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4. Platos Leben und Lehre

Plato wurde 427 in Athen geboren. Eigentlich soll er nach seinem Großvater Aristokles geheißen haben und erst von einem seiner Lehrer in der Gymnastik wegen der Breite seiner Brust Plato genannt worden sein. Das Altertum hat aber nicht nur seinen stattlichen Körperbau und seine Gesundheit gerühmt, sondern auch die Schönheit und Harmonie seiner ganzen Erscheinung. Von beiden Eltern her gehörte er dem vornehmsten Adel Athens an. Sein Vater Ariston führte sein Geschlecht auf Kodrus, seine Mutter Periktione das ihrige auf das Haus des Solon zurück.

Plato wuchs in einer Zeit auf, in der der staatliche Niedergang seiner Vaterstadt begonnen hatte, andererseits aber sich das Geistesleben in ihr auf mannigfachen Gebieten fruchtbar weiter entwickelte. Athen war damals der Sammelpunkt der geistig hervorragenden Männer Griechenlands, der Männer der ernsten Wissenschaft sowohl als der Sophisten. Die dramatische Kunst stand auf ihrer Höhe, und die Stadt war geschmückt mit den Meisterwerken der Baukunst, Bildhauerei und Malerei. Die Schönheit, die so dem jungen Plato in vielfacher Gestalt lebendig entgegentrat, hat mächtig auf ihn eingewirkt und hat seine Anschauung von Welt und Leben zum großen Teil bestimmt. Es war eine Folge der Schönheit, die ihn umgab, daß das Gute und Wahre ihm nur in der Gestalt des Schönen erschien.

Was wir von seinem Bildungsgange in seiner Jugendzeit wirklich wissen, ist gering. Daß er den gewöhnlichen Unterricht in Gymnastik und Musik, d. h. in körperlicher und geistiger Ausbildung erhielt, ist selbstverständlich. Mit Homer hat er sich, wie seine Schriften bezeugen, gründlich bekanntgemacht. Der philosophischen Literatur ist er aller Wahrscheinlichkeit nach frühzeitig näher getreten. Daß er die Lehre des Heraklit eifrig studiert hat, ist ausdrücklich überliefert; anzunehmen ist dies auch von den Lehren der Pythagoreer, der berühmtesten Eleaten und des Anaxagoras. Ebenso wird er den Vorträgen der Sophisten oft beigewohnt haben. Nach der Überlieferung hat er auch die Dichtkunst getrieben und zuerst Dithyramben, dann auch Lieder und Tragödien verfaßt und ist eben im Begriffe gewesen, als Bewerber im tragischen Wettkampf aufzutreten, als er im Alter von zwanzig Jahren mit Sokrates bekannt wurde; infolgedessen soll er seine Gedichte verbrannt haben.

Die Bekanntschaft mit Sokrates, mit dem er ungefähr acht Jahre in vertrautem Umgange lebte, bildet den wichtigsten Abschnitt in Platos Entwicklung. In ihm trat dem Jünglinge eine durchaus sittliche, in sich abgeschlossene Persönlichkeit entgegen, ein Mann mit einer bestimmten Weltanschauung und mit einer klaren Erkenntnis von dem, worauf das Heil der einzelnen und der Staaten beruht, also auch von dem, was den damaligen Athenern und dem kranken athenischen Staate not tat. Daß auch in philosophischer Beziehung der Einfluß des Sokrates auf seinen Schüler ein bedeutender war, geht schon daraus hervor, daß er, wie wir bereits sahen, in fast allen Platonischen Dialogen das Gespräch leitet und die Wahrheit findet.

Ausgezeichnet war Plato vor allem durch einen überaus empfänglichen Sinn für die religiösen und sittlichen Ideen. Leicht möglich, daß die tiefe Religiosität, die in ihm lag, noch Nahrung erhielt durch die Tradition des alten aristokratischen Hauses, dem er angehörte.

