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XII.
Des Lebens Frühling

Seine Reise nach Italien nahm Joseph durch Tirol, denn er wollte ja seine liebe Heimat wiedersehen und den Seinigen erzählen, wie nun sein Glück gemacht sei, und da mußte natürlich Innsbruck auch passiert werden, und in einem Städtchen, wo man acht Jahre des Lebens zugebracht hat, sucht man gerne wieder seine alten Bekannten auf; doch vorerst eilte Joseph nach Hause, wo man staunte, daß Joseph in so kurzer Zeit ein so hoher, reichbesoldeter Herr geworden sei; denn jährliche 800 Gulden waren in den Augen der Großkircher eine große Summe.

Der Alois steckte noch in S... mit 400 Gulden, sein jüngerer Bruder hatte ihn weit überholt. Das verdroß den Alois so gewaltig, daß er seine neun Dienstjahre an den Nagel hing und als Konzipist beim Advokaten K.... in Großkirchen einstand, wo er wirklich gut besoldet wurde, denn. Doktor K.... sah ein, daß er an Alois einen tüchtigen und praktischen Arbeiter gewonnen habe.

Auf der Durchreise nach Italien berührte also Joseph auch das liebe Innsbruck und hatte im Sinne, sich dort einen Tag aufzuhalten.

Da Joseph viel von den überspannten Forderungen der Gewerbsleute in Italien gehört hatte, so beschloß er, seine Kleider bei dem früheren Meister in Innsbruck sich anzuschaffen; der grüne Rock war ja schon lange wieder vergessen.

An einem Sonntag nachmittag nun begab er sich in des Meisters Wohnung. Wie er so über die bekannten Stiegen hinaufging, dachte Joseph an Fräulein Pepi. Wird diese noch leben, wird sie noch ledig oder an irgendeinen Herrn schon verheiratet sein, oder steckt sie gar in einem Kloster? Solche Mädels haben Wert, fromm, hübsch, etwas Geld und außerordentlich gutherzig und freundlich, dazu noch sehr wirtschaftlich und einfach erzogen; was soll ein Mann mehr wünschen? Solche Fragen stellte sich Joseph, während er die vier Stiegen hinaufstieg; doch schlug er sich diese Dinge aus dem Kopfe, und doch klopfte vor Erwartung sein Herz, als er in des Meisters Wohnung trat. Alles ist da ruhig und still, denn die Gesellen sind wahrscheinlich ausgeflogen. Josephs wiederholtes klopfen an der Türe beantwortet niemand. Er tritt in das Arbeitszimmer, auch da niemand. Er lenkt nun seine Schritte in das halbgeöffnete Nebenzimmer, vielleicht macht der Meister ein Mittagsschläfchen.

Doch wen erblickt Joseph? Fräulein Pepi allein sitzt im Hauskleide auf einem Kanapee und liest in einem alten Hausbuche.

Wie Pepi den Joseph so unvermutet vor sich stehen sah, da fährt sie erschrocken auf; es war, als hätte man über ihre Wangen eine brennende Glut ausgegossen.

Sie eilt dem Joseph entgegen und ruft aus: Sie da, Herr Joseph, Sie, wie kommen Sie nach Innsbruck? Ich vermutete Sie in Wien. Sie haben also unser Tirol und uns nicht vergessen?

Joseph wußte lange nicht, was er sagen sollte; endlich sagte er: Es sind nun freilich viele Jahre her, daß ich Sie nicht mehr gesehen; denn als ich von Innsbruck nach Wien zog, waren Sie gerade nicht zu Hause, was mir sehr leid tat; denn ein Wörtchen des Abschiedes hätte ich Ihnen doch so gern gesagt. Ich konnte Sie auch nie nur auf ein Wort erwischen seit jener Zeit, als Sie mir bei Lieschen davonliefen; wissen Sie es noch?

Pepi: O ja, ich weiß es noch ganz gut; aber Sie müssen mir schon vergeben, ich kannte Sie damals nicht recht, und um mit Herren zu sprechen, bin ich zu ungeschickt und scheu erzogen worden.

Joseph: Darum freut es mich, Sie heute endlich zu treffen; ich glaubte, es werde mir auch so ergehen wie andere Male, wo Sie immer vor mir davonliefen; gar so böse bin ich denn doch nicht.

Pepi: Ich weiß schon, daß Sie nicht sind wie die jungen Herren unserer Zeit, und es freut mich. Setzen Sie sich und erzählen Sie mir, wie es Ihnen in Wien gegangen ist. Das Wien ist für junge Herren sehr gefährlich, mein Bruder hat mir oft davon gesagt.

Joseph: Wo ist denn der Herr Bruder? Ich würde ihn benötigen.

Pepi: O mein Gott, dieser ist am Sonntag wenig zu haben; er ist nicht wie unser seliger Vater (Pepi wischt sich eine Träne aus dem Auge). Er ist zwar gut, aber ein paar Kameraden wollen ihn aus seinem Stande herausreißen, sein Handwerk, sagen sie, sei nichts für ihn.

Joseph: Wird schon anders werden, seien Sie deswegen unbekümmert: er ist halt noch jung. Ich hätte mir gern von ihm Kleider anmessen lassen.

Pepi: Diese bekommen sie in Wien viel eleganter.

Joseph: Ich bin nicht mehr in Wien angestellt, ich gehe jetzt nach Italien.

Pepi: Nach Welschland? dort ist ja für die Beamten ein unangenehmes Sein.

Joseph: Unsereinem ist die ganze Welt sein Vaterland; wer allein steht, steht überall teilnahmslos da, er bezahlt, und man fragt nicht, von wem das Geld ist; hat man Geld, so ist man was; hat man keines, so ist man nirgends nichts.

Pepi: Alle Menschen denken nicht so. Sie haben vielleicht nur Geldmenschen kennen gelernt; es gibt doch Leute, die etwas höher schätzen als das Geld, nämlich Rechtschaffenheit und Tugend.

