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In der Nähe des Thiergartens, fern von dem Geräusch der großen Stadt, stand eine kleine Villa mit grünen, verschwiegenen Jalousien, rings von schattigen Bäumen umgeben, durch ein hohes schmiedeeisernes Gitter von der Welt abgeschlossen, wie geschaffen zu ungestörter Arbeit oder heimlichem Genuß.
Das abgelegene Gebäude hatte Werner gemiethet und aus seinem römischen Haushalt mit indischen Teppichen, chinesischen Seidenstoffen und gestickten Meßgewändern, mit Bronzeschildern und Majolikaschüsseln, gothischen Stühlen, Renaissance-Schränken und geschnitzten Truhen geschmückt.
Ringsumher standen und lagen auf Tischen oder Postamenten Vasen mit mächtigen Makart-Sträußen, allerlei Waffen, Helme, Harnische, Schwerter und Dolche mit ciselirten Griffen und Scheiden, antike Urnen und Schalen, mittelalterliche Holzarbeiten und Rokokofiguren aus Porzellan, Nachbildungen klassischer Statuen, darunter die Venus von Melos und der Eros des Praxiteles, Bilder, Farbenskizzen und Zeichnungen; eine Fülle werthvoller Kunstgegenstände, mit welchen der Besitzer seine Phantasie anzuregen liebte. Dazwischen sah man lange türkische Pfeifen, Cigarrenständer und Aschbecher, offene Farbenkasten, Handschuhe und Stöcke, Mappen und Photographien, Broschüren und Bücher in malerischer Unordnung, so daß besonders das Atelier des Malers das Rafffnement eines eleganten Damensalons mit der Ungebundenheit einer genialen Junggesellenwirthschaft und dem eigenthümlichen Reiz einer Künstlerwerkstätte verband.
Heute hatte Werner sich und seine Wohnung noch besonders festlich geschmückt, die Vasen und Schalen mit frischen Blumen gefüllt, sein Atelier mit duftendem Räucherwerk geschwängert, das Buffet mit einem ausgesuchten Frühstück, mit Champagner in silbernen Eiskühlern und mit erlesenen Früchten besetzt. Er selbst glich in dem kurzen braunen Sammetrock mit dem breiten übergeschlagenen Kragen in der That einem jener fürstlichen Künstler, welche, wie Rubens und Vandyck, zugleich große Maler und vornehme Herren waren.
Während Werner die nöthigen Vorbereitungen zum Empfang seiner erwarteten Gäste traf, die Staffelei an das hohe Bogenfenster rückte und die Farben ordnete, ging Julie auf wenig betretenen Seitenwegen durch den Thiergarten, tief in Gedanken neben ihrer Begleiterin, dem Fräulein von Rinow, dem sie sich zu diesem Zweck anvertraut hatte.
Nur zu gern übernahm die exzentrische junge Dame die ihr zugedachte zweideutige Rolle, beglückt durch die Aussicht, den großen Maler in seiner Häuslichkeit zu sehen und von ihm eines freundlichen Wortes gewürdigt zu werden, begeistert von dem Gedanken, dem Genius zu dienen und das Geheimniß seiner Liebe und seines Glückes zu theilen.
Je länger aber Julie ging, je näher sie der Villa kam, desto heftiger schlug ihr Herz vor Furcht und Aufregung. Fast bereute sie ihr leichtsinniges Versprechen, aber weibliche Neugier, die Lust am Abenteuerlichen und Ungewöhnlichen trieben sie immer weiter, bis sie Plötzlich vor dem kleinen reizenden Hause stand. Unwillkürlich zitterte ihre kleine Hand, als sie den Glockengriff anzog, und ein kalter Schauer durchrieselte sie, als die verschlossene Thür sich leise öffnete und geräuschlos wieder hinter ihr zufiel, so daß sie sich in dem einsamen Flur wie eine Gefangene vorkam. Allein schon eilte Werner mit freudigem Gruß die Treppe hinab ihr entgegen; nur einen Augenblick flog es wie eine dunkle Wolke über seine strahlenden Züge, als er die Begleiterin Julies erblickte.
»Fräulein von Rinow,« entschuldigte sie, »meine beste Freundin, vor der ich keine Geheimnisse habe.«
»Das gnädige Fräulein wäre auch so mir ein willkommener Gast.«
Zugleich bot Werner den Damen seinen Arm, um sie in das Atelier zu führen. Mit dem Ausdruck überschwänglichen Entzückens pries Fräulein Lilli alles was sie sah, Schönes und Werthloses, kostbare Bilder und roh angelegte Farbenskizzen in einem Athem. Aber auch Julie fand diese elegante Junggesellenwirthschaft mit der eigentümlichen Mischung von raffinirtem Luxus und malerischer Unordnung weit eigenartiger und anregender, als ihre nüchterne Einrichtung.
