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Von Dr. Egbert Delpy
Beim Klange dieses Namens wird vielen tausend Deutschen warm ums Herz. Sie haben den vor beinah neun Jahren unter dem Donner des Weltkrieges in seinen heimatlichen Bergen von Waldbauern still und prunklos zu Grabe getragenen Menschen mehr geliebt als den weltberühmt gewordenen Bauerndichter, der das Volkstum der Steiermark in hinreißender Frische und Ursprünglichkeit in die Literatur einführte, mehr als den fröhlichen Liedersänger und humorvoll ernsten Geschichtenerzähler, der sich wie kein anderer im verschlossenen Herzen seiner knorrigen Landsleute auskannte. Peter Rosegger – das war und ist den Besten in zwei Nationen, den Besten in Österreich und Deutschland der Inbegriff von etwas besonders schlicht und unverfälscht Deutschem, das beglückende Bewußtsein von einem aufrechten, klaren, mannhaften Menschentum, dem es etwas ganz Selbstverständliches war, seinen Volksgenossen führend und wegweisend voranzugehen. Bei Peter Rosegger zu Gast sein das hieß: aus kristallklarem deutschen Brunnen Frohsinn, Gesundheit, Herzenswärme trinken. Aber auch: aufgerüttelt werden aus Phlegma und Indolenz zur Erkenntnis jener Gefahren, die aus der Übersteigerung städtischer Kultur dem deutschen Volkstum in rapidem Umsichgreifen erstanden sind.
Dieser kleine, schwächliche, zeitlebens kränkliche Mensch, der sich vom armseligen Waldbauernbübel aufgeschwungen hat zum berühmtesten Schilderer und Künder seiner Gebirgsheimat, ist zunächst dem engeren Kreise seiner Landsgenossen, dann in großartig umgreifendem Maße dem ganzen Umkreis deutschen Volkstums ein unermüdlicher, leidenschaftlich ergebener Anwalt, Lehrer, Prediger, Führer gewesen. Fünfzig unerhört produktive Lebensjahre hat er daran gewendet, den Schatz an Licht und Wärme auf dieser Erde zu mehren. Liebe war der innerste Kern seines Lebens und Schaffens. Liebe zu allem, was groß, schön, echt, natürlich und gesund war. Aber diese Liebe sah nicht durch rosenrot gefärbte Brillengläser. Sie war scharfäugig, klar, unbestechlich. Und hatte als besten Weggenossen einen zornigen, leidenschaftlichen Kampfesmut, der immer wieder bereit war, für die eigenen Ideale gegen alle noch so gefährlichen Großmächte der öffentlichen Meinung zu streiten. Furchtlos hat er sich schroffen Anfeindungen ausgesetzt, die doch alle nach und nach vor seinem Lebenswerk verstummen mußten, unablässig hat er Versöhnung der Konfessionen und der sozialen Gegensätze gepredigt. Und hat es erlebt, daß zwei Universitäten, Wien und Heidelberg, ihn zu ihrem Ehrendoktor ernannten, daß zwei Kirchen stolz auf ihn waren, daß zwei Völker seinen 60. und 70. Geburtstag wie nationale Festtage feierten . . .