Nach dem Tode seines Lehrers und Meisters im Jahre 399 v. Chr. weilte Plato zunächst in Megara bei Euklid, der gleichfalls ein Schüler des Sokrates war. Darauf ging er nach Ägypten und Kyrene. In Kyrene führte ihn vermutlich der Mathematiker Theodoros in ein tieferes Studium der Mathematik ein. Auf jeden Fall hat sich Plato in diesem Jahrzehnt eifrig mit dieser Wissenschaft beschäftigt und hat auch ihre große Bedeutung für seine philosophische Lehre erkannt. Heimgekehrt nahm er den Kampf gegen die zerstörenden Mächte der Sophistik und eine gesinnungslose Schönrednerei auf.

Um das Jahr 390 ging er nach Sizilien und Unteritalien, wo er im persönlichen Verkehr mit Pythagoreern ihre Lehren und die Organisation ihrer Schule gründlich kennen lernte. Für seine politisch-religiöse Richtung schien sich ein Feld der Wirksamkeit in Syrakus zu eröffnen. Hier schloß er Freundschaft mit Dion, der dem Pythagoreischen Kreise angehörte und am Lose seines Schwagers Dionysius des Älteren der Führer der aristokratischen Partei war. Durch ihn kam Plato an den Hof und versuchte nun auf den Tyrannen einzuwirken. Dieser behandelte ihn anfangs freundlich, konnte aber, wie berichtet wird, bald seinen Freimut nicht ertragen und lieferte ihn dem spartanischen Gesandten Pollis als Kriegsgefangenen aus. Losgekauft kehrte er nach Athen zurück.

Nach seinen Lehr- und Wanderjahren entfaltete Plato eine reiche schriftstellerische Tätigkeit und begründete um das Jahr 387 v. Chr. in seiner Vaterstadt eine geschlossene Vereinigung von Lernenden und Forschenden mit einer auf regelmäßigen Unterricht und dauernde Gemeinschaft der wissenschaftlichen Arbeit berechneten Organisation. Er lehrte anfangs in der Akademie, einem nach dem attischen Heros Akademos benannten Gymnasium in der Kephisosebene, das Kimon mit Parkanlagen und einer Wasserleitung ausgestattet hatte. Später erwarb er dicht dabei einen Garten, den er der Schule als festen Wohnsitz und unveräußerliches Eigentum zuwies. Hier hat die nach jenem Gymnasium Akademie genannte Schule bis zum Jahre 529 n. Chr. bestanden, wo sie vom Kaiser Justinian aufgehoben wurde. Nach ihr nennen sich bis auf den heutigen Tag die vornehmsten Gemeinschaften für Kunst und Wissenschaft.

Dieses war die Stätte, wo Plato eine Anzahl junger Männer in seine wissenschaftlichen, sittlichen und religiösen Anschauungen und Erkenntnisse einführte. Durch sie suchte er auch seine sozialen und politischen Ideen zu verwirklichen. Diese Lehrtätigkeit machte fortan den eigentlichen Inhalt seines Lebens aus. Eine Familie hatte er nicht gegründet, auf eine öffentliche Wirksamkeit in Athen dauernd verzichtet. Wer immer noch beseelte ihn der lebhafte Wunsch, seine Gedanken über Staat und Gesellschaft verwirklicht zu sehen. Und in der Tat eröffnete sich ihm hierauf eine neue Aussicht in Syrakus. Dionys der Ältere starb im Jahre 368 v. Chr., und der jüngere Dionys lud auf Betreiben seines Oheims Dion den Philosophen an seinen Hof ein. Plato folgte fast 60 Jahre alt diesem Rufe, kehrte aber auch diesmal unverrichteter Sache zurück. Eine dritte Reise dahin, 361-360 v. Chr., brachte den Greis infolge des Mißtrauens des Fürsten in direkte Gefahr, der er mit knapper Not nur durch die Vermittelung der Regierung von Tarent entging, an deren Spitze damals ein der Akademie befreundeter Pythagoreer Archytas stand. Nach seiner Rückkehr verbrachte Plato im Kreise seiner Schüler und Freunde ein heiteres Alter und starb 347 v. Chr. als Greis von 80 Jahren, der Sage nach, bei einem Hochzeitsmahle.

