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XIV.

Dieser erste Streit endete zwar mit einer Versöhnung, hinterließ jedoch eine merkliche Spannung und Erkaltung. Der frühere Zauber war für immer geschwunden und der zarte Schleier zerrissen, wenn auch beide sich nach wie vor liebten, oder doch zu lieben glaubten.

Wie einst bewunderte Julie noch den großen Künstler; allein sie war nicht mehr blind für seine Schwächen. Sie hatte den Menschen in ihm erkannt und vermochte nicht mehr zu ihm wie zu einem Gotte emporzublicken.

Auch Werner war verstimmt und unzufrieden; er fühlte, daß Julie ihn durchschaute und nicht mehr wie früher ihn wie ein höheres Wesen anbetete. Dennoch bemühte sie sich ihm zu Liebe, ihren Widerwillen gegen die Gräfin zu bezwingen. Wiederholt begleitete sie ihn zu den Gesellschaften ihrer aristokratischen Nebenbuhlerin, welche sie mit unabänderlich herablassender Freundlichkeit empfing.

An den vielbesuchten Empfangsabenden der Gräfin war Julie nur zu oft die widerwillige Zeugin der Triumphe, welche die geniale Frau durch ihren Geist und ihre Unterhaltungsgabe feierte. Bald sprach sie mit einem berühmten deutschen Gelehrten über Mommsens Geschichte und Schopenhauers Philosophie mit überraschendem Verständniß, bald mit einem vornehmen Engländer über Fuchsjagden und Wettrennen wie ein erfahrener Sportsman.

Mit den Künstlern stritt sie über Bilder und Statuen, mit den Musikern über Wagners Nibelungen, während sie die anwesenden Diplomaten durch ihre Kenntniß der politischen Vorgänge und einen bekannten hohen Kirchenfürsten durch ihre staatsmännischen Ansichten über den Kulturkampf in Erstaunen setzte.

Alle Welt huldigte der geistvollen, vornehmen Dame und verzieh ihr die bekannten Extravaganzen und Verirrungen. Aber keiner von allen hing mit solch' leidenschaftlicher Bewunderung an ihr, wie der ihr ganz ergebene Maler.

Schon die äußere Umgebung, die glänzende Gesellschaft, die Menge der Diener in reichen Livreen, die fürstliche Pracht der Räume, die ausgesuchten Speisen und die kostbaren Weine, dieser ganze raffinirte und doch nicht geistlose Luxus übten einen eigenen Reiz auf den für solche Genüsse empfänglichen Künstler und verhetzten ihn in eine angenehm erregte Stimmung.

Seiner Eitelkeit schmeichelte es, wenn ein Fürst oder Prinz ihn huldvoll ansprach, ein hoher Diplomat seine Hand drückte, oder ein amerikanischer Millionär sich bei ihm um ein neues Bild bemühte. Und das alles schrieb er ebenso sehr seinem eigenen Verdienst, wie dem Einfluß und den Empfehlungen seiner aristokratischen Freundin zu.

Während Werner sich so immer heimischer bei der Gräfin fühlte und nur zu bald wieder der an ihn herantretenden Versuchung erlag, litt Julie die bittersten Qualen der Eifersucht. Wie der Gladiator in der Arena ohne Zucken den Todesstreich empfängt und lautlos niedersinkt, duldete auch sie mit blutendem Herzen und lächelnden Lippen die furchtbarsten Schmerzen im geheimen.

Zwischen den beiden ungleichen Nebenbuhlerinnen hatte sich ein stiller, unversöhnlicher Kampf entsponnen. Mit spöttischer Theilnahme forschte die Gräfin nach dem Befinden ihrer Gegnerin, überhäufte sie Julie mit zweideutig freundlichen Reden und Schmeichelworten, wie jener römische Tyrann, der seine Todesopfer noch zuvor umarmte und durch fallende Rosenblätter ersticken ließ.

»Sie haben sich wirklich,« sagte die Gräfin, »in letzter Zeit wunderbar erholt und sehen setzt prächtig aus. Ich glaube, Sie besitzen das Schönheitsmittel der Psyche.«

»Wenn ich es besäße,« erwiderte Julie, »würde ich es sicherlich der Frau Gräfin überlassen.«

»Oh!« versetzte diese mit feinem Lächeln. »Was soll ich damit anfangen? Schöne Frauen haben selten Glück in der Liebe. Sie werden bald von den Männern verlassen, Schönheit allein fesselt auf die Dauer nicht und wird langweilig.«

Unwillkürlich zuckte Julie zusammen, unfähig ihre Bewegung zu verbergen. Aber einer solchen Gegnerin war sie nicht gewachsen, welche sie mit unerschütterlicher Ruhe zu Tode verwundete, ohne je die Formen der guten Gesellschaft zu verletzen. Unter ihren harmlosen Worten lauerten die Eifersucht und der Haß, wie Schlangen unter Blumen verborgen.

