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Trotz seiner vielen Schulden und anderen menschlichen Schwächen erfreute sich der bekannte Doktor Stern einer allgemeinen Beliebtheit, die er sowohl seinen persönlichen Eigenschaften, wie seiner Stellung als Feuilletonist einer der angesehensten Zeitungen verdankte.
Da man sich außerdem in seinem Hause ausgezeichnet unterhielt und immer die interessantesten Leute bei ihm fand, so übersah man diese Kleinigkeiten und verzieh ihm und seiner geistvollen Gattin so manche Unregelmäßigkeit in ihrem Lebenswandel, welche man mit der Genialität und leichtsinnigen Gutmüthigkeit des liebenswürdigen Paares entschuldigte.
So kam es auch, daß ihre Gesellschaften selbst von der Elite der Residenz ohne Anstand besucht wurden. Besonders war dies an dem Abend der Fall, an welchem der berühmte Hans Werner erwartet wurde. Zur bestimmten Stunde füllten sich die etwas beschränkten, mit einer eigenthümlichen Mischung von Luxus und Dürftigkeit ausgestatteten Räume mit bekannten und bedeutenden Persönlichkeiten, mit geistreichen Männern und anmuthigen Frauen aus den besten Ständen, vor allem mit den Löwen und Löwinnen des Tages.
Da flüsterte der Lustspieldichter Lindendorf, den goldenen Kneifer auf der scharfgeschnittenen Nase, der schönen Kommerzienräthin Rosenzweig eine pikante Bemerkung zu, über die sie laut lachte. Dort versprach sein tragischer Kollege Herr von Wilda zum zehnten Mal in diesem Winter der Hofschauspielerin Fräulein Beyer eine neue Rolle, – nur für sie geschrieben.
An dem Thürpfosten lehnte in anmuthiger Stellung, die rechte Hand in die Tiefen seiner weißen Weste versenkt, der sanfte Lyriker Götzel in lebhaftem Gespräch mit der reizenden Tochter des Abgeordneten Doktor Brauer. Um die interessante Hausfrau, welche mit der russischen Klaviervirtuosin Jussupoff auf einem Kelim mehr lag als saß, hatte sich eine ganze Schaar von Herren gesammelt: Bildhauer Breda mit dem dunklen Künstlerkopf, der große Tannhäuser, Gesandtschaftssekretär von Räuden und der in allen Fächern dilettirende Baron Schäumer, die unentbehrlichen Zierden und Dekorationen jedes glänzenden Salons.
Natürlich fehlte auch nicht Fräulein von Rinow, welche in höchster Aufregung den gefeierten Künstler erwartete und dem zu Ehren sie ihre rothe Blouse mit einer antiken, tief ausgeschnittenen Tunika vertauscht hatte, welche ihr das Aussehen einer klassischen Vogelscheuche verlieh.
Auch die schöne Julie war nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Mann unter dem Schutz ihrer lebenslustigen Mutter und des Onkels Heinrich erschienen. Verstimmt über die stattgefundene eheliche Szene war sie in den Saal getreten, allein, von Bewunderern umringt, genoß sie mit der ihr eigenen Sorglosigkeit den Triumph ihrer Schönheit, welche noch durch die vornehme Eleganz ihrer Kleidung erhöht wurde.
Dabei schlug ihr das Herz stürmisch vor banger Erwartung und sehnsüchtiger Ungeduld. Inmitten der Huldigungen ihrer zahlreichen Verehrer richtete sie ihre heißen Blicke immer verlangender nach der Thür, durch welche der Gefeierte eintreten mußte. Inzwischen plauderte die Gesellschaft von dem erwarteten Künstler, dessen bewegtes Leben einen nur zu reichen Stoff für das Gespräch bot.