Plato ist der wahre Schöpfer des Idealismus. Die ihm eigentümliche Lehre ist die Lehre von den Ideen. Das Wort Idee bezeichnet im gewöhnlichen griechischen Sprachgebrauche die äußere Gestalt und Form. An ihr erkennen wir, daß dieses ein Baum, jenes ein Haus, dieses ein Dreieck, jenes ein Kreis ist. So schließen wir von der äußeren Gestalt der Sache auf ihr Wesen. Das Wesen der Sache aber, vom Denken erfaßt, wird zum Begriffe. So sind die Ideen bei Plato Begriffe, und es gibt nach ihm ebensoviele Ideen, als es Begriffe gibt. Aber der Begriff ist erst dann Idee, wenn er dem Wesen der Sache vollkommen entspricht und es in vollendeter Wahrheit in sich befaßt. Der Begriff der Freiheit ist nur dann mit der Idee der Freiheit identisch, wenn er das Wesen der Freiheit in ihrer Wahrheit offenbart. So ist mit dem Begriffe der Idee der Begriff der Wahrheit notwendig verbunden. Genau genommen verhält es sich mit dem Begriffe ebenso; ein Begriff, der nicht vollkommen wahr ist, ist eben kein Begriff. So fallen Begriff und Idee zusammen. Der Begriff ist stets ein Gedanke. Der Begriff kann aber nicht ohne ein Begreifendes, der Gedanke nicht ohne ein Denkendes, also nicht ohne eine Vernunft oder einen Geist sein. So erkannte Plato als das Prinzip der Welt die Vernunft oder den Geist an. Die Hellenen waren ein Volk der Kunst, und so macht sich die künstlerische Auffassung auch bei Plato geltend. Bei der Hervorbringung eines Kunstwerkes ist das erste der Gedanke des Künstlers, seine Idee, die er im Marmor oder Erz oder sonstwie zur Darstellung bringen will. Die ganze für diesen Zweck erforderliche Tätigkeit ist durch diesen Gedanken bestimmt und wird von ihm gelenkt, und die Materie oder der Stoff ist keineswegs der eigentliche Grund für die Entstehung der Statue, sondern nur die »Mitursache« oder Hilfsursache, d. h. das, was der Künstler noch haben muß, um etwas seiner Idee Entsprechendes hervorzubringen. Wir reden im Anschlüsse an diese Vorstellung von einer condicio, sine qua non, d. h. von einer Bedingung, ohne deren Erfüllung der Zweck nicht verwirklicht werden kann. Nach der Analogie des künstlerischen Schaffens denkt sich Plato auch das Werden in der Natur und in der Welt. Der Werkmeister ist hier Gott. In der Mitte des berühmten Bildes in den Stanzen des Vatikan, das die Schule zu Athen genannt wird, sehen wir, auf erhöhtem Standorte einander gegenüberstehend, die beiden Häupter der antiken Weltweisheit, den ehrwürdigen Plato, in der Linken den Timäus haltend, mit der Rechten feierlich nach oben weisend, während die energische Mannesgestalt des Aristoteles, die Ethik in der Hand, auf die Welt der Erscheinungen hinweist. Im ganzen entspricht ja diese Charakterisierung der philosophischen Betrachtungsweise der beiden großen Männer, aber man glaube nur ja nicht, daß Aristoteles sein Auge immer nach der Welt der Erscheinungen, und Plato sein Denken immer nach dem Himmel gerichtet habe. Schon seine genaue Scheidung zwischen den idealen und den realen Gründen zeigt deutlich, daß Plato die Bedeutung der realen Verhältnisse wohl kannte. Plato hatte ein volles Verständnis für die wirklichen Dinge und hat vor allem tief hineingeschaut in die Seelen der Menschen und als echter Philosoph hier die Lösung der Rätsel des menschlichen Daseins und der Welt gesucht.

