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Ahnungslos, mit angenehmen Reiseplänen für den Sommer beschäftigt, saß die Frau Generalkonsul Eberhard in ihrer Wohnung, als plötzlich Julie in das Zimmer trat und ihr mit bewunderungswürdiger Ruhe mittheilte, daß sie soeben ihren Mann aus den bekannten Gründen verlassen habe.
Auf das höchste überrascht und bestürzt, starrte die erschrockene Mutter ihre Tochter sprachlos an, als ob sie ihren Ohren nicht trauen wollte. Endlich konnte sie nicht länger an der Wahrheit der traurigen Nachricht zweifeln, welche sie um so mehr aufregte, als sie sich dadurch in ihrer Behaglichkeit und in ihren Plänen gestört fand.
»Mein Gott!« fügte sie in vorwurfsvoll weinerlichem Tone, »das ist ja entsetzlich. Aber wie konntest Du auch so unvorsichtig sein und Dich in dieser Weise kompromittiren. Dein Leichtsinn übersteigt wirklich alle Grenzen. Ein solcher Skandal!«
»Beruhige Dich, liebe Mama!« versetzte Julie gleichmüthig, »und rege Dich nicht unnöthig aus. Die Sache ist gar nicht so arg, wie Du Dir vorstellst.«
»Ich bin gewiß nachsichtig,« fuhr die betrübte Mutter fort, »und habe auch nichts dagegen, daß eine junge Frau sich amüsirt und sich den Hof machen läßt. Aber man muß immer den äußeren Anstand zu wahren missen und kein Aergerniß geben. Es ist unverzeihlich, daß Du dem Professor zu dem Bilde gesessen hast, und noch mehr, daß er es mit Deiner Erlaubniß öffentlich ausstellte. So etwas darf keine kluge Frau zugeben –«
»Das läßt sich einmal nicht ändern. In vierzehn Tagen spricht kein Mensch mehr von der Geschichte.«
»Aber was soll aus Dir werden, wenn Haller darauf besteht, sich von Dir scheiden zu lassen, und das Gericht Dich, wie ich fürchte, für den schuldigen Theil erklärt?«
»O! Deshalb kannst Du ganz unbesorgt sein. Wir haben uns in aller Güte getrennt; Haller verzichtet auf meine Mitgift und will mir sogar noch einen jährlichen Zuschuß geben; aber das habe ich natürlich nicht angenommen.«
»Sollte es denn nicht möglich sein, daß er sich mit Dir wieder versöhnt, wenn ich oder der Onkel –«
»Nein, nein!« entgegnete Julie erregt. »Daran ist nicht zu denken, selbst wenn er wollte. Wir passen einmal nicht für einander; ich kann ihn nicht lieben, ein so guter Mensch er auch ist, und deshalb ist es das beste, daß wir uns trennen.«
»Du darfst nur nicht vergessen, daß eine geschiedene Frau in der Gesellschaft immer eine traurige Rolle spielt und wenig oder gar keine Aussicht hat, sich wieder zu verheirathen.«
»Das macht mir keinen Kummer, wenn nur Werner –«
»Ich traue diesen Künstlern nicht, so angenehm und liebenswürdig sie auch gewöhnlich in der Gesellschaft sind. Charmante Courmacher, aber unzuverlässige Menschen; heute Feuer und Flamme, morgen kühl bis ans Herz hinan. Man weiß nie, woran man mit ihnen ist, und wenn es zum Ernst kommt, sind sie auf und davon, auf Nimmerwiedersehen.«
»Du thust Werner Unrecht. In dieser Beziehung bin ich sicher; er liebt mich mit einer Leidenschaft, mit einer Gluth, wie ich sie nicht für möglich hielt. Erst jetzt weiß ich, was lieben heißt. Er kann und wird mich nicht verlassen, am wenigsten nach einem solchen Opfer.«
»Und die Gräfin?« fragte die lebenskluge Mutter. »Glaubst Du etwa, daß sie ihn so leicht aufgeben, ihm freiwillig entsagen wird? Du kennst diese vornehmen Damen schlecht und ahnst nicht, wessen sie fähig sind, wenn es sich um eine Nebenbuhlerin handelt.«
»Ich habe keine Furcht vor ihr,« entgegnete Julie siegesgewiß. »Werner hat mir selbst gesagt, daß er nur noch Dankbarkeit und Freundschaft für die Gräfin empfindet. Sie quält ihn mit ihrer Herrschsucht, ihren Launen und aristokratischen Allüren und ist ihm nicht einmal mehr treu. Seit er mich in Rom auf dem Künstlerfest gesehen hat, liebt er nur mich, trägt er sich mit dem Gedanken, das lästige Verhältniß zu lösen. Nur meinetwegen hat er den Ruf hierher angenommen, gegen ihren Wunsch und Willen.«
Obgleich Frau Eberhard diese sanguinischen Hoffnungen nicht zu theilen vermochte, beruhigte sie sich nach und nach, so wenig ihr auch unter solchen Umständen die Rückkehr ihrer Tochter willkommen war. Besonders bedauerte die lebenslustige Dame, daß sie ihre Reise nach Paris und Ostende aufgeben mußte, da Julie sich jetzt unter keiner Bedingung von Werner trennen wollte.
