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IX.
Noch ein Kreuzkopf, endlich einmal ein Freuden- und Ehrentag

Im Jahre des Heiles 1842 war Joseph Philosoph an der Universität zu Innsbruck, Alois ebendaselbst Hörer der Rechte und Frater Brundusius Logiker an der Hauslehranstalt der Kapuziner in Sterzing.

Dies Jahr verging ohne besondere Erheblichkeit; Joseph war wieder gesundet und erstarkt.

Wie sich nun das Schuljahr zu Ende neigte, da trat an Joseph nochmals die Frage heran: Was wirst du beginnen? Hier winkt das freie Leben eines Juristen an der Universität in Innsbruck, dort die heilige Stadt Brixen, ein schwarzer Talar und das eingeschränkte Seminarleben und dann die ewige Entsagung auf die Freuden eines ehelichen Lebens, die sich die Jugend in schönstem, rosigem Lichte vormalt.

Joseph konnte ja frei wählen. Wußte er ja des heiligen Paulus Spruch: Wenn du aber heiratest, sündigest du nicht. Und den geistlichen Stand wählen ja die meisten Juristen und Mediziner bloß deswegen nicht, weil man in diesem Stande ehelos bleiben muß.

Ans Heiraten dachte Joseph nicht, denn er hatte sich nie in eine Bekanntschaft mit einem Mädchen eingelassen, und dennoch kam ihm vor, als wäre er nicht zum geistlichen Stand berufen. Mit der Medizin wollte Joseph gar nichts zu schaffen haben, denn einmal war das Studium derselben nur in Wien oder Prag möglich, und in diesen Städten ist das Leben gar kostspielig; wie leben, wenn man weder Geld noch Protektion hat, und wie sollte der Nuiterbauer etwa sich herbeilassen, für das Menschenschinder-Handwerk etwas auszugeben? Das war nicht zu hoffen. Die Doktoren konnte er schon gar nicht leiden, war er ja immer gesund gewesen, und haben nicht die Doktoren und Bader mit ihren Schmierereien und gefärbten Wässern seinem Weibelein gänzlich den Magen verdorben und mußte er dafür noch tüchtig blechen.

Zudem hatte Joseph gehört, daß man in Wien und Prag fast durchgehends Religion und Sittlichkeit verliere, und auf diese hielt er ein Stück.

Also Jus! Aber auch da hatte es viele Nisi.

1. Einmal wird darüber der Vater schrecklich aufgebracht und die Mutter tief bekümmert sein.

2. Wird es von Hause keinen Pfennig absetzen.

3. Ist das Jus ein schrecklich trockenes Studium.

Paragraphen nach Tausenden auswendig zu lernen, ganze Folianten von Gesetzen durchzublättern, die oft über Nacht wieder über den Haufen geworfen werden, und die fatalen Stempelgesetze erst gar, die alle Jahre massenhaft sich anhäufen und den Studenten unter der Last der Ziffern fast erdrücken. 4. Dann das ewig unentgeltliche Praktikantenwesen, mit der Hoffnung, etwa einmal 200 Gulden zu bekommen, wenn man einen grauen Schädel oder Glatzkopf hat, und daher lange Jahre an dem Hungertuche nagen und dabei doch noch vor der Welt eine respektable Figur spielen sollen – lauter Nisi, welche dem Joseph arg den Kopf zerbrachen. Zudem war das Juristenleben ja auch nicht ohne Gefahr für Religion und Sittlichkeit. Josephinische Grundsätze hörte man fast von allen Lehrkanzeln der Rechte, und so mancher Professor macht sich ja nichts daraus, hier und da schlüpfrige Dinge in scherzender Form in das jugendliche Herz zu werfen, und das zündet.

Joseph überlegte sich das alles in den zwei Ferienmonaten zu Großkirchen wohl, und er betete manches Vaterunser bei der Muttergottes in der Totengruft.

Joseph äußerte in der ganzen Ferienzeit gegen den Vater keine Silbe, was er tun werde, und der Nuiterbauer fragte auch nicht; er getraute sich nicht zu fragen, denn das war für Joseph und ihn eine delikate Frage, das sah er wohl ein.

