Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Jugend ist leichtsinnig und flattert wie ein Schmetterling von einer Blume zur andern. Alois hatte den sauern Abschied vom Vater bald vergessen, denn schon auf dem Rückwege konnte er nicht mehr seinen traurigen Gedanken nachhängen, da er immer von den Hin- und Widerströmenden gestört wurde.
Seine halbblinde 86jährige Zimmerfrau Trude sprach ihm auch Mut zu; sie wußte gar schöne Sprüchlein vom Servitenpater Benitius, den sie sehr gut gekannt hatte. Dann begann sie die Publizierung der Hausgesetze, die Trude, wie sie sagte, mit ihren Studentleins immer streng eingehalten habe; sie lauten:
1. Um 5 Uhr früh punktum aufstehen.
2. Nach der Schule gleich nach Hause gehen.
3. Über alte Leute nicht spotten.
4. Nach dem Nachtessen gleich nach Hause kommen und dann keinen Schritt mehr heraus.
5. Abendrosenkranz mit fünf Gesätzlein, Litanei und 17 Vaterunser angehängt.
6. Alle drei Wochen wenigstens beichten gehen.
7. Nicht Tabakrauchen.
8. Nicht Wirtshausgehen.
9. Nicht fluchen.
10. Kein Geld verschlecken, deswegen soll Trude Kassemeisterin sein.
11. Trude nicht Trude, sondern Fräulein Gertrud heißen.
12. Vor ihr kein Geheimnis haben.
13. Sie gehörig zu respektieren und ihr pünktlich folgen.
14. In der Frühe immer sie fragen: Wie haben Sie geschlafen, Fräulein Gertrud? und abends vor dem Schlafengehen sagen: Gelobt sei Jesus Christus, Fräulein Gertrud!
So habe Pater Benitius es ihr anbefohlen. Zu bemerken habe sie nur noch, daß man beim Eintritte ins Haus immer fleißig den Kot und Schnee von den Füßen abzustreifen habe, und daß jeder in den Spucknapf und nicht auf den Boden spucken dürfe.
Als Trude sagte, daß man sie nicht Trude, sondern immer Fräulein Gertrud heißen müsse, fing Alois schon zu lachen an. Ein schönes Fräulein, dachte er! 200 000 Falten, große Nasenbrillen, eine Spitzhaube aus dem vorigen Jahrhundert und eine Jacke, wie sie die Großkircher Mistträgerin an hohen Festtagen hat. Ich glaube, sie hat sie von ihrer Großmutter bekommen, Farbe war kaum zu erkennen; gut, daß Trude auch ein wenig taub war und das Gelächter von Alois nicht vernommen hatte, sonst hätte es die erste Strafpredigt abgesetzt.
Am andern Tage ging es zum ersten Male in die Schule. Der Herr Präfekt und die Professoren machten gar ernste Gesichter. Man verlas auch da Gesetze, und es gab hier noch mehr Punkte, als selbst Trude in ihrer Hausordnung hatte; nur davon stand nichts, daß man die Hausfrauen Fräuleins titulieren solle. Da gab es dann Kameraden aus allen Landesteilen, auch mitunter schön gezierte Zuckerpüppchen, netter gekleidet als des Landrichters Naz, der auch da war. Und Alois sah nun wohl ein, daß sein Kaput lange nicht der schönste wäre, obgleich er zu Hause gemeint hatte, welche große Figur er damit spielen werde; ja einige Stadtkinder lachten ihn sogar wegen seines altmodischen Rockes aus, nannten diesen eine Fahne, und die Knöpfe am Rücken droben waren ihnen auch nicht recht; kurz, Alois mußte wegen seines Anzuges vieles leiden, und des Landrichters Naz wollte ihn auch nicht mehr kennen; alles Ursache genug zum Verdruß.
Wäre ich nicht Student, dachte Alois, so wollte ich diese Herrenkindlein tüchtig abwalken und ihnen die Fahne eintränken. Ich würde sie lernen respektierlich von meines Vaters Brautrock zu reden, den der erste Schneidermeister in Großkirchen nach der neuen Mode gemodelt hat. Schade, daß das Raufen verboten ist.
