Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Der junge Haberturm will was

Muß ein wenig zu den alten Heidepeterischen hinaufschauen, hatte sich Rudolf, der junge Haberturmknecht, gedacht. Er war heute in kleidsamer Sonntagstracht und hatte den roten Brustfleck an und den grünen Hosenträger um, und aus der inneren Tasche seiner grauen Lodenjoppe lugte nebst einem blauen Päckchen eine Klarinette hervor. Das Instrument verstand er, und an jedem Sonntag blies er darauf einen Jodler zur Ehre Gottes. Seine blonden, krausen Locken trug er hinter die Ohren gekämmt, und er hatte dadurch eigentlich eine neue Mode in die Einöde gebracht. Wie früher alle Burschen ihre Haare vorn herab über die Stirn, gar über die Augen wischten, so kämmten sie dieselben jetzt zierlich nach rückwärts und blickten aus diesem Anlasse gern in ihre Handspiegel, ob sie wohl so aussahen wie der Haberturmbursch. Dann hatten auch die Mädchen zu ihren Liebhabern gesagt: »Geh, ich will dir was anraten. Wenn du magst, so mach' ich dir einen roten Brustfleck, wie der Haberturm-Rudolf einen hat!« Aber als endlich alle Burschen ihren roten Brustfleck trugen, so sahen die Mädchen doch immer heimlich nur auf den Rudolf.

Der war auch in allem ein anderer!

Einmal hatte die Zapfenwirtin die Hand des Haberturm lange in der ihrigen gehalten und sie schier zärtlich gestreichelt und zuletzt dem Bauer ins Ohr gelispelt: »Glaubst, Haberturm, ich kann mir's nicht denken, wo du deinen jungen Burschen genommen hast? Oh, du bist gescheit!«

Dem Haberturm flog eine leichte Röte über das verwitterte Antlitz.

»Halt ja,« flüsterte die Schänkin, »so was hält man gern hinterm Zaun, aber der Zapfenwirtin macht einer keine Kohle blau. Nun, halt her dein Ohrwaschel: Dein Rudolf ist ein Grafensohn! Gelt?«

Der Bauer tat einen Lacher.

Und nach zwei Tagen sprach man in der ganzen Einöde davon, daß der junge Haberturm ein Grafensohn sei.

Kurze Zeit darauf ließ der Haberturm den Rudolf zu sich in seine Stube kommen und offenbarte ihm den Entschluß, das Gut nach altem Gebrauch des Haberturmhofes einem Nachfolger zu verschreiben.

Er trug dem Burschen die Besitzung an.

Rudolf suchte in seiner Überraschung vergebens nach einer Entgegnung, da faßte schon der Alte seine Hand und sagte:

»Es bleibt schon dabei, Junge. Ich werde alt, du bist mir ans Herz gewachsen und verstehst das Hausen und Bauen.«

Die Aussichten waren nun schön, aber Rudolf war ernster als sonst; er sann oft nach, wie das kam und wie das werden sollte.

Und auch noch ein anderes gab ihm viel zu sinnen und zu träumen.

Als er an diesem Sonntag, auf dem Gang zu den Heidepeterischen, an der Kapelle in der Waldschlucht vorüberkam, da dachte er an den lieben Winter, der hier einst ein großes, weißes Blatt ausgebreitet hatte, auf das jemand die Worte schrieb: »Gute Nacht, Regina!«

Er stieg hinauf und ging hin über die ebene Heide, da sah er auf dem Stein die mühselige Heidepeterin sitzen. Sie schien sehr betrübt zu sein und betete leise.

Der Bursche setzte sich zu ihr und suchte sie zu erheitern.

»Das freut mich so, daß du mit unsereinem was redest,« sagte Klara herzlich, »alle anderen Leut' treten uns schon völlig unter die Füß'; gar solche, denen wir in den besseren Zeiten was Gutes haben tun können. Mein Peter muß jetzt wieder arbeiten, hat gar nicht einmal einen Sonntag mehr, er hat's zehnmal schwerer wie der Unterknecht, und jetzt wollen sie ihm den Himmel auch schon wegnehmen. – Nein, aber daß die Regina heut' nicht kommen will; da gehe ich schon stundenlang hin und her zwischen den Steinen und schaue ihr entgegen – sie will halt nicht kommen. Der Gaberl schreibt auch nicht.«

»Ja, er schreibt«, antwortete Rudolf und zog einen Brief hervor.

Und Gabriel schrieb unter vielem andern:

»Zuerst, da wäre ich bald auf einen unrechten Weg gekommen. Ein Budenmann hat mich anschwatzen wollen, habe mich aber noch knapp zu rechter Zeit besonnen. Der Herr, der mir den Brief in die Einöde geschrieben hat und ein paar andere nehmen sich ganz um mich an, und ich gehe in eine Schule und lerne auch zu Haus. Die Stadt ist so, daß ihr sie alle miteinander nicht denken könnt, wenn ich sie auch beschreiben wollte. Aber anfangs, da ist's mir wohl manigsmal nach euch gewesen. Die Stadtleut' leben in Herrlichkeit, aber ums Leben bringen tun sich so viele, daß einem unter ihnen oft völlig die Zeit lang wird. Und sonst auch: Die Frömmigkeit ist nicht zum größten. Was der Rattensteiner Pfarrer dazu sagen täte? Ich mache keine Lustbarkeiten mit, so Sachen freuen mich nicht. Ich gehe lieber alleinig um und tue öfters dichten. So kleine Gesanger mach' ich, und die gefallen meinen Schulkameraden (Kollegen heißen sie hier) und auch den Herren Professoren, und sie heißen mich den Waldsing. Den Spottnamen haben sie mir schon aufgebracht.«

Und so ging es weiter, aber er schrieb viel zuwenig, daher mußte Rudolf den Brief um so öfter lesen.