Joseph besprach sich zum öftern über die Standeswahl mit dem gescheiten Großkircher-Dekan und einem Pater im Kloster, und als die Zeit zur Abreise kam, war er fest im Entschlusse. Verdächtig kam die Sache dem Nuiterbauer denn doch vor. Joseph hatte noch nie eine Silbe von Anfertigung theologischer Kleider gesprochen, und doch wäre es an der Zeit gewesen.

Joseph hatte nicht den Mut, der Mutter sein Herz zu eröffnen, denn sie blickte ihn immer so wehmütig an, und so kam es, daß Joseph abreiste, ohne der Mutter nur ein Wörtchen zu sagen, wohin er sich nun wenden werde.

Der Nuiterbauer begleitete den Joseph bis außer Großkirchen, dann blieb er stillstehen und sagte: Wohlan denn, Joseph, lebe wohl! Nun liegt mir nur noch die Frage am Herzen: Wo gehst du hin?

Joseph wurde bald blaß, bald rot, denn diese Worte hatte der Vater mit so rührendem, fast bittendem Tone gesprochen, und er stand so blaß, ernst, ja fast leidend vor ihm, daß Joseph beinahe seinen ganzen Entschluß in einem Augenblicke über den Haufen geworfen und gesagt hätte: Ich gehe nach Brixen in die Theologie.

Und doch sagte es Joseph nicht; er ließ die Gefühle eine Zeitlang in sich kochen – dann sagte er endlich traurig und langsam: – Ich gehe nach Innsbruck Jus studieren.

Der Würfel war geworfen, der Dolch war dem Vater ins Herz gestoßen.

So – sagte der Nuiterbauer gedehnt und noch blässer werdend. – Beim Stande muß man freie Wahl haben – zwingen tue ich dich beileibe nicht. – Da hast du ein kleines Zehrgeld – bis Innsbruck ist es genug.

Nachdem der Nuiterbauer dem Joseph zwei Gulden in die Hand gedrückt hatte, kehrte er sich rasch um und ging Großkirchen zu; Joseph aber wandelte in Bitterkeit der Seele dem Unterlande zu; er fühlte, daß er dem Vater wehe, sehr wehe getan und sein Herz sich vielleicht auf immer entfremdet hatte; aber sein Gewissen klagte ihn keiner Sünde an, er wußte nicht, was er bereuen sollte.

Also zwei Gulden, und mit diesen soll er seine neue, langwährige Laufbahn beginnen? Wäre er nach Brixen gegangen, so hätten wenigstens fünfzig Gulden auf den Joseph in dem Sacke des Nuiterbauern gewartet, und das Notwendige wäre ihm erst noch nachgesendet worden!

Heilige Muttergottes, betete Joseph auf dem Wege, lasse in meinem Herzen keine Bitterkeit gegen den Vater aufkommen, denn er liebt mich, er will mir wohl, aber den Weg, den er will, kann ich nicht gehen.

Jene Abschiedsszene, das traurige niedergebeugte Bild seines Vaters konnte Joseph nie mehr vergessen.

Ohne Geld die juridischen Studien zu beginnen, ist wohl eine schwierige Aufgabe. Ein schlecht gekleideter Jurist ist in den Augen der meisten Professoren etwas Verächtliches, auch war es nach den Gesetzen nicht erlaubt, daß ein Jurist Kosttage bei Wohltätern habe, denn Armut und Bettel würde ja die ganze Juristerei entehren, und sohin hat ein armer Jurist mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen; er mag sich auf die Füße stellen.

Selbst das juristische Talent halten manche Professoren für eine ausschließliche Gabe von Aristokraten- und Beamtensöhnen; wie soll so ein armes Bauernsöhnlein je fähig sein, in einer Beamtenstube zu fungieren und sich den gehörigen Anstrich zu geben wissen? Nie erlernt er den feinen Ton.

