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In der Via Babuino bewohnte Gräfin Neuberg einen jener alten, fürstlichen Paläste, die durch ihre gediegene Pracht und geschmackvollen Luxus die Bewunderung der Fremden erregen. Eine breite Marmortreppe führte zu einer Reihe von Sälen und Gemächern, deren Ausstattung sowohl den großen, unabhängigen Reichthum, wie das feine Kunstverständniß der jetzigen Besitzerin bekundete.
Kostbare Bilder älterer und neuerer Meister schmückten die glänzenden Räume; hier eine üppige Nymphe oder Göttin des Giulio Romano, dort ein asketischer Heiliger von Ribera und Murillo in überirdischer Verklärung und Verzückung; neben einer sonnigen Landschaft von Claude Lorrain eine finstere, romantische Felsschlucht des Salvator Rosa, von kühnen Räubern und abenteuerlichen Gesellen belebt.
Einen langgestreckten oblongen Saal füllten die Ahnenbilder der Gräfin: Feldherren in Eisenpanzern, Würdenträger der Kirche und des heiligen römischen Reiches, Frauen in steifen Goldgewändern, mit funkelnden Ketten und Orden geschmückt, da die Gräfin aus einer der ersten Familien in Deutschland stammte, während sie von mütterlicher Seite mit der höchsten römischen Aristokratie verwandt war.
Ueberall waren plastische Werke vertheilt, Büsten und Statuen, unschätzbare Antiken und Arbeiten von Thorwaldsen und Canova. In einer Nische lauschte die Gestalt einer verführerischen Venus; vor dem kostbaren Spiegel dehnte ein trunkener Faun aus grünlicher Bronze die schwellenden Glieder, und auf hohem Postament thronte der Götterjüngling Antinous in jugendlicher Schöne. Auf geschnitzten Sockeln standen silberne Schreine, von Engeln, Heiligen und fabelhaften Thieren umringt, kostbare Becher und Kelche, mit Edelsteinen besetzt, mittelalterliche Kunstwerke, welche einst zum Schmuck der Kirchen und Klöster gedient, dazwischen Mosaiken aus Rom und Florenz, Blumen und Fruchtstücke von wunderbarer Wahrheit und Frische, Schränke und Tische mit herrlichen Emaillen und Intarsien aus jener glücklichen Zeit, als noch das Handwerk sich zur Kunst erhob und die Kunst nicht verschmähte, sich mit dem Handwerk zu verbinden.
Der große Gesellschaftssaal prangte im Stil der italienischen Spät-Renaissance, die Decke mit reizenden Kindergruppen und Amoretten geschmückt, die Marmorwände mit venezianischen Spiegeln und Gobelins bekleidet, Thüren und Fenster von schweren Sammetportieren und kunstvoll gestickten Seidenvorhängen umwallt, das Ganze harmonisch abgeschlossen.
Auf beiden Seiten reihte sich eine fortlaufende Flucht von Galerien, größeren und kleineren Zimmern, von denen jedes einzelne einen überraschenden Anblick, ein vollkommenes Bild ferner Länder und Zecken bot. Hier führten schlanke Säulen mit durchbrochenen Bögen, von bunten Arabesken umschlungen, in einen maurischen Kiosk; dort öffnete sich ein ernster gothischer Saal, mit gemalten Fensterscheiben, eichenen Kredenztischen, auf denen seltsam geformte Trinkhörner und getriebene Silberhumpen blitzten. Rechts lud ein verschwiegenes Boudoir im Rokokogeschmack, mit schwellenden Sauseusen und koketten Bildern von Greuze und Watteau, zum zärtlichen Stelldichein, links ein Palmenhaus mit lauschigen Nischen und plätschernden Springbrunnen zum einsamen Denken und süßen Träumen.
In diesen feenhaften Räumen lebte die Gräfin Neuberg wie eine moderne Circe oder Armide in ihrem Zauberschloß, umgeben von zahlreichen Anbetern, welche sich um die interessante Dame trotz oder vielmehr wegen ihrer Verirrungen und Extravaganzen schaarten.
Nach wie vor empfing sie die vornehme römische Welt, war sie der Mittelpunkt der erlesensten Gesellschaft. In ihrem Palast verkehrte die stolze römische Aristokratie, wie die angesehensten Fremden, hohe Geistliche und Diplomaten, berühmte Gelehrte und Künstler, alle von ihrem Geist, ihrer Liebenswürdigkeit und ihrem großen Reichthum angezogen.