Julie selbst schrieb ihm sogleich und theilte ihm die Nachricht von ihrer bevorstehenden Scheidung, sowie den Grund mit, worauf er noch an demselben Tage zu ihr eilte.
»Frei, endlich frei!« jubelte sie ihm entgegen. »Jetzt erst darf ich Dir ganz gehören, bin ich für immer Dein.«
»Du sollst es nie bereuen,« erwiderte er, sie an sich ziehend. »Das schwöre ich Dir!«
»Es wäre auch mein Tod, wenn Du mich täuschtest. Lieber sterben als Dich verlieren.«
»Wie kannst Du glauben, daß ich je vergessen werde, was Du mir geopfert hast. Ich kenne meine Pflicht, und weiß, was ich Dir schulde. Meiner Psyche bleibe ich treu, und keine Macht der Erde soll uns beide trennen.«
Durch seine Schwüre und Versicherungen vollkommen beruhigt und getröstet, überließ sich Julie einem schrankenlosen Glück, das weder die Erinnerung an Haller, noch die Furcht vor der Gräfin oder die Rücksicht auf ihren verlorenen Ruf zu trüben vermochte.
Aber auch der sonst so unbeständige Künstler wurde durch die Schönheit und Liebenswürdigkeit des reizenden Weibes immer mehr gefesselt. So befreundete er sich ernstlich mit dem Gedanken, seine ohnehin bereits gelockerte Verbindung mit der Gräfin jetzt ganz aufzulösen und sich mit Julie zu. verloben, sobald diese von Haller geschieden sein würde.
Nur aus Schonung für die Gräfin wünschte Werner vorläufig noch seine Absichten geheim zu halten. Allein trotz aller Vorsicht konnte er nicht verhindern, daß die zahlreichen Freunde und Bekannten der Familie Eberhard das Verhältniß erfuhren, und wie gewöhnlich auch die Zeitungen wieder die sensationelle Nachricht von der bevorstehenden Verlobung des berühmten Künstlers mit dem Original seiner Psyche veröffentlichten.
Die nächste Folge dieser unangenehmen Indiskretion war ein leidenschaftlicher Brief von der Gräfin aus Rom, worin sie Werner schrieb, daß sie vor Sehnsucht nach ihm schwer erkrankt sei, und ihn zugleich beschwor, sofort nach Rom zurückzukehren, wenn er sie noch einmal vor ihrem Tode sehen wollte. Nur zum Schluß des Briefes erwähnte sie flüchtig in einer spöttisch vornehmen Bemerkung »das müßige Zeitungsgeschwätz«, welches sie für völlig unbegründet zu halten schien.
Werner kannte zwar die Gräfin zu genau und hielt deshalb mit Recht ihre Krankheit nicht für gefährlich, sondern, nur für einen klug ersonnenen Vorwand, ihn nach Rom zurückzulocken. Dennoch wagte er nicht, ihr die Wahrheit zu gestehen, da er ihre leidenschaftliche Rücksichtslosigkeit fürchtete und vor einem offenen Bruch noch zurückschreckte.