Das erfuhr Joseph nur zu gut. Man bagatellisierte ihn, da er nicht in Vatermörder, schwarzem Frack und Glacéhandschuhen und mit in Silber gefaßten Lorgnetten in den Hörsaal kam und selbst im Winter in seinem einfachen, abgeschabten Röckchen und veralteten Hute erschien. Und hätten die Herren Professoren gewußt, daß er ihnen seine erste Aufwartung in dem von Alois geliehenen Frack und in seinen Pantalons gemacht hätte, so würde mancher ihn kurz abgefertigt und über die Achsel angesehen haben. Dann war auch der Schreibname des Joseph so plebejisch ohne von und zu und roch so nach Landluft, daß er fast mit Widerwillen herabgelesen wurde.

Hätten erst die Herren Professoren gewußt, daß Joseph in Innsbruck denn doch manche wohltätige Hand traf, die ihm umsonst ein Mittagessen reichte, da wäre der Juristenhimmel wohl gar herabgefallen. Aber edle Menschen schreien bei ihren Wohltaten nicht laut, und Joseph wäre ein Narr gewesen, wenn er dieses jedem auf die Nase gebunden hätte, denn er war ein verschämter Armer. Hintennach kann man das Ding wohl sagen.

Gerne hätte sich Joseph auch nett gekleidet, wie es bei den Juristen Mode ist, aber woher nehmen und nicht stehlen? Wie genierte es den Joseph, als seine Stiefelabsätze ganz umgetreten waren und er nur dieses Paar allein hatte. Wohl hatte er den Vater gebeten, ihm ein Paar neue Stiefel und etwa ein Paar Hemden aus Bauernleinwand zu schicken; aber da kamen wie zum Spotte ein Paar alte zerlumpte Stiefel, die nicht ein Flickschuster nur einigermaßen hätte in Ordnung bringen können, und Hemden kamen gar keine.

Als Joseph so unansehnlich zur Prüfung kam, rümpfte einer der aristokratischen Herren Professoren vornehm die Nase. Joseph las ihm aus dem Gesichte herab, daß er im Sinne hatte, ihn aus dem Juristenkollegium auszumerzen. Verfängliche Fragen wurden gestellt und die Antworten durchgehechelt, kritisiert und über das Dach geworfen. Doch Joseph war sattelfest, er ließ sich nicht in Verwirrung bringen, er blieb bei seinen Sätzen, und so konnte denn das Männchen ihm keine zweite Klasse anhängen, ohne eine offenbare Ungerechtigkeit zu begehen, um so mehr, da der beisitzende, billig denkende Professor sagte, er würde diesem Studenten ohne Bedenken erste Klasse mit Vorzug einschreiben; doch Joseph war zufrieden, daß es keinen Duppl gab.

So frettete sich Joseph das erste Jahr durch. Seine notwendigsten Bedürfnisse bestritt er sich mit Stundengeben an Gymnasialstudenten. Alois teilte wohl auch mit Joseph Kleid und Geldbeutel, er war dem Joseph wirklich ein Bruder.

Im zweiten Jahre ging es dem Joseph prächtig, denn er hatte sieben Stunden Instruktion im Tage und steckte am Ende des Monats bei 30 Gulden ein. Freilich waren diese Kreuzer sauer verdient, denn am ganzen Tage mußte er laufen und sich heiser reden; um 1 Uhr früh hieß es dann wieder aufstehen und bis 7 Uhr fest am Studiertische sitzen; ein halbes Stündchen für die von der Mutter so sehr empfohlene Messe wollte er denn doch auch haben, und so blieb ihm nur ein freies Stündchen von 8 Uhr abends weg.

Da setzten sich dann die zwei Juristenbrüder in ein ehrliches Gasthaus hinein, tranken eine Halbe Bier und aßen ein Würstlein dazu und plauderten mitsammen.

Und als im Fasching der großartige Juristenball angesagt wurde, blieben sie auch in bescheidener Ferne, denn für eine Nacht zwölf bare Gulden hinauszuwerfen, wäre ihnen als eine Narrheit erschienen; was hätten die zwei Gradaus in Gesellschaft von ein paar hundert steifen, gezierten Puppen und zuckersüßen Herrchen gemacht, es wäre ihnen nichts übriggeblieben, als eine ganze Nacht Maulaffen zu verkaufen oder den adeligen Herren den Schlepp nachzutragen. Sie machten lieber an einem Feiertage sonst wohin einen Ausflug, um einmal freie Luft zu schöpfen und sich sonst auch etwas zugute tun.

