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Es ist lange her, daß Abul Kasim Mansur lebte; als er noch lebte, war er der Ruhm und die Leuchte der Welt. Seine Harfe war aus Gold und mit silbernen Saiten bezogen; ein Engel aus dem Paradiese hatte sie gebracht, und wenn er darauf spielte, dann ruhte der Krieg, dann schwieg die Schlacht, und alles lauschte seinen Liedern. Aber keins darunter war so schön wie das Lied von der Nachtigall, wenn die Sonne schlafen gegangen ist hinter den Bergen.
Nun geschah es eines Morgens, daß der junge Omar Ibn al Wardi, der da in einer Vorstadt Basras wohnte, sein Gewand gürtete und einen Wanderstab in die Hand nahm.
»Wohin willst du wallfahrten gehn?« fragte seine alte Mutter. »Willst du nach Jerusalem gehn oder nach Mekka und Medina?«
»Nicht nach Mekka und Medina und auch nicht nach Jerusalem,« antwortete Omar voller Ehrfurcht. »Wisse, Mutter, nach Schadab will ich gehen, nach Schadab, wo die silbernen Quellen springen und die Nachtigall flötet in den Rosenbüschen.«
»Was willst du denn in Schadab, mein Sohn, wo die Rosen blühen und die silbernen Quellen springen?«
»Oh, Schadab, meine Mutter, Schadab liegt am Tor des Paradieses. Dort sitzt Abul Kasim Mansur auf purpurnem Thron; in Händen hält er die goldene Harfe, und wenn er singt, dann lauscht die ganze Welt. Ich will wallfahrten zu dem Hause dessen, der der Liebling des Himmels ist; aus seinem eignen Munde will ich hören das unsterbliche Lied von der Nachtigall, wenn die Sonne sich schlafen legt hinter den Bergen.«
Da lächelte die Mutter und sagte: »Geh nach Schadab, mein Sohn, und werde klug. Allah möge dich geleiten.« – –
Da machte der Jüngling sich auf und wanderte drei Wochen und drei Tage. Den Weg fand er leicht; wenn er nicht weiter wußte, so fragte er nur: »Schadab?« und die Leute antworteten: »Schadab? Abul Kasim Mansur? Dorthin, edler Jüngling!« Und er wanderte weiter.
Als der Abend des letzten Tages herangekommen war, zog er endlich in den Ort ein, der das Ziel seiner Sehnsucht war, nicht lange vor der Zeit, wo die Sonne untergehen wollte.
Ihm schlug das Herz. Seine Augen wanderten umher und suchten die springenden Quellen und die Rosenbüsche; er konnte sie nicht finden. Schadab war nur ein Dorf, und die Häuser waren keine Paläste.
Der gute Jüngling wunderte sich; aber er dachte: Vielleicht ist all die Herrlichkeit hinter jenem Hügel; oder ich bin am Ende noch falsch gegangen, und dies ist gar nicht Schadab.
Er ging also nach dem Hügel, und an seinem Fuße traf er allerhand Volk.
Er fragte: »Ihr guten Leute, ist dies Schadab?«
»Ja,« sagten sie, »dies ist Schadab.«
»Ist dies wirklich Schadab, wo die silbernen Quellen springen, wo die Nachtigall singt in den Rosenbüschen, wo Abul Kasim Mansur wohnt, der Ruhm der Welt?«
Da lachten die Leute und sagten: »Schadab ist dies ganz sicher, das wissen wir; aber springende Quellen und blühende Rosen und singende Nachtigallen haben wir hier nicht, und Abul Kasim Mansur kennen wir nicht.«
Noch einmal fragte der Jüngling, und seine Stimme bebte: »Abul Kasim, der die goldene Harfe spielt?«
»Ach, Harfe!« rief ein Junge. »So einen Abul Kasim gibt es wohl, und eine Harfe hat er wirklich, aber sie ist nicht aus Gold. Das ist Abul Kasim der Schweinehirt.«
»Schweinehirt?« fragte Omar entsetzt.
»Zu etwas anderm ist er nicht zu gebrauchen. Geh nur den Hügel hinauf; an der andern Seite findest du ihn.«
Und der Jüngling stieg aufwärts; aber seine Füße waren schwer und sein Herz noch schwerer.
