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Motto:
Die Schwalben kehr'n wieder,
Wenn der Winter vorbei –
Der Mensch nur, wenn er fortgeht
Kehrt nimmermehr.
(Aus dem Mailüftl.)
Es kam nun der heiße Sommer des Jahres 1855, wo sich monatelang kein Wölkchen am Himmel sehen ließ; es flimmerte Italiens heiße Luft wie in einem Glühofen; die Zikaden auf den Maulbeerbäumen zirpten wie rasend, denn, wie bekannt, ist die Junihitze ihr Element.
Besorgt schaute Joseph in das Antlitz seiner Pepi, denn es war entsetzlich bleich geworden. Sie sagte zwar, daß sie sich wohl fühle, aber ihr Antlitz sagte das Gegenteil; Joseph fürchtete, die große Hitze möchte die Gesundheit Pepis untergraben, da sie das heiße Klima nicht gewohnt war. Er drang daher in sie, daß sie die drei ärgsten Sommermonate sich nach Innsbruck begeben möchte.
Lange widerstand Pepi dem Zureden des Joseph, denn wie sollte sie ihr Teuerstes auf Erden auf drei lange, lange Monate verlassen; doch als es ihr der deutsche Kaplan sogar als Gewissenssache ans Herz legte, da gab sie endlich nach, aber mit schwerem Herzen.
Am 13. Juni fuhr sie unter Tränen nach Innsbruck ab; ihr Herz ließ sie bei Joseph zurück. Man versprach, alle 14 Tage zu schreiben.
Wie leer kam es nun Joseph im Hause vor, und wenn er von der Kanzlei nach Hause kam, meinte er immer, er müsse die Pepi ihm entgegenhüpfen sehen.
Joseph hatte beschlossen, in Abwesenheit seiner Frau sich selbst den Koch zu machen, und darum hatte er sich die Kochkunst von Pepi abgeschaut. Das Weib, welches sonst die Pepi bediente, mußte, während er in der Kanzlei war, das Rindfleisch sieden. Aber gleich das erstemal hatte Joseph mit seiner Vizeköchin Malheur.
Die Italienerin hatte noch nie ein Fleisch gesotten, und als ihr Joseph vor dem Weggehen das Eisenhäfelein, worin das Fleisch aufbewahrt wurde, übergeben hatte, setzte sie es ans Feuer.
Als Joseph um 12 Uhr nach Hause kam, stand die Italienerin am Häfelein und goß mit einem Löffel immer Wasser an das nicht gesottene, sondern gebratene oder vielmehr verbrannte Fleisch.
Herr Kommissär, sagte sie, ich stehe nun seit 8 Uhr hier bei dem Häfelein und habe keine Suppe zuwege bringen können, immer sott das Wasser ein, obgleich ich immer nachgegossen habe.
Joseph mußte, ungeachtet er nun kein Mittagessen hatte, hellauf lachen; er sagte gelassen: Da hättet Ihr das Fleisch in einen größeren Hafen geben und Wasser hineingießen sollen, dort oben sind ja der Häfen genug. Dieses kleine Häfelein war ja nur zum Aufbewahren und nicht zum Sieben bestimmt.
Joseph schenkte das verbrannte Fleisch der Italiana und schickte sie um ein Essen ins Gasthaus.
Am anderen Tage ging es besser. – Nur am Sonntage nahm sich Joseph Zeit, seine Kochkunst ins Feine auszudehnen; dort kochte er Tiroler Knödel, und er schmeichelte sich, daß er dieses Handwerk sogar besser verstehe als seine liebe Pepi.
Dieses alles schrieb Joseph an seine Pepi nach Innsbruck, ja noch viel mehr, besonders, daß er fast vor Langweile sterbe. Nach 14 Tagen erhielt Joseph einen Brief von Pepi, worin sie schrieb, daß sie glücklich in Innsbruck angekommen sei, und daß sie den ganzen Tag in Gedanken bei ihm sei. Sie könne den Tag nicht erwarten, wo er ihr die Erlaubnis gebe, in seine Arme zu fliegen.
Dem Joseph diente seine Kocherei einigermaßen zur Zerstreuung, nur die Abende kamen ihm entsetzlich lang vor, und wenn er bei den Fratti-Zoccolanti betete, erinnerte er sich lebhaft an seine Pepi.
Noch war Pepi nicht drei Wochen fort, hörte man in T..... sagen, daß vom Süden Italiens der asiatische Würgengel, die Cholera, heraufrücke. Die Furcht der Bewohner T..... war unbeschreiblich.
Joseph mußte mit der politischen Kommission die Wohnungen untersuchen, ob sie wohl nicht sanitätswidrig seien. Alle Vorsichtsmaßregeln gegen die Cholera wurden getroffen. Es wurde eine Art Kontumaz eingeführt; schon soll der Würgengel sechs Stunden von der Stadt viele Opfer fordern.
Joseph fürchtete sich zwar vor dieser Geißel Gottes, denn es wäre doch hart gewesen zu sterben, ohne sich von Pepi die Augen zudrücken zu lassen, aber er dachte sich: Ich stehe am Ende doch in Gottes Hand, sein Wille geschehe, und so ließ er halt den lieben Herrgott walten.