Alois war nun schon Rechtspraktikant bei dem k. k. Stadt- und Landrechte, mußte bei den Verhören in der Fronfeste aktuieren, daß ihm die Finger krachten, bekam unentgeltliche Nasen von seinem Landrate und genoß dafür die volle Besoldung von 365 Tagen.

Er mußte pünktlich schon um 8 Uhr früh am Tische sitzen und an Kriminalvorträgen arbeiten, erst um 11 Uhr gewöhnlich beliebte es dem Herrn Landrat, in die Kanzlei zu kommen, dann ging es meistens hinab in die Fronfeste, um 3 oder 4 Uhr schloß der Herr Landrat seine Verhöre; er ging dann an seine wohlbesetzte Tafel und kehrte nicht wieder. Alois aber mußte noch aufräumen, und so traf es sich häufig, daß Alois erst um 6 Uhr abends den ersten Bissen in den Mund bekam.

Die Kostfrau des Alois ließ nicht einmal den Grundsatz: »Wer nicht kommt zur rechten Zeit, muß haben, was übrigbleibt« gelten. Wenn Alois mittags nicht kam, kriegte er gar nichts mehr, aber bezahlen mußte er dafür doch. – Das Praktikantenleben ist ein gar herrliches Leben. Ein Praktikant muß es sich zur Ehre schätzen, sich jahrelang zum unentgeltlichen Kanzleikehrwisch hergeben zu dürfen; und das Ärgerlichste dabei ist, daß am Ende dennoch die Protektionskinder den Honig, das ist die ersten und besten Stellen, wegfischen; für gewisse Stellen ist ein Mann dunkler Herkunft schon gar nicht tauglich; ein Mann vom Lande muß wieder aufs Land, und dort bleibt er verschollen, bis endlich der Tod ihn aus seinen Aktenstößen herausreißt.

So klagte Alois öfter dem Joseph; eine nicht gar erfreuliche Aussicht für Joseph.

Der liebste Aufenthalt Josephs war in der Wohnung des Alois, wo er wie zu Hause war. Da machte er, Alois und der Großkircher Heinrich, auch ein wenig bemittelter Jurist, an Feiertagen ein Tarockspiel; freilich waren die Gewinnste und Verluste nie gar hoch; dabei schmauchte jeder sein Pfeifchen, so daß vor Rauchqualm oft kaum einer den andern sah. Doch ein Tabakstübchen ist für einen Studenten immer etwas Gemütliches. Die Zimmerfrau des Alois wollte damit nie einverstanden sein, denn sie behauptete, der Tabakrauch mache ihre Vorhänge gelb, und mit der Zeit würden sie gar herabfaulen. Und sonderbar! Immer behauptete sie, nur der Tabakdampf des Joseph und Heinrich mache dies, von Alois mache es nichts, er rauche gar gesittig. – Kurz, die alte Madame fand an dem Alois alles schön, selbst das Fehlerhafte.

Joseph dachte nach, woher denn das etwa kommen möchte, und er fand, daß die Alte ein Töchterchen hatte, die sie gerade für den Alois recht fand; denn es schmeichelte ihr halt auch, denken zu können, wie ihr Lieblingskind einmal als Aktuarsfrau, ja vielleicht gar als Landrichterin in französischen Kleidern herumstolzieren könne. Und Frau Aktuarin, Frau Landrichterin, gnädige Frau klingt ja doch viel schöner als Frau Meisterin oder gar Jungfer Liesel.

Das Lieschen war freilich erst 17 Jahre alt, aber sie wird schon von selbst älter werden und wachsen, so dachte sich die Alte.

Da wurde nun dem Alois gar freundlich getan; bald wurde ihm eine Schale Kaffee angeboten, bald eine Tasse Fleischbrühe gereicht, bald sonst irgendeine Aufmerksamkeit erwiesen; die Stiefel waren natürlich auch immer spiegelblank gewichst, die Hemden schön gebügelt und ausgebessert, und, das versteht sich, alles nur aus purer Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit; es kostete nichts.

