Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Abendrot? – Morgenrot?

So kamen diese drei Menschen schwer wandernd und bettelnd nach Tagen endlich in das Gebirge. So nahten sie immer mehr der entlegenen, unfruchtbaren Waldgegend mit ihren armen, verkommenen Menschen – die Einöde genannt. –

Das Hallen und Schallen – der alte Greg blies sein Waldhorn – war näher und näher gekommen, nun aber plötzlich verstummt. Aus dem Waldesdunkel kamen drei Menschengestalten.

Die Einschicht-Res hielt ihre Hand über die Augen, blickte den Nahenden entgegen und rief: »Wer kommt da? Peter, die Toten stehen auf!«

»Meine Klara!« schrie der Peter und lief dem mühseligen Weiblein entgegen und umarmte es lachend, weinend.

Sie sank vor Müdigkeit auf einen Stein. Sie trug noch ihre alten Kleider, sie hatte noch ihren trüben Blick, sie zitterte, sie hielt die Hände zusammen und rief mit lallender Stimme:

»Daß du mich nur wieder hergeführt hast, du liebe Mutter Gottes, und daß ich mein Leben nur ertragen hab' mögen! – Peter,« sagte sie dann traurig, »'s ist umsonst, jetzt bin ich überall herumgegangen und hab' ihn nicht gefunden.«

»O Klara,« schluchzte der Peter, »nur solang', solang' ausbleiben, warum hast du mir das angetan? Du hast mich gepeinigt, nicht zu sagen; ich hätt' nicht selig werden mögen!«

»'s will halt nicht mehr licht werden auf der Welt«, murmelte sie und fragte dann lebhaft: »Die Regina habt ihr 'leicht auch einsperren lassen?«

So kam sie zurück, irr und wirr.

Die Hühner flatterten scheu herum und schlugen den Rauch des Mittagsfeuers nieder. So viele Leute waren sie nicht gewohnt. –

Und das war eine glückselige Stunde, als auf der Bachwiese die Kinder aus dem Heidehause an dem Arme des Vaters ihre verloren geglaubte Mutter heranhumpeln sahen.

Aber Gabriel hätte sie kaum mehr erkannt. Das war seine arme, kranke Mutter, an die er gedacht hatte viel tausendmal, die er sooft im Traume gesehen, gesund und fröhlich und arbeitsam, wie sie einst gewesen in den Tagen seiner Kindheit.

In der Gegend der Einöde ist bei erwachsenen Leuten das Küssen nicht Sitte, aber Gabriel stürzte hin vor das Weiblein und küßte ihm Wangen und Stirn und Augen und Mund.

O Gott, seine Mutter!

Klara erkannte ihren Sohn sogleich. Einen Freudenschrei tat sie, dann war Stille einen Augenblick. Das Weib zitterte am ganzen Körper, und dann hub es ein stilles, süßes Weinen an . . .

Der Heidepeter hatte wieder jenes krampfhafte Aufatmen.

»Jetzt wird es schon besser werden, liebe Mutter,« sagte Gabriel, »ich bleibe nun bei euch, vielleicht eine lange Zeit. Der Ameishüter hat mir seine Ausgedingstube verpachtet, da wohnen wir uns ein.«

»Siehst du, Peter,« rief Klara fast wie gesund, »was hab' ich allweg gesagt! – Und jetzt ist's völlig licht in der Welt, ist 'leicht just die Sonnen aufgangen?«

Regina hatte kein Wort gesagt, sie wußte nichts mehr anzufangen, sie konnte die Tränen nicht stillen – sie schämte sich schon.

Nun nahmen sie und Gabriel ihre Mutter am Arm und führten die Wiedergefundene in die neu eingerichtete Stube.

Der Heidepeter war aus Freude auf einen Eschenbaum geklettert, um für die Schafe des Ameishüters Laub zu sammeln. Er war so dankbar für diesen heutigen Tag, er wußte dem lieben Gott keine andere Gefälligkeit dafür zu tun, als daß er einigen seiner Geschöpfe, den Schafen des Ameishüters, frische Laubblätter brachte.

*

Möge ein gütiges Geschick walten über allen Menschen, die in der Einöde wohnen! sei es in der Einöde der Natur oder in der Einöde der Städte.

Als der Frühling wieder kam in unsere Waldberge, brachte er ein Leben und Weben mit, wie es hier bisher noch nie gewaltet.

Zum erstenmal blieb in diesem Jahre das Verbot aus, zur Zeit der Hahnenbalz Waldarbeiten zu unternehmen; wohl aber erhielten der junge Haberturm und der Ameishüter höfliche Einladungen, sich an der Hahnenjagd zu beteiligen.

Unten auf dem Gemeindeanger neben der Kapelle wurde ein Platz ausgemessen für ein neues Schulhaus. Die Gründungsurkunde desselben hatte das Patronat ausgestellt.

Noch im Laufe des Winters hatte Gabriel das Heidehaus zurückerworben und seine betagten, mühseligen Eltern in dasselbe eingeführt.

Als der Peter und sein Weib wieder eingezogen in die alte, traute Heimstätte, sagten sie zueinander:

»Gottlob, jetzt sind wir wieder daheim.«

Im Haberturmhof war die offene Verlobung des jungen Besitzers mit der Tochter des Heidepeters.