Etwas kam dem jungen Studentlein hart an, nämlich sich auf die Schmalkost gesetzt zu sehen. Frühstück gab es keines, Nachtmahl auch selten; und das Unglück für ihn war, daß er einen sehr gesegneten Appetit hatte, einen viel größeren als zu Hause. Seine zwei Kronentaler waren bald in des Bäckers Händen, und hier konnte er nicht sagen: Mutter, Brot! Zudem waren die Portionen beim Mittagstische in manchen Kostorten so klein, daß sie wohl für ein Fräulein ausgereicht hätten, die außer Mittag fünfmal Kaffee trinkt, aber nicht für den heißhungrigen Magen eines stark im Wachsen begriffenen Studentleins.
Eine solche Kaffeedame stellte ihm am Freitage immer nur ein Schälchen Suppe, vier gesottene Spinatkräpfchen und zwei winzig kleine Brotschnittchen oder statt der Kräpfchen vier kleine Küchlein mit Luft gefüllt auf. Alois nannte sie fliegende Holländer. Sobald er nun an dem frugalen Freitagstische saß, wußte er immer nicht, ob er alle vier Stücke auf einmal in den Mund nehmen oder lieber gar nicht anfangen sollte; denn vier Krapfen oder solche Luftballons in den Magen hieß so viel für Alois, als einen Buben in die Hölle werfen. Dafür mußte er der Dame gar zierlich die Hand küssen und sagen: Ich danke vielmal, gnädige Frau. Alois hatte zuerst vergelt's Gott gesagt, aber das, meinte die Dame, klinge gar so bäurisch und rieche nach Dorfsitte. Am Samstage aber, da holte Alois das Versäumte wieder nach, er aß dort bei dem behäbigen, dicken, gutmütigen Eichenwirt unter der Laube. Dieser ließ immer dem Studentlein eine Suppe mit zwei Würstlein, ein großes Stück Fleisch mit vielen Erdäpfeln und noch dazu einen ganzen Brotlaib hereintragen. Wenn nun das Studentlein wacker dreinschlug, da schmunzelte der Eichenwirt und setzte sich zum Alois und fragte über manches, so z. B. wie es mit der Studi gehe, ob er mit der Messe bald beim Evangelium sei etc. Und beim Weggehen steckte ihm die Kellnerin erst noch fast einen halben Laib Brot in den Sack des Kaputs. Hast du wohl genug, rief dann der Wirt zum Überflusse noch nach. Und abends gab es einen Teller voll Geröstel und Brotsuppe. Das war für Alois immer ein herrlicher Tag, er freute sich schon am Montage wieder auf den Samstag; aber leider mußte da immer der fatale Freitag vorausgehen.
Wenn nun am Freitage ein langer Zug Soldaten, jeder mit einem Turm Kommislaibe auf dem Arm daherkam, da blickte Alois immer mit neidischen begehrlichen Augen auf die Kommisnickel und hätte gerne mit den Soldaten gehalten, denn, meinte er, sie hätten doch Brot genug, aber Soldat hätte er doch nicht werden mögen, denn das Studentenleben ist doch bei aller schmalen Kost ein schönes Leben.
Wenn nun Alois mit hungrigem Magen nach dem langen Rosenkranz der Trude zu Bette ging, versetzte er sich im Geiste nach Hause, nicht etwa zu den Fleischtöpfen Ägyptens, sondern zu einem großen Topfe mit Erdäpfeln, und vor die Brothängel, wo mehr als 50 große Laibe schön abgeteilt droben hingen, und wollte er seinen geistigen Genuß noch mehr steigern, so stellte er sich die großen Stücke ihres Schweines vor, den Speck und das geselchte Fleisch, welches in der Kammer an gewundenen Schnüren aufgehängt war. So schlief er endlich ein und träumte von dem Speckkämmerlein, wie er ein schönes Stück Speck herabschnitt, aufwachend glaubte er es noch in den Händen zu haben und seinen Geschmack im Munde zu verspüren; doch es war nicht so. Die alte Trude mit ihren dürren Knochen rüttelte ihn zum Aufstehen; es sei für sie Zeit zur Fünfermesse, für ihn zum Studium; das war freilich ganz etwas anderes. Da hieß es sich die Augen auswischen und von dem Reiche der Träume zur traurigen Wirklichkeit und Welt zurückkehren.
