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Auf der Burg Lichtenstein hat zuletzt der Raubritter Bruno von der Linden gewohnt. Den haben die Bauern immerfort verfolgt, sie haben ihn aber niemals fassen können. Wenn sie gedacht haben, der Ritter wäre dorthin geritten, und haben ihn verfolgt, so ist er auf der entgegengesetzten Seite gewesen, denn er hat seinen Pferden die Hufeisen verkehrt unterschlagen lassen. Nur einmal haben ihn die Bauern in die Enge getrieben, da ist er nach den Katzensteinschen Klippen geflohen, sein Pferd hat da den Hals eingestürzt, er ist aber vermöge seines weiten Mantels vom Wind hinübergetragen ins Harzholz.
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Nicht weit vom Lichtenstein ist ein Brunnen, an diesem hat jeden Mittag ein Schäfer gehütet und seine Schafe da getränkt. Eines Mittags, als er auch da war, kam unter einem Stein eine große Schlange hervor und sah ihn freundlich an. Er war dabei zuerst ganz ängstlich, faßte sich aber, und ward zuletzt ganz vertraulich mit der Schlange. Diese ist gerade eine Stunde draußen geblieben. Den zweiten Mittag kam die Schlange wieder hervor, hatte sich aber vom Kopf an in einen halben Menschen verwandelt, und sprach zu dem Schäferknaben: er sollte sich morgen ein Herz fassen, und der Schlange, die morgen Mittag zum Vorschein käme, einen Kuß geben, es würde auf ewig sein Glück sein.
Den andern Mittag kam die Schlange auch richtig unter dem Steine hervor, kroch an dem Schäfer in die Höhe und wollte ihn küssen. Erst hatte der Schäfer einen Ekel vor ihr, drückte aber die Augen zu und gab ihr einen süßen Kuß. Sowie das geschehen war, stand eine wunderschöne Prinzessin mit Leib und Seele vor ihm. Da hat der Schäfer seine Schafe im Stiche gelassen, ist mit der Prinzessin nach dem König gereist und hat sie da geheirathet.
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Auf dem Lichtenstein zwischen Dorste und Osterode hört man oft einen Gesang und ist doch Niemand sichtbar. Der Spielmann Wolf sah dort aus einem Loche einmal wol dreißig Schüler in blauen Zarschmänteln hervorsteigen und singend in den reinsten Tönen und ohne nur einmal im Singen anzuhalten, wie eine gute Currende auch nicht muß, bis nach dem Buchenholze gegenüber hingehen, wo zu Himmelfahrt das Fest gefeiert wird, das die Oesteröder den Füllenmarkt nennen, weil die jungen Leute dort so gern über den Strang schlagen. Wer aber dann, wenn die Schüler aus der Grube gestiegen sind, das Herz hätte, dahinein zu steigen, der könnte große Schätze herausholen. Der Spielmann Wolf hatte es nicht, darum ist er als ein armer Teufel gestorben.
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Bei Dorste auf dem Lichtensteine haben schon viele Leute eine Laterne wandeln sehen. In dieser Gegend hatte einmal ein Frachtfuhrmann mit seinem Wagen ein geringes Unglück und wünschte sich: ach, hätt' ich doch nur eine Laterne hier, wie leicht wollt' ich das repariren! Da stand auf einmal die Leuchte neben ihm und leuchtete ihm so hell wie drei Lampen. Da brachte der Fuhrmann rasch seinen Wagen in Ordnung, und wie er fertig war, wünschte er Dem, der ihm geleuchtet hatte, dreimal den Himmel und die ewige Seligkeit. Da erschallte eine Stimme, die sagte: Das helfe ihm Gott sprechen, auf dies Wort hätte sie, die Stimme, schon viele hundert Jahre gelauert. Empfahl ihm auch schließlich, wenn ihm einmal wieder von unsichtbarer Hand geleuchtet würde, nicht zu fragen, wer es wäre, und verschwand. Aber so hell ist es doch geblieben, daß der Führmann hat können den Weg sehen, bis er nach Osterode gekommen ist.