Die Ideen oder Begriffe stammen nicht aus dieser Welt. Wir haben sie nicht durch die Sinneswahrnehmung gewonnen, denn es gibt in der Sinnenwelt nichts, was der Idee entspräche. Die Idee Gleich hat niemand mit Augen gesehen oder mit Ohren gehört, noch mit einem anderen der fünf Sinne wahrgenommen, auch hat er nicht zwei Dinge gesehen, die einander so gleich wären, daß ihre Gleichheit der Idee Gleich (dem mathematischen Begriffe der Gleichheit) entspräche, denn zwei solche Dinge gibt es in der ganzen weiten Welt nicht, sondern die Ideen sind ein Besitztum des menschlichen Geistes, das er von allem Anfänge an hat, das also, um mit Kant zu reden, a priori ist, und das nicht von dieser Welt stammt, weil der menschliche Geist selbst nicht von dieser Welt ist, sondern seinen Grund und Ursprung in dem ewigen Geiste Gottes hat. Weil der Geist des Menschen Geist vom Geiste Gottes ist, darum hat er die Ideen und damit die Wahrheit in sich, denn Gott ist die Wahrheit, und darum hat die Wissenschaft Wahrheit, denn sie wird aus dem Geiste geboren, der das Göttliche in uns ist. Was aber göttlich ist, das muß wahr sein, denn der Begriff Wahr ist mit dem Begriffe Göttlich notwendig verbunden. Aus demselben Grunde ist unser Geist der Vergänglichkeit entrückt, denn das Göttliche muß unvergänglich sein.

Der Idealismus Platos sucht die Wahrheit auf dem Gebiete der Wissenschaft, er sucht sie aber auch auf dem Gebiete des Lebens und trachtet danach, das menschliche Dasein der Idee der Wahrheit entsprechend zu gestalten. Das Wahre aber, das sich auf dem Gebiete des Lebens betätigt, erscheint als gut. Wahr und Gut sind ihrem Wesen nach identisch, sind nur zwei verschiedene Ausdrücke für eine und dieselbe Sache. Das Wahre auf dem sittlichen Gebiete ist eben das Gute. Die wahre Tugend beruht auf der wahren Erkenntnis. Nach Sokratisch-Platonischer Anschauung ist die Tugend ein Wissen, nämlich ein Wissen von dem, was sittlich gut ist. Wer erkannt hat, was gut ist, der tut es auch. Die Erkenntnis wird zur Überzeugung, die uns treibt, das als wahr und gut Erkannte zu tun. Erkennen müssen wir aber vor allem die große Wahrheit, daß es nur ein Gut gibt, das ist das Heil der Seele, und nur ein Übel, das ist das Unrecht, mit christlicher Ausdrucksweise, die Sünde. Daher dürfen wir unter keinen Umständen unrecht tun, dürfen also auch nicht Unrecht mit Unrecht, noch Böses mit Bösem vergelten. Wir dürfen auch deswegen dem andern nicht Böses zufügen, weil wir ihn dadurch schlechter machen, während es unsere Pflicht ist, soweit wir können, unsere Mitmenschen zu bessern. Mit diesen Sätzen erhob sich die Platonische Ethik weit über die bis dahin herrschende Anschauung der Griechen, nach der die Tüchtigkeit des Mannes darin bestehen sollte, die Freunde in der Erweisung von Wohltaten und die Feinde in der Zufügung von Schädigungen zu überbieten.

Zum Gebiete des sittlichen Lebens gehört auch das Leben im Staate. Alles Gedeihen der Staaten beruht auf der sittlichen Tüchtigkeit ihrer Bürger. Ohne diese nützen alle Mauern und Häfen, alle Flotten und Schiffswerften nichts. Darum ist nur der ein wahrer Staatsmann, der vor allem die sittliche Tüchtigkeit der Bürger hebt, der aber, der diese verkommen läßt, ist ein schlechter Staatsmann, mag er die äußern Machtmittel des Staates auch noch so sehr steigern. In der schrankenlosen Entwickelung der Demokratie seit Themistokles sah Plato eine Verschlechterung des sittlichen Zustandes der Bürger und damit den Grund zum Ruine des Staates. Aus dieser Überzeugung entsprang sein absprechendes Urteil über die nach unserer Meinung großen Staatsmänner Athens, über einen Themistokles und Perikles. Plato meinte, es werde mit den Staaten nicht eher besser, als bis die Könige Philosophen oder die Philosophen Könige würden. Da nach Platonischer Auffassung die Philosophie Wissenschaft, Ethik und Religion in sich schließt, so ist mit diesem Satze die Forderung gestellt, daß die Lenker der Staaten Männer von wissenschaftlicher Bildung, sittlicher Tüchtigkeit und wahrer Religiosität sein sollen.