Das Töchterchen hörte die Alte immer sagen: Aber der Alois ist doch gar ein lieber Herr, so sanftmütig, so gut, so christlich. Jene, welche ihn einmal zum Mann bekommt, ist glücklich zu nennen; der Joseph ist zwar auch recht, aber er ist so barsch, so wild, er hat die feinen Manieren des Alois nicht. Habe ich recht, mein Lieschen?

Wäre es nun ein Wunder gewesen, daß das Lieschen auf die Reden der ungeschickten Mutter endlich aufhorchte und den jungen Rechtspraktikanten, ihren Zimmerherrn, wirklich sehr liebenswürdig fand und ihn auch wie ihre Mutter vor allen auszeichnete und ihre Aufmerksamkeit schenkte.

Der Alois gab auf das alles nicht acht, er meinte, das wäre alles nur Seelengüte, er hatte auch nicht Zeit, sich viel auf psychologische Studien im Hause zu verlegen; er nahm diese zarte Aufmerksamkeit dankend hin.

Der Joseph jedoch schaute etwas tiefer und glaubte, den Alois vor sich und andern warnen zu müssen. Es entspann sich daher eines Tages auf einem Spaziergange zwischen Alois und Joseph folgendes Zwiegespräch:

Alois: Aber Quartierleute habe ich ausgezeichnete, das muß ich sagen! Sie tragen mich auf den Händen!

Joseph: Sie werden schon wissen warum. Mir einmal gibt man im Quartier keinen Tropfen Kaffee umsonst, auch jeden Nadelstich muß ich entweder bezahlen oder selbst machen; und mir ist es einesteils auch lieber.

Alois: Wieso?

Joseph: Wieso! Wenn man mir z. B. alles das nur täte aus einer gewissen geheimen Absicht, etwa um so gelegentlich sein liebes Töchterchen schön an den Mann zu bringen, so würde ich um diesen Preis auf alle Artigkeiten und Geschenke verzichten.

Alois: Du wirst doch nicht so etwas von meiner Hausfrau vermuten? Ich bin doch schon acht Jahre bei ihr.

Joseph: Desto schlimmer; ich einmal vermute das und rate dir daher, dich nicht ins Garn locken zu lassen. Siehe, zuerst wird man verbindlich gemacht, und dieses erfordert natürlich Dankbarkeit, und aus Dankbarkeit solltest du einmal die Liese nehmen.

Alois: Daran habe ich noch gar nie gedacht, ich behandelte bisher die Liese immer als Kind; als ich in dieses Quartier kam, zählte sie 11 Jahre und spielte noch mit Puppen.

Joseph: Aber die Alte hat daran gedacht. Zu was denn sonst die überaus große Aufmerksamkeit? Der Heinrich ist ja auch schon acht Jahre bei ihr im Quartier, und er ist auch ein Mensch wie die liebe Stunde, und dennoch wird ihm das nicht, was dir wird.

Höre nun meinen Rat: Laß dich nicht auszeichnen und laß das Lieschen von nun an allein mit der Mutter am Nähtische sitzen; und mögen die Alte und das Lieschen darüber auch ein saures Gesicht machen, laß dich durch ihr Seufzen und ihr Schmollen nicht rühren, du wirst sehen, dann wird die Alte bald mit der wahren Absicht herausrücken.

Alois: Das kann ich unmöglich tun, das wäre undankbar und wahrhaft grob, dagegen sträubt sich mein Herz.

Joseph: Da haben wir es. Du bist, um mich eines Studentenausdruckes zu bedienen, schon verkeilt. Siehe zu, wie du dich da ohne Verdruß herauswindest.

Mein Grundsatz ist immer, ein Student soll beileibe nicht in ein Quartier gehen, wo junge Mädeln sind, und wenn es halt manchmal sein muß, so hüte er sich ja, mit der Familie vertraulich zu werden.