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Bei Dorste zwischen Osterode und Northeim liegt der Hütteberg. Er ist gegen vierzig Fuß hoch, auf ihm liegt Acker und wächst etwas kleines Buschwerk. Dahinter an der linken Seite zieht sich in der Schlucht eine Wiese herauf, der Harenbergsgrund, und unter dem Berge geht der Freifluß der Söse. Neben diesem Berge liegt auch eine Papiermühle und ein großer Garten. In diesem Garten wohnt der Gärtner Steinberg, und dieser will behaupten, – so erzählte mir ein Arbeitsmann aus Dorste – er habe in dem Hütteberge und auch in dem nahen Söseberge noch viele Zwerge gesehen. Dies müssen doch wol nur einzelne Marodeurs gewesen sein: denn schon vor hundert Jahren ist das Heer der kleinen Leute aus Dorste abmarschirt. Bevor die Kinder getauft sind, sind sie auch dort gekommen und haben gewaltig danach getrachtet, sie wegzufangen. Nach der Taufe soll es so schlimm nicht mehr gewesen sein. Auf dem Hütteberg und dem Söseberg sind sie ins Feld gegangen, haben da ihren Kram gehabt und sich ihre Nahrungsmittel fortgeholt. Dabei haben sie gesungen:
Düt is gut, düt is gut,
Dat de Buer dat nich weit (weiß),
Dat de Sunne et Nachts Klocke twölwe upgeit.
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Vor vielen hundert Jahren stand da, wo jetzunder die Herrenkirche ist, ein Dorf, das auch Herrkirche hieß. In einem Kriege wurde es dem Boden gleich gemacht und seine Bewohner zogen nach Dost (Dorste). Seit dieser Zeit läßt sich hier alte hundert Jahr auf der Herrenkirche eine weiße Jungfer sehen, und wer dann zufällig in der Nähe ist, kann sein Glück machen. Die Jungfrau kommt aus einer von alten Eichen beschatteten Quelle hervor und sieht sie einen Menschen, so geht sie auf ihn zu und bittet, daß er doch eine Molle voll Geld annehmen möge. Wer nun dreist genug ist und über die Molle eine schon in der Kirche getragene Weste deckt, bekommt das Geld in die Hände und erlöst dadurch die Jungfrau. Wer aber das Halstuch darüber deckt, dem dreht sie den Hals um. Wird Jemand graulich und läuft davon, so versinkt sie wieder auf hundert Jahre mit einem lauten Quiek in den Born. Noch jetzt lebt in Dorste ein Mann, der die Jungfrau gesehen haben will, aber aus Furcht davongelaufen ist. Den öden Anger mitten im Felde, eine halbe Stunde von Dorste, wo sie erscheint, betritt noch jetzt Niemand, ohne an sie zu denken.
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In Förste lebte früher eine große Anzahl Juden, die aber nachher durch eine Revolution der Bauern gegen sie vermindert wurden. Diese Revolution brach auf folgende Weise aus. Die Christen in Förste hielten sich einen Dachdecker, der ihnen was decken mußte, die Juden hielten sich auch einen Dachdecker, der Jude sein mußte. Der Christendachdecker deckte eines Tages bei seinem Nachbar auf dem Dache Ziegel, aber unglücklicherweise hatte es ein bischen gemisselt (fein geregnet) und der Dachdecker rutschte beim Decken aus und fiel einem Juden, der unten gerade vorbeiging, auf den Kopf, sodaß derselbe todt niederstürzte. Ueber diesen Vorfall empörte sich die ganze Judenschaft und verklagte die Christen in Rom bei dem Papste. Der Papst, welcher den Juden auch nicht gut war, fällte folgendes Urtheil: Es sollte der Judendachdecker auf ein Dach steigen, und einen Christen, der unten vorbeiginge, todtfallen. Als nun dieses Urtheil kam, hielten es die Juden für günstig, um sich für den todtgefallenen Juden zu rächen, und der Dachdecker mußte sogleich auf dem Tempel steigen, denn sie meinten, wenn er sich vom Tempel herunter auf den Christen stürzte, würde Gott ihm beistehen, Es kam denn auch bald ein Christ an, und der Judendachdecker stürzte sich sogleich von der Zinne des Tempels herunter, fiel aber nicht den Christen todt, sondern sich selbst, weil er vorher nicht gezielt hatte. Hiermit waren die Juden noch nicht zufrieden, und weil sie keinen Dachdecker mehr hatten, so stellte sich ein Jeder selbst auf sein Dach, lauerte einem Christen auf und stürzte sich herunter; aber kein Einziger fiel einen Christen todt. Nach dieser Periode wurden die Juden seltener in Förste, nur ein paar Familien, die vernünftiger waren, blieben, und ihre Nachkommen leben noch in Förste.