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IV.

Einige Wochen später fand die feierliche Vermählung des Professor Haller mit der schönen Julie Eberhard in Gegenwart einer glänzenden Versammlung statt, wobei er mit Widerstreben alles über sich ergehen lassen mußte, was die Sitte und der Ton der guten Gesellschaft bei solchen Anlässen fordert.

Hier schüttelte ihm ein ordengeschmückter Geheimrath unter salbungsvollen Glückwünschen die Hand, dort offenbarte ihm eine festlich gekleidete Tante, daß er an Julie einen Schatz gewonnen. Bald stieß ein Kollege in froher Laune lärmend mit ihm auf den künftigen Kindersegen an, bald raunte ihm ein anderer nicht allzu leise einen unzarten Scherz ins Ohr.

Die Frau Generalkonsul umarmte weinend ihre Tochter und versicherte aller Welt, wie schmerzlich ihr die Trennung von dem geliebten Kinde fiele. Onkel Heinrich ließ es nicht an frivolen Witzen fehlen, und Frau Livia Stern gab der jungen Frau gute Lehren und ermahnte sie, der männlichen Tyrannei muthig zu trotzen.

In Reden und Toasten, in Gedichten und Liedern wurde das Brautpaar über Gebühr gepriesen und ebenso wegen seiner kleinen Schwächen humoristisch verspottet. Während Julie zu dem allen anmuthig lächelte, ärgerte sich Haller im stillen über das hergebrachte Treiben, das dem ernsten Mann wie eine Entweihung seiner besten, heiligsten Empfindungen erschien, wie ein wüstes Satyrspiel und wie eine Verhöhnung seiner tiefen, reinen Liebe.

Um so glücklicher fühlte er sich, als die Festlichkeiten überstanden waren und er an der Serie der Geliebten in dem bequemen Eisenbahnkoupé erster Klasse dem Lande seiner Sehnsucht, Italien, entgegeneilte. Da saßen beide allein, von dem traulichen Schein der verhüllten Lampe sanft beleuchtet, geschützt vor anderen Mitreisenden, welche der mit einem ansehnlichen Geldgeschenk bedachte Schaffner von ihnen fernzuhalten wußte.

Das war eine entzückende Fahrt in der milden Märznacht, die ein ahnungsvoller Hauch des nahen Frühlings durchzitterte. Wie im Traume flogen die erleuchteten Stationen an ihnen vorüber, Städte und Dörfer, Häuser und Hütten, Schlösser und Kirchen, grünende Wiesen und dunkle Nadelwälder, rauschende Bäche und stille Seen, im silbernen Mondlicht glänzend.

Endlich ungestört und frei von lästigen Zeugen, hoffte und wünschte Haller einen Austausch inniger Gedanken und zärtlicher Gefühle, allein seine junge Frau war oder schien von den Anstrengungen und Aufregungen der letzten Tage so angegriffen, daß sie wie eine verschmachtete Blume das reizende Köpfchen hängen ließ und ihre strahlenden Augen vor Müdigkeit halb schloß.

»Verzeih,« sagte sie schlaftrunken, seine Reden unterbrechend, »aber ich fühle mich so matt, daß ich mich kaum noch aufrecht halte. Meine nervösen Kopfschmerzen melden sich schon wieder.«

»Soll ich Dir die Pulver geben,« fragte er besorgt, »die ich zur Vorsorge mitgenommen habe?«

»Das ist nicht nöthig. Ich bedarf nur der Ruhe; ein wenig Schlaf wird mir gut thun.«

»So schlafe sanft, mein geliebtes Kind, und erwache morgen um so munterer!«

»Schlaf wohl, mein Schatz!«

Während Julie bald in einen leichten Schlummer sank, wurde Haller nicht müde, die holde Schläferin anzublicken, die, an das Polster des Koupés gelehnt, gleich einem schuldlosen Kinde neben ihm ruhte, die kleinen Füße bequem auf dem Sitze ausgestreckt, in den weichen, warmen Plaid gehüllt, leise athmend und im Traume lächelnd.

