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Seit langer Zeit hatte kein Bild in der Ausstellung des Kunstvereins ein solches Aufsehen erregt, wie die »Psyche von Hans Werner«. Während seine Kollegen und alle Kunstkenner der Residenz das Genie des Malers bewunderten, die vollendete Zeichnung und die Leuchtkraft der Farben rühmten, wurde die große Menge von der hinreißenden Schönheit der Hauptgestalt und von der überraschenden Aehnlichkeit derselben mit dem in der Gesellschaft bekannten Original auf das höchste angezogen.
Die ganze vornehme Welt der Hauptstadt drängte sich um das »famose Bild«; in den höheren Kreisen sprach man davon wie von einem sensationellen Ereigniß. Anfangs nur leise und vorsichtig, dann immer lauter und bestimmter bezeichnete man die Dame, welche dem Künstler zu seiner Psyche gesessen haben sollte.
Bald bemächtigten sich auch die Zeitungen des anziehenden Stoffes und gaben, ohne einen Namen zu nennen, so deutliche Winke und verständliche Beschreibungen des muthmaßlichen Urbildes, daß selbst die Fernerstehenden keinen Augenblick über die Persönlichkeit der betreffenden Dame in Ungewißheit bleiben konnten.
Natürlich ließ man es nicht an hämischen Bemerkungen, boshaften Gerüchten, an pharisäischen Redensarten und Berurtheilungen der Betheiligten fehlen. Gerade die Frauen, welche im stillen Julie am meisten beneideten, fielen auch am heftigsten über den Skandal her, und die Herren, die dem Künstler sein Glück mißgönnten, verdammten am strengsten sein Verhältniß mit der schönen Julie und seine Untreue gegen die Gräfin.
»Haben Sie schon die Psyche von Hans Werner gesehen?«
»Sie meinen wohl die Frau Professor Haller im griechischen Negligé.«
»Nun, was sagen Sie dazu?«
»Famos! Mir ist nur das Eine unbegreiflich, wie sich eine verheirathete Dame aus der besten Gesellschaft dazu hergeben kann, Modell zu stehen.«
»Was thut man nicht aus Liebe zur Kunst!«
»Und aus Liebe für den Künstler. Sie wissen doch –«
»Nicht möglich! Das hätt' ich der kleinen Frau gar nicht zu getraut.«
»Mir thut der arme Mann leid, ein so ausgezeichneter Mensch und vorzüglicher Arzt.«
»Aber ein gelehrter Pedant.«
»Ich bin nur neugierig, was die Gräfin Neuberg dazu sagen wird.«
»Das giebt einen furchtbaren Skandal.«
»Sie verdient es nicht besser.«
Wie gewöhnlich erfuhren die am nächsten Betheiligten das allgemein bekannte Ereigniß zuletzt, da in ihrer Gegenwart absichtlich nicht davon gesprochen wurde. Dennoch konnte ihnen auf die Länge der Zeit das stadtkundige Geheimniß nicht verschwiegen bleiben.
Wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf Haller die Mittheilung, welche ihm endlich ein ehrlicher Freund so schonend als möglich machte. Ahnungslos hatte er die Nachrichten der Zeitungen über das vielbesprochene Bild und die Andeutungen der Blätter über das Original gelesen, ohne nur daran zu denken, daß seine Frau damit gemeint sein könne.
Auch jetzt zweifelte er noch an der Wahrheit. Mit seinen eigenen Augen wollte er sich überzeugen, bevor er Julie zur Rede stellte und einen festen Entschluß faßte. So ging er jetzt nach der Kunstausstellung, um selbst das Bild zu sehen.
Er hatte absichtlich eine frühe Stunde zu dem Besuch gewählt. In dem großen Saale war es kalt und leer; nur der Galeriediener lehnte verschlafen an dem Thürpfosten. Mit zagendem Schritt und laut pochendem Herzen näherte sich Haller der Wand, an der das Gemälde an einem besonders hervorragenden Platz hing. Kaum wagte er das Bild mit seinen Blicken zu streifen, von Scham und Furcht bestürmt.
Dort prangte seine Frau in berückender Schönheit, mit allen Reizen, welche das von den blendenden Schultern herabgesunkene Gewand enthüllte und den lüsternen Blicken der Beschauer preisgab. Wie ein dämonischer Spuk, wie ein Blendwerk der Hölle trat Julie ihm aus dem goldenen Rahmen entgegen, gleich einem gefallenen Engel, bezaubernder als je, aber für immer entehrt und für ihn verloren.
Bei diesem Anblick erfaßte Haller ein nie zuvor gekannter Schmerz, ein wilder Zorn. Das Gefühl seiner Schmach überwältigte den sonst so starken und ruhigen Mann, daß er sich kaum aufrecht halten konnte und fast die Besinnung verlor. Nur die Gegenwart des Dieners hielt ihn ab, das verhaßte Bild zu zerstören, daß es Niemand mehr sehen sollte.