Einen höflichen guten Morgen, guten Tag und guten Abend zu wünschen und am Ersten pünktlich zu zahlen, soll das Ganze sein; was kann eine Zimmerfrau von einem Zimmerherrn mehr verlangen? So mache ich es. Siehst du, Alois, in der Jugend ist man phantastisch, leichtsinnig und unüberlegt und kommt oft mit solchen Quartierfräuleins in Bekanntschaften und macht allerhand törichte Schwüre und Versprechungen. Die Fräuleins sind eben so dumm und vergaffen sich in ein so junges, zierliches Studentlein leicht, und man gelobt sich ewige Treue und Liebe. Aber eine Heirat für einen Studenten und Praktikanten ist noch auf weitem Felde. Die Jahre vergehen, man ändert seine Ansichten, lernt andere Personen kennen, die oft bessere Eigenschaften und Geld noch dazu haben, man zieht an einen andern Ort, und bald findet man es unbegreiflich, wie man eine solche Person je liebenswürdig finden und ihr solche Versprechungen habe machen können; man bekommt endlich nach Jahren eine Anstellung, man sieht, daß sie gering ist und daß zwei und mehr Personen von bloßer Luft und Liebe nicht leben können. Es werden andere, bessere Partien angetragen, und was ist gewöhnlich die Folge? Die alte Liebe wird vergessen, alte heilige Schwüre werden gebrochen, und manchmal nimmt sich dann eine solche verschmähte ewige Braut das Ding zu sehr zu Herzen, und die törichte Liebe ist ihr Grab; wenigstens bleibt sie mit ihrem langen Warten sitzen, da sie überständig geworden ist. So geht es gewöhnlich mit Studenten- und Praktikantenbekanntschaften. Dann sind sie, nebenbei gesagt, in bezug auf Sittlichkeit nicht gar ungefährlich. Voll heiliger, unschuldiger Gefühle fängt man an, dabei aber steckt schon das Sinnlichkeitsteufelein heimlich im Gebüsche und lauert. – Frei muß man bleiben, dann wann es einmal drum und dran ist, ist noch Zeit genug, sich um eine Lebensgefährtin umzusehen.

Also nochmals, Alois, nimm dich vor dir selber und andern in acht.

Ein wenig hatte diese Predigt den Alois doch nachdenken gemacht; er mußte wider Willen dem Joseph recht geben. Er beschloß, nun wirklich zurückhaltender zu sein.

Was hat denn der Herr Alois in neuester Zeit? fragte die Alte den Heinrich; er schießt an uns vorbei in sein Zimmer, als ob wir Feuerbrände wären, und kein einziges Mal beehrt er uns mehr mit seiner Gesellschaft. Was haben wir ihm denn Leides getan? – Ich einmal weiß mich nichts schuldig; nur Liebes und Gutes hat er von uns erfahren, und nun macht er es schon drei Tage so – der Undankbare!

Wenn es so fort geht, wird sich Lieschen zu Tode grämen. Haben Sie, Herr Heinrich, nicht gesehen, wie das Mädel verweinte Augen hat und auffallend blaß wird und abmagert?

Heinrich: Nun er wird etwa einen verwickelten Kriminalprozeß haben, und das macht nachdenken, sinnen und trachten!

Ei was, Kriminalprozeß, sagte die Alte, hat er doch in der Logik die Eselsbrücke studiert, was alle Studenten für das Verwickeltste halten, und doch fand er hier und da Zeit, mit uns zu plaudern.

Ich errate schon, was sein wird. Treulos ist er, irgendein gnädiges Fräulein steckt ihm im Kopf; mein Lieschen ist ihm zu schlecht.

Heinrich: Wüßte nicht, daß dem Alois ein gnädiges Fräulein im Kopfe steckte, er ist nicht derjenige, welcher mit Fräuleins herumschwänzelt. Seine gnädigen Fräuleins sind die Damen mit Ketten in der Fronfeste drunten, die verschmitzten Diebinnen stecken ihm im Kopfe; er hat gerade ein paar solcher Langfingermacherinnen in Untersuchung.

Doch die Alte wollte das nicht glauben. Ich muß, sagte sie, dem Dinge auf die Spur kommen.

Als Alois eben wieder an der Küche vorbei in sein Zimmer schlüpfen wollte, wurde er angehalten und ins Zimmer hineintransportiert, wo Lieschen am Nähtische saß. Alois wurde ins Examen genommen.