Ja, ja, Fräulein Gertrud, ich habe es verstanden, rief der Alois: Ich danke für Ihre Güte, Fräulein Gertrud. Sehen Sie, ich bin schon wach! Dann humpelte die Alte zur Messe, und nach kurzem Morgengebete setzte sich Alois zum Studiertisch, denn um 5½ Uhr, wie die Alte von der Kirche kam, mußte der Student sein Plätzchen am Studiertisch schon eingenommen haben, sonst gab es zum Frühstück Brummelsuppe. In den Studien machte es das Bauernbüblein mit seinem altmodischen groben Rocke und seinen nicht wichsbaren Stiefeln eben nicht schlecht, denn unter 108 Studentleins aus dem ganzen Lande gab es freilich auch bessere Köpfe als den des Alois; er mußte sich daher auch glücklich preisen, unter den 20 Ersten zu sein. Es gab darunter sogar Hofrats-, Grafen- und Baronssöhnlein, und diese müssen per se die Ersten sein. Man drillt sie ja schon von Jugend auf dazu ein, von allen Seiten wird gehofmeistert und eingetrichtert, so daß es kein Wunder wäre, wenn sie jenem den Vorrang ablaufen, der keinen andern Hofmeister und Trichter hat als sein eigenes Hirnkästchen. Dann setzte es bei solchen Herrensöhnleins viele Visiten und andere Dinge ab, die von den Professoren auch berücksichtigt werden müssen. Bei einem solchen Bauernsöhnlein, wie Alois war, hatte man keine Rücksichten zu tragen. Für ihn legte niemand in der Stadt ein verwendendes Fürwort ein.
Alois schrieb daher drei Wochen nach seiner Abreise folgenden Brief nach Großkirchen:
Liebste Eltern! Teurer Vater, teure Mutter!
Gestern ist das erstemal aus den Aufgaben gesetzt worden. Stellt Euch meine Freude vor, ich wurde unter 108 der dreizehnte und bekam den Ehrentitel Decurio, das heißt ich kann zu äußerst in der Bank sitzen und habe in meiner Bank die Aufsicht, das wäre so viel als bei den Soldaten ein Korporal; zum Offizier, d. h. auf die harthölzerne Ehrenbank habe ich es nicht gebracht. Da man nur 80 Schüler in der ersten Klasse brauchen kann, so wurden gleich das erstemal 18 geschubt, 10 werden noch nachfolgen! Auch des Schusters Michele aus Großkirchen muß zusammenpacken; er wird nun wohl nach der Schusterahle greifen und in Großkirchen seiner Lebtage der erstickte Student heißen. Gott wende von mir dies Unglück ab; ich will gerne fleißig lernen.
Am Sonntag denke ich am meisten nach Hause, denn da gäbe es daheim eine Schüssel voll großer Knödel; in der Stadt gibt es nur zwei auf eine Person, die noch dazu kleiner sind als bei uns zu Hause ein Brocken. Schickt mir doch einmal durch den Großkircher Boten einen Sack voll Brotlaibe. Ich freue mich schon auf die Vakanz, wo ich mich wieder einmal alle Tage satt essen und alle meine Lieben wieder sehen kann. Was macht der Joseph und der Hans? Hat die Mutter beim ersten Schnee ein Rotkröpfchen gefangen? Lebt die Tannenmeise noch, singt sie? Jetzt grüße ich Euch alle noch recht stark, so stark es nur sein kann! Schreibet mir bald und alles Neue von Großkirchen und vergesset den Sack mit Brot nicht.
Euer dankschuldigster Sohn
Alois.
Nachschrift. Hat der alte Pumpel die Steinrötel, die wir ausnahmen, schon abgerichtet, wieviel Stückchen können sie schon? Schreibet mir alles genau!
Als der Postbote mit dem Briefe in das Nuiterhaus zu Großkirchen trat, da schrie gleich alles: Ein Brief vom Alois, ein Brief von Sprugg. Mutter, Vater kommt! Und Joseph, als der beste Leser, mußte ihn vorlesen.
Hörst du, Weiblein, sagte der Nuiterbauer, Kujon ist der Alois, und das ist ein Ehrenname, nicht ein Schimpfname, wie ich bisher glaubte, Studentenkorporal ist er!
Und die Mutter weinte vor Freude, und dreimal wurde der Brief vorgelesen, dann nahm ihn noch erst jedes allein in die Hand und las ihn.
Mein Sohn, sagte der Nuiterbauer zum Nachbar Kaminfeger, ist Studentenkorporal geworden, Kujon heißen sie das Ding, bald wird er Offizier sein.
Und der Nachbar machte große Augen und wiederholte: Also Kujon, schön ist eben der Name nicht.