»Eine sehr schwierige Aufgabe, die königliche Familie zu malen,« bemerkte der Lustspieldichter. »Ich bin nur neugierig, wie es ihm gelingen wird. Uniformen sind gerade nicht seine Stärke, aber Fleisch seine Force. Sie erinnern sich; das reizende Weib unter der rothen Decke, von dem man leider nur das Gesicht und das rechte Knie zu sehen bekam –«
»Wollen Sie gleich still sein!« unterbrach Frau Rosenzweig mit einem koketten Fächerschlag den witzigen Redner.
»Ja, in der Behandlung des Nackten,« sagte der Bildhauer Breda, »kommt ihm keiner gleich.«
»Aber ich bitte Sie, lieber Freund, bei diesen fleißigen Naturstudien,« scherzte Onkel Heinrich, »da ist es kein Wunder.«
»Aber meine Herren!« mahnte Frau Livia, mit drohenden, aber keineswegs ernsten Mienen. »Sie vergessen ganz die Anwesenheit der Damen.«
So schwirrten die leichtsinnigen Reden, flogen die frivolen Witze von Einem zum Andern, mit Lust gegeben und mit Vergnügen genommen, bis eine allgemeine Bewegung den Eintritt des gefeierten Gastes verkündigte.
Mit Ungestüm drängten sich alle um Werner, ihn zu begrüßen oder ihm vorgestellt zu werden, beglückt von einem freundlichen Wort, einem Blick der Händedruck des berühmten Künstlers, der wie ein Fürst empfangen wurde und hier wie in Rom der Held des Abends war.
Von Frau Livia im Triumph herumgeführt, mußte er ihr von einer Dame zur andern folgen und sich bewundern lassen, innerlich gelangweilt von ihren verbrauchten Phrasen, von dem lächerlichen Enthusiasmus des Fräulein von Rinow und den plumpen Schmeicheleien der Frau Bankdirektor Rosenzweig. Plötzlich belebte sich sein abgespanntes Gesicht und feine Augen erglänzten, als er erst setzt in der Nähe des Fensters Julie an der Seite ihrer Mutter erblickte. Im nächsten Moment stand er vor ihr und ihre Blicke begegneten sich wie flammende Blitze.
»Per dio!« rief er freudig überrascht. »Sie hier, meine Gnädige? Welch' ein unerwartetes Glück!«
»Ich glaubte schon, daß Sie mich ganz vergessen hätten.«
»Ist das möglich, wenn man Sie auch nur einmal gesehen hat? Kann man die reizende Blumengöttin vergessen? Ich denke noch immer mit Entzücken –«
»Sie gestatten,« unterbrach sie ihn erröthend, »daß ich Sie meiner Mutter vorstelle.«
»Ihrer Mutter!« entgegnete er galant. »Sie meinen einer Schwester.«
»Sie sind zu liebenswürdig,« versetzte die Frau Generalkonsul geschmeichelt. »Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Professor?«
Werner folgte mit sichtlicher Freude der willkommenen Aufforderung und setzte sich zu den Damen. Bald unterhielt er sich fast ausschließlich mit Julie so lebhaft und eifrig, daß beide die übrige Gesellschaft vergaßen und das dadurch verursachte Aufsehen gar nicht bemerkten.
Was sie mit einander sprachen, war an sich zwar gleichgiltig und unverfänglich, aber jedes Wort verrieth die Freude des Wiedersehens, und ihre feurigen Blicke, der Ton ihrer Stimme, ihr glückliches Lächeln verliehen der anscheinend harmlosen Unterhaltung einen leidenschaftlichen Reiz, einen berauschenden Zauber.
Nur zu schnell wurde ihr Beisammensein durch die Dazwischenkunft der Frau Livia gestört, welche ihr Anrecht als Wirthin geltend machte und den berühmten Gast zu Tisch entführte, gefolgt von ihrem Gatten, der Julie seinen Arm reichte.
In rauschender Heiterkeit wurde das glänzende, von dem ersten Koch geborgte Abendessen eingenommen. Vor dem letzten Gang erhob sich der Wirth, um in geistsprühender Weise das Lob des Meisters Werner zu singen, dem Vandyck des neunzehnten Jahrhunderts im Namen aller zu huldigen.