Joseph: Mag sein, aber deren sind wenige, und daher kommt es, daß ich am liebsten allein bin. Glauben Sie mir, ich lebte in dem großen Wien wie in Innsbruck, und so werde ich auch in Italien leben, d. h. zurückgezogen. Hätte ich nur einen mir gleichgesinnten Freund an der Seite, so wäre ich zufrieden, denn um mein Auskommen darf ich mich jetzt, Gott sei Lob, nicht mehr kümmern; ich bin jetzt Kommissär.

Pepi: Dann wünsche ich Ihnen von Herzen Glück. Ich habe gesehen, mit welchen Hindernissen Sie zu kämpfen hatten, ich begleitete Ihre Schritte mit meinen Segenswünschen; Sie wußten es vielleicht nicht. Mein seliger Vater hat es oft gesagt, daß er über Ihre eiserne Festigkeit staune.

Nun wissen Sie was? Sie haben in Wien und anderswo die braven Mädchen genug getroffen, nehmen Sie eine derselben zur Frau, dann haben Sie eine treue Lebensgefährtin, die Freud und Leid bis zum Tode mit Ihnen teilt.

Joseph: Aber wer wird mit mir nach Italien gehen wollen?

Pepi: Das fragen Sie mich? Sie werden wohl am besten wissen, wem sich Ihr Herz zugeneigt hat. Vielleicht haben Sie schon lange gewählt!

Joseph: Wenn ich nun an Sie die Frage stellen würde, gehen Sie mit mir in ein Land, wo andere Sitten sind, eine andere Sprache und ein anderer Himmel ist, wollen Sie dort meine Lebensgefährtin werden?

Pepi (purpurrot und die Augen niederschlagend, nach einigem Zögern): Mit Ihnen getraute ich mir in der ganzen Welt glücklich zu sein.

Joseph: Ist das Ihr Ernst oder scherzen Sie?

Pepi: Mein voller Ernst. Sehen Sie, Herr Joseph, ich zähle jetzt 24 Jahre, und ich hätte schon viele glänzende Anträge bekommen. Ich schlug sie aus; warum weiß ich nicht. Heute fragen Sie mich, ob ich mit Ihnen als Lebensgefährtin in ein fremdes Land gehen wolle, Sie, mit dem ich heute die ersten Worte spreche, und mein Herz sagt mir, ich solle ja sagen; ja ich meine, daß schon das erstemal, als ich Sie nur auf einen Augenblick sah, eine Ahnung mich und mein Schicksal an Sie knüpfte.

Joseph: Wohlan denn Pepi, hören Sie mein ernstes Wort: Das, was Sie zu mir sprechen, ging auch in meinem Herzen vor; doch ich schlug diese Gedanken immer wieder aus, denn wie konnte ich, der arme Student und Praktikant, diese hegen; doch dieser Augenblick hat alle Vorsätze über den Haufen geworfen; ich glaube, wir sind von Gott füreinander bestimmt.

Joseph und Pepi reichten sich die Hände und gaben sich das Wort, sich als Verlobte anzusehen; nur der Himmel hatte die Worte gehört.

Joseph versprach, nach einem Monate an Pepi das Nähere zu schreiben und zu bestimmen, inzwischen müßte er sich in die Amtsgeschäfte in Italien einfinden. Bis der Zeitpunkt der Hochzeit bestimmt sei, soll ihre Verabredung jedermann ein Geheimnis bleiben.

So mancher Romanheld wird diese Liebesgeschichte als zu übereilt, zu simpel, ja fast tölpelhaft finden; er wird an der Pepi tadeln, daß sie so gerade heraus sprach; viele zimpferliche Umwege, Hindernisse und Bedenklichkeiten, eine lange Bekanntschaft, wo man sich gegenseitig bis in die Tiefe der Seele schauen kann, süße Gespräche und Zärtlichkeiten wären ihm lieber gewesen; aber Pepi war eben keine Romanheldin, sie hatte zum Lesen keine Zeit, und im Theater und auf Bällen war sie, das Stadtkind, auch noch nie gewesen, um zu lernen, wie man regelrecht von Stufe zu Stufe eine Liebschaft durchmachen müsse. Ja, noch etwas Schrecklicheres war bei ihr der Fall, sie konnte nicht einmal tanzen; von Gitarre spielen, Italienisch und Französisch sprechen war gar keine Rede, und doch hätte sie jetzt das Italienische gut brauchen Können. Joseph hätte Fräuleins gekannt, die das alles gut verstanden hätten, aber er war ein gar kaprizer Kopf und war zufrieden, daß Pepi nähen, kochen und wirtschaften konnte; andere, die ihm in zuckersüßen italienischen Phrasen das Jawort hätten geben können, beachtete er nicht.

Mit vor Seligkeit strahlendem Gesichte begleitete Pepi den Joseph noch bis zur Vorhaustür. Nochmal reichte sie ihm die Hand und sagte: Also dabei bleibt's!

Ja, Gott will es, sprach Joseph, entfernte sich und ging hinab in die Pfarrkirche zu Mariahilf und blieb dort wohl eine Stunde; Pepi aber kniete inzwischen in ihrem Schlafkämmerlein vor einem Madonnenbilde und dankte der Himmelskönigin im Jubel ihrer Seele, denn zu ihr hatte sie ja immer um Erleuchtung gebetet, und heute hatte sie ihr zugeflüstert: Sage ja.

Nur auf einen kurzen Augenblick sah Pepi am anderen Tage noch ihren Verlobten, als er kam, um sich bei ihrem Bruder die Kleider anmessen zu lassen. Joseph gab ihr zum Abschiede die Hand, blickte sie stumm an, und fort war er.

Zum erstenmal in ihrem Leben fühlte Pepi, daß es noch engere Bande gäbe als jene, die an die teuren Eltern knüpfen, sie schloß sich in ihr Kämmerlein und weinte bitterlich; den ganzen Tag hatte sie ihr Sinnen bei Joseph; selbst dem Bruder und den Gesellen fielen ihre verweinten Augen auf, die Ursache aber konnten sie nicht erraten. An Joseph dachte niemand, war er ja sehr selten und das nur kurz im Hause gewesen; wie sollte das Scheiden eines fast unbekannten Herrn die Ursache der Tränen sein? Umsonst zerbrach man sich den Kopf, dieses herauszubringen.