Wir sahen, daß das Wahre zugleich das Gute ist; es ist aber auch mit dem Schönen ein und dasselbe. Die drei Ideen des Guten, Wahren und Schönen sind in Wirklichkeit nur eine Idee. Dem Griechen ist namentlich auch das sittlich Gute etwas Schönes, und er gebraucht das Wort Schön geradezu als Bezeichnung für das sittlich Gute und das Wort Häßlich als Bezeichnung des sittlich Schlechten. Die sittlich gute Tat macht auf das Gemüt einen wohltuenden Eindruck, den der Grieche dem wohltuenden Eindrücke verglich, den ein schönes Kunstwerk auf das Auge macht. Auch die Grundanschauung Platos von dem Wesen des Guten ist eine künstlerische. Maß, Ebenmaß und die aus ihnen hervorgehende Harmonie, also Begriffe, die zunächst der Sphäre der Kunst angehören, sind auf das Leben übertragen und zum Prinzipe der Ethik geworden. Die Tugend der Sophrosyne, die schon durch das Gebot des delphischen Gottes »Halte Maß in allem!« eine weitgehende Bedeutung erhielt, bezeichnen wir am besten als die Tugend des Maßes. Dementsprechend beruht die sittliche Tüchtigkeit auf Maß, Ebenmaß und Harmonie, auf der Harmonie zwischen den Tätigkeiten der Seele untereinander und auf der Harmonie zwischen Leib und Seele. Auch dem Leibe muß die rechte Ausbildung zuteil werden um der Seele und um des ganzen Menschen willen. Diese harmonische Gestaltung des ganzen Menschen machte auf das Auge des Griechen den Eindruck des Schönen, und so nannten sie einen solchen Mann einen schönen und guten Mann. Das war die Wirkung eines künstlerischen Empfindens, während wir mit aristokratischer Anschauung wie von edler Bildung, so auch von einer edlen Erscheinung reden. Maß und Ebenmaß haben auch die Welt zu einem harmonischen und schönen Ganzen gestaltet. Ebenmaß aber und Harmonie können ihren Grund nicht in dem Zufall noch in blindwaltenden Kräften haben, wo sie herrschen, da herrscht die Vernunft. So ist die Schönheit der Welt ein Beweis für das Dasein Gottes. »Die größte Weisheit ist die größte Schönheit«, steht auf der ersten Seite des Platonischen Dialogs Protagoras; demnach ist es ganz im Geiste Platos gedacht, wenn Winckelmann in seiner Geschichte der Kunst des Altertums sagt: »Die höchste Schönheit ist in Gott.«

Nach Plato war im Anfänge die Vernunft oder der Geist, und der Geist war Gott, neben ihm war ein Urstoff da in chaotischem Zustande, regellos bewegt und ohne Vernunft. Eine solche von allem Anfange an vorhandene Materie nahm Plato an, denn ihm, wie der ganzen griechischen Philosophie lag der Gedanken eines Schaffens aus nichts fern. Gott aber war gut, und da er gut war, war er frei von Neid und wollte alles so gut als möglich machen seinem eigenen Wesen entsprechend. Das Vernünftige ist aber besser als das Vernunftlose; daher ging der Geist Gottes in die Materie ein. Der Geist ist seinem eigentlichen Wesen nach Denken, aber in seiner Verbindung mit der Materie wird er zugleich zum belebenden und schaffenden Prinzipe, zur Seele. Indem die Seele den Stoff durchdringt, gestaltet sie ihn zu einem Kosmos, zu einer schön geordneten Welt, und macht diese zu einem beseelten und vernünftigen Organismus. Sie durchdringt aber die Welt von innen aus bis zu ihren äußersten Grenzen und umfaßt sie ringsum. Wo Leben ist, da ist Seele, und wo Seele ist, da ist Geist. Alles Leben ist Bewegung, und so ist auch alle Hervorbringung des Lebens, alles Werden und Schaffen Bewegung, die vom Geiste Gottes ausgeht, der die Bewegung in sich hat. Denn auch das Denken ist Bewegung. Wie die Idee des Künstlers die Bewegungen erregt und leitet, die nötig sind, um ein ihr entsprechendes Kunstwerk zu gestalten, so werden in der Welt die Ideen, das sind die Schöpfergedanken Gottes, durch die Bewegungen, die von seinem Geiste ausgehen, zur Darstellung gebracht. So ist, wie in der Kunst, auch in der Welt die Idee das Gesetz des Werdens.