Für jeden ihrer Verehrer hatte die interessante Frau ein angenehmes Wort, einen freundlichen Blick, ein anmuthiges Lächeln. Sie scherzte und sprach mit einer Kühnheit, die alles wagen durfte, weil sie die gesellschaftlichen Formen zu beherrschen und stets, auch wenn sie sich gehen ließ, ihre angeborene Vornehmheit zu bewahren wußte.
In diesem Augenblick lag die Gräfin auf einem Divan in elegantem Negligé, einem Morgenrock von weißem Cachemir, mit kostbaren Spitzen besitzt. Leise trat ihre italienische Kammerfrau, die Vertraute ihrer Geheimnisse, in das Boudoir und meldete ihr die Ankunft des soeben nach Rom zurückgekehrten Künstlers.
Obgleich sich ihre Leidenschaft für Werner etwas abgekühlt hatte, konnte sie ihm seine Untreue nicht verzeihen und den Gedanken nicht ertragen, einer Nebenbuhlerin weichen zu müssen. Ihr Stolz und ihre Eifersucht waren erwacht und ihre Eitelkeit fachte die fast erloschene Gluth zu neuen Flammen an.
Wie elektrisirt sprang sie jetzt auf, entschlossen, den fast verlorenen Verehrer von neuem zu fesseln und nicht zu dulden, daß eine andere Frau ihr den Sieg streitig mache. Zum Kampf bereit, mit allen Waffen und Künsten der Verführung gerüstet, erhob sie sich wie ein wachsamer, auf seine Eroberungen eifersüchtiger Krieger.
»Wollen die Frau Contessa,« fragte die Kammerfrau, »nicht erst Toilette machen?«
»Nicht nöthig!« erwiderte, mit einem Blick in den Spiegel, die Gräfin. »Das Morgenkleid giebt mir ein leidendes Aussehen, als wäre ich eben von einer schweren Krankheit genesen. Tupfe nur ein wenig Puder auf, damit ich bleicher erscheine.
»Capisco!« versetzte die schlaue Teresina mit verschmitztem Lächeln. »Excellenza sollen so blaß und schön aussehen wie die madre dolorosa.«
»So ist es gut; jetzt mag er kommen.«
Zugleich gab die Gräfin, wie eine vollendete Schauspielerin ihrer Rolle getreu, dem Gesicht einen leidenden Ausdruck und ließ sich wie gebrochen auf den Divan niedersinken. Den interessanten Kopf aus ein Kissen von violettem Sammet gestützt, dessen Farbe die künstliche Blässe noch verstärkte, die dunklen Augen halb geschlossen, als ob das Helle Licht sie blendete, und um die Locken ein schwarzes spanisches Spitzentuch geschlungen, bot die schöne Frau in der That das rührende Bild einer von schwerer Krankheit genesenen Rekonvaleszentin.
Bei diesem Anblick fühlte sich Werner unwillkürlich gerührt, von dem Bewußtsein seiner Schuld erdrückt. Mit mattem Lächeln streckte ihm die Gräfin ihre Hand entgegen. Er beugte sich tief bewegt zu ihr nieder und küßte sie, indem er einige freundliche Worte murmelte, unfähig, seine Verwirrung zu verbergen.
»Willkommen in Rom,« flüsterte sie mit leisem Hüsteln. »Ich fürchtete schon, daß ich Dich nicht mehr Wiedersehen würde.«
»Ich wußte nicht das geringste von Deiner Krankheit,« erwiderte er, vollkommen von ihrem Aussehen getäuscht, »sonst wäre ich sogleich zu Dir geeilt. Warum hast Du Nicht schon früher geschrieben?«
»Ich wollte Dich nicht unnöthig beunruhigen und in Deinen Arbeiten stören. In den Zeitungen las ich, daß Du gerade Deine Psyche maltest, der Du nun einen neuen, noch nicht dagewesenen Triumph verdankst. Davon mußt Du mir mehr erzählen.«
»Nur jetzt nicht. Ich fürchte Dich aufzuregen.«
»Im Gegentheil! Was kann mich mehr zerstreuen und mir größere Freude machen, als Dein großer Erfolg? Du weißt ja, wie sehr ich mich für alle Deine Arbeiten interessire, und besonders für die Psyche. Ich bin wirklich höchst gespannt, näheres von Dir über das Bild und auch über das schöne Modell, das Dir dazu gesessen haben soll, zu hören.«
Jedes ihrer im voraus berechneten Worte mahnte Werner an seine Schuld und steigerte nur noch seine Verlegenheit. Wie ein auf der That ergriffener Verbrecher saß er ihr stumm gegenüber, mit gesenkten Blicken, während die Gräfin ihn mit ihren klugen, scharfen Augen anschaute, als ob sie ihn damit durchbohren und auf dem Grunde seiner Seele lesen wollte.