Doch als er die Höhe erreicht hatte, sah er wirklich am Abhang eine Herde von Säuen, und abseits auf einem Stein saß ein alter Mann mit einem grauen Bart; sein Turban war nicht mehr neu und sein Kleid nicht ganz. Das Haupt hielt er gesenkt; sein Stab bewegte sich über die Erde, als ob er schreiben wolle.
»Friede sei mit dir!« sagte der Jüngling.
»Friede!« antwortete der Greis; er hob den Kopf, und den jungen Pilger durchschauerte es. Er sah in ein verwittertes Gesicht, und aus den Augen traf ihn ein leuchtender Strahl.
»Ich bin Omar Ibn al Wardi,« begann der Jüngling leise und zaghaft, »ich komme von Basra am fließenden Wasser. Drei Wochen und drei Tage bin ich gewandert, um Abul Kasim Mansur zu sehen –«
»Ich bin's,« antwortete der Greis.
»Abul Kasim,« fuhr Omar fort, »dessen Worte die Welt durchfliegen, der das Lied gesungen hat von der Nachtigall, wenn die Sonne sich schlafen legt hinter den Bergen?«
»Ich habe dies Lied gesungen,« sagte jener lächelnd.
»Du, du?« rief Omar fassungslos. »Du, der hier die Schweine hütet?«
»Was soll ich machen? Ich muß doch zu essen haben,« war die Antwort.
»Oh, ich Tor!« brach der andre leidenschaftlich aus, »und ich glaubte, du säßest auf purpurnem Stuhl und spieltest auf goldener Harfe. Ich Tor, der ich in dem Wahn war, in Schadab sprängen silberne Quellen, und die Nachtigall sänge hier in den Rosenbüschen!«
»Das tut sie auch, und du sollst sie hören,« sprach Abul Kasim, und er stand auf, und seine Gestalt reckte sich empor. »Jüngling von Basra, du wirst müde Füße haben, sei diese Nacht mein Gast. Geh in meine Hütte. Die Sonne sinkt; ich will erst die Schweine in den Kofen treibend
Als der Abend gekommen war und vom smaragdenen Himmel die funkelnden Sterne sahen, da saß Abul Kasim mit seinem Gast vor der Tür seiner Hütte; und als sie gegessen und getrunken hatten – grobes Brot und klares Wasser – und es still unter ihnen ward, da holte jener seine Harfe. Der Jüngling trauerte, sie war nicht aus Gold; aber als der Alte mit leichtem Finger über die Saiten fuhr, da quollen tiefe, geheimnisvolle Klänge daraus hervor, und darüberhin fluteten leise liebliche Töne, wie lichte Engel, die über schwere Wolken schreiten – und dann schwand die Hütte, der öde Abhang des Hügels schwand hinweg.
Abul Kasim sang; er sang vom Frühling, der die Sonne weckt, und sang vom Mädchen, das zum Tanze schreitet; aber zuletzt sang er sein Bestes: das Lied von der Nachtigall, wenn die Sonne sich schlafen gelegt hat hinter den Bergen.
Nun kam der junge Pilger ans Ziel, nun war er endlich in Schadab. Mit entzückten Augen sah er, wie silberne Quellen sprangen; Rosen sproßten empor, und in blühenden Büschen saßen die Nachtigallen und begleiteten das Lied ihres Meisters.
Wahrheit, leuchtende Wahrheit! Abul Kasim Mansur saß auf purpurnem Thron, und die Harfe in seinen Händen leuchtete wie Gold. Hinter und über ihm wölbte sich's empor: das war das Tor zum verlorenen Paradiese.
Der Sänger hatte geendet. »Laß uns in die Hütte gehen und schlafen,« sprach er.
Da beugte sich Omar über die saitenkundige Hand: »Wahrheit, leuchtende Wahrheit! Habe Dank, du Herrlicher, ich bin nicht vergebens nach Schadab gepilgert.«
»Habe Dank auch du,« erwiderte der Alte. »Du hast einem einsamen Manne wohlgetan.«
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