Es war am Morgen des 19. Juli, da war in T..... eine große Volksbewegung, alles lief zur Porta Maria Teresa hinaus. Joseph, der am Fenster stand und nicht wußte, was es gäbe, ging auch hinaus nachzusehen.
Da standen einige Hunderte von Menschen vor einem Hause und gafften nach dem zweiten Stockwerke eines Schmiedhauses hinauf. Ärzte traten eben aus der Haustür. Joseph fragte sie, was denn der Zusammenlauf von Menschen zu bedeuten habe.
Il cholèra morbus ist ausgebrochen, sagte einer der Ärzte.
Nò, nò, sagten die anderen. Eine Vergiftung mittels Grünspan hat in diesem Hause drei plötzlich getötet.
Eine Vergiftung, nicht die Cholera hat diese drei hinweggerafft, so hieß es in der Stadt; so wollte man das Dasein des gräßlichen Würgengels leugnen und sich die Angst wegdisputieren, und wirklich hörte man nach diesen drei Todesfällen einige Tage nichts mehr, man begann wieder aufzuatmen.
Um diese Zeit traf in der Nähe der Stadt bei St. Apollinaris das Kirchweihfest ein; es wurde dies gewöhnlich mit allerhand Spektakel gefeiert, die mit der Kirche gar nichts gemein hatten; es gab Feuerwerke, Tänze und Volkstheater.
Da kam ein 70jähriger Greis zu Joseph um Tanzbewilligung für den Kirchweihtag zu St. Apollinaris.
Wie, fragte Joseph, Ihr alter Tor denkt noch ans Tanzen?
Der Alte: Ich tanze nicht, aber meine Söhne möchten ein paar Sprünge machen.
Joseph: Schämt Euch, Euren Söhnen in solchen Dingen als Handlanger zu dienen; Ihr würdet besser tun, sie in die Kirche zu schicken. Jetzt an das Tanzen denken, wo die schreckliche asiatische Pest uns am Halse sitzt.
Der Alte: Dieselbe kommt zu uns nicht, wir fürchten sie nicht; wo es lustig hergeht, steckt der Tod seine Nase nicht hinein.
Joseph: Leichtsinniger Mann, sehet zu, daß Gott Euch nicht für Euren Frevel strafe. Ich einmal gebe Euch die Tanzbewilligung nicht. Gehet.
Eben ging es auf dem Tanzboden am Apollinaristage auf und darüber, das Volkstheater war auch dicht besetzt, da ertönt auf einmal in den Jubel hinein das traurige Wort: »Die Cholera ist da, vier Opfer hat sie soeben in der Nachbarschaft gefordert, fliehet, der Tod ist da!«
Nun stob alles in wilder Flucht auseinander, in ein paar Minuten war der Tanzboden und das Theater öde, still und leer. So endete der Apollinaristag, der, mit Jubel begonnen, gar traurig, denn nur in dem kleinen Borgo Sankt Apollinaris waren abends schon sieben Leichen, darunter der Alte, welcher die Tanzbewilligung sich vom Oberkommissär geholt hatte, da der bigotte Kommissär niemand eine Freude erlauben wollte.
In der Stadt selbst war ein panischer Schrecken, wer nur immer konnte, flüchtete sich hinauf auf die höher gelegenen Villen, wo die böse Luft nach ihrer Meinung nicht hinaufreichen konnte. Kaum noch 3000 Leute blieben in der Stadt zurück.
Da ging es dann aus einem ganz anderen Tone. Man sah nichts als hin und her rennende Doktoren und Geistliche, die stillschweigend das Viatikum zu den Sterbenden trugen, Kranken- und Totenbahren; es wurde die Sterbe- und Versehglocke gar nicht mehr geläutet, sonst hätte sie den ganzen Tag ertönen müssen; die Leichen wurden meistens zur Nachtzeit in den Friedhof hinausgetragen, keine Leiche durfte über Nacht in der Stadt bleiben.
Da sah man überall das Volk vor den Madonnenbildern auf den Gassen knien; man hörte, wie sie bei dem Scheine vieler Lichtlein laut zum Herrn um Barmherzigkeit flehten; öffentliche Gebete, Bußgänge und Prozessionen wurden angestellt, und selbst da fiel der eine oder andere zu Boden, fing entsetzlich zu jammern und heulen an, und nach ein paar Stunden war er eine Leiche.
In Josephs Hause war auch alles flüchtig geworden, nur eine alte, arme Öbstlerin wohnte noch im Hause unter dem Dache. Mit dieser hatte Joseph die Verabredung getroffen, daß sie, wenn sie ihn rufen höre, sogleich den Priester holen solle, Arzt brauche er keinen; sollte aber sie von dem Übel ergriffen sein und rufen, so werde er das gleiche tun.
Es war gewiß für Joseph ein unheimliches Gefühl, so ganz allein zu sein, während der würgende Gast Tag und Nacht in den Häusern herumschlich und sich seine Opfer suchte.