Bei diesem Anblick überkam ihn das Gefühl eines unbeschreiblichen Glücks, überwältigte ihn seine leidenschaftliche Liebe. Unwillkürlich, neigte er sich zu dem reizenden Weibe herab und drückte einen heißen Kuß auf die verführerischen Lippen. Verwundert, fast unwillig, schlug Julie ihre großen schimmernden Augen auf und starrte ihn wie einen Fremden an, ohne die Tiefe und Fülle seiner Liebe zu begreifen und zu theilen.

Auch im Verlaufe der folgenden Tage bot sich wenig Gelegenheit zu einem innigeren Zwiegespräch, da die Zerstreuungen der Reise, die neuen Eindrücke, der fortwährende Wechsel der Scenen, der Andrang der Mitreisenden, die Unruhe in den Gasthöfen und an der Wirthstafel, die Besichtigung der Merkwürdigkeiten und der Besuch der Theater in den größeren Städten sie ganz und gar in Anspruch nahmen.

Obgleich einigermaßen enttäuscht und keineswegs entzückt von den fraglichen Freuden einer Hochzeitsreise, die er nur auf Juliens Wunsch unternommen hatte, tröstete sich Haller mit der Aussicht auf einen längeren Aufenthalt in Rom, wo er die nöthige Muße zu einem ungestörten, innigen Zusammenleben zu finden hoffte.

Gleich bei seiner Ankunft miethete er eine freundliche Wohnung in der Nähe der Piazza di Spagna, da er sich ganz häuslich niederzulassen und die Schönheiten der ewigen Stadt an der Seite seiner jungen Frau mit Behagen zu genießen dachte.

Damit war jedoch Julie keineswegs einverstanden. Von einer inneren Unruhe getrieben, eilte sie von einem Museum zum andern, von Kirche zu Kirche, von Villa zu Villa, heute nach dem Kolosseum, morgen nach dem Vatikan, von den Antiken zu den Stanzen Rafaels und zu dem Jüngsten Gericht Michel Angelos, von den Katakomben zum Monte Pincio. So kam es, daß beide von den anstrengenden Wanderungen mehr ermattet und angegriffen, als erfreut und befriedigt waren, so sehr sie sich auch für die aufgehäuften Kunstschätze interessirten und ein so lebendiges Schönheitsgefühl Julie ganz besonders besaß.

Nach und nach verfielen auch sie in jene körperliche und geistige Abspannung, welche der allzu häufige Besuch der großen Sammlungen und der ununterbrochene Anblick noch so schöner und bedeutender Bilder und Statuen zu hinterlassen pflegt. Ihre Begeisterung stumpfte sich allmählich ab, ihr Interesse begann zu schwinden, und es kamen Augenblicke, in denen die vollendetsten Kunstwerke sie gleichgiltig ließen. Julie fing an, sich zu langweilen, und Haller sehnte sich nach seiner Praxis, vor allem aber nach seiner stillen Häuslichkeit zurück.

In solcher Stimmung saß das junge Ehepaar eines Abends vor dem Café Colonna und besprach bei einem Glase vorzüglichen Eises die baldigste Abreise, als Fritz Wrede, ein junger talentvoller Bildhauer, der früher viel in dem Hause von Juliens Mutter verkehrt hatte, sie erblickte und freundschaftlich begrüßte.

»Sie hier!« rief er überrascht. »Davon hatte ich keine Ahnung.«

»Wir sind schon drei Wochen in Rom und denken es bald wieder zu verlassen.«

»Drei Wochen! Das lohnt kaum der Mühe. Um Rom nur einigermaßen kennen zu lernen, müßten Sie wenigstens ebenso viele Monate hier bleiben.«

»Dazu fehlt uns die Zeit,« bemerkte Haller. »Meine Praxis und die Kollegien rufen mich zurück.«

»Das thut mir leid. Sie sollten noch einige Tage zugeben und das Künstlerfest mitmachen, das in der nächsten Woche gefeiert wird.«

»Unmöglich! Ich habe bereits meine Dispositionen getroffen und unsere Ankunft angezeigt.«