Nicht wahr, sagte die Alte, wegen des Fräuleins verachten Sie uns. Schauen Sie das Lieschen an, hat Ihr Herz gar keinen Tropfen Mitleid mit dem armen Mädchen? Sind Sie ein Treuloser!

Fräulein, Sie verachten, treulos? fragte Alois erstaunt, ich weiß nicht, was Sie da meinen? Was sollte ich dem Lieschen zuleide getan haben?

Ja, ja, sagte die Alte, stellen Sie sich nur unschuldig, wir wissen alles, wir wissen, wo der Putzen steckt. Sie mögen das Lieschen nicht mehr, Sie haben eine andere, ein gnädiges Fräulein?

Der Joseph hatte also wohl doch recht gehabt, als er sagte, Alois sei umstrickt.

Ich, erwiderte Alois, habe kein Fräulein und denke an kein Fräulein, was sollte ein armer Praktikant mit einem Fräulein tun? Sich etwa ein schönes Luftschloß bauen, um hoch herabzufallen und zerschmettert zu werden; da müßten ich und das unbekannte Fräulein, von dem Sie mir da erzählen, den Magen im Rauche aufhängen und selchen lassen.

Die Alte: Aber man wird einmal Aktuar beim Landgerichte, und dann nimmt man das Fräulein zur Frau.

Alois: Und dann, sagte Alois, braucht man wohl alle sechs Groschen notwendig allein.

Aus dem Alois war nichts herauszubringen, das sah die Alte, er spielte verlegen mit seinem Zylinderhute in den Händen.

Ja warum, fuhr die Alte fort, schießen Sie an uns immer wie ein Windspiel vorüber? Früher taten Sie nicht so?

Alois: Weil – weil ich wenig Zeit habe.

Lieschen schaute inzwischen auf das Kleid nieder, das sie in Arbeit hatte, und stach sich in einem fort mit der Nadel in die Finger und merkte es nicht einmal; verstohlene Tränen fielen auch.

Das tat dem Alois auch weh, und des Josephs Warnung war vergessen. Er sagte, Joseph hätte ihm angeraten, zurückhaltender zu sein.

Also der Joseph ist's, der den schönen Frieden störte, aber wart, er soll mir nur kommen, den werde ich gehörig koramisieren! Er weiß nicht, was wir Ihnen alles getan haben und tun!

Er soll mir nicht mehr ins Haus, sonst hetzt er Sie noch ärger auf.

Als Joseph kam, ging wirklich ein arges Donnerwetter los. Joseph besuchte infolgedessen seinen Bruder Alois drei Monate lang nicht mehr, und wenn die Brüder sich begegneten, war der Gruß immer kalt und kurz.

Doch an des Alois Namenstag ging Joseph doch zu ihm, um ihm zu gratulieren, und es wurde ein zeitweiliger, allgemeiner Friede geschlossen, besonders, da Alois versicherte, mit Lieschen kein anderes als ein Freundschafts-Verhältnis zu haben.

Joseph war eines Tages in das Quartier des Alois gekommen, und da ihm Lieschen, versteht sich, gegen Bezahlung, die Wäsche reparieren mußte, so trat er in Lieschens Zimmer.

Doch da war heute ein bürgerlich gekleidetes Mädchen auf Besuch, und Joseph wollte sich schnell wieder entfernen, um ein anderes Mal wiederzukommen.

Bleiben Sie nur, sagte Lieschen, es ist dies die Fräulein Pepi aus des Nachbars Hause, und Sie, Fräulein Pepi, dürfen sich auch nicht genieren, dieser Herr ist unseres Alois Bruder, Joseph, auch Jurist.

Das Fräulein wurde verlegen und bis über die Ohren rot und wußte keine Silbe vorzubringen.

Es war, als ob der Fußboden unter ihren Fußsohlen brenne, sie hielt ihre Blicke gesenkt, nun hatte sie auf einmal Eile. Sie reichte dem Lieschen die Hand zum Abschiede, nur flüchtig streifte ihr Blick über Joseph hin, errötete wieder, machte eine stumme Verbeugung und tippelte flink wie eine Gazelle zur Türe hinaus und über die Stiege hinab.