Nach und nach legte sie ihre Befangenheit ab, überließ sie sich ohne Scheu dem Vergnügen, welchem die Heimlichkeit und die Lust am Verbotenen noch einen erhöhten Reiz verlieh. Wie ein neugieriges Kind betrachtete und bewunderte sie die ihr zum Theil fremden Kunstgegenstände, Statuen, Bilder und Skizzen, welche, für weibliche Zeugen nicht berechnet, so manches Verfängliche boten.
Werner zeigte und erklärte alles mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit; dann bat er die Damen, sich an dem gedeckten Tisch niederzulassen und das von ihm vorbereitete Frühstück einzunehmen. Er selbst bediente seine Gäste und kredenzte ihnen den perlenden rosigen Sillery in venezianischen Kelchgläsern. Unter Scherzen und Lachen wurde auf das Wohl der Damen, aus das Gelingen des neuen Bildes getrunken und mit den hell klingenden Gläsern angestoßen.
Nach dem Essen zog sich Julie mit ihrer Begleiterin in ein neben dem Atelier gelegenes Kabinet zurück, wo sie ihre Kleidung gegen ein antikes Gewand vertauschte und auch ihre Haartracht entsprechend veränderte. Als sie nach kurzer Zeit wieder erschien, konnte selbst der verwöhnte Maler nicht einen Ausruf der höchsten Bewunderung unterdrücken.
Die reizende Gestalt mit dem gestickten Peplos bedeckt, Arme und Nacken entblößt, die klassische Stirn mit weißen Rosen bekränzt, erschien sie überirdisch schön, wie ein edles Götterbild, das zu den Menschen vom Himmel herabgestiegen.
»Per dio!« rief Werner begeistert. »Wenn ich diesmal nicht ein Meisterwerk male, dann bin ich nicht werth, noch einen Pinsel anzurühren. Jetzt aber an die Arbeit, wenn es Ihnen gefällig!«
Erröthend nahm Julie die von ihm angegebene Stellung an, indem sie in ihrer Hand ein vergoldetes Gefäß hielt und sich auf den weichen Smyrna-Teppich niederließ, als wäre sie ohnmächtig hingesunken.
Während Werner noch einige nöthige Anordnungen traf, suchte er ihr zugleich die Erklärung für die von ihr darzustellende Situation zu geben.
Mit gesenkten Blicken und träumerischem Lächeln hörte Julie das Märchen von Amor und Psyche, welches in seinem Munde und in dieser Umgebung für sie eine eigene neue Bedeutung erhielt und so wunderbar mit ihrer gegenwärtigen Lage und Stimmung harmonirte, daß Wahrheit und Dichtung sich mit einander zu verwischen und zusammenzufließen schienen.
Sie selbst erschien sich wie die von Amor geliebte Psyche, die Künstlerwerkstätte war der verschwiegene Palast, in dem der Liebesgott geheimnißvoll zu ihr herniederstieg, unsichtbar den sterblichen Augen. Doch nur zu schnell erwachte sie aus ihren Träumen, als Werner plötzlich seine Erzählung unterbrach.
»Ich fürchte,« sagte er, »die Damen mit dem alten Märchen zu langweilen, das Sie gewiß ebenso gut wie ich kennen und in jeder Mythologie finden.«
»Und ich bitte Sie fortzufahren,« entgegnete Julie. »Ich will das reizende Märchen noch einmal und von Ihnen hören.«
»So ließ sich denn,« fuhr Werner fort, »Psyche von den neidischen Schwestern überreden, den ihr unbekannten Gott gegen seinen ausdrücklichen Befehl zu belauschen. Mit der brennenden Lampe in der Hand schlich sie leise an sein Lager, auf dem sie statt des gefürchteten Ungeheuers den schönen Götterjüngling in tiefem Schlaf erblickte.«
»Herrlich!« flüsterte Julie, innerlich bewegt.
»Freudig erschrocken, beugte sie sich zu ihm nieder, da fiel ein Tropfen des heißen Oels aus der Lampe auf seine blendend weiße Schulter. Von glühender Leidenschaft erfaßt, wollte Psyche den erwachenden Geliebten in ihre Arme schließen, doch Amor, wegen ihres Ungehorsams erzürnt, verkündete ihr, daß sie zur Strafe ihn nie mehr sehen sollte, und verließ die Unglückliche.«
Unwillkürlich seufzte Julie auf, von einer schmerzlichen Ahnung ergriffen, als ob dasselbe Schicksal auch sie bedrohte; mit der verlassenen Psyche klagte sie im Stillen über den Verlust des treulosen Geliebten.