Julie mußte sich um so mehr verletzt und gedemüthigt finden, als Werner bei dem Gespräch zugegen war und so den Triumph der Gräfin noch erhöhte. Nur mit Mühe hielt sie sich aufrecht; allein sie konnte die Gesellschaft nicht verlassen, ohne durch ihr Fortgehen ein peinliches Aufsehen zu erregen. Auch mahnte sie die Gräfin mit unveränderter Höflichkeit an ihr früher gegebenes Versprechen, in der heutigen Soiree einige Lieder zu singen.

»Wir alle,« sagte sie, »erwarten einen ungewöhnlichen Genuß. Wie ich höre, sollen Sie eine wunderbare Stimme haben.«

»Ich bedaure nur,« sagte Julie, »daß ich heute nicht singen kann, da ich nicht disponirt und deshalb zu ängstlich bin.«

»Sie werden sich doch nicht bitten lassen?«

»Keineswegs! Aber ich scheue einen so großen, mir fremden Kreis, und besonders das Urtheil einer so bedeutenden Kennerin wie die gnädige Frau. Auch kann ich mich nicht selbst begleiten.«

»Das werde ich mit dem größten Vergnügen übernehmen.«

»Sie sind zu gütig. Trotzdem möchte ich Sie bitten, mich von meinem Versprechen zu entbinden.«

»Unter keiner Bedingung! Ich habe von Ihrer freundlichen Zusage bereits gesprochen; Ihr Refüs würde mich Lügen strafen und mir unangenehm sein.«

So gezwungen, folgte Julie der Gräfin widerstrebend zum Klavier. Aus der letzteren Wunsch wählte sie auch ein ihr nicht besonders zusagendes Lied eines neueren Komponisten. Befangen, von einer ihr sonst fremden Aufregung, gab sie die ersten Töne an; allein bald fühlte sie selbst, daß ihre schöne, aber nicht allzu volle Stimme für den großen Saal nicht ausreichte, zumal sie noch durch die schweren Portièren und Teppiche gedämpft wurde.

Noch mehr aber störte und verwirrte sie das von der Gräfin, wie ihr schien, absichtlich zu schnell genommene Tempo, welchem sie kaum zu folgen vermochte. Die Töne überstürzten sich, jeder seelische Zauber des Gesanges ging verloren; nur mit der größten Anstrengung gelang es ihr, das Lied überhaupt zu Ende zu bringen, welches kaum den schwachen Beifall des Mitleids fand.

Es war eine vollständige Niederlage, die noch dadurch verschärft wurde, daß die Gräfin noch an demselben Abend einen unbestrittenen Erfolg als ausgezeichnete Klavierspielerin davontrug. Mit vollendeter Meisterschaft spielte sie die Transposition des Schubert'schen »Erlkönig« von Liszt so hinreißend, daß der anwesende Komponist ihr mit einem galanten Handkuß dankte und sie laut als seine begabteste Schülerin pries.

Alle Welt drängte sich jetzt an die geniale Frau, feierte und bewunderte sie, am leidenschaftlichsten aber war Werner, der nicht mehr von ihrer Seite wich. In einer einsamen Ecke des Saales versteckt, mußte Julie diesen neuen Triumph ihrer Nebenbuhlerin mit ansehen, vernachlässigt von dem glänzenden Schwarm, verlassen und verrathen von dem Manne, dem sie alles geopfert.

Heiß stieg das Blut zu ihrem Herzen; länger wollte sie die Kränkung nicht erdulden. Mit finsteren Blicken forderte sie Werner auf, mit ihr die Gesellschaft zu verlassen. Zögernd, nur aus Furcht vor einem leidenschaftlichen Ausbruch folgte er ihrem Geheiß. So schritten beide durch die nächtigen Straßen, schweigend, mit sich selbst und ihrem Loose zerfallen.

»Bist Du wirklich so leidend?« fragte er sie mit harter Stimme, endlich die peinliche Stille unterbrechend. »Oder handelt es sich wieder um eine Deiner gewöhnlichen Launen, die mir jedes Vergnügen stören?«

»Ich leide,« erwiderte sie schmerzlich, »mehr als Du ahnst.«

»Natürlich trage ich allein die Schuld,« entgegnete er in gereiztem Ton. »Was habe ich verbrochen?«

»Hast Du mich nicht gezwungen, zu der Gräfin zu gehen?«

»Aber ich bin nicht dafür verantwortlich, daß Du Dich lächerlich gemacht hast. Wenn Du nicht bei Stimme warst, hättest Du nicht singen sollen.«

»Die Gräfin hatte es darauf angelegt. Sie hat absichtlich das Tempo zu schnell genommen, um mich aus dem Takt zu bringen und mir ein Fiasko zu bereiten.«

»Natürlich willst Du jetzt Deine eigene Ungeschicklichkeit ihr aufbürden. Ich kenne sie besser; solch' kleinlicher Bosheit ist sie gar nicht fähig. Eine Künstlerin wie sie hat bei Gott nicht nöthig, Dich zu beneiden.«

»Oh!« erwiderte Julie empört. »Ich traue ihr jede Schlechtigkeit zu. Sie ist ein böses, ein gefährliches Weib.«

»Ich bitte Dich, in einem anderen Tone von einer Frau zu sprechen, auf deren Freundschaft ich stolz bin, und die Dich in jeder Beziehung übersieht.«

Das war zu viel, mehr als Julie ertragen konnte. Hingerissen von ihrer Eifersucht schleuderte sie Beschuldigung auf Beschuldigung gegen die verhaßte Nebenbuhlerin, welche Werner mit gleicher Heftigkeit vertheidigte. Immer erbitterter wurde der Streit, und wie ein mühsam zurückgehaltener Strom nach einem Wolkenbruch die schützenden Dämme zerreißt, durchbrach die entfesselte Leidenschaft mit trüben Fluthen der gegenseitigen Anklagen und Vorwürfe jede Schranke.

