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Ihr ersten Sonnentage des Jahres mit eurer rauhen Schönheit, euch verwandt ist die Seele des Knaben. Ihr bringt mit euch die wilden, jauchzenden Spiele, die ersten Spiele des Jahres. Da sind kaum die sonnigsten Raine trocken und die Wiesen liegen noch grau; aber der silbergraue Nasen flimmert in der Sonne, und im Gehölz das braune Laub des Vorjahres leuchtet in goldig warmem Ton.
Und hinaus geht's auf die Wiesen und in die Wälder. Der Ball fliegt und der bunte Drachen steigt. Und Räuber sind wir und durchziehen das Gehölz, und kein Bach ist uns zu breit und keine Schlucht zu tief. Und wir sind Eroberer und stürmen Burgen. Wir sind Wilde, wir sind Räuber, wir spielen Krieg.
Denn natürlich war ich, trotz meiner Sonderstellung im Dorf, keineswegs immer abgetrennt von den anderen Knaben. Es gab Zeiten, wo wir uns sogar aufs beste vertrugen, und bei diesen wilden Spielen im Vorfrühling fehlte ich nie, ich gebärdete mich dabei so toll wie einer.
Ihr ersten Sonnentage des Jahres mit eurer herben Schönheit, euch verwandt ist die Seele des Knaben. Wie waren wir unbändig und stürmisch in solchen Tagen. Die höchste Anstrengung unserer Kraft und Gewandtheit befriedigte uns nur noch. Nur, wo man den Hals brechen konnte, waren wir dabei mit ganzem Herzen. Gefahr ging uns über alles. In Ruh zu verharren, war uns höchste Qual.
Aber andere Tage kamen, warme, weiche, wollustvolle Tage. Die Schönheit des Jahres brach hervor in üppiger Fülle; Üppigkeit war überall, ein Überquellen aller Säfte, ein Blühen ohne Ende.
Und wir waren wie verwandelt. Wir stürmten nicht mehr. So seltsam floß es uns durch die Adern, ein träges Behagen, eine süße Müdigkeit; wenigstens mir war es so.
Vor dem Dorfe, eine Strecke oberhalb der Heckenmühle, lag ein verödeter Garten, ich glaube, er gehörte dem Müller. Eine hohe Hecke von Hainbuchen umschloß ihn, Apfelbäume in langen Reihen blühten darin und entfalteten Millionen von zarten Rosen in der Sonne. Aber der Garten ward seit lange nicht mehr gepflegt, Gras und wilde Blumen bedeckten ihn. Nur die Buchsbaumeinfassungen standen noch da aus einer früheren Zeit und ebenso eine alte, halbverfallene Laube. Niemand kam an diesen Frühlingstagen in den verlassenen Garten.
Er wurde der Schauplatz unserer neuen Spiele.
Keine wilden Spiele mehr waren es. Sie waren still, fast heimlich, fast scheu, fast verschämt. Denn Mädchen spielten mit. Und wo waren die wilden Kameraden von vordem hingestoben? Ich sah mich jetzt wieder allein mit Olga Rotermund und einigen andern ihresgleichen. Nur Schulmeisters Christian gesellte sich von Knaben noch zu uns. Er sah damals schon so blaß aus, und wenn ich nicht irre, ist er noch jenen Sommer an der Zehrung gestorben.
Bei unserer Wildheit vor einem Monat oder zweien hätten wir alle die Bezopften und Berockten nicht gelitten. Wir würden sie in unserer Heldenhaftigkeit mißhandelt haben, wenn sie sich herangewagt hätten. Wir wären das unserer Würde schuldig gewesen; ich war davon so überzeugt wie die andern.
Auf einmal aber, ich wußte nicht wie, war wieder Freundschaft geworden zwischen uns. Mit ihnen zusammen schmückten wir jetzt die alte Laube des Gartens. Wir stellten allerlei Tongefäße auf, die wir mit Blumen füllten, und um die Türen und Fenster hingen wir Kränze.
Und dann schmückten wir uns selber. Sonst hatten wir unsern Stolz darin gefunden, recht zerrissen und unordentlich auszusehen. Nun wichsten wir uns die Stiefel blank und nahmen heimlich Stücke unseres Sonntagsstaates hinaus, um uns schöner zu machen. Die Mädchen aber setzten sich Kränze in die Haare. Sie waren unsere Bräute. Wir führten sie an der Hand, und feierlich, wie zur Kirche, wandelten wir unter den blühenden Apfelbäumen die alten Laubgänge entlang. Wir konnten uns in Zierlichkeit und Feierlichkeit gar nicht genugtun.
Und jedes Jahr war es dasselbe: im März spielten wir Räuber und Rothäute, und im Mai lockte uns der Garten mit seinen stillen Heimlichkeiten. So war es alle Jahre und so wird es wohl sein in Ewigkeit.
Wenigstens kann ich mich nicht erinnern, wann es anfing, noch wann es aufhörte. Aber eines anderen Erlebnisses erinnere ich mich.
Einmal lehnte draußen vor der Gartentüre ein Mädchen, das wir nicht kannten, ein junges Lamm stand neben ihm und leckte dem Kind die Hand. Das Lamm war schneeweiß und trug ein rotes Band um den Hals. Wir waren entzückt davon. Auf unsere Aufforderung kam das fremde Kind mit seinem Lamm in den Garten. Eines von unseren Mädchen nahm sich den Kranz vom Haupt und hing ihn dem weißen Frühlingsgeschöpf um den Hals. Wir standen alle erwartungsvoll herum und wünschten, das Tier möchte uns ein paar drollige Sprünge vormachen.
Denn wir waren der ernsten Feierlichkeit unserer hochzeitlichen Spiele bereits ein wenig müde und sehnten uns nach einer Abwechslung. Wir langweilten uns.
Aber das Tier machte keine Sprünge, trotzdem das fremde Kind versicherte, es gäbe auf der Welt kein so lustiges Schäfchen, und noch vor einer Viertelstunde habe es die tollsten Hopser vollführt.
Jetzt aber sah es starr vor sich hin, auf einen Fleck, als ob es in den Boden ein Loch bohren wollte mit seinen Augen. Und auf einmal drehte es sich um diesen Punkt, erst langsam, dann immer schneller. Da mußten wir lachen. Wir meinten, das gute Tier wolle uns doch noch seine Männlein vormachen.
Aber wie sich das Drehen fortsetzte, ward es uns unheimlich. Das schien uns auf einmal kein weißes Schäfchen mehr zu sein, sondern ein gespenstisch-unholdes Wesen.
Seine Augen blickten immer stierer. Sein Drehen wurde immer schwindliger. Plötzlich knickte es zusammen. Ein Zucken durchlief seinen Körper.
Das fremde Kind weinte und jammerte. Es wollte sein Schäfchen aufrichten, aber das Tier streckte steif alle vier Beine von sich, und aus verglasten Augen sah es uns an, daß wir schauderten. Voll Entsetzen ergriffen wir die Flucht.
Wir hatten den Tod gesehen ...
Aber vor der Langweile waren wir für den Augenblick gerettet.