Als Joseph in T....., dem Orte seiner Bestimmung, angekommen war, hatte er lange mit der Schwierigkeit der Sprache zu kämpfen; denn obwohl er glaubte, ziemlich fertig sprechen zu können, so verstand er doch anfangs fast kein Wort; wohl verstanden ihn die Leute, sie sprachen im Dialekt, und die Grammatik kennt keinen Dialekt.

Ihm war zuerst alles Reden ein spanisches Dorf, und fast verzweifelte er. Ein Italiener war ihm in der Kanzlei beigegeben, der kein Wort deutsch verstand, und da hieß es Vogel friß oder stirb. Joseph studierte in Akten und Büchern und trieb sich selbst in Kneipen herum, nur um einmal den Dialekt los zu haben; er vermied, so lockend und süß es gewesen wäre, den Umgang mit Deutschen. Nur am Sonntag besuchte er die Deutsche Kirche wegen des deutschen Beichtvaters. Da hörte er dann auch wieder deutschen Gesang, und das mußte ihn für die ganze Woche entschädigen. Übrigens behagte ihm das italienische Klima ganz gut; auch das Amtsverhältnis war angenehm, es gab nicht mehr soviel zu tun. Joseph schrieb der Pepi alle Monate.

Aus Ursachen, die teils an Joseph, teils an Pepi lagen, verzögerte sich ihre Heirat. Joseph wollte der Pepi es nicht schreiben, daß er keine Ersparnis habe, um die Hauseinrichtung anzuschaffen; er wußte wohl, daß seine Braut vielleicht 2–3000 Gulden habe, aber er war zu zartsinnig, um sie wegen der Hauseinrichtung anzugehen; er wollte sparen und sich das Notwendige nach und nach anschaffen; aber Pepis Hände waren inzwischen nicht müßig, sie arbeitete emsig an ihrer Ausstattung, und da sie endlich die wahre Ursache, warum Joseph die Hochzeit immer hinausschiebe, erriet, so meinte sie, daß sein Zartsinn gar zu übertrieben sei, und daß Verlobte es mit dem Mein und Dein nicht gar so heikel nehmen sollten. Daß Joseph das Wort zurücknehmen könnte, dessen hielt sie ihn unfähig.

Es war im Spätherbste des Jahres 1853, da erhielt Joseph auf einmal einen Brief, beschwert mit 300 Gulden. Er war von der Pepi. Sie schrieb:

Da Sie die Last der Einrichtung nicht allein übernehmen können, so überschicke ich Ihnen dieses Geld. Schaffen Sie sich damit an, was Sie als nötig erachten. Küchenzeug, Wäsche, Betten und die feineren Möbel werde ich mitbringen, weil sie hier wohlfeiler sind; sorgen Sie daher nicht weiter. Diese 300 Gulden sind mein Ersparnis. Nun wird es doch an der Zeit sein, auch meinen Brüdern unseren Bund zu eröffnen, da es sonst zu weit sich hinausschiebt und ich mich sehne, mit Ihnen Ihr Los zu teilen.

Daß dieses Angebot dem Joseph erwünscht kam, läßt sich denken; denn wie langsam geht das Anschaffen mit den Ersparnissen eines Beamten.

Joseph bestimmte nun den Fasching des Jahres 1854 zur Hochzeit.

Pepi eröffnete nun infolge dieses Briefes dem Bruder ihre vorhabende Heirat.

Wie, sagte dieser, gleichsam aus den Wolken gefallen, du heiraten? Wie kämest du dazu, hast ja alle Bewerber kurz abgespeist, wo wäre denn dein Bräutigam? Du spassest; so launig warst du noch nie. Da müßte ich wohl auch früher etwas davon gemerkt haben.

Pepi: Und doch ist es so! Im Fasching, spätestens nach Ostern, werde ich heiraten.

Anton: Und wer wäre denn dieser dein Bräutigam, der dir so heimlich dein Herz gestohlen?

Pepi: Rate einmal!

Anton: Etwa doch noch der Kaufmann S...?

Pepi: Weit gefehlt. Mein Bräutigam ist in Welschland!

Anton: Etwa gar der Doge von Venedig? Sonst wüßte ich wahrlich nicht.

Pepi: Ich sehe schon, du kommst nicht darauf. Es ist Joseph N....

Anton (erstaunt): Der Joseph! – Nun begreife ich erst! – Wie blind war ich doch. Also daher kamen deine verweinten Augen bei seiner Abreise – daher dein heimliches Briefschreiben?

Jedoch liebe Schwester, ich gratuliere dir zu Joseph; er ist ein braver Mann, ich kann nur nicht begreifen, wie du zu ihm gekommen bist?

Pepi: Ich auch nicht; es war eine Fügung des Himmels. Nun ist es geschehen! Nicht wahr, lieber Bruder, du wirst nicht böse, daß ich dich verlasse?

Anton: Ich lasse dich ungern weg und so weit weg erst gar nicht; aber ich liebe dich und wünsche von Herzen dein Glück.

Ebenso große Augen machte der andere Bruder der Pepi. Er hatte Joseph einmal in dem Gasthause zur deutschen Eiche neben dem St. Stephan in Wien getroffen; damals hatte weder Joseph noch der Bruder Pepis daran gedacht, daß sie noch Schwäger werden würden, sonst hätten sie mitsammen ein Gläschen getrunken.

Pepi war untertags nun nicht mehr beim Bruder, sie ging zu ihrer Schwägerin, um besser kochen zu lernen. Pepi hatte die Hände voll Arbeit, denn der Tag, der zur Hochzeit bestimmt war, rückte immer mehr heran.

Pepi stand eben am Herd bei ihrer Schwägerin (es war am Abend des 23. April 1854), da trat ein Herr im Reiseanzuge in die Küche.