Blitzschnell jagten sich die Gedanken; nur ihn hätte er vor diesem Bilde treffen mögen, den Räuber seines Glücks, den Schänder seiner Ehre, um ihn zu tobten und mit dem Verräther das schuldige Weib zu strafen. Nach und nach kehrte Hallers Besinnung zurück; er suchte sich zu beherrschen, da inzwischen einige Besucher den Saal betraten und ihn daraus vertrieben.
Gebrochen, verzweifelnd, über finstere Entschlüsse brütend, schwankte Haller wie ein zu Tode Verwundeter nach seiner Wohnung. Julie war nicht zu Hause; so hatte er wenigstens Zeit, sich zu sammeln, zu überlegen. Er wollte sie nicht ungehört verdammen, nicht im Zorn handeln, aber sie auch nicht schonen, wenn sie wirklich schuldig war.
Nachdem er seinem Diener die Weisung gegeben, keinen Fremden vorzulassen und ihm zu melden, wenn seine Frau zurückgekehrt sein würde, zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück, um ihre Ankunft zu erwarten. Sobald er sich allein sah, überließ er sich von neuem seinen unbeschreiblichen Leiden, kämpfte er den schweren Kampf der Liebe mit der Ehre.
Er liebte sie noch immer gegen seinen Willen und seine Ueberzeugung, der dämonischen Macht der Leidenschaft erliegend. Nie war sie ihm reizender erschienen, als in diesem Augenblick, da er an ihre Untreue glauben mußte. Der Gedanke, daß sie einem anderen angehörte, machte sie nur begehrungswerther und die Eifersucht schürte nur noch die Flammen seiner glühenden Neigung für die schöne Sünderin. Aber stärker als seine Liebe war das Gefühl der Ehre, das Bewußtsein seiner Schmach, des ihm zugefügten Schimpfes. Mit übermenschlicher Anstrengung überwand er seine Schwäche, riß er sich mit blutendem Herzen von dem treulosen Weibe los.
»Ich kann, ich darf nicht,« stöhnte der Unglückliche, mit sich ringend, »selbst wenn ich ihr verzeihen wollte. Ich bin es meiner Ehre, meinem Namen, meiner Stellung schuldig. Mit Fingern würden sie auf mich weisen, mich verlachen und verachten. Besser ein schnelles, schmerzliches Ende, als diese Schmach eines ganzen Lebens.«
Trotz dieses männlichen Entschlusses konnte Haller sich nicht einer unbeschreiblichen Aufregung erwehren, als der Diener ihn in diesen qualvollen Betrachtungen unterbrach und ihm die Rückkehr seiner Frau meldete. Zögernd, mit schwerem Herzen trat er in das Zimmer, in dem Julie ahnungslos ihn erwartete. Bei dem Anblick des bleichen Mannes mit dem verstörten Gesicht erschrak sie unwillkürlich, von banger Furcht und dem Bewußtsein ihrer Schuld ergriffen.
»Mein Gott!« sagte sie sich bestürzt. »Er scheint alles zu wissen. Was wird er thun?«
Eine tiefe peinliche Stille herrschte in dem Zimmer, keines von beiden wagte das düstere Schweigen zu unterbrechen, als fürchteten sie durch ein Wort das schlummernde Verderben zu wecken. Mit ängstlich forschenden Blicken beobachtete Julie jede Miene, jede seiner Bewegungen, während er finster vor sich niederstarrte, ohne sie anzusehen.
»Wie mir der Diener mittheilte,« begann sie scheu, nachdem sie sich mühsam gefaßt hatte, »wolltest Du mich sprechen. Was wünschest Du von mir?«
»Ich komme aus der Kunstausstellung,« versetzte er mit bebender Stimme, »und habe dort Dein Bild gesehen.«
»Mein Bild!« rief sie zusammenfahrend. »Ich begreife nicht –«
»Du kannst Dir die Mühe sparen,« unterbrach er sie heftig, »mich länger täuschen zu wollen. Ich weiß, daß Du mich schändlich hintergangen, den Professor Werner in seinem Atelier heimlich besucht und ihm als Modell zu seiner »Psyche« gedient hast.«
»Das leugne ich auch nicht. Es war nicht recht, es war leichtsinnig von mir, daß ich mich überreden ließ; aber ich schwöre Dir, daß ich mir sonst nichts vorzuwerfen habe, daß ich keineswegs so schuldig bin, wie Du glaubst.«
»Genug, mehr als zu viel!« brach er empört los. »Meinen guten Namen hast Du entehrt, meinen Ruf vernichtet, mich beschimpft und dem Gespött der Welt preisgegeben. Ich habe Dir blind vertraut, Dich auf Händen getragen und Dich mehr geliebt, als mein Leben, – und zum Dank dafür hast Du mich getäuscht, betrogen, mir alles geraubt, was dem Manne das Theuerste ist, meine Ehre befleckt, meine Liebe mit Füßen getreten.«
Von seinen gerechten Vorwürfen ergriffen, von seinem tiefen Schmerz erschüttert und zugleich von Furcht vor seinem Zorn erfüllt, stand Julie stumm da und weinte heiße Thronen einer ohnmächtigen Reue.