Was, nicht schön, fuhr der Nuiterbauer auf, wären deine Buben Kujonen, aber so weit bringen sie es nicht.
Daß der Nachbar an dem Worte Kujon etwas auszusetzen habe, schien dem Nuiterbauer ein Zeichen, daß er ihm um die Ehre neidisch sei.
Nun rückten auch die schönen Weihnachtstage heran, eine Zeit, auf die sich Alois immer gefreut hatte. Da gab es in Großkirchen fast in jedem Hause eine schöne Weihnachtskrippe, auch Alois hatte mit großer Kunstfertigkeit ein solches Berglein zusammengestellt. Wie herrlich wußte er die Figuren zu gruppieren, die hl. Personen im Stalle, den Ochs und das Eselein, die Hirten und Schäfchen. Mit welchem Fleiße pappte und malte er an der Stadt Bethlehem! Gemsböcke und Schützen, Tuxer und Einsiedler, Bergknappen usf. standen auch darin. Dem Alois war dies eine kleine Welt gewesen. Auch gab es zu Weihnachten große Zelten, und welche Lust war es, als heilige drei Könige Sternsingen zu gehen. Er, der Joseph und der Hans waren gar prächtige heilige drei Könige gewesen, sie sangen immer ein uraltes Lied, das der Großvater der Mutter gelernt hatte. Es lautete die erste Strophe:
Es waren a Mol drei Küniglein (rep. Küniglein)
Die sahen a schüanes Sternelein
Und mitten a freundlich's Kindelein (rep. Kindelein).
Und wenn die drei so sangen, da rührte sich kein Mensch in der Stube, alles horchte und sagte am Ende, daß die Nuiterbuben gar schön singen könnten. Dann gab es Zelten, Nüsse, einen Kreuzer oder wohl gar einen Groschen, und man sagte erst noch, sie sollten ein anderes Jahr wiederkommen. Und heuer sollte es bei Alois mit allem diesem nichts sein; darum war er traurig, als die Weihnachtswoche kam; der Nikolaus war ja auch nicht gekommen.
Am Thomastage war Donnerstag und somit Vakanztag, und Alois saß, einsam und über schöne vergangene Zeiten brütend, am Studiertisch. Das Argumentmachen wollte durchaus nicht gehen.
Da hörte er auf einmal grobe Tritte über den Hausgang seiner Türe zu gehen. Vielleicht, denkt sich Alois, ein Bettler! Nun, der kommt bei mir auch nicht zum Rechten. Ich habe ihm keinen roten Heller zu geben. (Ein Stückchen Brot hätte ich wohl auch noch da, aber morgen ist Freitag – fataler Freitag! Doch wir werden sehen, ob er hungriger ausschaut als ich, dann mag er es haben. Wenn mich gar zu stark hungert, so gehe ich halt zum Schwarzadlerbäcker; wenn ich vor der Frau ein recht trauriges Gesicht mache, so glaubt sie mir immer, daß ich Hunger habe, und gibt mir ein Kreuzerweckelein. Zu oft darf ich ihr freilich nicht kommen, das wäre unverschämt. Sie ist eine gar gute Frau, und wenn ich vergelt's Gott sage, sagt sie gar gutmütig: Gesegne es Gott! Das waren beiläufig die Gedanken des Alois.
Wirklich klopfte es nun an seiner Türe.
Herein! ruft das Studentlein, nach der Türe blickend.
Grüß Gott, Alois, sagte ein Mann, mit einem großen Sacke über den Rücken hereintretend; grüß Gott! Und Vater und Mutter lassen dich auch alle recht schön grüßen, und die Geschwisterte auch. Da hast du etwas für dich, sie schicken es dir von zu Hause und wünschen dir recht gute Feiertage. Und der Mann stellte den Sack nieder und ging wieder, er sagte, daß er Eile habe; der Mann war der Großkircher Bote.
Das war dem Alois ein Himmelsbote. Hastig griff er nach dem Federmesser, er nahm sich nicht Zeit, den Knoten an der Schnur, womit der Sack zugebunden war, aufzulösen; er durchschnitt die Schnur, und da kamen allerhand schöne Sächelchen zum Vorschein. Obenauf ein Brief.