Wer Peter Rosegger, dem Dichter, gerecht werden will, der muß den gütigen, aufrechten Menschen Rosegger erkannt haben, der all sein Können, Denken, Tun leidenschaftlich in den Dienst des eigenen Volkes stellte. Muß den schlichten, warmherzig tapfern Menschheitslehrer lieben gelernt haben, dem Schriftstellerruhm sehr wenig galt, aber alles das Glück des Volkes, das Heil der Menschheit, in die er gestellt war, mit der er sang, hoffte und litt und an die er als Greis noch jenes ergreifende Bekenntnis richtete, das am Schluß jener Lebensbeichte steht, die er als Geleitwort der großen vierzigbändigen bei L. Staackmann in Leipzig erschienenen Gesamtausgabe seiner gesammelten Werke mit auf den Weg gab: »Soll es nun heute sein, oder in noch späteren Tagen, willig mag ich meinen morschen Wanderstab zur Erde legen, willig meinen Namen verhallen lassen, wie des heimkehrenden Älplers Juchschrei verhallt im Herbstwind. Aber ich – ich selbst möchte mich an dich, du liebe, arme, unsterbliche Menschheit klammern und mit dir sein, durch der Jahrhunderte Dämmerung hin – und Weg suchen helfen – den Weg zu jener Glückseligkeit, die das menschliche Gemüt zu allen Zeiten geahnt und gehofft hat.«
Der Mensch und der Dichter Rosegger sind untrennbare Brüder gewesen. Vielleicht war jener größer noch als dieser. Aber sein Bestes, seine Liebe und sein Zorn, sein Freimut und sein Humor, seine Wahrhaftigkeit und seine Güte, sie leben und leuchten uns aus seinen ungezählten Schriften, Gedichten, Novellen, Romanen, Tagebüchern, Aufsätzen und Aufrufen aus primitiver und gedrechselter, aus urwüchsiger und geglätteter, aus frei hinströmender und gepreßter, aus köstlich elementarer und eigenwillig gemeisterter Kunstform erquickend echt und groß entgegen. Das leuchtend Menschliche in dem Künstlertum dieses Waldbauern- und Berghöhendichters ist sein unsterblich Teil. Es hat eine alternde, überkluge, übersättigte Menschheit aufhorchen lassen, hat vielen Müden, Verbitterten und Enttäuschten frohe Botschaft und neuen Glauben an die positiven, aufbauenden Gewalten des Lebens gebracht, hat Gleichgültige aufgerüttelt, erheitert, angespornt und sie aus dumpfer Mauerenge hinaus und hinaufgeführt in freiere, gesundere Höhen. Das ist das eigentliche Werk, die große Tat des Peter Rosegger gewesen! Damit hat er die Menschen einer erkrankten Zeit beglückt und gewonnen und die nach frischem Brot hungernde Seele des deutschen Volkes an sich gebunden.
Nur einer, der aus unberührter, urgesunder Volkstiefe selbst emporstieg, taugte zu solchem Werk. Aus der Einsamkeit dunkler Riesenwälder, starrer Gebirgsklüfte trat das Menschen- und Dichtertum Peter Roseggers hervor und drängte, ein kristallklarer, unermüdlich sprudelnder Gebirgsquell, mit heiterem Ungestüm in die Weite, zu den Tal-Menschen. Die hohen, grünen Berghänge der steirischen Waldheimat waren die Wiege seines Charakters, seines Talents. Zu ihnen trieb ihn ein nie ruhendes Heimweh von jeder bunten Weltfahrt mit pochenden Sehnsuchtsschlägen zurück. In ihrem Frieden, ihrer dunklen Stille war seine Seele daheim. Hier schöpfte sie immer wieder neue Kraft, neue Fröhlichkeit, neuen Antrieb zum Werk, dem Protest eines schwächlichen Körpers zum Trotz, der längeren Aufenthalt in der rauhen Gebirgsluft nicht dulden wollte . . . So, zwischen Gebirge und Stadt gestellt, hat Peter Rosegger sein überreiches Leben gelebt, immer neue Fäden zwischen beiden webend, Wurzeln nach beiden Seiten ausschickend, aber doch mit allen tiefsten und feinsten Fasern seines Seins zeitlebens elementar an den geliebten Waldboden der Steiermark gebunden. Aus der Natur, dem Geiste seiner Waldheimat heraus ist Peter Roseggers Leben und Schaffen in allem Entscheidenden und Großen wie in seinen Besonderheiten und Begrenzungen völlig und einzig zu verstehen. Die Stadt und ihre Kultur konnte seinen Horizont erweitern, sein Auge für die dunklen Seiten des Lebens schärfen. Seinen weithin leuchtenden inneren Reichtum hat ihm einzig die Waldheimat gegeben!