Der Joseph! der Joseph! schrie in höchster Entzückung Pepi aus, ließ den Kochlöffel fallen, eilte ihrem Bräutigam entgegen und schüttelte zum Gruße dessen Hand. – Endlich sind Sie gesund da, Gott sei Dank!

Die Schwägerin musterte den Joseph vom Fuße bis zum Kopfe; der neue Schwager, von dem ihr Pepi so viel Gutes erzählte, gefiel ihr gar nicht übel; sie hatte ihn noch nie gesehen, sie reichte ihm auch die Hand zum Gruße. Bald waren auch der Meister und die zwei anderen Brüder Pepis da, und es dauerte nicht lange, kam auch der Alois, der inzwischen von Großkirchen nach Innsbruck zum Advokaten S.... übergesiedelt war, und das Grüßen wollte kein Ende nehmen. Die Pepi konnte zu ihrem Leidwesen an jenem Abende fast gar nichts mit Joseph sprechen. Redet ihr nachher, hieß es, habet dazu Zeit genug; wir aber haben euch nur so kurze Zeit mehr in unserer Mitte. Dann gab es auch für Pepi noch eine Menge Sachen einzupacken.

Um 4 Uhr morgens am 24. April 1854, am Tage, wo Seine Majestät der Kaiser Franz Joseph seine Elisabeth als Braut zum Altar führte, fuhren zwei Zweispänner zu den Toren Innsbrucks hinaus, hinauf gegen Oberinntal. Wir wollen uns die Personen ansehen, welche in den Kutschen sitzen.

In der ersten Kutsche sitzt am Hintersitze rechts ein junger Herr in Galakleidung, mit einem Blumenstrauße im Knopfloche, etwas ernst gestimmt; ihm zur Linken ist ein Fräulein in weiß und violett schillerndem Damastkleide, ein einfacher grüner Kranz mit weißen Rosen schlingt sich um ihre braunen Haare. Sie hält einen Rosenkranz und ein silberbeschlagenes Gebetbuch in ihren Händen. Es muß Großes in ihrem Herzen vorgehen, denn auf die Scherzworte der Gegenübersitzenden (es sind ein Herr und eine Frau) antwortet sie nur mit einem gezwungenen Lächeln. Man sieht, daß man es hier mit einem Brautpaar zu tun hat, und das Brautpaar sind Joseph und seine Pepi. Die Gegenübersitzenden sind der Alois und die Schwägerin der Pepi. Im hinteren Wagen befinden sich die drei Brüder der Pepi und ein alter Studienfreund Josephs.

Um 8 Uhr war diese kleine Hochzeitsgesellschaft in der Kirche zu Z.... Pfarrer A., der in Großkirchen als Kooperator noch mit dem Studenten Joseph viele Stunden zugebracht hatte, erwartete das Brautpaar zur Kopulation. Rüstig schritt Joseph zu den Stufen des Altares hin, denn er war überzeugt, daß er hier aus der Hand Gottes sich eine Perle hole; Pepi aber sah blaß und angegriffen aus, fast wie eine schlanke weiße Lilie der Unschuld schwebte die hohe Gestalt hin an der Seite Josephs, sie war von der Heiligkeit des Augenblicks fast wie der Erde entrückt. Sie hörte die wichtigen an sie gestellten Fragen; sie antwortete, sie reichte dem Joseph die Hand, sie fühlte die auf die verbundenen Hände gelegte Stola, sie merkte, wie Joseph den Brautring an ihren Finger steckte; aber als sie zu ihrem Betstuhl wieder zurückgekehrt war, kam ihr das alles wie ein schöner Traum vor, und während der ganzen Messe rang sie im Gebete mit Gott und der seligsten Jungfrau um den himmlischen Segen für das jetzt festgeknüpfte heilige Band.

Und glaubt ihr, Joseph habe etwa andere Gefühle gehabt? – Selbst der Alois, welcher der Pepi als Zeuge zur Seite stand, konnte sich der Tränen nicht enthalten; ihm schien Pepi ein milder Engel in Menschengestalt, er beneidete den glücklichen Joseph. – Joseph und Pepi waren also Mann und Weib, sie konnte nur mehr der Tod trennen.

Beim Frühstücke ging es etwas lustiger her, denn der Herr Pfarrer ließ seine launigen Witze springen; besonders war die Pepi seinen heiteren Neckereien ausgesetzt. Der Wein tat auch das Seine; warum soll man an einem Hochzeitstage traurig sein? Alois, die drei Schwäger und selbst Joseph stimmten endlich ein. Um 2 Uhr mittags war es höchste Zeit aufzubrechen, denn das Brautpaar wollte noch nach Großkirchen, und der Weg dorthin war noch weit.

Der Abschied Pepis von ihren Brüdern war tränenreich, denn sie hatte noch nie den Fuß über das Weichbild Innsbrucks hinausgesetzt, außer etwa zu einem kleinen Ausfluge mit den Eltern, und jetzt soll sie in ein fernes, fernes Land, unter lauter landfremde Gesichter; darum war es ihr zu verzeihen, daß Pepi beim Abschiede weinend an dem Halse ihrer Brüder hing.

Dieser vierundzwanzigste April hätte eigentlich ein doppelter Frühlingstag sein sollen, der Frühling in der Natur draußen und der Frühling in den Herzen der Neuvermählten; aber die Natur zog eben jetzt nochmal ihr Winterkleid an, es schneite in dichten Flocken; der Frühling aber in dem Herzen Josephs und der Pepi blühte gar lieblich, sie kümmerten sich um die Außenwelt gar wenig, sie waren sich nun selbst ihre zukünftige Welt und ihr alles.

Der Wagen mit den sechs anderen rollte Innsbruck zu, und da ging es munter her; der Wagen mit Joseph und Pepi aber wendete sich nach Großkirchen.

Nun sind wir endlich allein, sagte Joseph zur Pepi; ich hoffe dir alles zu ersetzen, was du hier Teures und Liebes zurückließest. Ich will nun dein Vater, deine Mutter, dein Bruder, dein alles sein. Teures Weib, schauen wir fröhlich in die Zukunft, mag kommen nun, was da will, nichts kann uns trennen, nur der Tod, und selbst dieser nur auf eine kurze Zeit. Nicht wahr, Pepi, du denkst auch so und nimmst dein ganzes Herz mit dir?