Den werde ich nachher lesen, sagte Alois zu sich selbst. Er wühlte in dem Sacke weiter. Äpfel rief er aus, Zwiefeläpfel und Nüsse aus unserem Obstgarten, Brotlaibe, eins, zwei, drei, vier, – dreizehn, und ganz unten ein Weihnachtszelten, ein großer und schöner, ein Stück Speck und geselchtes Fleisch, was noch? zwei Hemden und starke Winterstiefel. Und alle diese Herrlichkeiten breitete Alois vor sich auf dem Tische aus; wie lachte sein Herz. Zuerst steckte er einen Apfel in den Mund und nun erst entfaltete er den Brief.
O der ist ellenlang, eine ganze Kuhhaut, die Mutter selbst hat ihn geschrieben, so sagt Alois. Sie wird gewiß ein paar Nächte daran studiert haben. Gewiß eine Predigt. Ich wollte sie fast auswendig hersagen. Ja, ja richtig! (Liest.)
Lieber Alois!
Mit großem Kummer habe ich Dich von meinem mütterlichen Herzen entlassen, denn die Welt ist so verdorben und zerstöret in kurzer Zeit, was eine besorgte Mutter lange gehütet und mit großer Mühe aufgebaut hat. Habe Gott vor Augen etc.
Das Weitere durchflog Alois mit schnellen Blicken, er schaute nur mehr auf die Schlagwörter, das andere dachte er sich dazu. Endlich heißt es: Wir sind gottlob alle gesund. Dann kam eine Ziffer; da hielt Alois stille und las es aufmerksamer. In den Hemden, lautete es, sind zwei Kronentaler eingenäht; es ist mein zusammengespartes Eiergeld. Ich schicke es dir als Weihnachtsgeschenk.
Herrliches, liebes Mütterchen, rief Alois aus; solche Mutter gibt es auf Erden keine; er küßte den Brief und beeilte sich dann, seinen Schatz zu erheben. Bald hatte er ihn gefunden und tat ihn in sein hundsledernes leeres Beutelein.
Alois war an diesem Nachmittage höchst glückselig, er schwelgte mitten unter seinen großen Bescherungen.
Endlich, nachdem er genug gemarendet hatte, suchte er die schönsten Zwiefeläpfel aus, nahm den schweren Zelten unter den Arm und machte sich auf zur Trude.
Fräulein Gertrud, sagte er, ehrfürchtig vor sie hintretend, viele schöne Grüße von meinen Eltern.
Ei was, Schlingel, erwiderte Gertrud, sage nicht Grüße, sondern schöne Empfehlungen und Handküsse, so sagt man in der Stadt.
Ja, Empfehlungen und Handküsse wollte ich sagen, verbesserte sich Alois, der in seiner freudigen Aufwallung die erteilten Höflichkeitsregeln vergessen hatte, und da schicken sie Ihnen ein paar schöne Zwiefeläpfel, und Sie sollen auch den Zelten anschneiden, dann lag auch dies kleine Stück Leinwand für Sie bei. Halten Fräulein Gertrud zu Gnaden und wollen es gütigst von meinen lieben Eltern annehmen. Es ist gut gemeint!
Da lächelte Fräulein Gertrud gar süß und holdselig: Du bist doch ein Herzensbube, Studentlein wollte ich sagen, und deine Eltern sind goldene Kerne in bitterer, rauher Schale.
Morgen und am Christtage bekommst du eine Schale Kaffee mit mürben Butterkipfeln, hast du verstanden?
Ich bitte schon darum, Fräulein Gertrud, sprach Alois, so mußte er sagen, denn eigentlich war ihm um den Kaffee der alten Trude nicht gar so viel, weil sie Triefaugen hatte, und es nicht mehr recht sah, wenn einer Fliege oder sonst einem Tierchen es einfiel, in den Kaffee hineinzutappen.
Hast du Geld auch bekommen? fragte die kluge Trude weiter.
Das war nun für Alois eine kitzliche Frage; er hätte gerne seinen Schatz für sich behalten und eine kleine Weihnachtskrippe sich angeschafft, doch lügen wollte er nicht, das hatte ihm die Mutter immer streng ans Herz gelegt.
Ja, ging es langsam heraus, zwei Kronentaler.
Diese übergibst du mir, ich werde für dich haushalten, das können die jungen Leute nicht, sprach Trude, und die zwei harten Taler mußten heraus. Es ging wohl hart; die Idee des Alois wegen der Weihnachtskrippe war durchkreuzt; denn wenn er zur Alten um Geld kam, mußte er ihr immer alles haarklein spezifizieren, was er kaufen wolle. Mit einer Lüge wäre das alles leicht vermieden gewesen, aber lügen konnte Alois nicht.