Nun gefiel ihm sein Kochgeschäft zu Hause ganz und gar nicht mehr; er beschloß, in ein Gasthaus zur Kost zu gehen und sich ein wenig zu zerstreuen. Nur das Frühstück machte er sich selbst.
In einer Nacht hatte ihm geträumt, daß in dem Hause rückwärts von seiner Wohnung, wo sieben Eisenbahnarbeiter wohnten, einer der Arbeiter an der Cholera erkrankt und versehen worden sei. Als Joseph den folgenden Tag abends heimkehrte und die Milch abholte, welche ihm die Bäuerin immer auf den rückwärtigen Söller stellte, erinnerte er sich an diesen Traum und schaute unwillkürlich hinüber in die Wohnung der Eisenbahnarbeiter. Wirklich standen im Vorhause auf einer Bank zwei Leuchter mit brennenden Kerzen.
Der Traum ist wahr geworden, denkt sich Joseph. Er schaut und horcht lange, ob nicht bald der Geistliche ein- oder ausgehe; doch nichts regte sich, es war eine schauerliche Stille. Endlich erblickte Joseph einen menschlichen Leib am Boden liegen; gräßlich verzerrt waren seine Gesichtszüge, die Haare standen verworren und wild empor; er regte sich nicht mehr, es war eine Choleraleiche. Die Kameraden hatten ihr noch diese Lichter vor ihrer Flucht hingesetzt, um doch ein christliches Zeichen dort zu lassen.
Joseph hatte das Schlafzimmer der Ruhe wegen in den hinteren Teil seiner Wohnung verlegt; nun hätte er den Choleratoten fast gerade vor seiner Nase gehabt, darum wanderte er noch in jener Nacht mit seiner Bettstätte in den vorderen Teil seiner Wohnung.
Von nun an nahm Joseph die ganze Verpflegung im Wirtshause.
Es war diese Cholerazeit eine gar traurige, ernste Zeit, eine wahre Mission, die der Herr geschickt; dieser Würgengel war ein Prediger, der die Leute zu dem Kreuz und zu dem lieben Herrgott trieb; denn niemand konnte sicher sein, ob er nicht in ein paar Stunden in den Friedhof hinabgetragen werde als Leiche.
So erging es auch dem Wirte, zu dem Joseph manchmal hinkam. Abends 10 Uhr hatte er noch mit Joseph gesprochen. Um Mitternacht packten ihn Krämpfe, und um sie zu vertreiben, trank er nacheinander 12 Gläser Absinth, und als Joseph um 8 Uhr früh an dem Hause vorbeiging, stand schon seine Leiche unter der Türe, um weggetragen zu werden. Schon um 4 Uhr Früh war er verschieden.
Da Joseph alle Tage den Cholerabericht an die Statthalterei machen mußte, so wußte er allemal genau, wie viel neue Erkrankungen und wie viele Tote in der Stadt waren; es war dies für ihn ein trauriges Geschäft. Die Krankheit war immer im Steigen bis Mitte August. Am 10. August lagen in den Hallen des Friedhofes nicht weniger als 31 Leichen, Joseph hatte sie abgezählt; wie schauerlich ernst blickten diese Toten alle von dem Gerüste herab, auf dem sie lagen.
Endlich sank die Zahl der Todesfälle in der Stadt immer mehr herab, dafür aber begann sie um so heftiger auf dem Lande aufzuräumen. In dem Dorf B....... mit 900 Seelen starben an einem Tage 12 Personen, in dem Weiler M...., wo eine Gruppe Häuser mit 93 Personen waren, starben davon 31; noch ärger hauste es im Dorfe D...., wo bei einer Bevölkerung von 600 Seelen in zwei Tagen 65 Personen der Seuche erlagen.
Da wurden des panischen Schreckens wegen alle Familienbande aufgelöst; der Sohn überließ den totkranken Vater seinem Schicksale, der Vater seinen Sohn, der Gatte seine Gattin. Zuerst warfen sie die Toten auf die Gassen und ließen sie liegen; endlich floh alles, was noch gehen konnte, in den Wald hinaus. Alle Ortsgeistlichen waren der Krankheit erlegen, und das Dorf D... war ein großes Leichen- und Krankenhaus; die noch lebenden Kranken waren in Gefahr, wenn nicht der Seuche, doch dem Mangel an jeglicher Hilfe und Pflege zu erliegen.
Die Anzeige hiervon kam nach T..., und es wurde eine politische Kommission abgeordnet, Hilfe zu bringen. Den Joseph ärgerte diese entsetzliche Todesfurcht der Italiener sehr, denn ein Kind, meinte er, hätte in Deutschland seinen Vater nie verlassen, und selbst wenn ihm der Tod gewiß gewesen wäre. Dieser Mangel an Aufopferung befremdete ihn, daher beeilte er sich auch, mit den zur Aushilfe herbeigekommenen deutschen Ärzten Hilfe zu bringen. Die Toten wurden begraben, Filanden wurden ausgeräumt und Spitäler daraus gemacht, Fleisch, Strohsäcke, Decken und abgehärtete Wärter hatte man aus der Stadt mitgebracht, und bald waren alle Kranken, die schon dem Verschmachten nahe waren, versorgt.