»Außerdem,« fügte Julie hinzu, »sollen, wie ich hörte, schon alle Billets vergriffen sein.«

»Allerdings!« erwiderte der Bildhauer. »Wir haben mehr als hundert Meldungen zurückweisen müssen, aber da ich zum Komité gehöre, so wird es mir nicht schwer fallen, Ihnen zwei Karten zu besorgen, wenn Sie theilnehmen wollen.«

»Sie sind sehr liebenswürdig, aber wir können nicht –«

»Ich gestehe,« unterbrach Julie ihren Mann, »daß ich die größte Lust hätte, das Fest zu sehen, und mir davon einen außerordentlichen Genuß verspreche.«

»Wir haben in der That die großartigsten Anstrengungen gemacht und werden einen prächtigen Aufzug veranstalten, dessen Inhalt ich Ihnen nicht verrathen darf, damit Sie überrascht werden. Alles, was Rom an bedeutenden und interessanten Fremden besitzt, wird zu dem Fest erscheinen, alle Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft, das ganze diplomatische Korps haben bereits zugesagt.«

»Um so mehr,« versetzte Haller, »bedauern wir, Ihre freundliche Einladung nicht annehmen zu können, da wir den Tag unserer Abreise fest bestimmt haben. Auch sehne ich mich schon nach Hause und nach meiner gewohnten Thätigkeit.«

»Mein Gott!« entgegnete Julie unmuthig. »Auf einige Tage mehr oder weniger kann es doch nicht ankommen. Die Kollegien beginnen erst im nächsten Monat, und bei Deinen Patienten wird Doktor Jung Dich noch länger vertreten.

Ich sehe nicht ein, warum wir nicht noch bleiben und uns amüsiren sollen?«

»Ich darf also die Karten für Sie besorgen und auf Ihre Gegenwart bei dem Feste sicher rechnen?«

Zugleich blickte Julie ihren Mann mit den dunklen Augen so bittend und verführerisch an, daß er seine Einwilligung nicht zu versagen vermochte. Dennoch that er es nur mit schwerem Herzen, von einer inneren Stimme, von einer ihm selbst unerklärlichen Ahnung gewarnt. Um so mehr freute sich Julie auf das voraussichtliche Vergnügen, das sie vor Ungeduld und Aufregung kaum erwarten konnte.

Da sämmtliche Theilnehmer nach dem Programm in Maske erscheinen mußten, so wählte Haller für sich die bequeme Tracht eines alten italienischen Gelehrten, während Julie das höchst kleidsame Kostüm eines römischen Blumenmädchens trug.

Das knappe Mieder von blauem Atlas, der kurze dunkle Rock, der kaum bis zu den Knöcheln reichte, die buntgestickte Schürze, die Korallenkette um den weißen feinen Hals und der silberne Pfeil in den blauschwarzen Haaren, der den herabhängenden Schleier hielt, das mit duftenden Rosen und Veilchen gefüllte Blumenkörbchen am Arm ließen sie wie das verkörperte Bild einer modernen Flora erscheinen, welche alle Reize des Frühlings in ihrer holden Person vereinte.

So fuhren beide nach dem Palazzo Poli an der Fontana Trevi, dem Sitz des deutschen Künstlervereins und dem Schauplatz feiner berühmten, vielbesuchten Feste. Bei seinem Eintritt in den großen Saal stand das junge Paar wie geblendet da.

Im vollen Schmuck der italienischen Frührenaissance prangte der mächtige »Sala Dante«; Gobelins und Teppiche in gedämpften Farben umhüllten die sonst nackten Wände, von Säule zu Säule schlangen sich frische Laubgewinde.

Statuen, in Blumen halb versteckt, zierten Erker und Nischen, und alles übergoß der helle Glanz von tausend Lichtern, Kronen und Kandelabern; das Ganze ein Bild fürstlicher Pracht, als sei einer der Herrscher des Cinquecento zu neuem Leben erwacht, um noch einmal auf dieser Erde Hof zu halten.