»In wilder Verzweiflung,« berichtete Werner weiter, »suchte die Unglückliche den Tod in dem nahen Flusse, aber die mitleidigen Wellen trugen sie sanft an das Gestade. Umsonst flehte sie zu den Göttern, vergebens warf sie sich zu den Füßen der erzürnten Venus nieder. Die Unversöhnliche lachte über Psyches Schmerz und befahl ihren Dienerinnen, der Sehnsucht und der Angst, sie noch mehr zu peinigen. Zugleich legte Venus ihr die schwersten Arbeiten auf: aus einem mächtigen Haufen von Körnern den Weizen, die Gerste und Hirse einzeln zu sichten, von einer Heerde wilder Schafe mit goldenem Vließ einen Flocken zu rauben, aus einem furchtbaren, von grausamen Drachen bewohnten Abgrund einen Becher des Lebenswassers zu schöpfen, und endlich, in die Unterwelt hinabzusteigen, um von Proserpina eine Büchse mit der Schönheitssalbe ihr zu bringen. Aber die Liebe gab Psyche Kraft und mit Hilfe der ihr gnädigen Götter vollbrachte sie, was ihr Venus befohlen. Nun, als sie aus der Unterwelt zum Licht glücklich emporstieg, öffnete, sie neugierig die verhängnißvolle Büchse, um die Götterschönheit zu genießen. Ein giftig betäubender Dunst wallte aus dem Gefäß empor und versenkte sie in tiefen Todesschlummer. Doch Amor, gerührt von ihrer Liebe, eilte ihr zu Hilfe und weckte sie durch einen Kuß zu neuem Leben. Alle Olympier begrüßten sie, Jupiter selbst reichte ihr den Trank ewiger Unsterblichkeit und Venus versöhnte sich mit der wegen ihrer Treue zu den Göttern erhobenen Psyche.«
»Wunderschön!« rief Julie begeistert, als Werner geendet hatte. »Erst jetzt verstehe ich den tiefen Sinn der alten Sage.«
»Darum haben auch zu allen Zeiten,« versetzte er, »Dichter und Künstler in Wort und Bild Psyche verherrlicht, vor allen aber Rafael in der berühmten Farnesina, die Sie in Rom gesehen haben. Und wie der unsterbliche Meister will auch ich den Triumph der Liebe und der Schönheit malen.«
Berauscht von seinen Worten, von der sinnigen Dichtung begeistert, gestattete Julie dem Maler alles, was er von ihr verlangte, unbekümmert um ihren Ruf, um ihre Zukunft und um die Gefahren, denen sie sich durch einen so gewagten und außergewöhnlichen Schritt aussetzte.
Wenn Werner sie dabei mit seinen dämonischen Augen so verzehrend anblickte und in ihrer Schönheit gleichsam zu schwelgen schien, wenn seine Hand sie leicht berührte, um eine Falte ihres verschobenen Gewandes zu glätten, eine widerspenstige Locke. ihres losen Haares von der weißen Stirn zu streichen, dann durchzuckte sie ein wonniger Schauer und sie empfand eine nie zuvor gekannte Seligkeit.
Während Julie so vor ihm am Boden ruhte, anmuthig hingesunken, zeichnete er mit sicherer Künstlerhand die Umrisse der reizenden Gestalt auf die Leinwand. Bald traten auch die Züge ihres lieblichen Gesichts so klar und charakteristisch hervor, daß die Aehnlichkeit nicht zu verkennen war.
Noch nie war Werner die Arbeit so leicht gefallen, wie heut, da Julie mit dem feinsten Verständniß und dem ihr angeborenen Schönheitssinn seine künstlerischen Absichten errieth und allen seinen Wünschen bereitwilligst entgegenkam.
Dazwischen unterhielten sie sich so lebhaft, daß ihnen die Zeit wie im Traum entschwand. Ohne tiefere Bildung, besaß Werner doch im hohen Grade die Gabe der Rede, jenes leichte Konversationstalent, das er sich im Verkehr mit den vornehmen Gesellschaftskreisen angeeignet hatte und das ihn noch bedeutender und geistvoller erscheinen ließ, als er wirklich war.
Da ihm außerdem eine Fülle interessanter Erlebnisse und Erinnerungen, eine Menge pikanter Anekdoten aus seiner Bekanntschaft mit den ersten Künstlern und hervorragenden Personen, besonders am Hose, zu Gebote stand, so amüsirte sich Julie wie noch nie und lachte selbst bei seinen gewagten Scherzen, welche er mit einer gewissen graziösen Komik zum Besten gab.
Je länger diese Sitzungen dauerten, desto mehr fühlte sie sich zu dem genialen Künstler hingezogen und von seiner imposanten Persönlichkeit gefesselt. Aber auch Werner war von der ungewöhnlichen Schönheit der anmuthigen Frau so bezaubert, daß er mir zu schnell die Gräfin Neuberg und seine Verpflichtungen gegen die Dame vergaß.
Mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit überließ er sich seiner neuen Leidenschaft; immer feuriger glühten seine Augen, immer kühner und dringender klang seine Sprache und immer schwächer kämpfte Julie gegen den liebenswürdigen Versucher.