»Hoch und abermals hoch!« rief der Wirth.
»Hoch, hoch!« jauchzte die entzückte Gesellschaft.
»Und zum dritten Male hoch!«
»Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch!« intonirte der Chor.
Hell klangen die Gläser gleich festlichem Glockengeläute, und wie der perlende Champagner in den überfließenden Kelchen schäumte und brauste die Begeisterung und der Taumel der Gäste. Es lag etwas Berauschendes in dem enthusiastischen Jubel der Menge, welche von ihren Sitzen emporsprang, dem Gefeierten zuzutrinken und den Meister zu ehren.
In diesem Augenblick sah Julie zu Werner wie zu einem höheren Wesen empor; mächtiger und größer stand er vor ihr da, als all' die andern, mit überirdischer Kraft begnadet, ihr Gott, den sie lieben wollte mit ihrer ganzen Seele, den sie anbetete.
Die zwanglose Fröhlichkeit, der freie Geist, der in diesen Räumen herrschte, riß sie unwillkürlich mit sich fort und hob sie zu einer andern, schöneren Welt empor. Hier herrschte jene liebenswürdige Ungebundenheit, jene künstlerische Genialität, der kecke Witz und souveräne Humor, die sie an ihrem nüchternen Gatten und in ihrer stillen Häuslichkeit vermißte.
Hier wurde gescherzt und gelacht, die leiseste Andeutung verstanden, ein gewagtes Wort nachsichtig verziehen, eine schlüpfrige Bemerkung geduldet und sogar gern gehört, wenn sie nur in geistreiche Form sich kleidete. Hier wurde der Schönheit, dem Genius gehuldigt, galt im vollsten Maße des Dichters Spruch: »Erlaubt ist, was gefällt.«
Nach Tische glänzten die Augen der Frauen, glühten die Wangen der Männer, wallte das Blut schneller und wärmer durch die Adern. Von Wein und Lust belebt, suchten und fanden sich die gleichgesinnten Herzen, näherten sich die verwandten Geister.
Vor der duftenden Ananas-Bowle saß Onkel Heinrich wie ein alter Faun, von reizenden Nymphen umschwärmt, die sich durch die Aussicht auf die Erbschaft des reichen Junggesellen ködern ließen und ihm deshalb manche Freiheit erlaubten, die sich der schlaue Lebemann trotz seiner Jahre mit ihnen gern nahm.
Dort theilte Fräulein Bauer, die anmuthige Hofschauspielerin, ihre Gunst unparteiisch zwischen dem Lustspieldichter und einem gefürchteten Kritiker, um es mit keinem von beiden zu verderben, ebenso sehr auf gute Rollen wie auf günstige Rezensionen bedacht. Nur Fräulein von Rinow schmachtete vergebens den undankbaren Tannhäuser an, da dieser es vorzog, abwechselnd der Frau Generalkonsul und einer reizenden Kollegin von der Oper den Hof zu machen, während der liebenswürdige Wirth wie ein Schmetterling von einer Dame zur andern flatterte und alle außer seiner Frau anbetete.
Auch Julie und Werner überließen sich ganz dem Glück der Gegenwart, dem Vergnügen ihres traulichen Beisammenseins. Wenige Augenblicke genügten, ihre Herzen zu erschließen, ihre geheimsten Gedanken auch ohne Worte zu offenbaren.
Bald wußte er, daß Julie ihren Mann nicht liebte, errieth sie, daß Werner ebenso wenig von der Gräfin befriedigt sei, kannten beide ihre verborgensten Gefühle, als hätten sie Jahre mitsammen verlebt und sich alles anvertraut, was sie sich selbst kaum zu gestehen wagten.