Pepi drückte ihm zum Zeichen der Zustimmung die Hand, ihr Herz war zu voll, sie konnte nicht sprechen, aber eine beredte Träne glänzte in ihren Augen; das Purpurrot ihrer Wangen war zurückgekehrt.

Jesus Maria, schrie die älteste Schwester Josephs, sich in die Stube des Nuiterbauers stürzend, ein Herr und eine noble Frau mit einem Schleier kommen zu uns herauf, der Herr ist gerade ein Herr wie unser Joseph. Es war dies am Morgen nach Josephs Hochzeit.

Der Herr war wirklich Joseph mit der Pepi. Sie waren erst spät um 10 Uhr abends in Großkirchen angekommen, konnten daher an jenem Abende nicht mehr im Nuiterhause die Leute aus dem Schlafe stören, denn da lag ja alles immer schon um 9 Uhr zu Bette.

Die Wirtin, bei der Joseph übernachtete, mußte versprechen, Josephs Ankunft mit seiner Frau geheimzuhalten; ja, der Nuiterbauer und ganz Großkirchen hatten von Josephs Hochzeit keine Silbe erfahren; Joseph wollte seine Eltern überraschen.

Joseph wurde von den Seinigen natürlich sogleich erkannt und begrüßt; Pepi stand lächelnd ihm zur Seite. Liebe Eltern, sagte Joseph, ich habe euch noch jemand mitgebracht, ihr dürft sie schon auch begrüßen, es ist eine Bekannte!

Noch begriffen die Nuiterleute nicht, wer diese fremde Frau sei, sie schauten dieselbe, wie es Bauersleute mit den Herrenleuten haben, scheu und zurückhaltend an.

Nun lieber Vater, liebe Mutter, fuhr Joseph fort, gebt dieser Dame nur die Hände, sie ist eure Tochter, sie ist seit gestern mein liebes Weib, und wir sind gekommen, um euern elterlichen Segen zu bitten, bevor wir nach Welschland abreisen.

Joseph und Pepi knieten sich vor den Eltern nieder, und der schlichte Nuiterbauer tauchte seine Finger in das Weihbrunnkrüglein und segnete seine Kinder, so auch, aber nur mit Widerstreben, die Mutter; denn wie sollte ein armes Bauernweiblein solche Herrschaften segnen können?

Nun erst wurde man zutraulich, und bald hatte Pepi mit ihrer Freundlichkeit die Herzen aller gewonnen; hatte sie ja auch für jeden ein passendes, hübsches Hochzeitsgeschenk mitgebracht; dem Schwiegervater einen silberbeschlagenen Ulmerkopf mit vier großen Päcken Dreikönigtabak, der Mutter ein dickes, schönes Gebetbuch, den Schwestern des Joseph schöne Halstücher und dem jüngsten Bruder Josephs gar herrliche Spielsachen.

Durch zwei Tage wurde nun in dem Nuiterhause die Nachhochzeit gefeiert.

Doch der heimlichen Frage an Joseph konnte sich der Nuiterbauer nicht enthalten, ob seine Frau wohl Geld habe.

Joseph lächelte und sagte, das wisse er selbst nicht, um das habe er sie nicht gefragt.

Einmal christlich ist sie, meinte der Nuiterbauer, dann wird es schon gehen; der Ehestand bleibt denn doch immer ein Wehestand.

Die Großkircher sagten, des Joseph Frau wäre gar stattlich und fromm; sie schaue auch recht gütig her.

Am dritten Tage fuhr man ab, Meran zu. Auf der Malserheide tobte noch fürchterliches Schneegestöber; als es aber dem Süden zuging, blieb dieser Wintergast allmählich zurück, das schöne Vintschgauertal färbte sich weiter hinab immer grüner und grüner, und schon sah man die Kirschbäume in schneeweißer und die Pfirsichbäume in rotglühender Blüte auftauchen, denn die herrliche Gegend um Meran tat sich auf.

Und wie die Blüten so entfaltete sich auch die Heiterkeit und Fröhlichkeit Pepis immer mehr, jeder traurige Zug war von ihrem Antlitze gewichen, und wie die Rebe um den schützenden Stock sich rankt, so legte Pepi jetzt ihr ganzes Seelenleben vertrauungsvoll in die Hände Josephs. O war das ihr ein Frühling, der Frühling ihres Lebens und der Frühling draußen in der Natur. Pepi hätte laut aufjauchzen und sagen mögen, daß sie jetzt glücklich sei; nur etwas war ihr störend, das Geräusch der Menschen, und darum trieb sie Joseph immer an, an den Ort ihres häuslichen Herdes aufzubrechen; denn obschon Meran zu jener Zeit ein blühendes Paradies schien, so fehlte doch da ein ruhiges, stilles Plätzchen, der eigene heimatliche Herd.

Obwohl Pepi dem Joseph immer versicherte, daß sie sich mit ihm überall glücklich fühle, so hatte er es doch erlauscht, was ihr abgehe; er reiste am 3. Mai von Meran nach T..... ab.

Sonderbar kam es der Pepi freilich vor, als sie ihre Muttersprache nicht mehr hörte, aber es war jener bei ihr, den sie immer verstand.

Als sie in T..... ankamen, war es Nacht, und Joseph führte seine Hausfrau in seine neue Wohnung ein. Wie glücklich war Pepi, endlich das Plätzchen erreicht zu haben, wo sie nun in Zukunft als Herrin frei schalten und walten sollte. Ihre Wohnung sollte nun ihre neue eigene Welt sein.

Es war nur um ein paar Tage zu tun, so war sie in ihrer neuen Wohnung auch heimisch. Langweile hatte sie nie, denn sie hatte allerhand herzurichten und zu schaffen. Sie war ja Köchin, Zimmerin, Magd und Herrin zugleich; denn auf den Knien hatte sie Joseph gebeten, ihr keine Magd anzustellen, sonst hätte sie nichts zu tun und müßte Langweile bekommen. Eine Magd sei oft Ursache von Zänkereien. Nur ein Weib nahm sie auf, welches ihr täglich die niederen Arbeiten verrichten mußte.

