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Der König mit den kurzen Beinen

Es war ein König, der wäre gern ein großer Mann gewesen; aber er hatte kurze Beine, und deshalb war er einen Kopf kleiner als das gewöhnliche Volk. Das verdroß ihn; denn er hätte den Menschen gern auf die Köpfe gesehen. Weil er das nun nicht anders anzufangen wußte, nahm er zu Ratgebern und Türstehern solche Leute, die noch kleiner waren, als er; aber merkwürdig, niemand in seinem Reiche fand, daß er selber dadurch größer geworden wäre.

Das verdroß den König, und eines Tages rief er seine Getreuen und sprach: »Ich muß größer werden als alle meine Untertanen; wer will mir dazu helfen?«

»Ich,« sagte der Hofschuster, und flugs machte er Stiefel mit ganz hohen Absätzen; als der König sie anzog, schien er wirklich größer geworden zu sein, und doch waren es nur wenige, denen er auf die Köpfe gucken konnte.

Da rief er seine Getreuen abermals zusammen und sagte: »Die Absätze helfen auch nicht viel. Wer weiß bessern Rat?«

»Ich,« sagte der Hofdrechsler, und er machte ein Paar Stelzen, die mußte der König an seine Füße schnallen, und der Hofschneider tat ihm einen langen Purpurmantel an, so daß man die Stelzen nicht sah. Als er nun unter sein Volk ging, war er voll Majestät und konnte wirklich allen auf die Köpfe sehen. Da hub ein ehrfürchtiges Staunen an, und die Leute riefen: »Wie ist unser König doch so groß geworden!« und es waren ihrer viele, die neigten ihr Haupt bis auf die Erde. Doch es gab auch einige fürwitzige Schelme mit scharfen Augen und noch schärferer Zunge, die lachten und sagten: »Der König geht so steif, und wie merkwürdig stapft sein Schritt!« Das kam dem König zu Ohren, und er wollte zeigen, daß er auch leicht und voller Anmut schreiten könne; aber er stolperte und fiel hin, und dabei hörte er etwas, das er wohl für ein Gelächter halten konnte.

Als er wieder zu Hause war, rief er seine Getreuen zum dritten Male und sagte: »Ich will nicht nur größer scheinen, ich will auch größer sein! Wer gibt mir einen wirklich guten Rat?«

Da trat sein Narr vor und rief: »Nicht nur einen Rat, drei Ratschläge sollst du hören, mein Herr König.«

Dieser fragte: »Welches ist der erste?«

Der Narr erwiderte: »Jage alles Zwerg- und Krüppelzeug aus dem Hause, wovon es in deiner Nähe wimmelt.«

»Gut,« sprach der König, »und der zweite?«

»Wähle aus deinem Reiche die größten Leute aus und stelle sie an die Stufen deines Thrones und an die Pforten deines Schlosses. Dann wird jedermann sagen: Wie groß muß der König sein, der so große Diener hat!«

»Gut,« sagte der König weiter, »und der dritte?«

»Geh nicht soviel aus, o König, aber wenn du durchaus meinst, daß du dich deinem Volke zeigen mußt, so schreite nicht zu Fuß, sondern laß dich von den Riesen tragen, die deine Diener sind, und in deinem Lande gibt es keinen, über den du nicht hinwegsehen könntest.«

Eine Weile dachte der König nach, dann entschied er sich und sprach: »Ich will's versuchen.«

Und er hat es versucht und nicht bereut; er ward ein wahrhaft großer König, und alle vergaßen, daß er in Wirklichkeit nur kurze Beine besaß.

Die wandelnde Mauer

Es war ein König, dem fiel ein, er wolle das Herz seines Volkes suchen. Da sprach er zu sich selbst: »Bleibst du zu Haus wie deine Brüder, der Kaiser von China und der Sultan der Türken, so findest du es nimmermehr. Du mußt hinaus aus deinen Mauern.«

Er machte sich auf die Wanderschaft, hatte aber immer die Krone auf dem Kopfe und den Purpurmantel um die Schultern. Überall zog er hin, ob es Sommer oder Winter war; trotzdem fand er das nicht, wonach seine Seele sich sehnte.

Zuletzt gab er es auf, und er war sehr betrübt und kehrte heim. Da begann er zu klagen: »Ich bin müde und will schlafen. Es ist alles vergeblich gewesen, ich habe das Herz meines Volkes nicht gefunden.«

Da lächelten die, die bei ihm waren, es war ein leises, feines Lächeln, und sie sagten: »Majestät, das Volk hat gar kein Herz.«

Als der König zu Bett gegangen war, fand er doch keinen Schlaf; denn schwere Gedanken belasteten sein Gemüt. Da tat er seine Gewänder an und schritt an allen Leibwachen vorbei in den mondhellen Park. Und wunderbar! sie ließen ihn ruhig ziehen; denn sie waren auf so etwas nicht vorbereitet und schliefen.

Der König war viel gereist; aber zum ersten Male schritt er dahin, ohne von einem Menschen begleitet zu sein. Auf verschlungenen Pfaden sog er die reine Luft einer stillen, warmen Sommernacht ein und ward ruhiger. Da kam er zu einer Bank; darauf saß ein Mensch und schlief, bis ihn die nahenden Schritte aufstörten und in die Höhe trieben.

»Wer bist du?« fragte die Majestät.

»Ein armer Gärtner in Euern Diensten, Herr,« war die Antwort. »Verzeiht mir, ich muß hier in Schlaf gekommen sein.«

»Tritt her zu mir!«

»Das geht nicht, Herr König, und wenn Ihr es auch selber wünschen solltet.«

»Warum denn nicht?«

»Weil Ihr von einer undurchdringlichen Mauer umgeben seid. Das ist ein absonderliches Ding, hat Füße und wandelt mit Eurer geheiligten Person, wohin Ihr auch immer gehen mögt.«

»Das sind Flausen, Bursch! Von einer solchen Mauer hab' ich selber nie etwas gespürt.«

»Das glaub' ich. Es sieht sie auch nicht ein jeder, und Ihr am wenigsten, Herr König; denn sie ist ganz von Weihrauch verhüllt.«

»Sonderbar! Und wer hat diese Mauer denn erbaut?«

»Das haben die Leute getan, die um Euch sind. Alle Steine wurden mit Schmeichelzungen beleckt und mit Lügen verkittet. Eine einzige Tür hat man freilich in der Mauer gelassen, aber sie ist sehr klein und nahe am Boden, und wer zu Euch möchte, der muß kriechen. Wollt Ihr aber selber einmal heraus aus dem Bann, so gibt es nur ein Mittel: Gebt mir Krone und Purpurmantel in Verwahrung und zieht meine Jacke an. Dann lauft weg, möglichst weit weg von diesem Hofe, und Ihr werdet tiefe Blicke tun.«

Einen Augenblick zauderte der König, ob er die Kleider tauschen solle. Aber dann ging er zurück in sein Schloß; denn Purpur und Krone waren ihm an die Seele gewachsen. Er wußte nun aber ganz genau, warum er seines Volkes Herz nicht finden konnte.

*


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