Die lag mit ungezählten Höhen, schroffen Engtälern, schwarzen Fichtenwäldern, grünen Matten und spärlichen, weit verstreuten Gehöften in dem weltabgeschiedenen Bergland der Fischbacher Alpen, das sich von der Mürz bis zur ungarischen Grenze hin erstreckt. Roseggers Geburtsort, die kleine, kaum etliche zwanzig Bauernhöfe umfassende Waldgemeinde Alpl, war durch meilenweite Wälder vom nächsten größeren Dorfe, Krieglach, wo Kirche und Friedhof lagen, getrennt. Auf hochgelegener Alm stand einsam das alte hölzerne Bauernhaus, in dem Rosegger zur Welt kam (31. Juli 1843). Hier hatten seine Vorfahren durch Generationen gesessen und gehaust, als Kleinbauern in mühevoller Tagesarbeit dem harten Boden ein kärgliches Brot abgewinnend. In dieser Weltverlorenheit engsten bäuerischen Seins wuchs Peter heran, schmächtig und zart gebaut, für grobe Bauernarbeit wenig geschickt, daher meist zum Viehhüten und Botengehen verwendet, als dürftigen Schulunterricht nur die sporadischen Unterweisungen eines obdachlosen Schulmeisters aus der Nachbarpfarre genießend. Der regsamen Knabenphantasie bot das kaum verstandene Hochdeutsch des predigenden Pfarrers im Kirchdorf erste Nahrung. Er ging herum und predigte aus dem Stegreif den Schafen und Bäumen, schleppte später geistliche Bücher, wo er ihrer nur habhaft werden konnte, zusammen, las und predigte aus ihnen die halben Nächte lang. Natürlich ging die Mutter eines Tages mit ihm zum Geistlichen und bat um Rat, wie man den frommen Peterl studieren lassen könnte, »daß es nichts tät kosten«. Aber dieser und andere geistliche Herren sagten, wenn kein Vermögen da wäre, so könnten sie nicht helfen. So bleibt denn alles beim alten, und der predigende Peter soll eben halt doch Bauer werden . . . Aber die Neigung zum Lesen, zum Bücherstudieren ist nun einmal in ihm erwacht und brennt unaufhaltsam höher und höher empor. In Krieglach findet er eine Patronin, die öffnet dem Waldbauernbübel ihren Bücherschrank. Da findet er nun unerhörte, atemraubende Schätze: Gedichte, Jugendschriften, Reisebeschreibungen, Zeitschriften und ach: Kalender. Die haben es ihm ganz besonders angetan! Speziell die illustrierten Volkskalender mit ihren treuherzigen Bildern und Geschichten sind eine wonnevoll aufregende Lektüre . . . Als er eines Tages eine richtige Dorfgeschichte darin entdeckt, da ist kein Halten mehr. Er setzt sich hin und schreibt Dorfgeschichten, verfaßt Gedichte, Dramen, Reisebeschreibungen nach den ihm vorliegenden Mustern und schreibt sich so in Feuereifer seinen eigenen Kalender zusammen, den er denn auch logischerweise höchst eigenhändig »illustriert«.
Knapp 15 Jahre war er alt, der Peter, als er so in aller Heimlichkeit unter die Schriftsteller geriet. Die Eltern merkten mehr und mehr, daß es zum Bauern bei ihm durchaus nicht reichte. So gaben sie ihn denn im Sommer 1860, kurz entschlossen, bei dem Schneidermeister Ignaz Orthofer zu Kathrein am Hauenstein in die Lehre. Und das war das allerbeste, was dem Peter überhaupt passieren konnte. Denn damit kam er mit einem Male auf die Hochschule des Lebens, wie er und sein Talent sie gerade brauchten. Sein Lehrmeister betrieb sein Gewerbe im Umherziehen von Bauernhof zu Bauernhof. Und so wanderte der Lehrbub mit ihm von Haus zu Haus, kreuz und quer durch das Gebirge und seine Täler, half den Bauern ihre Kleider instand halten und spitzte derweil Augen und Ohren gewaltig. Nun erst lernte er das Bauernvolk von Grund aus kennen. Aber auch die Natur seiner Heimat erschloß sich ihm auf den langen Wanderungen bei jedem Wetter und in jeder Jahreszeit in ihrer ganzen Schönheit. Und übermächtig trieb es ihn, in seinen Freistunden das Gesehene und Erlauschte wiederzugeben, es dichterisch zu gestalten. Mit wachsendem Kummer sah der ehrliche Meister, der es herzlich gut mit dem wunderlichen Lehrling meinte, daß er bei bestem Willen keinen Schneider aus dem jungen Menschen machen konnte. Aber dennoch haben es die zwei fünf Jahre lang redlich miteinander ausgehalten, bis der junge Peter eines Tages auf und davon ging für immer.