»Nun,« fragte sie nach einer Pause, »warum sprichst Du nicht? Du hast Dir wohl, wie Dein Freund Makart, das Schweigen angewöhnt? Was fehlt Dir?«
»Nichts, nichts!« stotterte er beschämt. »Ich bin noch von der Reise angegriffen, habe zwei Nächte nicht geschlafen, kein Auge zugethan.«
»Natürlich!« scherzte die Gräfin. »Daran ist allein der Abschied von Deiner Psyche schuld. A propos! die Stern schreibt mir, daß sich die junge Frau von ihrem Manne, einem gewissen Professor Haller, scheiden läßt. Weißt Du darum?«
»Allerdings! Doch das kann Dich schwerlich interessiren.«
»Warum nicht? Ich nehme an allem Antheil, was Dich betrifft und mit Dir in Verbindung steht.«
»Du bist zu gütig, zu besorgt –«
»Noch dazu, da man mir sagt, daß Du die Scheidung verursacht haben sollst. Die dummen Zeitungen melden sogar Deine Verlobung mit der Frau Haller.«
»Was sagt man nicht alles,« entgegnete er ausweichend, »und was lügen nicht die Zeitungen!«
»Ich glaube auch kein Wort von der ganzen Geschichte, weil es zu dumm von Dir wäre. Du hast der kleinen Frau wie gewöhnlich den Hof gemacht und sie als Modell zu Deiner Psyche benutzt. Das finde ich verzeihlich; aber sie heirathen, das wäre lächerlich, eine Bêtise, also schlimmer als ein Verbrechen.«
Einen Augenblick schwankte Werner, ob er ihr nicht alles sagen und ihr offen seinen Entschluß bekennen sollte; allein die Rücksicht aus den leidenden Zustand der Gräfin und die Furcht vor einer aufregenden Scene mit ihr hielt ihn noch zurück, obgleich er keineswegs den Vorsatz aufgab, das Verhältniß mit ihr aufzulösen und sich mit Julie zu verbinden.
Auch die Gräfin, welche ihn scharf beobachtete und seine Gedanken errieth, wollte es nicht zu einer ernsten Erklärung oder gar zu einem dann unvermeidlichen Bruch kommen lassen. Sie suchte deshalb dem Gespräch eine andere, minder verfängliche Wendung zu geben.
Dabei mußte Werner von neuem ihre geistige Ueberlegenheit und ihre hinreißende Unterhaltungsgabe bewundern. Bald schmeichelte sie seiner Eitelkeit in fast unmerklicher Weise, bald reizte sie seinen Ehrgeiz durch den Ausblick in seine glänzende Zukunft, bald sprach sie mit dem feinsten Verständniß von seinen Arbeiten und Erfolgen.
Unmerklich fiel er wieder in die Netze der in allen Künsten erfahrenen Frau, welche nur zu gut seine Schwächen kannte und zu benutzen verstand. Fast wider Willen mußte er sich bekennen, daß sie ihn mehr als je entzückte und fesselte, daß sie ihm unentbehrlich war.
»Es ist die höchste Zeit,« sagte er, sich plötzlich erhebend, »daß ich gehe.«
»Warum willst Du mich so schnell wieder verlassen? Wir haben uns so lange nicht gesehen.«
»Du bedarfst noch der Ruhe und Erholung. Ich fürchte, daß die lange Unterhaltung Dich aufregt und Dir schaden kann.«
»Im Gegentheil! Ich fühle mich durch Deine Gegenwart wunderbar gestärkt, wie verjüngt. Die Liebe ist doch der beste Arzt und thut Wunder. Du kommst natürlich morgen wieder.«
»Das versteht sich von selbst. Ein guter Arzt muß seine Patienten mindestens täglich einmal besuchen.«
»Und ich,« setzte sie mit einem aufflammenden Blick hinzu, »will Dich dafür königlich belohnen.«
Spät verließ Werner die Gräfin; aufgeregt durchirrte er die Straßen Roms, empört über sich selbst und die zweideutige Rolle, die er gespielt. Auf das entschiedenste nahm er sich vor, nur die Genesung der Gräfin abzuwarten, um sich dann so schonend als möglich mit ihr auseinanderzusetzen.
So suchte er die Mahnungen seines Gewissens zu beschwichtigen und sich selbst zu täuschen, als er auch am folgenden und an jedem nächsten Tage wieder zu ihr eilte. Mit jeder Stunde, die er bei ihr zubrachte, wurde sie ihm theurer, und heimlich freute ihn der willkommene Aufschub und die verzögerte Ankunft der fernen Geliebten, der er nichtsdestoweniger die zärtlichsten Briefe schrieb.