»'s ist halt doch eine Freud'«, sagte Klara, »'s ist richtig wahr: Wenn's auch ein Elend ist auf Erden, der Himmel ist alleweil über uns, der Himmel ist ein weiter Schirm; es sei das Elend noch so groß, der liebe Himmel deckt es ein!«

Jetzt führte Rudolf seine Hand zögernd gegen die innere Rocktasche; er war verlegen. Wollte er seine Blaspfeife erfassen? Wollte er dem mühseligen Weibl was vorblasen? Stetig zögernd zog er endlich ein Päckchen hervor.

»Mutter Klara,« sagte er und wickelte das blaue Taschentuch ab, »er ist mir übrigblieben am letzten Erchtag, und schlecht ist er nicht.«

»Uh, was hast denn da, du Närrisch?«

»Grad' keine gebratenen Tauben; so ein bissel Schinken ist's halt. Leicht mögt Ihr ihn beißen – tät' recht kräftigen.«

Das arme Weib nahm das Geschenk mit beiden Händen und bedankte sich zu tausend Malen.

»Und beißen – dasselb' werden wir ihn schon, der Peter hat rechtschaffen gute Zähn'! Schau, der Gabriel hat geschrieben! 's ist halt doch eine Freud'!«

Als endlich Rudolf wieder seinem Hofe zuschritt, begegnete ihm Regina, die vom Ameishüter kam und zu ihren Eltern hinaufging.

Wie wenn ihm wer einen heißen Stein auf die Brust geworfen hätte, so war es dem Burschen, als er das Mädchen plötzlich vor sich sah. – Jetzt gilt's – sagte er zu sich –, jetzt fass' ich sie bei der Hand, jetzt nehm' ich sie um den Hals, jetzt drück' ich sie so fest an mich, wie ich nur kann, jetzt sag' ich ihr alles.

»Gehst zu deinen Vaterleuten hinauf?« redete er die Regina an.

»Ja, und ich bin heut' schon rechtschaffen spät dran; meine Nähterei hat mir soviel zu schaffen geben«, sagte sie.

»Wie geht's dir denn allweg beim Ameishüter, Regina?«

»Dank der Frag'. Mag wohl fleißig ansteigen, daß ich hinaufkomm'.«

Sie war bei diesen Worten nicht einen Augenblick stehengeblieben, sie hatte den Burschen nicht einmal angesehen, hatte vor sich gerade auf den Boden hingeschaut, um den Steinen auszuweichen, und er hatte ihr nichts gesagt von dem, was er wußte und wollte. So war sie fort.

Rudolf setzte sich auf den Holzzaun und führte ein Selbstgespräch.

»Rudolf, du bist eine Letfeigen. Hast du das Mädel gern? Ei gar nicht, und nicht ein bissel. – Ist es dir gleich, ob sie bei ihren Eltern ist oder beim Ameishüter? – Meinetwegen, ich stell' keinen Aufpasser zu ihr. – Wenn sie beim Wirt auf dem Tanzboden wär' und du solltest mit ihr tanzen? – Ja, im Winkel lass' ich sie stehen und schau sie gar nicht an. – Wenn sie aber ein anderer grüßt? – Mich braucht keiner drum zu fragen. – Wenn sie aber der Davidl nimmt? – Der? – Nein, sag' ich, der nicht! Davidl, du Fuchsbartelbub, wie du mir die Regina anrührst, so schlag' ich dich nieder.«

Er brach einen Stecken vom Zaun, er schwang ihn. Da lachte es hinter ihm. Der Haberturm stand da.

»Bist toll, Rudolf?« sagte er, »was brichst mir meinen Zaun? Rudolf, der Zaun gehört mein! – Schau, ich reiß' auch einen Stecken ab, ich kann's tun, kann den ganzen Haberturmhof abreißen, wird mir kein Mensch was sagen. Ich bin der Haberturm. Junge, du meinst, du kriegst mein Haus und Hof, und 's bleibt dabei. Wenn dir aber das Weibsbild im Kopfe sitzt, so bleibt's nicht dabei. Schau mir ins Gesicht, Bub, und lehn' dich nicht so an den Zaun, drückst mir ja alle Stangen ins Feld!«

Die beiden Männer gingen, ohne noch ein Wort zu sagen, nebeneinander in den Hof.

Als Rudolf hierauf am Abend in seiner Kammer war, saß er lange am Rand seines Bettes.

»Und es ist eine rechte Dummheit,« murmelte er und biß die Zähne zusammen, »lauter Einbildung. – Nimm sie, rothaariger Davidl, und tanz' mit ihr, wie du magst. Die Spielleut' pfeifen zu allem.«

Dann legte er sich zu Bett, und sich bequem rückend, hauchte er:

»Ah, 's ist doch am besten allein im Bett: Man kann sich strecken und recken wie man will. Und man hat einen festen Platz auf Erden, und der gehört einem zu eigen und keinem Menschen sonst. Das ist was wert. Der alte Haberturm hat es doch gescheit gemacht.«

Aber Rudolf konnte nicht einschlafen, und es war doch das Lager so weit und so bequem. Ein Amulett von seiner längst verstorbenen Mutter, das er stets um den Hals trug, küßte und drückte er an die Brust. Es wollte ihm schier nicht genug sein.


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