Das Glück saß in der Stadt und winkte. Heimlich an die Redaktion der Grazer Tagespost abgesandte Gedichte waren gedruckt worden, und Dr. Svoboda, der Redakteur, hatte einen warm und klug geschriebenen Aufsatz veröffentlicht, der um Gönner für die weitere Ausbildung des dichtenden Bauernbuben erfolgreich warb. Bücher, Geld, Angebote kamen (wenn's not tut, dichtet das Leben wirklich solche Märchen!). Da hielt es den Peter nicht länger im Wald. Planlos rannte er hinaus ins Leben, zunächst zu einem Buchhändler nach Laibach, um, von verzweifeltem Heimweh erfaßt, nach kurzer Zeit fluchtartig heimzukehren. Da griff abermals Dr. Svoboda ein. Er brachte den Zweiundzwanzigjährigen auf die Akademie für Handel und Industrie in Graz, sicherte ihm das Wohlwollen und die Unterstützung angesehener Bürger, hielt das Interesse durch wiederholte Notizen und Gedichte Roseggers wach und verhalf dem Werdenden so zu einem ruhigen dreijährigen Studium in freundlichster Umgebung. Gegen Ende dieser Zeit lag denn auch ein Bändchen Gedichte in steirischer Mundart fertig da, dem kein Geringerer als der damals weitberühmte Robert Hamerling das Vorwort schrieb. Die Kritik nahm »Zither- und Hackbrett« mit Wohlwollen auf, das Publikum mit freudiger Wärme; die erste Stufe auf der hohen Leiter nach oben war erklommen.
Und nun geht es unaufhaltsam vorwärts. Die Steiermark verleiht dem glücklichen Peter ein Stipendium. Da kann er reisen, kommt nach Deutschland, der Schweiz, nach Italien. Aber die Fremde hat keine Wirkung auf seine Kunst. Ihn lockt nur die Heimat. Immer wieder steigt er tief in ihr Volkstum hinab und schöpft und schöpft unermüdlich. Band folgt auf Band. Gedichte und Erzählungen in steirischer Mundart werden abgelöst von Sittenbildern aus dem Volksleben und einer Flut Geschichten aus der Steiermark. Alles was er in der Waldheimat findet, wird ihm zum Stoff, der sich ihm ganz von selbst gestaltet. Zwar wollen ihn städtische Stimmen zu anderen »größeren« Stoffen verlocken. Aber er fühlt, wie ihn die große Welt nur verwirrt und verflacht, wie sie seine Erzählerkunst, die, frei von ängstlicher Anlehnung an ästhetische Regeln, wurzelecht und natürlich aus dem Mutterboden emporschoß wie die himmelanstrebenden Fichten der Steiermark, nur einengt und verkünstelt. So singt er weiter, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und das Land horcht mit steigender Freude auf ihn, der einen reinen, zu Herzen gehenden Naturlaut sein eigen nennt wie ihn kein anderer hat. Und auch die Stadtmenschen jenseits der steirischen Grenze müssen zugeben, daß in diesem Bauerndichter etwas steckt, was an verborgene, festverschlossene Tore ihrer Seele klopft und Einlaß fordert, etwas Reines, Herzliches, Zartes und Wahrhaftiges, das gar nichts weiß von dem Literatur-Lack und ‑Firnis zünftiger Dorf- und Bauernspezialisten, und das eben darum auf sie wirkt wie Waldluft und Bergwind auf wintermüde Stadtnerven.