Wie freute sich Pepi immer auf die Zeit, wenn Joseph von der Kanzlei nach Hause kam, da konnte sie reden und ihm sagen, wie glücklich sie sich fühle; sie behauptete, es gefalle ihr hier viel besser als in Innsbruck, zudem sei es hier viel wohlfeiler. Wer sonst noch in der Stadt sei, ob Italiener, Deutsche oder Chinesen, bekümmere sie gar nicht.

Einen Fehler hatte noch Joseph im Anfange seines ehelichen Standes, er ging abends noch täglich in das Wirtshaus zu seinen früheren deutschen Freunden, einmal, weil er es so gewohnt war, dann auch, weil er fürchtete, von ihnen als Pantoffelheld verspottet zu werden, und das dauerte noch drei Monate nach seiner Ankunft in T.....

Doch eines Tages fiel es ihm ein, daß dieses Wirtshaussitzen von 8–11 Uhr abends denn doch eine Ungerechtigkeit gegen seine Frau sei, da sie fast den ganzen Tag ohne alle Anrede zu Hause sitze, und er ihr auch noch den Abend ein paar Freunden zu lieb abstehle.

Er probierte nun einmal, mit aller Gewalt seinen Gang nach der birraria einzustellen; hart ging es, denn die Gewohnheit ist ein eisernes Hemd; den zweiten Tag ging es schon besser. Er stellte sich nun selbst im Keller Wein ein und trank mit seiner Frau zu Hause ein Gläschen, und es schmeckte ihm besser und um das Dreifache wohlfeiler als im Wirtshause. Nun ging er gar nicht mehr ins Wirtshaus. Joseph sah wohl, daß Pepi überaus glücklich war; gesagt hatte sie jedoch gegen sein Wirtshausgehen nie eine Silbe.

Als nun Joseph so schon einige Monate bekehrt war, kam einmal eine alte Frau, eine Deutsche, welcher Pepi viel Gutes tat, zur Pepi; Joseph war nicht zu Hause. Kaum hatte Pepi die Frau erblickt, welche sie fast wie eine Mutter betrachtete, stürzte sie sich an ihren Hals und weinte.

Was haben Sie, Frau Pepi? fragte erstaunt die Alte.

O ich habe eine Freude, eine überaus große Freude, denn wissen Sie, mein Joseph geht nun nicht mehr ins Wirtshaus, ich habe ihn nun ganz allein.

Die Alte mußte herzlich über die Pepi lachen, daß eine so kleine Sache sie so sehr erfreuen könne, sie sagte, daß ihr verstorbener Mann auch ins Wirtshaus gegangen sei, man müsse dies den Männern erlauben, es gehöre ihnen nach der angestrengten Arbeit des Tages eine Zerstreuung, und es bringe dies auch das Geschäft mit sich.

Ich hätte es ihm gern gegönnt, sagte Pepi, ich sagte ihm nie ein Wörtchen, daß er nicht gehen sollte, aber er tat es mir zu lieb; ich sehe, daß er mich über alles schätzt, und das ist's, was mich so sehr freut. Würde ich erkennen, daß ihm das Zuhausebleiben eine Last wäre, o so würde ich selbst sagen, er solle gehen.

Joseph begegnete einmal zufällig dieser alten Frau, und sie erzählte ihm obige Begebenheit, und Joseph sagte: Wenn ich dies gewußt hätte, so wäre ich schon anfangs nicht ins Wirtshaus gegangen. Jetzt erst sehe ich recht ein, was das Familienleben ist.

Welche Ordnung und Reinlichkeit hatte jetzt Joseph! Die Kleider waren immer sauber ausgebürstet, die Wäsche lag blendend weiß und gebügelt im Kasten, jedes hatte seinen Platz; das Essen war einfach und schmackhaft gekocht; wenn er von der Kanzlei kam, stand es schon auf dem Tisch, er war immer sehnlich erwartet; freudig lief ihm Pepi bis zur Türe entgegen, wenn er die Stiege heraufkam.

Wie ganz anders war das, als Joseph noch Garçon war. Obgleich Joseph die Ordnung liebte, so fehlte es doch bald da, bald dort, und des Mannes Hand ist dennoch zu ungeschickt, um seinen Haushalt zu ordnen, und bezahlte Leute tun nur das, was man ihnen bezahlt, und nicht mehr.

Und wie oft ärgerte er sich über seine Kostgeber; überall schaute ihre Gewinnsucht heraus, und war er etwa unpäßlich, da war es schon gar ein Elend, er mußte oft lange ohne Hilfe daliegen, kein Hahn krähte nach ihm. So kam es, daß Joseph früher sein ganzes Gehalt brauchte, obgleich er nichts verschwendete; jetzt aber konnte er allmonatlich etwas zurücklegen, und doch saßen zwei beim Tische, und doch hatte er jetzt ein ganzes Stockwerk zur Wohnung, und wohin er immer schaute, sah alles so blank, so nett, so wohnlich aus.

Das Wirtshausleben ekelte nun den Joseph förmlich an, nur ein einziges Mal ging er an einem schönen Sommerabende mit der Pepi ins Bräuhaus. Als aber dort von Seite der Beamten schlüpfrige Reden fielen, welche die einfältige Pepi gar nicht einmal verstanden hatte, da beschloß Joseph, gar nie mehr ins Wirtshaus zu gehen, und er hielt auch Wort.

Die Erholung Josephs und der Pepi bestand nur darin, daß sie allabendlich nach dem Essen einen Spaziergang hinauf zu den Frati-Zoccolanti, d. i. zu dem Franziskaner-Kirchlein, machten, das auf einem sehr reizenden Hügel einsam droben lag. Dort beteten sie immer eine kleine Weile, und war das Wetter schön, so spazierten sie danach die Straße hinauf zwischen den mit Weinreben bepflanzten Hügeln, um freie Luft zu schöpfen. Bisweilen traten sie auch in das reizend gelegene Landgut des Grafen W... und lustwandelten unter den Weingeländern bis hin zu einer Quelle, wo kristallhelles Wasser heraussprudelte und zum erquickenden Trunke einlud. Rasensitze umgaben im Halbkreise die Quelle.

