Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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95. Lotte Wiedewitt

Die Lotte Wiedewitt hatte sich nach dem Tode ihres Gatten sehr verändert; sie war immer sehr ernst und zuweilen sehr zerstreut – sie dachte so viel über das Weiterleben nach dem Tode nach.

Und die Frau Lotte verkehrte mit der Frau Caecilie fast täglich, und es kam auch mal vor, daß der Kaiser mit den beiden Frauen zusammen war. Da sagte der denn mal so nebenbei:

»Der Lebenstempel soll größer als eine ganze Stadt werden – wo bauen wir den nur hin?«

»In Schilda!« meinte da die Lotte ganz ernst.

Da mußte der Kaiser lachen und sagte, daß das gar kein übler Platz sei – dicht am Meere – auf hohem Strande – auf historischem Boden – auf einem Boden, auf dem der Kaiser Philander mal Oberbürgermeister von Schilda war . . .

Diese Erörterungen brachten aber die Lotte Wiedewitt so unvermittelt in die Vergangenheit zurück, daß sie plötzlich laut zu weinen anfing.

Die Frau Caecilie wollte sie trösten, aber sie weinte immerzu und sagte dann schluchzend:

» Es kann doch nicht zu Ende sein! Es kann doch nicht zu Ende sein!«

Da sprach der Kaiser, während ihm auch ein paar Tränen in den falschen Bart rieselten:

»Es ist auch nicht zu Ende, Frau Lotte! Der Kaiser Moritz lebt – er lebt nur anders jetzt als die Frau Lotte.«

Da wollte die Lotte mehr hören, und dabei sagte sie, daß doch darüber eigentlich nur ganz alte Herren mit langen weißen Bärten sprechen könnten.

Als nun der Kaiser wieder mal das Lob seines weißen Bartes hörte, da war er nahe daran, ihn vor der Lotte abzunehmen – doch er besann sich noch zur rechten Zeit – und ließ die Frauen sehr bald allein.

Und da sprachen denn die beiden Frauen weiter über das Leben und über das Sterben – und die Lotte entwickelte zuweilen so drollige Ansichten, daß die Caecilie öfters lachen mußte.

Dabei lernte die Kaiserin Caecilie das Leben in Schilda sehr genau kennen, die Lotte konnte gar nicht genug von Schilda erzählen – aber sie mußte doch sehr viel weinen dabei – ihr wurde die alte Zeit so schwer, obgleich es doch auch eine recht böse Zeit war.


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