Auf dem Ehrenplatz neben den Brautleuten saß der Heidepeter. Heute ehrten sie ihn mehr als den Richter, und kein Mensch nannte ihn mehr den Dalkerd.

Er goß sich sehr viel Wasser in den Wein, und dennoch hüstelte er nach jedem Nipp und meinte, das sei wohl ein rechtschaffen starkes Trinken; es hebe bei dieser Lustbarkeit ja völlig das ganze Haus an zu tanzen!

Des Wirts Davidl lag immer noch krank, seine Mutter stand stets an seinem Bett und legte Pflaster um Pflaster über die Augenhöhle.

»Bleib' nur hübsch liegen, mein Kind,« sagte sie, »wie du aufstehst, so haben sie dich gleich und führen dich zum Gericht. Die Leut' sind heutzutag' wie die Teufel.«

Das Wirtshaus stand die längste Zeit leer.

Wenn zuweilen doch ein durchziehender Handwerksbursche oder ein arbeitsuchender Holzhauer einkehrte, so erzählte ihm die Schänkin mit großer Herzbewegung die Geschichte von Heidepeters Gabriel, der aus einem armen Bauernbuben ein so angesehener Herr geworden sei.

Endlich aber hatten es die Zapfenwirtsleute eingesehen, daß nach all dem, was vorgefallen, ihres Bleibens in der Einöde nicht mehr länger sein könne.

Sie verkauften das Haus. Noch einmal, bevor sie auszogen, setzte sich die Wirtin zu ihrem getreuesten Freund, dem Rindenschlager-Lenz, zu einem Scheidetrunk; noch einmal ließ sie ihrer Zunge und Erfindungsgabe freien Lauf, noch einmal tat sie in den höchsten Tönen die Armseligkeit und den Undank der Einödebewohner dar.

Da, zur bittersten Neige, unterbrach sie heute der Lenz und sagte: »Ein Eichtel weniger reden tät' nicht schaden. Es haben auch das Zapfenwirtshaus nicht die Engel 'baut, wie es sich weist. Es kommt ja alles auf.«

»Nicht wahr ist's, daß alles aufkommt,« schrie die Wirtin hitzig, »dasselb', was mein schlauer Davidl oben im Heidehause mit dem toten Schulmeister 'trieben, wie er durch ein Roßhaar das Bahrtuch aufzupft hat, derweil er selber auf dem Dachboden gewesen, ist schon viele Jahre vorüber und ist auch noch nicht aufkommen!«

»Und wird auch nicht aufkommen«, versetzte der Lenz tückisch. »Behüt' dich Gott, Wirtin, dir geht auch heut' die Welt wie ein Mühlrad herum, weil du das Mühlwasser dazu aus deinem Extrafaßl hast rinnen lassen. Im Wein ersauft die Lüg' – das ist wohl richtig, aber dann bist du dir mit diesem Trankel alleweil zu sparsam gewesen. Das Kunststück von deinem Davidl werd' ich schon ausrichten. Nichts für ungut.« – Und er ging davon.

Der Wirt trennte sich schwer von der Gruft, aber ihre Geister begleiteten ihn – wohin, ist unbekannt. – Sie zogen fort, zogen wahrscheinlich dem »hochwürdigen Herrn« nach, wie es die Wirtin einst bei der Christenlehre vorausgesagt hatte; der Pfarrsprengel Rattenstein war nämlich schon lange aufgelassen und die Gemeinde mitsamt der Einöde in Karnstein eingepfarrt worden. Karnstein ist der schöne freundliche Ort draußen im breiten Tale, in dem wir noch eine wundersame Mär erleben sollen.

Gabriel war wieder in die Stadt gegangen, wohin ihn seine geistigen Beziehungen zurückzogen. In der Stadt aber lebte er seinen Bergwäldern, die er beschrieb und besang mitsamt ihren Menschen.

Er nahm kein Amt, er trieb kein Geschäft, er lebte und dichtete.

Er wußte selbst nicht, wie es war, daß er nun so schön und frei dahinleben konnte.

Nun aber nimmt die Geschichte einen neuen Lauf.

Und sie wird zeigen, daß der Menschen echtes Glück nicht von Osten kommt und nicht von Westen, daß es in keiner Himmelsgegend aufsteigt, durch keinen Wind herbeigeweht wird, daß es still und wunderbar entkeimt aus dem eigensten Herzen.

Daß es dann mitunter aber weitergreift über alle Wünsche und Ahnungen hinaus, schier wie eine lieblich gewaltige Feuersbrunst, alles erfassend und einhüllend und endlich auch – verzehrend.

Oft, wenn Gabriel in seinem Stadtstübchen träumte und die Abenddämmerung war, durchzogen Erinnerungen an eine herrliche Zeit seine Seele. Aber an eine Zeit, die er niemals durchlebt hatte. Denn es war nicht Erinnerung, es war eine Ahnung von dem, was bevorstand.

Die Sommertage lockten ihn allemal wieder in die Einöde zurück, wo er arbeitete und dichtete, und im Heidehause seinen alten Vater, seine sieche Mutter hatte, seine Vergangenheit durchträumte.

An einem solchen Sommertag entschlief seine Mutter. – »Leut'!« hatte sie mit heller Stimme gerufen: »Was ist denn das, jetzt wird's auf einmal ganz licht!«

 


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