Hin und her wogten die glänzenden Masken in farbenfrohen Gewändern; würdevoll schritt der venezianische Senator im Scharlachtalar neben dem Kardinal in violettem Kleide; trotzige römische Ritter und edle Florentiner führten schöne Frauen und Mädchen an ihrem Arm. Krieger in blankem Harnisch brachen sich Bahn durch das bunte Gewühl, gefolgt von Mönchen und Nonnen in schwarzen Kutten, dazwischen Künstler und Gelehrte, Bürger und Bauern in alterthümlicher Tracht.

Ein schmetternder Trompetenstoß gab das Zeichen zum Beginn des Schauspiels, welches den Einzug Lorenzos des Prächtigen von Medici in Florenz darstellen sollte. Unter den Klängen eines festlichen Marsches schritt der großartige Zug durch die weit geöffneten Pforten in den Saal; voran zwölf reizende Pagen in farbigen Seidenwämsern mit geschlitzten Aermeln, Rosenkränze in den lockigen Haaren und in den Händen brennende Wachskerzen, hinter ihnen eine Schaar von Bewaffneten mit dem Banner der Stadt, die Zünfte mit ihren Emblemen und die würdige Signoria, an deren Spitze der Gonfaloniere ging.

Es folgte eine Menge der schönsten Frauen und Mädchen, welche aus vergoldeten Körben Blumen streuten oder Lorbeer- und Palmenzweige schwangen und dazu einen lieblichen Gesang zu Ehren des Fürstenpaares anstimmten, das, auf einem prächtigen Triumphwagen von schwarzen Sklaven gezogen, im höchsten Glanz sich dem Volke zeigte.

Es war in der That fast unmöglich, einem von beiden den Preis zu ertheilen, zu entscheiden, ob der männlichen oder weiblichen Schönheit der Vorzug gebühre, da sie als das vollendetste Weib und er als der herrlichste Mann erschien.

Der Künstler, welcher den Lorenzo repräsentirte, eine hohe, imposante Gestalt, von dem purpurnen Sammetmantel umwallt, zeigte in seiner edlen Haltung und in seinen charakteristischen Zügen eine überraschende Aehnlichkeit mit seinem fürstlichen Vorbild, jene wunderbare Mischung von stolzer Majestät und menschlicher Liebenswürdigkeit, von berechnender Klugheit und maßloser Leidenschaftlichkeit, von übersprudelnder Lebenslust und rücksichtslosem Egoismus, welche vor allen diesen genialsten Mediceer auszeichneten.

In seinen kaum merklich schielenden Augen glühte ein dämonisches Feuer, und um die vollen rothen Lippen spielte ein verführerisches Lächeln, während das harte Kinn und die scharf gebogene Adlernase eine unbeugsame Willenskraft verriethen. So erschien er wie geschaffen, um Männer zu beherrschen und Frauen zu berücken, ebenso geschickt ein Volk zu besiegen, wie Weiberherzen zu erobern oder zu brechen.

An seiner Seite saß nachlässig hingegossen eine jener wunderbaren Frauen, welche durch die Eigentümlichkeit ihrer kapriziösen Züge oft mehr gefallen und reizen, als dies die größte regelmäßige Schönheit vermag.

Mit den aschblonden, bis zu den Hüften herabreichenden Haaren, durch die sich ein kostbares Diadem von funkelnden Diamanten schlang, kontrastirten die dunklen, hochgeschwungenen Brauen und die feurigen schwarzen Augen, welche brennenden Kohlen glichen.

Die schwellenden Lippen, hinter denen die kleinsten weißen Zähne wie Perlen in einer rothen Muschel schimmerten, athmeten eine glühende Sinnlichkeit, und trotzdem lag über ihrer Erscheinung eine vornehme Sicherheit und ein aristokratisches Selbstbewußtsein, mit dem sie die ihr dargebrachten Huldigungen wie einen ihr schuldigen Tribut entgegennahm.

Die schlanke und doch üppige Gestalt umfloß gleich einer Purpurwolke ein halb durchsichtiges Gewand von rothem, mit Goldfäden durchschossenem Seidenflor, die Schönheit der klassischen Büste, des schimmernden Nackens, der reizenden Schultern und der mit kostbaren Spangen und Gemmen geschmückten Arme mehr verrathend als verhüllend. Um das ganze schöne, aber nicht mehr ganz junge Weib schwebte jener unsagbare Zauber, welcher das Herz der Männer stärker pochen und das Blut in ihren Adern schneller kreisen macht.

