Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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34. Das Kloster

Zwei Tage weilte der Herr Bartmann in dem alten Kloster, das mitten in einem großen großen Garten lag. Der Prior des Klosters, der den Herrn Bartmann hierhergeführt, saß am Abend des zweiten Tages in seinem Bibliothekszimmer und schaute hinaus in die blühende Sommerpracht – Berge, Hügel, Felsen und Täler waren architektonisch reichgegliedert und boten mit ihren Blumenmassen ein sehr buntes und doch sehr stilles Bild; von den Maschinen, die bei der Gartenkultur verwendet wurden und die Handarbeit des Menschen fast gänzlich überflüssig machten, sah man nichts – aber die Bewohner des Klosters, nur Männer, gingen in den Laubengängen und über die Parkterrassen vereinzelt oder zu zweien.

Das Kloster übte keinerlei Zwang auf seine Bewohner aus; wer nicht mehr bleiben wollte, verließ das Kloster, und die da blieben, konnten tun und lassen, was sie mochten; nur bestimmte Vorschriften, die lediglich einer gegenseitigen gesellschaftlichen Rücksichtnahme entsprachen, mußten innegehalten werden; aufgenommen wurden in dem Kloster allerdings nur diejenigen, die von den Verwaltungsdirektoren auserwählt waren.

Und der Herr Bartmann kam zu dem Prior in sein Bibliothekszimmer, und dieser erklärte nun seinem Gast dieses:

»Es ist nicht richtig, wenn Sie, Herr Bartmann, überall in der Natur nur das ungeheure lebhafte Leben sehen wollen – die Natur zeigt uns auch ebenso viel Sterben, das lebhaft nicht genannt werden kann.«

Und die beiden Herren blickten lange hinaus in die friedliche Blumenlandschaft, die nicht lebhaft schien und auch nicht das Gegenteil vorstellte.

Der Herr Bartmann steckte sich wieder mal eine Zigarre an und dachte nach und sagte leise:

»Ich meine auch das Leben nicht so einfach, wie wirs auf der Erde mit unsern Augen zu sehen gewohnt sind. Wenn ich vom Leben in der Natur sprach, so wollte ich da das Wort Leben so aufgefaßt wissen, daß es auch das Sterben in sich einschließt.«

»Schon gut«, erwiderte der Prior, »indessen möchte ich doch bemerken, daß Sie grade überall eine sehr hochgespannte Lebhaftigkeit zu sehen wünschen, und dieser möchte ich eine weiche müde Schläfrigkeit gegenüberstellen. Diese Schläfrigkeit, Schlaffheit – diese große Stille ist doch auch in der Natur und ist doch auch sehr wohltuend. Und ich glaube, Sie können sagen, daß Sie die Aktivität suchen und ich die Passivität. Aber wenn ich als Geistlicher denke, so nehme ich die eine Seite der Natur ebenso gerne hin wie die andre. Das ist eben der priesterliche Standpunkt, der nicht zwischen den Dingen sondern über ihnen ist – so wie die Priester eigentlich über dem Kaiser und über dem Staatsrat stehen.«

Herr Bartmann war versucht, zu bemerken, daß er als Kaiser auch über den Priestern stehe – doch der Prior schien seine Gedanken zu erraten und sagte einfach:

»Wenn der Kaiser mit den Priestern Hand in Hand geht, dann steht er auch über den Priestern. Ob man dieses aber von unserem Kaiser Philander sagen kann, der sich jetzt in Schilda – grade in Schilda – augenscheinlich nur mit mathematischen Arbeiten befaßt – das erscheint mir noch sehr zweifelhaft.«

»Vom Sterben in der Natur«, sagte der Herr Bartmann, »habe ich als Mensch eigentlich keine Vorstellung, denn ich bin doch noch nicht gestorben – wenigstens weiß ich momentan noch nichts davon. Und deshalb halte ichs für notwendig, zunächst das Leben im Auge zu behalten.«

Der Prior lächelte und kam wieder auf die Passivität zu sprechen und meinte, der Herr Bartmann sollte mal sehen, auch der Passivität feinere Seiten abzugewinnen.

Herr Bartmann versprachs, aber die Geschichte lag ihm noch nicht, und er sehnte sich jetzt grade sehr nach einer sehr lebhaften Lebensfrische, und deshalb fuhr er in seinem Sebastianischen Luftwagen am nächsten Morgen zum nächsten Verkehrszentrum.


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