Alois hatte jedoch glückliche Weihnachtsfeiertage. Es traf sich noch dazu, daß er am heiligen Tage die Kost bei dem Bauern in der Reichenau hatte, und die Bauern sind an solchen Tagen mit dem Essen nicht knauserisch. Es gab Knödel, Speck und Kraut, fettes Rindfleisch, Schweinsbraten, Krapfen und auch Wein.
Alois ging nach dem Mittagessen singend und pfeifend durch die Reichenau hinauf, Pradl zu. Solchen herrlichen Tag hatte er selbst zu Hause nicht gehabt. Mit Kipfeln und Kaffee hatte er den Tag angefangen, mit einem fetten Schweinsbraten am Abend hörte er auf. Der Wein machte ihn gar heiter gelaunt, so daß Trude ihn an diesem Tage unmöglich zum Studiertisch bringen konnte. Auch abends, als er ihr die Legende vorlas, las er manches falsch, er übersah so manchen kleinen Buchstaben. Trude aber war am heutigen Tage ziemlich nachsichtig; sie mußte auch ein Gläschen getrunken haben, denn sie nippte schon ein nach den ersten paar Zeilen, die Alois las. Und Alois fing gleich am Schlusse bei der Betrachtung an und war bald beim Amen; Trude wachte erst beim Amen auf und machte das Kreuz, sie glaubte, es sei nun der Rosenkranz zu Ende.
Alois ließ es gelten, denn er hatte schon auf dem Heimwege mittags aus der Reichenau bei der Krippe in dem Kapuzinerkirchlein einen Rosenkranz gebetet und noch dazu im Gymnasium eine lange Exhorte gehabt; das wird wohl für heute genug sein.
Die Zeit der Ängsten für die Studenten, die Zeit, wo andere bei Musik lustig im Kreise sich drehen, die Prüfungszeit für das erste Semester kam heran.
Alois war im Platze der zwölfte; er war also im ganzen Decurio geblieben. Da zahlte ihm die Kassenmeisterin einen ganzen Zwölfer aus, er konnte zu Hause eine halbe Bier, Käs und Brot sich anschaffen. Die Eselsbrücke des Gymnasiums war überschritten, und Alois saß stolz vor dem ihm entsetzlich groß scheinenden Humpen. Er trank sein Prost und Pereat, ein Permeat den vielen abgestochenen und noch abzustechenden Böcken; diesen soll im zweiten Semester der Krieg angesagt sein. Schon war der schöne Mai da, ein gar lockender Patron für einen Studenten, der hinter dem Buche hocken soll, und blühen doch die Blumen so schön, und summen die Bienen auch frei herum, und das Vöglein im Walde und im Strauche singt so schön! Wie eng und düster ist da die Zimmerluft. Doch ein Gedanke ermuntert wieder den Studenten und hält ihn an den Studiertisch gefesselt, der Gedanke an die nahe Vakanz. Diese wird für alle Opfer entschädigen.
Schon prangte neben dem Studiertisch des Alois ein Blatt mit 90 Strichen, jeder Strich bedeutete einen Tag des noch laufenden Schuljahres; war der Tag vorbei, so wurde der Strich fleißig durchstrichen, er war hinabgewandert in den Strom der Vergangenheit. Von den zwölf Studienjahren hatte Alois keine Striche gemacht, denn sie lagen ihm in zu weiter Ferne.
Einen Tag hätte Alois bald auszustreichen vergessen, obgleich er vorüber war. Es war dies ein dies fatalis oder Unglückstag.
Es kam nämlich an diesem Tage ein Mann in die Wohnung des Alois und fragte, ob nicht hier ein Student aus Großkirchen wohne, er habe für ihn eine Kiste mit Sachen.
Freilich, antwortete Alois, der Student aus Großkirchen in diesem Hause bin ich.
Nun, sagte der Mann, so nehmet die Kiste in Empfang, zu bezahlen ist nichts.
Allerliebst, dachte sich Alois, gewiß Krapfen von der Mutter und etwa Brot, ein prächtiges Studentenfutter, o du liebe, gute, goldene Mutter, sie denkt an mich! Das hätte ich nicht erwartet, hat mir erst vor 14 Tagen wieder einen Kronentaler geschickt. Möchten doch der Mutter Hennen viele Eier legen und viele Hühnchen ausbrüten! Die Hennen sind meine Gold- oder Silbervögel.