Der Geist Gottes wohnt in allem, was Leben und Odem hat. So lebt er in uns und wir in ihm. Indem er in die Dinge eingeht, wird er zur Vielheit, und doch bleibt er eine Einheit, denn er ist es, der den einheitlichen Organismus der einen großen Welt geschaffen hat und erhält. Vielen würde diese Gedankenreihe wohl annehmbarer erscheinen, wollten wir sagen, daß die Kraft Gottes der Welt und allem Lebendigen in ihr innewohnt. Aber Plato würde dabei bleiben, daß, wo die Kraft Gottes ist, er selbst ist. Der Geist war von allem Anfang an, noch ehe die Welt bereitet wurde. So war und ist er transzendent, aber er geht auch in die Welt ein und wird ihr immanent. Plato sucht das Verhältnis zwischen dem transzendenten und dem der Welt immanenten Gotte dadurch klarzumachen, daß er jenen den Vater, die von seinem Geiste durchdrungene Welt den Sohn nennt, und da die Welt immer nur eine gewesen ist, ist und sein wird, so nennt er sie den eingeborenen Sohn des Vaters. Vater und Sohn sind wesensgleich, denn beider Wesen ist die Vernunft, und da die Entstehung der Welt in die Ewigkeit zurückverlegt werden muß, denn der von Plato angegebene Grund der Weltschöpfung, die Güte Gottes, war doch von Ewigkeit da, so ist der Sohn ebensogut von Ewigkeit her wie der Vater.

Mit dem Gedanken, daß Gott der Welt und allem Lebendigen in ihr innewohnt, hängt Platos Lehre von der Seelenwanderung eng zusammen. Das Höchste und Vornehmste im Menschen, das, was seine spezifische Natur ausmacht, ist das Geistige, die Vernunft. Diese ist damit auch das eigentliche Wesen der Seele. Die Seele ist Prinzip des Lebens, sie schafft sich einen Leib, gestaltet und erhält ihn. Das Gebilde aber muß dem Wesen des Bildners entsprechen. Die Seele kann sich demnach nur dann einen menschlichen Leib bauen, wenn sie bei ihrer Verbindung mit der Materie wirklich eine Menschenseele ist. Ist sie von der Vernunft und der vernünftigen Tätigkeit so weit abgefallen, daß sie nicht mehr eine Menschenseele ist, so kann sie sich auch bei einem neuen Werden, das heißt bei einer neuen Verbindung, die sie mit der Materie eingeht, nicht mehr einen menschlichen Leib bauen, sondern sie muß sich einen tierischen gestalten, denn sie ist selbst tierisch geworden. Das erscheint Plato offenbar als ein Vernunftgesetz, anders ausgedrückt, als der Wille der ewigen Vernunft, das heißt Gottes. Von Gott hat die Seele die Kraft zu schaffen, aber von Gott auch das Gesetz, daß sie ihrem eigenen Wesen entsprechend schaffen muß. Je mehr sie von der Vernunft und damit zugleich von Gott abfällt, desto mehr sinkt auch ihr Leib im Reiche der Tierwelt hinab. So kann es schließlich kommen, daß sie sich den Leib einer Molluske bauen muß. Aber sie bleibt ihrer Substanz nach doch immer Seele, und so kann sie sich allmählich auch wieder erheben und emporsteigen, bis sie wieder so weit vernünftig ist, daß sie sich bei einer neuen Verbindung mit der Materie wieder einen menschlichen Leib bauen kann. Damit ist ihr auch von neuem die Möglichkeit der Rückkehr zu Gott gegeben. Es kommt alles darauf an, ob sie auf der jeweiligen Stufe ihres Daseins an Vernünftigkeit gewinnt oder verliert. »Denn nach dem Verluste oder Gewinne von Vernunft und Unvernunft wechseln die lebenden Wesen ihre Gestalten.« Vorausgesetzt ist dabei, daß der Seele auch im Tierleibe eine gewisse Freiheit des Tuns zukommt, wie denn auch Aristoteles den Tieren ein freiwilliges Tun zuschreibt.