Dann ging man hinaus in die Wälder und trommelte die feigen Hasenfüße zu den Ihrigen zurück, denn am Ende mußten sie sich doch schämen, daß Fremdlinge und bezahlte Wärter weit her kämen, um ihre Toten zu begraben und ihre Kranken zu besorgen.
Es fehlte mitunter bei allem Entsetzen auch nicht an Szenen, welche zeigen, daß die niederen Leidenschaften selbst auf den Totenfeldern ihren Schauplatz aufschlagen.
Ein Bewohner von D.... wußte, daß einer seiner choleraflüchtigen Nachbarn 100 Gulden Geld mit hinaus in den Wald genommen hatte. Die Symptome der Krankheit hatte der Flüchtige schon bei seinem Weggehen an sich. Dieser, dachte sich der gesunde Mann, wird's auch nicht lange machen; gehe nur Nachbar, dein Geld wird dir wenig mehr nützen.
Nach ein paar Stunden geht der geldsüchtige Mann hinaus in den Wald, um irgendwo die Leiche des Nachbars anzutreffen, ihm die unnütz gewordenen 100 Gulden abzunehmen und für sich zu behalten, wer wird in der allgemeinen Verwirrung dies bemerken?
Bald hatte er seinen Nachbar getroffen, er lag als Leiche unter einem Eichengestrüppe. Niemand war in der Nähe, und sohin wurde der Tote seiner Barschaft beraubt.
Der verruchte Räuber ging ins Dorf zurück, doch kaum eine Viertelstunde nach der Beraubung war verflossen, packte auch ihn das tötende Übel, in zwei Stunden war auch er eine Leiche. Noch sterbend hatte er einem der Dorfbewohner sein Verbrechen bekannt und ihm das Geld zur Rückerstattung übergeben. Was hatte ihm also seine freche Tat genützt?
Der Monat September kam daher, und mit der kühleren Jahreszeit wich auch allmählich der unheimliche Gast. Die Stadt belebte sich wieder, man atmete freier auf, und die Geschäfte gingen wieder ihren gewöhnlichen Gang. Nur die vielen frisch aufgeworfenen Gräber im Friedhöfe gaben noch Zeugnis von der großen Ernte, die der Tod in drei Monaten gehalten.
Pepi hörte in einem fort von dem entsetzlichen Wüten der Cholera in Italien erzählen, und ihr lieber Mann war dort allein und ohne jegliche Hilfe, falls er erkranken sollte. Immer wollte sie hineilen zu Joseph, denn es war ihr erschrecklich, nicht bei ihm zu sein und jede Gefahr mit ihm zu teilen. Alle Tage mußte sie fürchten die Nachricht zu bekommen, daß auch ihr Mann von der Seuche ergriffen und ihr zum Opfer gefallen sei. Joseph schrieb jedoch alle 14 Tage und gab der Schwägerin den strengsten Auftrag, sie nicht von Innsbruck wegzulassen, da die Übersiedlung von einem gemäßigten Klima in das heiße fast sichere Ansteckung zur Folge habe.
Diese drei Monate waren der Pepi fast noch schrecklichere Zeiten als selbst dem Joseph, denn es ist beinahe leichter, dem Tode unmittelbar ins Antlitz zu blicken, als bei den Tausenden von beunruhigenden Gerüchten in ewiger Furcht zu schweben. Wie sehr sehnte sich Pepi, aus ihrer Verbannung erlöst zu werden; wie sehr seufzte sie nach dem Brief, der endlich sagen werde: Jetzt kannst du kommen!
Doch auf einmal stand Joseph selbst vor ihr, zwar etwas gebräunt, aber gesund und frisch aussehend. Er war nach Innsbruck gekommen, sie wieder heimzuführen. Fast wäre Pepi wegen der plötzlichen Überraschung in Ohnmacht gesunken.
Nun geh' ich nie, nie mehr von dir weg, sprach Pepi, sich fest an Josephs Arme hängend, denn solchen Kummer, solche Angst würde ich zum zweiten Male nicht mehr überleben! Gelt, du versprichst mir, mich nicht mehr von dir fortzuschicken, bis uns der Tod scheidet?
Und Joseph mußte es versprechen.
An der Seite ihres lieben Mannes kehrten nun die Rosen bald wieder auf die Wangen der vor Kummer blaß gewordenen Pepi; ihre heitere Laune und das holde Lächeln auf ihrem Gesichte kehrte auch wieder zurück. Nun war der böse, schwere Traum vorübergezogen.
Joseph hatte zu seiner Erholung einen Monat Urlaub erhalten, welche Zeit er mit Pepi teils in Innsbruck, teils bei den Eltern in Großkirchen zubrachte; dann ging es wieder fröhlich hinein nach Italien, wo beide im häuslichen und religiösen Leben sich unendlich glücklich fühlten.