Eilig holte sich Alois von Trude Hammer und Zange herbei, das Kistchen springt unter Krachen auf, Alois versteht dies Handwerk, und welche Überraschung: goldgelbe Krapfen blicken gar so lockend und freundlich heraus und mit Birnen gefülltes Brot auch.
Alois legte den Hammer beiseite und verschlingt eine Krapfe nach der andern, als ob er schon eine Woche nichts mehr gegessen hätte. Endlich ist er satt.
Jetzt wühlte er im Kistchen weiter, die Krapfen werden auf die Seite geschoben; was kommt denn da zum Vorschein?
Ein Torten, herrjemine, ein Torten, ja, ja, ich bin der Mutter ihr Goldknöpfchen! rief Alois aus. – Ein Torten! solche Dinge sah man sonst in unserem Hause nie. Wo wird sie etwa den herbekommen haben? Sollte etwa gar die Nachbarin, die Zuckerbäckerliese auf mich gedacht haben?
Doch zu was zerbreche ich mir umsonst den Kopf, her über ihn, ein Stückchen geht schon noch! Aber nein, das ist etwas Abgeschmacktes, so ein Torten, den mag die Trude mit ihren stumpfen Zähnen zermalmen. Das Süße behagt mir nicht!
Und richtig, hier ein Brief, das wird der Aufschluß sein, wie die Mutter zum Torten gekommen ist! Doch potztausend Element, was steht denn da? »Lieber Michel!« Der bin ich nicht, und der Mutter Schrift ist es auch nicht. – (Liest.) »Wir schicken Dir und Deiner Hausfrau Krapfen!«
Diese wären da; aber wahrscheinlich gehören sie dem Michel und nicht mir, und die Hälfte ist in meinem Magen und der Torten auch schon angefressen.
Wer ist der Michel?
Und nun liest Alois erst die Adresse an der abgerissenen Decke der Kiste: An den Studenten Michel N. –
Sapperlot, rief Alois, sich an die Stirne schlagend, warum habe ich die Adresse nicht zuerst gelesen. Die Krapfen gehören dem Schmalzgasser Michele; er ist auch von Großkirchen, auch Student, aber da sind mehrere Unterschiede zwischen mir und ihm: Erstens hat er nicht meinen Magen; zweitens nicht meinen Namen; drittens ist er Student der dritten Klasse. – Der Tölpel von einem Fuhrmann! Nun erscheine ich als Dieb! Gibt's denn da gar kein Mittel, den dummen Streich gutzumachen? Nun da muß mir die Trude helfen. Sie muß gleich neue Krapfen backen. Solche Bauernkrapfen bringt sie leicht zuwege.
Aber mit dem Torten?
Der verdammte Torten! Nun da muß Trude einen neuen vom Zuckerbäcker kaufen! Wie des Michels Torten ausgeschaut hat, weiß der Michel nicht. – Bis morgen muß alles wieder in der Kiste sein.
Aber wieviel Krapfen habe ich gegessen?
Das ist wieder eine hart zu beantwortende Frage! Ich glaube, zwölf werden es gewesen sein, zwei gebe ich noch zur Sicherheit hinzu! Aber der teure Krontaler der Mutter wird ganz in dem Torten aufgehen. Wäre ich doch nicht so genäschig gewesen; der Vater hat recht, wenn er das Naschen nicht leiden kann. So jammerte Alois.
Er ging zur Trude und klagte ihr sein großes Unglück; Trude aber lachte und meinte, wegen ein paar Krapfen und eines bißchen Torten solle er sich nicht zu Tode grämen, da sei keine Sünde dabei. Das beste sei, dem Michele den geschehenen Irrtum zu eröffnen; er werde gescheit sein und als ein Großkircher wegen ein paar Krapfen nicht einen Lärm erheben.
In einer halben Stunde war Alois bei dem Michele und erzählte ihm den Vorfall.
Michele machte zwar ein etwas saures Gesicht, jedoch schenkte er dem Alois die bereits verschlungenen Krapfen und das bißchen Torten; setzte aber bei, daß der Torten eigentlich für die Zimmerfrau bestimmt gewesen wäre. Sohin war die verhängnisvolle Kiste zu Michele transportiert. Jedoch die Sache war noch nicht abgetan.