»Verzeihung!« schluchzte sie nach einer Pause. »Vergieb mir! Ich glaubte wirklich nicht –«
»Mag Dir Gott verzeihen,« erwiderte er traurig, aber fest, »ich kann es nicht. Ich muß, ich muß, so schwer es mir auch fällt –«
»Um des Himmels willen!« schrie sie entsetzt auf. »Was sinnst Du? Was willst Du thun?«
»Was meine Ehre verlangt. Es bleibt mir keine Wahl; wir müssen uns scheiden lassen.«
»O mein Gott!«
Julie weinte still vor sich hin; doch im geheimen athmete sie wieder auf, wie von einer schweren Last befreit. Sie hatte einen weit furchtbareren Ausbruch befürchtet; die Trennung von dem ungeliebten Manne konnte sie weder überraschen noch schmerzen.
»Ich bin,« sagte sie zerknirscht, »mit allem zufrieden, was Dir gut scheint. Das beste wird wohl sein, wenn wir auseinandergehen. Ich sehe ein, daß ich fehlte, und muß die Folgen meines Leichtsinns tragen, wenn ich auch nichts Schlechtes gethan habe.«
Gerührt von ihren Thränen und getäuscht von ihrer demüthigen Resignation, fühlte Haller ein tiefes Mitleid mit der schuldigen Frau, die selbst in diesem ernsten Moment ihre natürliche Liebenswürdigkeit nicht verleugnete und durch ihre Anmuth seinen Zorn entwaffnete.
Zugleich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß auch er nicht ganz frei von jeder Schuld sei und durch seine allzugroße Strenge, durch seine fortwährenden Ermahnungen und Forderungen sie verletzt und ihre Liebe verscherzt habe. Er entschuldigte die leichtsinnige Frau mit ihrer Jugend und dem schlechten Beispiel ihrer Angehörigen und beklagte die Ungleichheit ihrer beiderseitigen Lebensansichten und den Mangel an Lebensharmonie, ohne ihr daraus einen Vorwurf zu machen.
»Geschehene Dinge,« sagte er in milderem Tone, »lassen sich nicht mehr ändern, aber wir wollen wenigstens den äußeren Anstand wahren und uns in aller Güte trennen. Von Deinem mitgebrachten Vermögen und einer Jahresrente, die ich Dir aussetzen will, wirst Du standesgemäß leben können.«
»Du bist gut wie immer, aber ich darf von Dir nichts mehr annehmen.«
»Darüber wirst Du zuvor mit Deiner Mutter und dem Onkel Heinrich sprechen, auch den Rath Deines juristischen Beistandes hören. Ich selbst will meinen Anwalt, unseren gemeinschaftlichen Freund, beauftragen, diese Angelegenheiten zu ordnen und zugleich einen schicklichen Scheidungsgrund ausfindig zu machen.«
»Das alles,« erwiderte sie mit reizend traurigem Lächeln, »überlasse ich ganz Deinem Ermessen, da ich von diesen Dingen nichts verstehe. Ich weiß nur, daß ich Dir vertrauen darf und daß Du es gut mit mir meinst, weit besser, als ich es um Dich verdient habe.«
Es schien in der That, als ob Julie es nur darauf abgesehen hätte, ihm durch ihren Liebreiz den Abschied nur noch schwerer zu machen, als er ihm ohnehin schon fiel. Er mußte seine ganze männliche Festigkeit zusammennehmen, seine ganze Energie aufbieten, um seinen Schmerz zu beherrschen und seinem Vorsatz treu zu bleiben.
»Ich stelle Dir auch frei,« sagte er nach einer längeren Pause, »ob Du hier in meinem Hause die Scheidung abwarten oder zu Deiner Mutter ziehen willst.«
»Wenn Du nichts dagegen hast, werde ich heute noch zu meiner Mutter zurückkehren, da ich Dir nicht länger zur Last fallen möchte, und es auch für passender unter solchen Verhältnissen halte.«
»Wie es Dir beliebt.«
»So lebe wohl!«
Sie reichte ihm die Hand hin, mit freundlichen Blicken, als gelte es einen Abschied für wenige Stunden. Er schien es nicht bemerken zu wollen; dann aller, als bereute er seine Härte, berührte er mit zitternder Hand leise ihre Finger.
»Lebe wohl!«
Wenige Minuten darauf verließ Julie das Haus ihres Mannes für immer. Hinter den Fenstervorhängen verborgen, sah Haller ihr schmerzlich nach, bis sie an einer Straßenbiegung ihm wie ein kurzer, unvergeßlicher Traum entschwand. Erst dann brach er zusammen, als ob der Tod ihm das Liebste geraubt, und tief erschüttert trauerte er um sein verlorenes Glück.