Weder Theater noch Gesellschaften noch Bälle wurden besucht, wohl aber alltäglich in der Frühe die Domkirche mit ihrem geheimnisvollen Halbdunkel und abends das friedliche, stille Franziskanerkirchlein am Hügel.
Aber die Erde ist halt doch kein Himmel, und sie soll es auch nicht sein; die Erde ist ein Jammertal, der wahre Himmel ist erst dort. Es war am 6. Dezember 1855 nach dem Mittagessen; Pepi hatte ihre Arbeiten in der Küche vollendet und setzte sich zu Joseph an den Tisch. Auf einmal brach sie in lautes Weinen und Schluchzen aus.
Was fehlt dir, fragte Joseph, ängstlich zu ihr tretend, ist dir nicht wohl, hast du Heimweh? Ich will um Versetzung nach Deutschland anhalten; ich bin jetzt vier Jahre hier, ich bekomme sie.
O nein, sagte Pepi, mir gefällt es hier viel besser als in Deutschland, ich bin ja bei dir, und gesund bin ich auch, nur ist mir auf einmal so schwer geworden, ich mußte meinem gepreßten Herzen Luft machen, warum weiß ich nicht. Ich will Testament machen.
Testament, rief Joseph wie vom Blitze getroffen aus, was fällt dir ein, du so jung, und bei gesundem Leibe Testament machen? Rede mir nicht mehr von so traurigen Dingen, sie machen dich und mich traurig.
Ich will es, sagte Pepi mit fester Stimme, denn wenn ich sterben würde, fiele mein Vermögen an die Verwandten, die so schon genug haben. Du bist mir der Nächste, das Teuerste auf Erden; dein soll nach dem Tode all das Meinige sein.
Umsonst suchte ihr Joseph diese Gedanken auszureden, denn es tat ihm in der Seele weh. Pepi holte sich Feder, Tinte und Papier, schrieb ihr Testament und legte es zu ihren Schriften.
Joseph war an jenem Tage tief niedergedrückt; Pepi suchte nun aber durch ihre Heiterkeit die Wolken von Josephs Stirne wieder zu verscheuchen; jedoch noch lange ließ diese Tat seiner Frau in ihm einen wehmütigen Nachklang zurück; nie zog er das Fach heraus, wo die bittere Erinnerung an eine Trennung von seiner Frau, das Testament, geborgen war.
Das Jahr 1856 kam und mit ihm die Aussicht auf ein freudenvolles Ereignis, wo Joseph und Pepi nicht mehr allein sein, sondern einen zarten Sprößling in ihrer Mitte haben sollten, ein Ereignis, das die Welt Familienglück nennt, und die beiden knieten jetzt mehr als sonst vor dem Altare der Mutter Gottes und dem Bilde des hl. Alfons Liguori, den sie besonders verehrten.
Joseph hätte gerne gehabt, daß Pepi die zwei heißen Monate wieder in Innsbruck zubringen möchte, da er fürchtete, daß das ungewohnte Klima ihr sehr schaden möchte.
Nein, nein, sagte Pepi, von dir trenne ich mich nicht mehr; sei gegen mich nicht hart und grausam!
Joseph getraute sich vom Fortgehen keine Erwähnung mehr zu machen.
Schon war die heißeste Zeit fast vorüber, die Trauben hingen schon bläulich gefärbt schwer von den Reben herab; es nahte die schönste Jahreszeit für die südlichen Gegenden, die Zeit der Weinlese. Pepi erging sich gern mit Joseph unter dem Schatten der Weinlauben und freute sich über den reichlichen Segen, den die Hand Gottes über dieses glückliche Land ausgeschüttet hatte.
Es war am 24. August abends, als Joseph nach Hause kam; er wollte nach dem Abendessen mit Pepi den gewöhnlichen Spaziergang zu dem Kirchlein der Zoccolanti machen. Pepi aber sagte, daß sie heute so müde sei, daß sie nicht gehen könne, es sei ihr nicht ganz wohl. Daher blieb Joseph zu Hause, man betete das gewöhnliche Abendgebet, und Pepi begab sich früher zu Bette.
Um Mitternacht erhob sie sich vom Bette und ging zwei Stunden auf dem Söller auf und ab. Joseph stand nun auch auf.
Pepi, fragte er, was ist dir, soll ich den Arzt holen?
Ich habe eine entsetzliche Angst, antwortete Pepi, ich konnte es im Zimmer nicht mehr aushalten; doch beruhige dich, es ist wieder etwas besser.
Sie legte sich wieder zu Bette, klagte jedoch am anderen Morgen noch immer über Kopfschmerzen, was den Joseph bewog, einen Arzt herbeizurufen.
Der Arzt erklärte die Sache für unbedeutend und verordnete einen Aderlaß, nur müsse sie im Bette bleiben.
Am 26. August wollte Joseph abends nach der Kanzleistunde zur Beichte gehen, jedoch schon um 5 Uhr kam ein Weib und sagte, daß Pepi ihn bitten ließe, heute schnell nach Hause zu gehen; sie fühle sich stark beängstigt.