Die Zimmerfrau des Michele konnte, von dem Vorfalle in Kenntnis gesetzt, den angefressenen Torten nicht verschmerzen. Das ihr entgangene Stück vermißte ihr begehrlicher Magen.
Kaum war Alois nach Hause gekommen, so klopfte es an der Türe, und kaum hatte er »herein« gesagt, so fühlte er sich schon bei seinen Haaren ergriffen und kräftig geschüttelt, so daß es ihm vor den Augen blitzte.
Lump, Dieb, Spitzbube, kreischte dazu eine weibliche Stimme, du hast die Kiste erbrochen, du hast die Torte angefressen und die Krapfen gestohlen!
Die weibliche Furie war des Michels Zimmerfrau.
Endlich faßte sich Alois, er machte sich aus den Händen der Wütenden los. Schon wollte er sie zur Türe hinauswerfen, denn er fühlte in sich einen Löwenmut und eine Löwenwut, doch da dachte er an den Professor; er ließ seine Arme wieder sinken, die er schon erhoben hatte; denn eine Zimmerfrau war nach den Gymnasialgesetzen eine heilige Person, obgleich es selten der Fall ist.
Da kam auf den Lärm Trude herbei, und ihre weibliche Zunge war noch beweglich genug, um ihren lieben Schützling zu verteidigen und die Furie vom Halse zu bringen. Alois hätte nie geglaubt, daß Trude so tapfer wäre in ihrer Zunge, denn sie trug im nachfolgenden Zungenkriege den Sieg davon. Bist halt eine Kotlacklerin, rief ihr Trude nach, gehst du nicht, so hole ich die Schustergesellen im Hause, sie werden dir mit ihren Knieriemen den Rücken mürbe schlagen, das wäre mir sauber, ein armes Kind so zu überfallen und zu mißhandeln.
Dem Alois war eigentlich nicht so viel Leid geschehen, außer daß seine lateinischen Brocken im Gehirn ein wenig aufgerüttelt wurden, aber es kränkte ihn dennoch tief, daß er die Hexe nicht auch an den Haaren ein wenig herumziehen gekonnt hatte. – Doch blieb ihm dafür der Krontaler – und jetzt war's vorbei!
Dem Michele war diese Affäre doch zu schlecht, denn wenn dies in Großkirchen ruchbar werden wird, so wird ihn die Studentenwelt als einen Schuften anfeinden, der Studentenehre einem gemeinen Weibe opfert. Er erschien noch am nämlichen Tage bei Alois und bat ihn um Verzeihung; er hätte nicht geglaubt, daß seine Zimmerfrau eine solche Furie wäre, er werde den nächsten Monat ausziehen; die Großkircher Studenten müßten zusammenhalten.
Und Trude mußte eine Maß Bier holen, und das Versöhnungsfest ward gefeiert mit einem Pereat auf alle bösen Zimmerfrauen!
Im nächsten Monate zog Michele wirklich aus dem Quartiere weg.
Von nun an verging das Schuljahr ohne merklichen Zwischenfall.
Schon wanderten die Juristen und Philosophen als die ersten glücklichen Vakanzzugvögel zu den Toren der Stadt Innsbruck hinaus. Alois hatte noch fünf Striche an der Wandkarte. Da wurden die Stunden gezählt, es waren davon noch 144, nur fünfmal noch schlafen gehen, dann selige Vakanzzeit!
Die gedruckten Kataloge waren verteilt und die Preise auch, die Preise waren aber seltene goldene Vögel, und Alois war nicht so glücklich, einen zu erhaschen; er durfte sich aber dennoch glücklich preisen, er hatte sehr gute Fortgangsnoten.
Als die Tore des Gymnasiums geschlossen waren, hatte Alois noch zu laufen; er mußte sich bei seinen Wohltätern mit dem Zeugnisse einstellen und danken. Am Schlusse wurde die Bitte für das nächste Jahr hinzugesetzt. – Komme nur wieder, sagte der freundliche Eichenwirt und drückte ihm drei Zwanziger in die Hände. Das lateinische Zeugnis verstehe ich nicht, aber es muß gut sein, weil du gar so ein fröhliches Gesicht machst.
Um 2 Uhr nachmittag wanderte auch Alois mit den andern Oberländernachzüglern zur Ulfiswiese hinaus. Sie sangen:
A, a, a, valete studia,
E, e, e, finis miseriae,
O, o, o, magno cum gaudio,
X, x, x, zu meiner Vogelbüchs, zu meiner Vogelbüchs.