Kam man dann nach Hause, plauderte man noch ein Stündchen bei einem gemeinschaftlichen Glase Wein, und mit einem Rosenkranze beschloß man christlich den Tag.

In der Frühe begleitete. Joseph immer die Pepi zur Messe und am Sonntag zum deutschen Gottesdienst, und mancher wird lachen, wenn ich sage, daß beide Eheleute alle Samstag gemeinschaftlich zur Beichte und am Sonntag zur Kommunion gingen; dabei waren Joseph und Pepi so voll innerlichen Friedens, daß sie mit niemand in der Welt getauscht haben würden, selbst nicht mit Königen.

Das war des Josephs Lebensfrühling, das war seine schönste Zeit, aber seine Ehe war auch im Himmel geschlossen worden.

Eines Tages kam Joseph um 12 Uhr mittags nach Hause zum Essen. Es wunderte ihn, daß dieses Mal die Pepi nicht wie gewöhnlich bis zur Türe ihm entgegenkam; sie muß seine Tritte nicht gehört haben. Er läutete an der Glocke, niemand rührt sich; ist ihr vielleicht etwas zugestoßen, schießt blitzesschnell der Gedanke durch Kopf und Herz des Joseph. Er öffnet die Tür mittels des Schlüssels, der Riegel von innen ist nicht vorgeschoben. Der Tisch ist noch nicht gedeckt, das Feuer in der Küche ist auch erlöscht. Pepi, Pepi, ruft nun Joseph, das ganze Quartier durchsuchend; Pepi antwortet nicht, sie ist selbst nicht im Schlafzimmer. Joseph geht nun auch hinauf auf den Dachboden und steigt sogar hinab in den Keller, wenn sie etwa dort eine Übelkeit befallen hätte. Auch da ist sie nicht. Er fragt im ersten und zweiten Stocke, wo Pepi manchmal, um etwas zu holen oder zu fragen, ging, da in jeder dieser Familien eines Deutsch verstand, aber niemand wußte Auskunft zu geben.

Nun befiel Joseph eine entsetzliche Angst. Wo wird die Pepi sein, was ist ihr geschehen? Er denkt nicht mehr ans Essen und rennt die Stadt auf und ab und forscht bei den Bekannten, ob niemand seine Frau gesehen habe. Niemand weiß etwas. Joseph meinte nun, sie sei etwa gar ermordet worden, oder es sei ihr sonst ein großes Unglück passiert; seine Angst steigerte sich mit jeder Minute. Schon war es 2 Uhr nachmittags, und er hatte von ihr noch keine Spur. Allerhand schwarze, traurige Bilder stiegen in seiner Seele auf; nun fühlte er erst, wie sehr er seine Frau liebte.

Da ging er dem Tore der Stadt zu, welches nach Deutschland führt und – Gott sei Lob – da tritt ihm Pepi holdlächelnd entgegen, sie kam ihm wie eine tröstende Engelerscheinung vor.

Endlich habe ich dich wieder! rief Joseph. Welche entsetzliche Angst hatte ich um dich! Wo warst du? Ist dir wohl nichts geschehen?

Verzeihe Joseph, sagte Pepi, das, was mir heute passiert ist, ist mir noch nie geschehen. Ich ging um 10 Uhr von Hause weg, um bei dem Viktualienhändler K. deutschen Speck zu kaufen, den man sonst nirgends in der Stadt bekommt, und wie du weißt, liegt dieser fast am äußersten Ende der Stadt. Ich verfehlte die Gasse und verirrte mich in die Winkelgassen, wo ich mich gar nicht mehr auskannte; fragen konnte ich auch nicht nach unserer Gasse, da ich zu wenig Welsch verstehe, und so kam ich bis zum äußersten Stadttore, erst dort kannte ich mich aus, daß ich ganz auf der entgegengesetzten Seite wäre. Ich kehrte um, und da treffe ich zum Glücke dich.

Mir war am meisten wegen dir, ich konnte mir deine Angst vorstellen! Armer Mann, so lange mußtest du ohne Mittagsmahl bleiben! Jetzt wird es zu spät sein zum Kochen, gehen wir in ein nahes Gasthaus etwas zu essen; du weißt wohin, Geld habe ich schon bei mir.

Was liegt mir an dem Essen; weil nur du wohlbehalten bist, bin ich's zufrieden, sagte Joseph; ein Zentnerstein ist mir vom Herzen, und die düstern Bilder von vorher sind mir aus der Seele wie weggewischt.

Man ging nach Hause, und dieses Mittagsmahl wurde so gefeiert, als hätte man sich jahrelang nicht mehr gesehen.

Noch einen Zug aus Josephs ehelichem Leben muß ich hierher setzen, weil er klar beweist, wie Gott die Liebe der Kinder gegen die Eltern belohnt.

Lichtmeß kam heran, eine Zeit, die dem Nuiterbauer manchmal Sorge machte, denn er mußte dort immer 60 Gulden Zinsen bezahlen, da er Geld aufgenommen hatte, um seinen Söhnen das Studieren zu ermöglichen. Steuern und andere Abgaben mußte er auch bezahlen, und sohin reichte das Erträgnis seines Gutes nicht hin, alle diese Auslagen zu bestreiten; daher schickte Joseph dem Vater alle Jahre um Lichtmeß 60 Gulden zur Zinsung.

Um Lichtmeß 1855 hatte Joseph gerade mehreres angeschafft und größere Zahlungen gemacht, daher erübrigte er für den Vater nur mehr 30 Gulden, die er auch mittels Post mit dem Bedeuten übersendete, daß die andern 30 Gulden im nächsten Monate nachfolgen werden. Doch über Nacht stellte sich Joseph die Verlegenheit seines Vaters vor, wie schwer es ihm ankommen müsse, seine Gläubiger nicht zur rechten Zeit zu befriedigen, denn der Nuiterbauer hielt auf Rechtlichkeit und Ordnung.