Als Joseph heimkam, war Pepi zufrieden; sie klagte über nichts mehr, sie meinte sogar, mit ihm morgen zur Beichte gehen zu können.
Da jedoch Joseph in Furcht war, Pepi möchte etwa im Schlafe den Aderlaßverband herabreißen, ließ er eine Nachtlampe brennen, um augenblicklich gegenwärtig sein zu können.
Es mochte eben Mitternacht sein, wurde Joseph auf einmal durch den starken Ruf: »Weh! weh! weh!« aus dem Schlafe geweckt.
Er springt auf, ergreift die Lampe, leuchtet der in einem fort wehrufenden Pepi ins Antlitz, sie hat die Augen geschlossen und Schaum vor dem Mund.
Pepi, Pepi, liebe Pepi, kennst du mich nicht mehr? Öffne die Augen! so rief Joseph in höchster Angst; er glaubte, daß sein teures Weib schon in den letzten Zügen liege.
Da öffnete Pepi auf einen Augenblick die Augen, Joseph weist mit der Rechten hinauf zu dem schmerzhaften Muttergottesbilde, das neben dem Bette an der Wand hing. Pepi scheint ihn zu verstehen, sie nickt zustimmend, gleichsam als wollte sie antworten: Ja, diese ist meine letzte Hilfe. Dann aber schloß sie wieder ihre Augen und setzte ihr Mark und Bein durchdringendes Wehgeschrei fort. Sie war bewußtlos.
Schnell schickte Joseph um den Arzt und Chirurgen. Sie sagten, Pepi habe die Gehirnentzündung; mehrere Aderlässe wurden angewendet und Blutegel gesetzt.
Welch Kreuz für Joseph, Pepi war noch nicht mit den Sterbsakramenten versehen und bewußtlos. – Joseph wich nicht von ihrer Seite.
Um Mittag endlich kehrte das Bewußtsein der Pepi wieder; eilig wurde der deutsche Beichtvater herbeigeholt; man reichte der Kranken die Sterbsakramente.
Welch ein peinliches Gefühl durchströmte Josephs Seele, als er während der heiligen ernsten Handlung zu den Füßen der Bettstätte seines teueren Weibes kniete. Er rang im Gebete mit Gott um das Leben seiner Pepi; doch Herr dein Wille geschehe, setzte er hinzu.
Ein Trost war es ihm, daß Pepi nun wenigstens die Tröstungen der Religion habe. Des Abends lag sie schon wieder bewußtlos da und begann ihren alten Wehruf, der sogar in der Nachbarschaft gehört werden konnte. So ging es fort bis zu dem anderen Tag um Mitternacht, wo Joseph neuerdings zum Arzte ging. Bei seiner Zurückkunft war Pepi schon eines Knäbleins entbunden. Es hatte die Nottaufe empfangen und verschied zwei Stunden danach.
Obwohl der Tod desselben in anderen Zeiten für Joseph ein großer, herber Verlust gewesen wäre, so dachte er jetzt nur an die Erhaltung seines lieben Weibes; denn was ist ihm ein Leben ohne sie?
Endlich wurde Pepi ruhiger, sie erwachte wie aus einem schweren, schweren Traume; sie erinnerte sich nur mehr dunkel an das, was vorgegangen; sie war jedoch außerordentlich schwach und sprach wenig.
Am zehnten Tage nach Ausbruch der Krankheit gab der Arzt Hoffnung auf Wiedergenesung, er fand Pepi besser.
Joseph hätte bei dieser Nachricht dem Arzte um den Hals fallen mögen, und er eilte in die Domkirche, dem lieben Herrgott dafür Dank zu sagen.
Nun erst ging Joseph wieder in seine Kanzlei; denn solange Pepi in Gefahr war, hätte er keine Feder anrühren können, und wenn selbst darüber die Welt zugrunde gegangen wäre, denn Pepi war ja seine Welt. Und sein Amtsvorstand, obgleich selbst ehelos, war menschlich genug es einzusehen, daß ein Gatte, der seine Gattin liebt, nicht am Schreibtische sitzen könne, während sie zu Hause mit dem Tode ringt. Dennoch hatte Joseph selbst jetzt noch seine Gedanken fast immer bei der Kranken; es wollte ihm nichts vorwärtsgehen; es war, als wäre sein Verstand und Gedächtnis mit einem Schleier umzogen.
Joseph, sagte Pepi, als er an jenem Tage abends nach Hause kam, im Wäschekasten liegen zwei Taler, nimm sie und lasse mir morgen für den einen Taler zwei Messen lesen, den anderen gibst du einer armen Familie. Ich wollte mir etwas zusammensparen und dir auf Neujahr mit einer Taschenuhr eine Freude machen; doch Neujahr erlebe ich nicht mehr, mit mir ist es aus, das fühle ich, ich habe mit der Welt abgeschlossen. Hier müssen wir scheiden, aber weine nicht, dort, dort treffen wir uns gewiß – gewiß – gewiß – und glückselig wieder, um nie mehr uns zu trennen. Bringe dieses schwere Opfer dem Herrn – ich bringe es auch – und einmal muß es doch geschieden sein; besser jetzt, – der Herr will es! – So – nun gib mir noch die Hand! – Wer weiß, ob ich es noch einmal tun kann – ich bin so schwach!