Das wissenschaftliche Denken der heutigen Menschen ist von der Idee der Entwicklung beherrscht, einer Entwicklung, die das Vollkommene aus dem Unvollkommenen entstehen läßt. Damit wird das Unvollkommene an den Anfang gestellt. Plato andererseits stellt das relativ Vollkommenste an den Anfang, denn dieser Anfang kommt unmittelbar von Gott, aus dessen Hand nur das seiner Natur nach Höchste und Vollkommenste hervorgehen kann. Darum schuf Gott den Menschen, und zwar den Mann als das innerhalb des Tierreiches vollkommenste Wesen; die Entwicklung der niederen Stufen aus dieser relativ vollkommensten ist die Folge eines Abfalles von der Vernunft, mit anderer Ausdrucksweise, eines Abfalles von Gott. An diesem Herabsinken ist Gott unschuldig, denn er wollte, daß alles so gut als möglich würde, seinem eigenen Wesen entsprechend. Daher sollten wir ihm gleich werden, da dies aber dem Menschen seiner endlichen Natur wegen versagt ist, so ähnlich als möglich. So besteht die Lebensaufgabe des Menschen und sein Ziel in der Verähnlichung mit Gott. Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist zunächst die Erkenntnis Gottes. Wir erkennen aber sein Wesen, wenn wir seine Gedanken erfassen, denn Gott ist ein Geist, das Wesen des Geistes aber besteht in seinem Denken und damit in seinen Gedanken.

»Nur die reines Herzens sind, werden Gott schauen«, sagt Christus, »nur dem Reinen ist es vergönnt, das Reine zu erfassen«, sagt Plato. Da aber Gott ein Geist ist, so muß unser Leben ein Leben im Geiste sein und nicht im Fleische, wenn wir zur Erkenntnis Gottes und zur Verähnlichung mit ihm gelangen wollen, es muß ein fortgesetztes Streben sein, den Geist von dem Körper, d. h. von der Sinnlichkeit, zu lösen und freizumachen von allen bösen Trieben und Begierden. Diese Lösung des Geistes ist seine Erlösung, denn wem sie gelingt, soweit dies dem Menschen möglich ist, der hat die Verähnlichung mit Gott erreicht und geht durch den Tod zu Gott ein, von dem er ausgegangen ist. So ist der Geist Gottes das A und das O, der Anfang und das Ende, d. h. der Ursprung und das Ziel des menschlichen Geistes. Diese Verähnlichung mit Gott herbeizuführen, ist die Aufgabe der Philosophie, die eine Reinigung von allen sinnlichen Trieben und Begierden und eine Lösung des Geistes vom Fleische ist.

Das Gute in der Welt zu verwirklichen, das ist der Wille des guten Gottes, das ist das oberste Gesetz seines Schaffens, das aus seinem eigentlichsten Wesen selbst entspringt. Der Mensch aber soll mithelfen, daß Gottes guter Wille auch bei uns auf Erden geschehe. Diese Hilfe besteht in dem Streben, einmal selbst das Wesen des Guten immer besser zu erkennen und so immer besser und reiner, also immer göttlicher zu werden, sodann, soweit man kann, auch seinen Mitmenschen zur Erreichung desselben Zieles behilflich zu sein. In dieser Weise Gott zu helfen und zu dienen, das ist der wahre Gottesdienst, das die rechte Frömmigkeit. Das vollkommenste Beispiel solcher Frömmigkeit gab nach Platos Darstellung Sokrates, der sein Hauswesen vernachlässigte und in unsäglicher Armut lebte, um der ihm von Gott gestellten Aufgabe, seine Mitmenschen zu einer besseren Erkenntnis und zu einem reineren Leben hinzuführen, gerecht zu werden, und der auf diesem Posten, auf den ihn nach seiner Überzeugung die Gottheit selbst gestellt hatte, aushielt, ihrem Willen gehorsam bis in den Tod.

Abschnitte aus Platos Schriften


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