Pepi, sagte am anderen Tage Joseph zu seiner Frau, ich habe dem Vater um 30 Gulden zu wenig geschickt, weil ich meinte, daß wir das Übrige für diesen Monat notwendig zum Hauswesen brauchen; aber der Vater kommt dadurch auch in Verlegenheit. Wie wäre es, wenn wir diese 30 Gulden heute noch abschickten, es geht uns dann freilich sehr knapp zusammen?

Freilich schicken, antwortete Pepi, dem Vater ist man's schuldig. Ich will lieber sparen; wir lassen die dritte Speise aus, nicht wahr, dann werden wir schon ausreichen. Im schlimmsten Falle schreibe ich an meinen Bruder um Geld. Schicke es also!

Joseph packte noch 30 Gulden zusammen und übergab sie am selben Tage der Post zur Beförderung nach Großkirchen. Der Rest für den Bedarf des ganzen Monats bestand noch in 12 Gulden; Pepi behauptete, daß dieses ihr genüge, Gott werde es segnen. – Joseph ging im Herzen beglückt zu seinen Amtsgeschäften, ja noch viel fröhlicher als sonst.

Um Mittag schritt er eben seiner Wohnung zu, als ihm der Briefträger nachrief: Da wäre ein Geld für Ihre Frau, rief er; aber, setzte er scherzend hinzu, Ihnen darf ich es nicht anvertrauen!

Warum nicht? sagte Joseph, her damit, Mann und Weib sind ja ein Leib!

Aber nicht ein Magen, erwiderte lachend der Briefträger, und in unserer Zeit haben die Frauen gerne ihre Extrakasse. Mit diesen Worten übergab der Briefträger dem Joseph den Geldbrief.

Joseph trug ihn, ohne ihn zu öffnen oder auch nur anzusehen, der Frau heim, und als sie ihm begrüßend entgegenkam, fragte sie, ob er wohl das Geld aufgegeben habe?

Wie kannst du zweifeln, sagte Joseph; aber hier habe ich Geld für dich, von wem es kommt, weiß ich nicht.

Öffne du, sprach Pepi, den Brief zurückschiebend, ich habe um kein Geld geschrieben; wundert mich, was das Geld zu bedeuten hat, etwa eine Bestellung.

Der Brief war von einer Freundin Pepi's, der sie vor zwei Jahren 72 Gulden geliehen und die Pepi schon lange als verloren aufgegeben hatte; nun schreibt sie, daß sie einstweilen 30 Gulden zurückerstatte, mehr könne sie für jetzt nicht tun.

Des Vaters Geld, der Himmelssegen ist dies, sprach Pepi, der liebe Herrgott hat uns gezeigt, daß er ein richtiger Zahler sei. Gerade das ersetzt er uns noch am nämlichen Tage, was wir dem Vater gegeben haben.

Und nun, weil wir eben vom Gelde reden, so will ich dir mein Kapitalienbüchlein zeigen. Du hast noch nie gefragt, wieviel ich Vermögen habe, das hat mich schon lange verdrossen!

Meine gute Pepi, sagte Joseph, das wundert mich gar nicht, du allein bist mir genug; ich habe nicht das Geld, sondern dich geheiratet, du bist mir mehr als alle Schätze der Welt!

Das wußte ich wohl, antwortete Pepi, und darum habe ich dich vor allen anderen auserwählt, aber einige tausend Gulden sind als Beigabe auch nicht zu verachten, und du wirst mich deswegen nicht weniger lieben, wenn ich das Meinige auch dein nenne; es ist dies für uns ein schöner Notkreuzer.

Joseph: Gut, davon ein anderes Mal. Wenn du mir das Höchste auf Erden bist, sei es zufrieden!

Meine Kasse ist deine Kaste, und sollte ich es einmal brauchen, so soll die deinige auch herhalten, für jetzt soll sie ruhen.

So mancher wird fragen: Ja warum kam denn der Kanarienvogel, Pater Brundusius, nicht zu dem Hochzeitsfeste des Joseph nach Groß-Kirchen? Warum knüpfte nicht er das heilige Band bei seinem Bruder, war er mit ihm im Unfrieden, wo steckte denn er damals? Wäre ja so schön gewesen, wenn alle drei Studentenbrüder wieder einmal beisammen gewesen wären, und die Pepi erst gar hätte es gerne gesehen! Gerade dieses Blättchen fehlte am Kleeblatte!

Pater Brundusius war gar weit weg von Tirol; er hatte in Meran eine englische Familie kennen gelernt, in deren Hauskapelle er oft Messe lesen mußte. Diese sagte ihm, daß in England für die armen Katholiken viel zu wenig Geistliche wären, viele Irländer wären ohne alle Seelsorge, und so legten sie in ihm den Keim zur Sehnsucht, Missionär zu werden.

Er lernte mit allem Eifer Englisch, zog dann mit Erlaubnis der Obern nach Rom zur Propaganda, von dort nach Westfalen, dann nach Lyon, um auch Französisch zu lernen.

Als Joseph mit Pepi die Hochzeit feierte, war der Kanarienvogel eben in Lyon; niemand in Großkirchen wußte das, und erst im August 1854 bekam Joseph vom Pater Brundusius einen Brief aus London, worin er ihm anzeigte, daß er dort als Missionär für die irischen Katholiken stationiert sei; er habe entsetzlich viel Arbeit. Der Brief war im Einschlusse an den Nuiterbauer gekommen. Erst jetzt zeigte Joseph dem Kanarienvogel seine glückliche Verehelichung an.

Dieser schickte dem Joseph und der Pepi seine Glückwünsche und der Schwägerin ein Gedenkbildchen mit dem Verse:

Lieblich ist der Rose Wohlgeruch,
Prachtvoll, schön ihr zarter Bau;
Doch in den Dornen liegt der Fluch,
Drum sei bedacht und schlau!

London, den 25. August 1854.

P. Brundusius.


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