Werner hatte an diesem Abend mehr als gewöhnlich getrunken, und so kannte sein Zorn auch weder Maß noch Ziel. Mit großen Augen starrte Julie ihn entsetzt an, als habe sie ein Gespenst erblickt. Dann floh sie, von seinen wilden Flüchen verfolgt, wie ein gehetztes Reh in ihre Wohnung, welche sie mit zitternder Hand hinter sich verschloß.

Aus seinem dumpfen Rausch erwacht, bereute Werner am nächsten Morgen seine Heftigkeit. Beschämt eilte er zu Julie, um sich wegen seines unziemlichen Betragens zu entschuldigen. Verführt von seinen Bitten, zu schwach, seinen erneuten Versprechungen und Schwüren zu widerstehen, verzieh sie ihm seine Beleidigungen. Dennoch konnte sie diesen rohen Ausbruch seiner Leidenschaft nicht wieder vergessen und fürchtete ihn jetzt noch mehr, als sie ihn liebte.

Aber auch auf Werner hatte der Streit einen nachhaltigen Einfluß geübt. Von Natur gutmüthig und leicht bewegt, wurde er von Julies Thränen gerührt, von dem Bewußtsein seiner Schuld gequält. So gelobte er Julie abermals, sich von der Gräfin ganz zurückzuziehen. Zugleich, um ihr zu zeigen, daß es ihm wirklich Ernst sei, setzte er mit ihr den Tag der Trauung fest, welche auf ihren Wunsch in größter Stille stattfinden sollte.

In der That schien er. auch sein Versprechen streng halten zu wollen. Am Tage arbeitete Werner fleißig an einem neuen großen Bilde, während er die Abende in Gesellschaft der Geliebten zubrachte. Mit ihr durchstreifte er die Umgebung Roms, so heiter und zärtlich, daß Julie wieder hoffen durfte, mit ihm glücklich zu sein.

So lebten sie einige Zeit nur für einander; allein lange vermochte Werner nicht diese Zurückgezogenheit zu ertragen. Er lechzte nach der Gesellschaft, die er nicht mehr entbehren konnte, nach dem Verkehr mit der Gräfin, bei welcher ihm allein Zerstreuung und Befriedigung seiner Eitelkeit winkte. Je näher der Tag seiner Trauung heranrückte, desto unruhiger und aufgeregter ging er umher. Jede Fiber seines Herzens drängte zu der verlassenen Geliebten, welche ihn nicht zu vermissen und sich um ihn nicht zu kümmern schien.

Ihre Gleichgiltigkeit reizte ihn immer mehr und steigerte nur sein Verlangen, sie wiederzusehen. Jede Stunde, die er an ihrer Seite verlebt, jeder Genuß, den die verführerische Frau ihm geboten, stieg vor seiner Seele wie eine verlockende Vision auf und mahnte ihn an eine schönere Vergangenheit. Was sollte ihm, dem Verwöhnten, die Ehe mit ihren Beschränkungen und Entsagungen? Was sollte ihm, dem Freien, die lästige ewige Fessel?

Von solchen Gedanken verfolgt, ging Werner eines Abends in der Dämmerung an dem Palast der Gräfin vorüber. Plötzlich stockte sein Fuß; von einer unerklärlichen Gewalt gezogen, stieg er die breite Marmortreppe gleich einem Nachtwandler hinauf. Wie im Traum durchschritt er zwischen Palmen und exotischen Gewächsen das wohlbekannte Vorgemach, aus dem ihm ein berauschender Blumenduft entgegenströmte.

Zitternd schrak er zusammen; er hatte seinen Namen gehört. »Hans, Hans!« rief es in hellen Tönen, und nochmals klang es durchdringender: »Hans, Hans!« Er mußte unwillkürlich über seine kindische Furcht lächeln, als er im goldenen Käfig den klugen Papagei der Gräfin erblickte, der seinen oft wiederholten Namen wohl behalten hatte und ihn setzt feiner Herrin feierlich wie ein Kammerdiener zu melden schien.

Da öffnete sich die nächste Thür; mit ihren schillernden Nixenaugen sah die Gräfin den reuigen Freund so verzehrend und glückverheißend an, daß er alles vergaß und in ihre geöffneten Arme stürzte.

An diesem Abend erwartete Julie vergebens den treulosen Geliebten zur gewohnten Stunde.


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