt,« sagte er, »daß die übrigen den Tod zu den großen Übeln rechnen?« – »Jawohl«, antwortete er. – »Also aus Furcht vor größeren Übeln halten die Tapferen unter ihnen dem Tode stand, wenn sie ihm standhalten?« – »Das ist so.« – »Demnach sind außer den Freunden der Weisheit alle Tapferen, weil sie sich fürchten und aus Furcht, tapfer? Und doch ist es widersinnig, daß einer aus Furcht und aus Feigheit tapfer sein soll.« – »Ganz gewiß.« – »Wie steht es nun mit den Anständigen unter ihnen? Hat es mit ihnen nicht dieselbe Bewandtnis? Infolge einer Art von Unmäßigkeit sind sie mäßig. Das halten wir zwar für unmöglich, aber gleichwohl ist ihr Verhalten hinsichtlich dieser knechtischen Mäßigung dem ähnlich; denn aus Furcht, gewisser Genüsse verlustig zu gehen, nach denen sie verlangen, enthalten sie sich anderer, von jenen Lustgefühlen beherrscht. Und doch nennt man das Zügellosigkeit, sich von den Lüsten beherrschen zu lassen. Also steht es mit ihnen so, daß sie, von Lüsten beherrscht, andere Lüste beherrschen. Das aber kommt auf das eben Gesagte hinaus, daß sie gewissermaßen durch Unmäßigkeit zu maßvollem Verhalten gebracht worden sind.« – »Das leuchtet ein.« – »Mein bester Simias, das ist ganz gewiß nicht der rechte Tausch, um Tugend zu erwerben, Lust gegen Lust, und Unlust gegen Unlust, und Furcht gegen Furcht, und Größeres gegen Kleineres, und Kleineres gegen Größeres zu tauschen gleich wie Münzen, sondern sicherlich ist das allein die rechte Münze, für die man alle Tugend eintauschen muß, die Erkenntnis der Wahrheit, und für diese und mit dieser wird alles in Wirklichkeit gekauft und verkauft, Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit und mit einem Worte wahre Tugend, mögen nun Gefühle der Lust und der Furcht und alle anderen Gefühle solcher Art sich hinzugesellen oder nicht hinzugesellen. Wenn aber diese Gefühle, losgelöst von der wahren Erkenntnis, gegeneinander eingetauscht werden, so ist eine derartige Tugend gewiß nur ein Schattenbild und die Tugend eines Knechtes und hat nichts Gesundes und Wahres, die wahre Tugend aber ist in Wirklichkeit eine Reinigung und Befreiung von allen solchen Gefühlen, und Mäßigung, Gerechtigkeit, Tapferkeit und die Erkenntnis der Wahrheit selbst sind ein Zustand der Reinheit. So scheinen auch die, die uns die Weihen eingerichtet haben, keine unklugen Menschen zu sein, sondern in Wahrheit schon längst uns anzudeuten, wer ungeweiht und ungeheiligt in den Hades komme, werde dort im Schlamme liegen, wer aber geläutert und geheiligt dort anlange, werde zu den Göttern eingehen, denn es sind ja, wie die mit den Weihen Betrauten sagen, der Thyrsosträger zwar viele, der vom Geiste des Gottes Erfüllten aber nur wenige; das sind aber nach meiner Meinung keine anderen als die, die in der rechten Weise nach Weisheit getrachtet haben. Deren einer zu werden habe auch ich, soviel ich konnte, in meinem Leben nichts verabsäumt, sondern habe in jeder Weise darnach gestrebt; ob ich aber in der rechten Weise darnach gestrebt und etwas erreicht habe, das werden wir, dorthin gekommen, so Gott will, genau erfahren binnen kurzer Zeit, wie mich dünkt.«

»Das habe ich, mein Simias und Kebes, zu meiner Verteidigung zu sagen, daß es mit Recht mich nicht mit Schmerz und Unwillen erfüllt, euch und meine Herren hier zu verlassen; bin ich doch überzeugt, auch dort nicht weniger gute Herren und Freunde anzutreffen als hier. Wenn ich nun bei meiner Verteidigung vor euch überzeugender gesprochen habe als vor den Richtern der Athener, so ist es gut.«


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