So wächst Roseggers Ruf. Er fühlt, wie er Macht gewinnt über Menschenherzen. Aber zugleich schaut er tiefer und tiefer hinein in die Mißstände der Zeit, in die dunkle Leere unter der gleißenden Hülle der Bildung, in die innere Not der Stadtmenschen, in die tausend Lügen und Gefahren des Weltlebens und seiner vielgepriesenen »Kultur«. Und nach und nach steigt das Verlangen unbezwingbar in ihm auf, hier Dämme aufzurichten, die seine Heimat vor dem Weltgift schützen sollen. Der Lehrer, der Prediger, der Warner und Führer wacht immer bewußter auf. Mitzuarbeiten an der sittlichen Klärung der Zeit, das wird mehr und mehr zur inbrünstig und leidenschaftlich durchgeführten Lebensaufgabe des Menschen und des Dichters Rosegger. Und nun öffnet sich jene andere Seite seines Wesens. Der eifernde Zorn gegen alle finsteren Mächte des Lebens springt auf und ringt mit einer Zähigkeit und Nachhaltigkeit wider alles Entartete, die echtes Erbteil seiner Bauernnatur ist. Manchen Freund und Bewunderer hat die unheimliche, zuweilen fast ans Dämonische streifende Kraft in der schonungslosen Schilderung des Faulenden, Unnatürlichen, Verworfenen und Verirrten, die nun in seinen Werken schroff neben die hellere Rosegger-WeIt tritt, abgestoßen und enttäuscht. Bis man begriff, daß jener Schatten und dieses Licht aus ganz der gleichen Quelle flossen, fließen mußten, und das über Hergebrachtes hoch hinausgehende Große einer solchen Doppelseitigkeit erkannte. Dem kritischen Auge kann gewiß nicht entgehen, daß die ethische Tendenz in der Schilderung des Bösen wie des Guten zuweilen der künstlerischen Wirkung Abbruch getan hat; den Zauber der bodenständigen, prachtvoll geradgewachsenen, zugleich feurigen und zarten Persönlichkeit des Menschheitslehrers Rosegger hat sie nur in ganz wenigen extremeren Fällen zu verwischen vermocht!
Aus dem Sturzbach von Werken, die Rosegger in jenen siebziger, achtziger Jahren in die Welt hinausschickte, leuchten über die Zeiten hinweg die köstlichen, alle Zauber seines Wesens und seiner Kunst ausströmenden Erinnerungen aus der Jugendzeit, die er unter dem Titel »Waldheimat« in mehreren Bänden herausbrachte. Daneben die »Schriften des Waldschulmeisters«, Roseggers populärstes, meistgelesenes Buch, in dem sich hohes selbstverleugnendes Menschentum in unübertrefflich schlichter, ergreifender Form entfaltet, inmitten einer weltentrückten Waldeinsamkeit, deren Größe und Macht den Leser unwiderstehlich im Bann hält. Von ganz besonderem Reiz durch die darin verwobenen Motive aus dem Leben des Dichters ist der zweite große Roman: »Heidepeters Gabriel«, der ursprünglich in zwei Teilen erschien: »In der Einöde« (1872) und »Oswald und Anna« (1876), die Rosegger 1882 dann zu einem einzigen Werke zusammenzog. In dem dunkleren ersten Buch lebt viel von seiner eigenen Kindheit und Jugend. Der Sorgenlast und Lebensnot seiner Eltern hat er da ein ergreifendes Denkmal gesetzt. Beschönigt wird nichts; scharf spürt man den festen Griff des Sittenschilderers, der seinen Bauern die Masken lüftet und ihnen zornig in die Augen schaut. Das lieblichste Idyll folgt im zweiten Buch diesem scharfkantigen Naturalismus. Hier hat Rosegger in überaus anmutiger Weise das Glück seiner ersten Ehe dargestellt. Mit übervollen Händen schüttet er den ganzen Reichtum seines Herzens aus. In zartesten Farben erstrahlt das Bild des geliebten Weibes, das ihm für kurze zwei Jahre den Himmel auf die Erde herabtrug. Erschütternd löscht dann der schwarze Todesschatten das strahlende Licht des köstlich tiefen Bundes aus. Aber Annas lichte Gestalt steht segnend über dem Zerschmetterten und weist ihm den Weg zurück ins Leben.