Diese Rede ging Joseph wie ein Dolch ins Herz, stumm reichte er seiner Pepi die Rechte und schluchzte.
Die ganze Nacht lag Pepi halb ohnmächtig da, sie sprach nur wenige Worte und blickte nur ihren Mann von Zeit zu Zeit mitleidig an.
Am andern Tage 7 Uhr früh kam die Hebamme, ein Weib voll Herz und Mitleid, eine christliche, kernhafte Italienerin.
Was sagen Sie von meiner Gattin, was hoffen Sie? fragte Joseph sie auf italienisch, sie ängstlich anblickend.
Das Weib schwieg still und wischte sich eine Zähre aus den Augen.
Joseph wußte nun genug – es war der Pepi das Leben abgesagt, denn das Weib war in Krankheiten sehr erfahren. Joseph kehrte sich um und griff nach seinem Sacktuche.
Povera donna! (Arme Frau!) seufzte das Weib, die kein Deutsch verstand, povero marito! (Armer Mann!)
Wissen Sie das Unglück schon? fragte sie den Joseph auf italienisch weiter.
Was für ein Unglück? warf Joseph gleichgültig hin.
In der Birraria in unserem Borgo brennt es, vier Häuser stehen in Flammen, es ist Gefahr für die ganze Stadt.
Wie, Feuer, rief Joseph aus, und Feuer uns so nahe?
Bereits seit 3 Uhr früh brennt es, erwiderte das Weib.
Dann muß ich fort, um Löschanstalten zu treffen, ich bitte Sie um Gottes willen, bleiben Sie bei meiner totkranken Frau, die Wärterin und die Magd sind in die Apotheke und zum Arzt gegangen. In Ihrer Obsorge lasse ich inzwischen mein kostbarstes Gut. Lassen Sie dieselbe nicht sterben, bis ich komme!
Und fort stürzt er nach der Stätte der Feuersbrunst, die kaum 400 Schritte von der Wohnung Josephs entfernt war.
In seiner Betrübnis am Krankenlager der Pepi hatte er den Feueralarm gar nicht gehört. Auf die Gasse getreten, sah er wohl die hoch zum Himmel aufschlagenden Flammen und hörte ihr Prasseln. Erst um Mittag war man den Flammen Meister geworden. Mit verbrannten Kleidern kam Joseph nach Hause.
Pepi wußte von dem allem nichts, denn hätte sie die so nahe Gefahr gewußt, so wäre sie vor Schrecken gestorben. Nun, da die Gefahr vorüber war, entdeckte es ihr erst Joseph und erzählte, daß die arme Pächterfamilie von zehn Köpfen ihr ganzes Hab und Gut verloren habe.
Pepi äußerte ihr herzinniges Mitleid mit diesen Verunglückten.
Da Joseph sehr Pepis Auflösung befürchtete, so legte er sich, als es Nacht geworden, angekleidet auf ein Sofa neben der Kranken hin.
Jesus Maria, sie stirbt, holen sie schnell, schnell den Geistlichen, rief um 1 Uhr früh die Wärterin, welche um 11 Uhr den Joseph abgelöst hatte.
In der Verwirrung konnte Joseph lange nicht seinen Hut finden, er rannte ohne Hut hinab zur Wohnung des deutschen Kaplans.
Die Laternen waren ausgebrannt, in Strömen floß der Regen; es war stockfinstere Nacht und lange tappte Joseph umher, bis er endlich den Glockenzug des Kaplans fand und heftig daran zerrte.
Der Kaplan wußte schon, wer läutete, er hatte diesen Fall vorausgesehen. Gleich, rief er zum geöffneten Fenster auf die Gasse hinab, nur noch mich anziehen.
Joseph warf sich mitten im Regen auf das Steinpflaster hin und betete, gegen die Seminarkirche hin gewendet, zu Jesus im allerheiligsten Altarsakramente um einen guten Tod für seine teure Pepi, vielleicht wandert eben jetzt ihre Seele zum Schöpfer zurück.
Endlich kommt der Kaplan, und so schnell sie konnten, eilten sie der Wohnung Josephs zu. Nun stehen sie an der Haustüre; Joseph hatte inwendig beim Weggehen das brennende Licht stehen gelassen, das Licht war erlöscht. Hat es der Zugwind getan? Es war ja die Türe geschlossen. Oder ist es eine Vorbedeutung, ist das Licht mit ihrem Lebenslichte erloschen?
Hinauf stürzt sich Joseph über die bekannten Stiegen, der Kaplan ihm nach, und wie Joseph in das Zimmer tritt, besprengt die Wärterin das farblose Antlitz Pepi's mit Weihwasser.
Jesus – Maria und Joseph – ruft sie, steht ihr bei! – Herr, gib ihr die ewige Ruhe!
