Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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93. Der Herr Citronenthal

Der Kaiser Philander war in Utopia wohl der einzige Mensch, der ganz ruhig blieb; doch diese Ruhe führte man allgemein auf die überstandene Krankheit zurück.

Philander pflegte jetzt häufiger mit seiner Frau zusammen zu sein und sprach viel zu ihr über seine Ruhe; er sagte, daß er so fest von einem großartigen Geisterleben, das hinter allen irdischen Erscheinungen tätig ist, überzeugt sei – daß ihm die Bestätigung seines Glaubens eben nur eine Befriedigung und nicht eine Aufregung verursache.

Und als nun die Zeiten etwas ruhiger wurden, da ließ sich eines Tages der Herr Citronenthal melden mit der Behauptung, daß er Wichtiges vom Herrn Bartmann zu melden habe.

Nun – der Kaiser sah seine Gemahlin bedeutungsvoll an und bat sie, im Nebenzimmer zu horchen.

Dann kam der Herr Citronenthal und erzählte alles das, was er mit dem Herrn Bartmann erlebt hatte – von dem Abendbrot in der Familie des Altertumsverehrers, von dessen Schnupftabaksdose und von der Rede im Bierpalast.

Der Kaiser hörte das Alles und bat den Herrn besonders, die Schnupftabaksdose genauer zu schildern.

Und das tat denn der Herr Citronenthal so umständlich, daß man die Dose hätte danach herstellen können; der Kaiser sprach dabei mit seinem Stimmverstärker und bat seinen Gast, recht laut zu sprechen, da er etwas schwerhörig sei, sodaß die Frau Caecilie im Nebenzimmer Alles deutlich hören konnte.

Und dann entließ der Kaiser den Herrn Citronenthal mit großem Danke und verehrte ihm noch zum Andenken eine sehr alte silberne Kette mit Emailmalerei.

Das Geschenk machte den Herrn Citronenthal aber so gesprächig, daß er noch was sagen wollte.

Und er sagte es:

»Der Herr Bartmann«, flüsterte er –

»Sprechen Sie laut!« rief der Kaiser.

»Der Herr Bartmann«, also sprach nun laut der Herr Citronenthal, »hat damals im Hause meines alten Freundes dessen älteste Tochter so lange und so innig angesehen, daß ich fest davon überzeugt bin: der Herr Bartmann verliebte sich damals in die älteste Tochter meines alten Freundes. Und diese Dame ist auch verschwunden. Und somit nehme ich an, daß diese Beiden zusammen ins Ausland gefahren sind.«

»Ach!« rief der Kaiser, »das ist interessant! Nehmen Sie diesen Ring zum Angedenken.«

Und er gab dem Herrn Citronenthal noch einen alten silbernen Ring mit aufgelegter Goldplastik.

Der Herr Citronenthal konnte sich vor Freude kaum fassen, und der Kaiser versprach, im Auslande weiter nach dem Herrn Bartmann suchen zu lassen.

Kaum war der Herr Citronenthal fort, so kam die Frau Caecilie wieder zum Vorschein – mit ganz rotem Kopf.

Der Kaiser sah sie an – und mußte plötzlich furchtbar lachen und rief:

»Ich glaube, Du bist eifersüchtig!«

Da mußte die Kaiserin ebenfalls lachen und fiel ihrem Gemahl ganz stürmisch um den Hals und küßte ihn.

Philander hob den Zeigefinger der rechten Hand in die Höhe und sprach ernst:

»Wie kann eine Kaiserin einen falschen Bart küssen? Ist das nicht eine Geschmacklosigkeit?«

Da lachte das kaiserliche Ehepaar so übermütig, wie es schon lange nicht gelacht hatte.

Und der Kaiser zeigte die bewußte Schnupftabaksdose, und die Kaiserin sagte:

»Nun hab ich den Beweis!«

Dann aber legte der Kaiser seinen Stimmverstärker fort und sprach leise:

»Du, Caecilie, solchen Witz reiß ich aber nicht noch einmal. Mir ist bei all diesem Bartmannsspaß schon mehr als ein Mal recht plümerant geworden. Bedenke bloß, wenn man davon was erfährt! Dann würde man mir plötzlich alle ernsthaften Absichten, die ich doch sonst habe, garnicht mehr glauben. Und meine ernsten Geschichten sind mir doch wahrhaftig so wertvoll, daß ich beinahe aus der Fassung komme, wenn ich denke, daß man schließlich auch hinter meinen ernsten Geschichten blos lustige Späße wittern könnte.«

»Ach, Philander«, flüsterte da die Caecilie, »ich schweige ja, und der Sebastian und der Haberland – die schweigen doch auch.«

»Nun wollen wir wieder«, sagte leise der Philander, »ganz ernst sein.«

Da lachte die Kaiserin ihren Kaiser aus – und sagte – immerzu lachend:

»Du Philander, jetzt mußt Du immer tun, was ich will – sonst erzähl ich die Bartmannsgeschichte aller Welt.«

»Aber Caecilie!« rief der Kaiser entsetzt.

Da sah die Caecilie ihren Philander lange an und sprach traurig:

»Du traust mir so was zu?«

Da bat der Kaiser sehr demütig um Entschuldigung.

Aber dann mußte die Caecilie abermals lachen – und der Philander ebenfalls.

Und er flüsterte dann:

»Wie ist es blos möglich, daß ich so furchtbar ernst sein kann, während ich ein solches Vergnügen am Spaße finde! Kannst Du das begreifen?«

Die Kaiserin schüttelte den Kopf, und dann ging sie mit ihrem Gatten auf den nächsten Balkon, allwo sie zusammen eine Flasche Wein tranken und Zigaretten dazu rauchten.

Der schwarze See lag in der Tiefe – ganz still.


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