»Wenn wir uns doch früher gesehen hätten!« sagte er bedauernd. »Wir haben uns zu spät gefunden.«
»Besser spät,« erwiderte sie wie im Traume lächelnd, »als nie! Wie lange bleiben Sie bei uns?«
»Bis ich die königliche Familie und – Sie gemalt habe.«
»Mich! Sie scherzen. Ich bin keine Königin und keine Fürstin von Gottes Gnaden.«
»Und ich gebe alle Fürstenthümer der Welt für Sie her. Ich muß und werde Sie malen.«
»Wie glücklich würde es mich machen, – und doch, es ist unmöglich.«
»Die erste Bitte, die ich an Sie richte, schlagen Sie mir ab? Das dürfen Sie nicht. Sie sind es mir, Sie sind es meiner Kunst schuldig. Seit ich Sie in Rom gesehen, verfolgt mich der Gedanke. Was ich bisher geschaffen habe, soll vor Ihrem Bilde erbleichen. Jahre und Jahre habe ich das Ideal des Weibes, die höchste Schönheit vergebens gesucht; jetzt endlich hab' ich sie gefunden und lasse sie nicht. Ich muß Sie malen.«
»Oh!« murmelte Julie, mit niedergeschlagenen Blicken. »Sie kennen schönere Frauen.«
»Keine, die Ihnen gleicht. Begeistert von Ihrer Erscheinung aus dem Künstlerfest, faßte ich schon damals den Plan zu einem neuen Bilde, zu einer Psyche in der Unterwelt, die Ihre himmlischen Züge tragen sollte.«
»Arme Psyche!« scherzte Julie.
»Sagen Sie lieber: armer Künstler, der das Unerreichbare erreichen wollte! Vergebens mühte ich mich ab, das mir vorschwebende Ideal aus der Erinnerung darzustellen; umsonst strengte ich mich an, Ihre Erscheinung, wie sie vor meiner Seele stand, auf der Leinwand festzuhalten. Zehnmal begann ich meine Arbeit, und zehnmal zerstörte ich sie wieder. Ohnmächtig müßte ich verzweifeln, jemals ein wahres Kunstwerk zu schaffen, wenn Sie sich nicht entschließen wollen, mir zu sitzen. Ich sage es Ihnen, daß ich Sie malen muß.«
Verführerisch klangen die glühenden Worte zu ihr herüber; mit Begierde trank ihre in der Wüste der Alltäglichkeit verschmachtende Seele von dem berauschenden Quell, den der Genius ihr kredenzte. Was sie von jedem andern Mann als eine schwere Beleidigung empfunden hätte, hier schien es ihr wie Ruhm und Ehre. Nur die Furcht vor ihrem Gatten, vor dem Urtheil der Welt hielt sie noch zurück.
»Nein, nein!« sagte sie mit einem leichten Seufzer. »Ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen. Was würde man sagen, wenn ich es thäte?«
»Was kümmert uns das Geschwätz der Menge? Sie stehen zu hoch, als daß die Nichtigkeiten beschränkter Menschen Sie erreichen und irre machen können. Giebt es für eine gottbegnadete Frau, wie Sie, etwas Höheres, als den Künstler zu begeistern, seinen Ruhm zu theilen? Welches Weib verwehrte in Griechenland oder Rom dem Genius die Abbildung ihrer Schönheit, die Verewigung ihres Namens? Fürstinnen geizten nach solcher Ehre, der sie allein ihre Unsterblichkeit verdanken.«
So suchte Werner ihre letzten Bedenken zu zerstreuen, und nur zu gern ließ sich Julie von ihm überzeugen. Wie die Geliebte Tizians und Rafaels Fornarina sah sie sich bereits im Geiste von dem großen Maler im Bilde verewigt, ein holdes Wunder für alle Zeiten.
Und dann – seine leidenschaftlichen Worte, die Bewunderung der Gesellschaft hatten ihr mehr als je ihre Macht gezeigt. Jetzt wollte sie siegen und herrschen, den größten von allen, Hans Werner, der Gräfin entreißen und sich im glänzenden Triumph ihrer Schönheit freuen.
»Wohlan!« rief sie nach kurzem Kampf. »Verderben, habe Deinen Lauf. Sie sollen mein Bild malen.«
»Dank, tausend Dank, – meine Psyche!«