Zu beiden Seiten des Triumphwagens schritten die berühmten Freunde und Tischgenossen des Fürsten, die Blüthe Italiens und die Zierde seines Hofes, der geistreiche Chalkandylas, sein Lehrer im Griechischen, der liebenswürdige Poliziano, der gelehrte Pico von Mirandola, Granacci, Teragiani, und vor allem der große, allgemein verehrte Michel Angelo; lauter interessante Charakterköpfe und Gestalten, welche die damit betrauten Künstler so ähnlich als möglich in ihren Mienen und Masken wiederzugeben suchten.

Während so der glänzende Zug sich langsam feierlich durch den geschmückten Saat zu der erhöhten Tribüne bewegte, auf der unter einem Baldachin der Thron der Herrscher stand, wurden diese mit lautem Jubel und stürmischem Beifall von den enthusiastischen Zuschauern begrüßt. Mehr als alle aber war Julie von dem neuen herrlichen Schauspiel begeistert und von dem wirklich bezaubernden Anblick förmlich berauscht.

Hingerissen von ihrem lebhaften Schönheitsgefühl, nahm sie das schönste Rosenbouquet aus ihrem Körbchen und warf es dem Darsteller des Lorenzo zu, der den Blumenstrauß geschickt auffing und mit dem liebenswürdigsten Lächeln an ferne Lippen drückte. Bestürzt und verwirrt stand Julie da, von flammender Gluth übergossen, roth, wie eine ihrer Rosen.

»Mein Gott!« rief Haller unmuthig über ihren Enthusiasmus. »Was fällt Dir ein? Wie kannst Du Deine Blumen an einen solchen Menschen verschwenden! Weißt Du denn nicht, wer die beiden sind?«

»Das kümmert mich nicht. Danach frage ich jetzt nicht.«

»Ich meine aber, daß der Maler Hans Werner und die Gräfin von Neuberg keine würdigen Gegenstände für Deine Huldigung sind.«

»Aber sie sehen beide prächtig aus, wie geborene Fürsten. Erst jetzt kann ich begreifen –«

»Was kannst Du jetzt begreifen?«

»O nichts!« murmelte sie verwirrt, »nichts, was Dich interessiren kann.«

Unterdessen hatte sich der Zug auf der Tribüne aufgestellt und das gefeierte Fürstenpaar auf den Thronsesseln sich niedergelassen. Es folgten poetische Aufführungen, verschiedene Quadrillen und italienische Nationaltänze, unter denen besonders eine von sechs Paaren getanzte Tarantella den größten Beifall fand und die Lust auf das höchste steigerte.

Bald mischten sich die übrigen Masken in den Tanz, an welchem sich auch Julie mit dem befreundeten Bildhauer betheiligte. Inzwischen ließ Haller, dem der Tanz kein Vergnügen machte, an eine Säule gelehnt, das bunte Gewühl an sich vorüberschweben, bis er, ermüdet von dem ihn nicht besonders anziehenden Anblick, sich mit einigen gleichgesinnten älteren Herren in die anstoßende Restauration begab und bei einer Flasche trefflichen Chiantis mit ihnen plauderte.

Zu derselben Zeit saß Julie, vor Freude und der Aufregung des Balles glühend, mit dem Bildhauer im eifrigen Gespräch, als sie plötzlich zusammenfuhr, als ob ein Blitz sie getroffen hätte. Dicht vor ihr stand Hans Werner, der berühmte Maler, der Held des Abends, und blickte sie mit seinen träumerischen Augen so bewundernd an, daß sie unwillkürlich erröthete.