Als gewaltiger düsterer Felsblock türmt sich neben diesen Werken der 1885 erschienene Roman »Der Gottsucher« auf, der in seiner balladenhaften herben Wucht zum Großartigsten gehört, was Rosegger geschaffen hat. In dem leidenschaftlichen Kampf eines herrischen Pfarrers gegen die verwilderten Waldmenschen seiner Gemeinde spiegelt sich des Dichters tiefes, von kirchlichen Konfessionen befreites Verhältnis zur Religion, die ihm ein gewaltiger, ständig seine Form wechselnder Urtrieb der Menschheit ist, ohne die kein Volk leben kann, über die übliche Kirchengläubigkeit geht der Roman bereits weit hinaus und kündet darin den frei schreitenden Bekenner an, der zwischen den Konfessionen neue Wege ins innerste Herz der Religion suchte und fand. In den neunziger Jahren beschäftigt dann Rosegger mehr und mehr das Thema, das ihn nie wieder losgelassen hat: der Untergang des Bauerntums in den Alpen, in dessen Abgeschiedenheit das alles zerstörende »Weltgift« eindrang. Meisterhaft zeichnet er die Symptome der Vergiftung in den Romanen »Jakob der Letzte«, »Martin, der Mann«, »Das ewige Licht«; zeigt in herzbeklemmender Steigerung den Untergang ganzer Waldgemeinden. Und steht doch durch seine überall durchleuchtende Herzenswärme, durch das Licht, das er über jede Form schlichter Treue und Bodenständigkeit wirft, weit ab von den Niederungen der um die gleiche Zeit in der großen Literatur grassierenden konsequenten Elendsmalerei. Um die Jahrhundertwende krönt er dann sein Werk mit dem noch einmal alles Positive eindringlich zusammenfassenden Roman »Erdsegen«, der ein einziger leidenschaftlicher Ruf: »Zurück zur Natur!« ist und in köstlicher Weise alle schönen Wunder der Waldheimat noch einmal beschwört.
Der nahezu Sechzigjährige ist inzwischen zum geistigen Führer, mehr noch: zum Gewissen der Steiermark, ja des ganzen deutsch empfindenden Österreichs geworden. In seiner weitberühmten Zeitschrift »Der Heimgarten« hat er sich sein Spezialorgan geschaffen, in dem er nicht müde wird, brennende ethische, soziale und religiöse Fragen aufzugreifen und in seiner vorbildlich reinen, das Gesunde und Ewige im Menschlichen suchenden Art zu behandeln. Man hat dem geliebten Heimatdichter ein schönes poetisch umranktes Haus in Graz geschenkt. Aber lieber noch wohnt er in seiner kleinen Villa in Krieglach, wo er den Bergen näher ist. Berühmte und unberühmte Menschen umdrängen ihn, gehen bei ihm ein und aus, erquicken sich an seiner geraden, schlichten Art, die überall das Verbindende sucht. Er darf es als Katholik wagen, für den Neubau einer protestantischen Kirche in Mürzzuschlag einzutreten. Er schafft das Geld für den Bau einer Waldschule in Alpl. Er bringt zweieinhalb Millionen zusammen zur Aufrechterhaltung der deutschen Schulen im gefährdeten österreichischen Sprachgebiet. Sein begeisterungsfähiges Herz schweißt sie alle zusammen: Bauern und Städter, Katholiken und Protestanten, Schwärmer und Tatsachenmenschen.
So wird er siebzig Jahre alt. Sendet noch einmal ein wunderlich ergreifendes, wundervoll tiefes Glaubensbekenntnis hinaus: »I.N.R.I. frohe Botschaft eines armen Sünders«, das das Bild Christi und seines Lebens ganz aus deutschem Gefühl heraus inbrünstig neu malt. Erlebt den Weltkrieg, trägt in herrlich aufrichtenden Tagebuchblättern die ganze Glut, den ganzen Glauben seines Herzens an sein Volk zusammen und verlöscht endlich, dicht vor seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag, am 26. Juni 1918, in Krieglach, den sterbenden Blick auf die geliebten Heimatberge gerichtet. –
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Fast ein Jahrzehnt ist es her, seit der Waldsänger verstummte. Die Welt hat sich furchtbar verändert seitdem. Taumelt unter grellen Jazzbandrhythmen in toller Macht- und Genußgier wild gehetzt vorwärts . . . Armer Peter Rosegger – so hast du umsonst gelebt, umsonst dich an die Menschheit geklammert mit deinem heißen hilfsbereiten Herzen?
Wir glauben fest: nein, trotz alledem! Du lebst, lebst in Hunderttausenden von Bänden, gehst mit ihnen immer noch still durch Tausende von deutschen Herzen, hältst den Glauben an deutsche Ideale wach und wirfst Licht in ungezählte dunkle Herzen wie zuvor.
Denn dein Bestes ist unsterblich wie die deutsche Seele selbst. Mit ihr wird es leben in der Stille und fröhlich auferstehen, wenn die Zeit erfüllt ist!