Pepi war soeben verschieden. – Sanft lächelnd lag sie da, die verglasten Augen zum Himmel gewendet, das Sterbekreuz fest in den Händen haltend, gleichsam als wollte sie noch sagen: Dort, Joseph, ja dort im wahren Vaterlande sehen wir uns fröhlich wieder!
O wie traurig war es nun in diesem Kämmerlein! Josephs Seele schwebte nun auch nicht mehr auf der Erde – er betete halbbewußt die Sterbegebete nach, die der Kaplan vorbetete.
Herr, gib ihr die ewige Ruhe! Wie tönten diese Worte so dumpf, so erschütternd tief drunten in Josephs Seele nach! Seine Seele suchte und irrte herum und konnte jene auf Erden nicht mehr finden, die er so sehr, so sehr geliebt hatte! Wie gern wäre auch er ihr nachgefolgt!
Welch Morgen war dem Joseph der Morgen des 3. September 1856! Wohl stieg die Sonne nach dem stürmischen Wetter der Nacht wieder freundlich am Osten auf; wohl tummelten sich die Leute wie gewöhnlich auf den Gassen herum, aber dem Joseph kam es vor, als wäre alles wie mit einem schwarzen Trauerschleier bedeckt; das, was fröhlich und freudig an ihm vorüberschwebte, gab in seiner Seele einen entsetzlichen, schneidenden Mißton. Joseph war wach und ging herum, und doch glaubte er zu träumen, alles, was er in so kurzer Zeit erlebt hatte, schien ihm nicht wahr, und einem Kinde gleich redete er mit seiner Pepi, als ob sie nur schliefe. Doch sie erwacht nicht mehr – sie antwortet nicht – es ist doch wahr – sie ist tot; Joseph mußte es glauben, ihre eiskalten Hände, ihr erbleichtes Antlitz, ihre Marmorstirne, das Sterbekreuz und ihr schwarzes, ernstes Sterbehemd sagen es ihm.
Jetzt erinnert sich Joseph an die zwei Taler, denn eben ertönt das Glöcklein zur ersten Messe; er wühlt in dem Wäschekasten, und klingend rollen die zwei Geldstücke heraus auf den Boden. Er eilt hinab in den Dom, gleich die zwei bestellten Messen lesen zu lassen.
Was ging in Joseph vor, als auf dem Altare der schmerzhaften Mutter für die Seele seiner Pepi das hl. Opfer dargebracht wurde? O jetzt konnte er teilweise begreifen, was die sieben Schwerter in der Brust der zarten Gottesmutter zu sagen hätten, und als erst gar nach der Messe das Sterbeglöcklein für seine teure Pepi erklang, da lag er auf den Knien in ein Meer von Bitterkeit versenkt.
Es war am 5. September 3 Uhr nachmittags, trat Joseph nochmals hin zu dem Leichenbette seiner innigst geliebten Pepi; er achtete nicht auf jene, die für die verstorbene junge Frau zu beten gekommen waren. Er ergriff ihre kalten Hände, blickte ihr ins entstellte Antlitz und rief aus: Lebe wohl, teure Pepi, lebe wohl, in diesem Leben schaue ich zum letzten Male in deine unvergeßlichen Züge; lebe wohl, dort, dort, auf baldiges, glückseliges Wiedersehen!
Joseph schwankte aus dem Leichenzimmer, und in einer halben Stunde fuhr er zu den Toren der Stadt hinaus, Deutschland zu; er hörte noch die dumpfen Töne der Trauerglocken vom Domturme herab, welche seine Pepi zu Grabe läuteten; in einen Mantel gehüllt betete er, der Kutscher aber wußte nichts von Josephs Leid, er pfiff ein lustiges Liedchen in die Welt hinaus.
Die ersten Trauertage brachte Joseph bei der gräflichen Familie M... in B... zu, welche ihn sehr liebreich aufnahm und durch religiöse Trostgründe aufrichtete; dann aber eilte er nach Großkirchen, um in dem liebenden Herzen seiner Mutter seinen Schmerz auszuschütten. Nur sie und der Bruder Alois, der inzwischen Notar in F...... geworden war, begriffen und teilten Josephs Schmerz so ganz; andere wußten ihn nicht zu verstehen, darum verschloß er ihn in seinem Innern.
Nach einem Monat kehrte Joseph wieder nach T.... zurück. Wie ungern betrat er seine Wohnung; denn da war es jetzt öde und leer, und jedes Plätzchen, jedes Kleidungsstück erinnerte ihn an seine selige Verblichene und riß seine Narben neu auf. Sein Trost war, alle Tage an das Grab seiner Pepi zu gehen, ihr eine Träne zu weihen und im Gebete zu ihr ins Grab hinab zu sprechen.
Also es wurde wahr, was Pater Brundusius seiner Schwägerin als Gedenkspruch von London geschickt hatte:
Lieblich ist der Rose Wohlgeruch,
Prachtvoll, schön ihr zarter Bau;
Doch in den Dornen liegt der Fluch,
Drum sei bedacht und schlau!
Kaum waren, seit Pater Brundusius schrieb, zwei Jahre verflossen, liegt die schöne Rose entblättert und geknickt in dem Friedhofe!