Von einer unerklärlichen Bangigkeit erfaßt und von einem leichten Schauer durchrieselt, wendete sie sich verwirrt ab, als er gerade auf sie zuschritt und den befreundeten Bildhauer ersuchte, ihn der fremden Dame vorzustellen, die er mit einer tiefen Verneigung begrüßte und zugleich zur nächsten Tour aufforderte. Bevor sich Julie noch besinnen konnte, fühlte sie sich von seinen kräftigen Armen umschlungen und wie von einem unwiderstehlichen Sturm in die Reihen der Tänzer fortgerissen. Im rasenden Wirbel kreiste sie mit ihm durch den weiten Saal, sie überließ sich widerstandslos dem Taumel des Vergnügens, an die Brust des ausgezeichneten Tänzers geschmiegt und sich in feinen starken Armen anmuthig wiegend.

Ihre sonst so blassen Wangen rötheten sich, ihre Augen glänzten, ihr Busen wogte, ihre Pulse flogen, ihr Herz pochte laut und jeder Nerv, jedes Glied bebte und zitterte an ihrem Körper. Wie eine Flamme streifte sein heißer Athem ihr Haar und seine feurigen Blicke schienen wie Blitze sie zu versengen.

Wilder und wilder brauste und schmetterte die Musik, enger und enger umschlang er sie, immer wieder drückte er sie an sein laut klopfendes Herz, daß sie zu vergehen glaubte. Das war kein Tanz mehr, sondern eine schwebende Umarmung, ein gegenseitiges Hingeben und Zerfließen, eine bacchantische Wonne und berauschende Seligkeit, ein gänzliches Loslösen und Vergessen, ein schrankenloses Glück, die höchste irdische Lust.

Das bunte Gewirre der Masken, die verlockenden Tanzmelodien, die von betäubenden Blumendüften geschwängerte Luft, die zuckenden Lichter versetzten Julie in eine seltsame Aufregung und entfachten in ihrem Busen die von ihren Eltern ererbte, nur bisher schlummernde Genußsucht. Zum ersten Male empfand sie eine unbeschreibliche Freude am Leben, eine unersättliche Lust am Dasein.

Wie ein Schmetterling im blendenden Kerzenschimmer schwebte sie an der Seite ihres Tänzers, kaum den Boden mit ihren kleinen Füßen berührend, in trunkener Selbstvergessenheit. Endlich schwieg die Musik und, wie aus einem tiefen Traum erwachend, sank Julie erschöpft auf den nächsten Stuhl, sich mit ihrem Fächer Kühlung fächelnd, hinter dem sie zugleich das von seinen kühnen Worten und Schmeicheleien erglühende Gesicht verbarg.

»Es ist hier,« sagte sie verlegen, »zum Ersticken heiß. Ich verschmachte vor Durst.«

»Darf ich Ihnen ein Glas Eis oder Sorbetto holen?«

»Das ist nicht nöthig. Am liebsten wäre mir frisches Wasser, wenn es Ihnen keine Mühe macht.«

»Nicht im geringsten!«

Zugleich beeilte sich Werner, ihr das Gewünschte zu besorgen. Während Julie mit brennenden Lippen das Glas berührte, bemerkte sie ein eigenthümliches Lächeln, das um den Mund ihres Tänzers zuckte.

»Weshalb lachen Sie?« fragte sie verwundert.

»Weil Sie so hastig Wasser aus der Fontana Trevi trinken.«

»Hat denn das eine besondere Bewandtniß?«

»Allerdings! Das Wasser dieser Quelle soll, wie man sagt, einen besonderen Zauber besitzen.«

»Und der wäre –?«

»Daß, wer aus ihr trinkt, Rom nicht vergessen kann und sich so lange härmt und sehnt, bis er wiederkommt.«

»Dann trinke ich mit doppelter Lust, obwohl ich Rom und diesen Abend auch ohne die Fontana Trevi nicht vergessen werde, so lange ich lebe.«

»Ich darf also hoffen, Ihnen bald wieder hier zu begegnen.«

»Auf ein glückliches Wiedersehen!« rief Julie, indem sie das Glas bis zum letzten Tropfen leerte und wie zur Bestätigung ihre heiße Hand ihm reichte.

»A rivederci!« versetzte der Künstler lächelnd und drückte einen Kuß auf ihre Hand, die sie ihm willig überließ.


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