Er hoffte aber, die gekränkte Frau durch freundliche Nachgiebigkeit zu versöhnen und eine gütliche Verständigung mit ihr zu erzielen, wenn er sich ihrem Wunsche fügte. Auch zweifelte er nicht daran, daß sie ihn freigeben würde, da schon vor seiner Abreise zwischen beiden eine Erkältung und leichte Spannung eingetreten war, indem sie ihm wiederholte Gründe zur Eifersucht gegeben hatte.
Unter dieser Umständen hielt er es für das beste, vorläufig ihren Willen zu thun und zu ihr zurückzukehren. Nur mit schwerem Herzen entschloß er sich, Julie seine unerwartete Abreise mitzutheilen, wenn er ihr auch den wahren Grund absichtlich verschwieg.
»Um des Himmels willen!« rief sie bestürzt. »Du willst mich verlassen? Das überlebe ich nicht.«
»Beruhige Dich!« entgegnete er zärtlich. »Es handelt sich nur um eine kurze Trennung von einigen Wochen. Sobald Dein Prozeß entschieden ist, kommst Du zu mir nach Rom. Mich erwarten daselbst dringende Geschäfte, die meine persönliche Anwesenheit fordern, und von denen zum Theil unsere Zukunft abhängt. Nur noch kurze Zeit, und wir sehen uns wieder.«
»Nein, nein!« stöhnte sie. »Wenn Du erst in Rom bist, wirst Du mich vergessen. Ich fürchte, daß die Gräfin –«
»Wie kannst Du so thöricht sein! Ihretwegen darfst Du Dir nicht die geringste Sorge machen. Ich werde natürlich zu ihr gehen, mit ihr offen sprechen und ihr freundschaftlich vorstellen –«
»Wenn Du sie erst wieder siehst und mit ihr redest, wird sie Dich von neuem fesseln und Dich für immer in ihrem Venusberg festhalten.«
»Und doch hat der Tannhäuser sich von Frau Venus losgerissen und allen ihren Verlockungen widerstanden. Deine Liebe wird auch mich wie ein Talisman beschützen und aus allen Banden befreien. Ich bin fest entschlossen, mich von der Gräfin zu trennen und mich weder von ihren Bitten, noch von ihren Drohungen rühren zu lassen. Du wirst es aber nur schicklich finden, daß ich so gütlich und schonend als möglich das bisherige Verhältniß zu lösen wünsche. Diese Rücksicht bin ich ihr und mir schuldig; es widerstrebt meinem Gefühl und wäre auch unklug, sie durch Unfreundlichkeit zu verletzen und zu reizen.«
Durch solche Vorstellungen gelang es Werner nach und nach, Julies Besorgnisse und Befürchtungen einigermaßen zu zerstreuen. Sie konnte an der Wahrheit seiner Vorstellungen und an der Aufrichtigkeit seiner Liebe um so weniger zweifeln, als er selbst nur seiner inneren Ueberzeugung Ausdruck gab und sie keineswegs zu täuschen beabsichtigte.
Nicht wenig trug zu ihrer Beruhigung bei, daß gerade jetzt die Nachricht von ihrer Verlobung durch die Zeitungen gegangen war. Wie sie wußte, hatte Doktor Stern dem Professor wiederholt angeboten, die Anzeige als eine verfrühte zu dementiren, Werner aber hierzu sich nicht verstehen wollen. Dieser Umstand erschien ihr gleichsam als eine öffentliche Anerkennung und Rechtfertigung ihres bekannten Verhältnisses, als eine sichere Bürgschaft ihres Glücks.
Dennoch konnte sie sich nicht einer geheimen Angst und der Thränen erwehren, als Werner sich erhob und unter nochmaligen herzlichen Versicherungen seiner unwandelbaren Liebe und Treue den zärtlichsten Abschied nahm. Weinend umschlang Julie den geliebten Mann so stürmisch und fest, als ob sie ihn für immer halten und nicht mehr lassen wollte, bis er sich selbst tief erschüttert aus ihren Armen riß.