Das ist wohl etwa eine Jesuitin, sagte Joseph scherzend zu Lieschen, sie hat ganz die Manieren einer Klosterfrau.

Sie irren sich, Herr Joseph, sagte Lieschen. Muntereres und gutmütigeres Mädchen habe ich in der ganzen Stadt nicht getroffen, als dieses Fräulein ist. Dabei ist sie wahrhaft fromm, arbeitsam, bekommt einmal Geld und ist doch nicht stolz. Ich bin ihre Schulkameradin gewesen. Sie ist sehr scheu, man sieht sie selten, ist immer zu Hause, nur geht sie täglich in die Pfarrkirche zur Halbfünfermesse und an Sonntagen zu den PP. Jesuiten zur Kommunion. Glücklich derjenige, der diese einst zur Frau bekommt, doch sie wird eher in ein Kloster gehen.

Fräulein Pepis Erscheinen hatte auf Joseph einen tieferen Eindruck hinterlassen, als er es sich gestehen mochte. Lange noch schwebte ihm die hohe, schlanke Gestalt mit ihren dunkelbraunen, glatten Haaren, ihrem jugendlichen, gutmütigen Gesichte, ihrer einfachen, aber reinlichen Kleidung, ihrem schüchternen, eingezogenen Wesen vor Augen, so sehr er sich auch bemühen mochte, ihr Bild zu verwischen. Sie hatte eine bisher ihm unbekannte Saite seines Herzens berührt. – Doch er sah sie dann nie mehr, solang er studierte, und nur zufällig hier und da erinnerte er sich an dieselbe. Sie war ihm eine liebliche Erscheinung in seinem Leben gewesen. Fast getraute er sich nicht, dem Alois bezüglich des Lieschens etwas mehr zu sagen, denn hatte ja ihm selbst, zwar nicht ein Lieschen, doch eine Pepi Unruhe in seine Seele gebracht, und er, der Sittenprediger, der sonst an allen Evakindern etwas Gefährliches herausfand, wurde gar beredt- und lobesam, wenn von Fräulein Pepi die Rede ging. Du Hagestolz, sagten dann scherzend Alois und Heinrich, gib acht, daß etwa dich nicht eine Pepi verkeilt.

Doch wenden wir uns von diesen jugendlichen Studententorheiten zu etwas anderem, Ernsterem.

Am Ende des zweiten juridischen Kursus, den Joseph sehr gut vollendet hatte, kam auf einmal durch den Großkircher Boten ein Päckchen an Joseph mit vier neuen Hemden und einem Brief.

Joseph hatte seit zwei Jahren von den Eltern keine Zeile, viel weniger sonst etwas Augenwehliges (wie die Großkircher sagen) erhalten, und jetzt Hemden und einen Brief! Was hat das zu bedeuten? Was hat den Vater zur Milde gestimmt? Joseph öffnet den Brief; er ist von der Mutter teurer Hand und beginnt mit den Worten: »Lieber Joseph! Welche Freude, welche Wonne durchströmt mein Herz. Ich schwimme in Seligkeit!

Wisse, daß der Hans, nun Brundusius, Pater geworden ist. Er wurde am 25. Juli zum Priester geweiht. Denke, Priester ist er, und ich die Mutter eines Priesters! Welch ein Glück!

Nun will ich gerne sterben, da ich dieses erlebt habe. Am 5. August wird Pater Brundusius in der Klosterkirche zu Großkirchen seine Primiz halten. Ich werde den Hans als Priester am Altare sehen, den Hans, meinen leiblichen Sohn!«

Dann kamen im Briefe noch eine Menge anderer Herzensergießungen vor, endlich schrieb sie auch noch dieses: »Der Vater ist nun auch sanfter gegen Euch gestimmt, er sagte, ich möchte Dir zum Zeichen seiner vollständigen Aussöhnung mit Dir vier neue Hemden schicken. Du werdest wohl über ihn auch nicht mehr böse sein und werdest zur Primiz kommen, er bitte Dich darum; die ganze Familie soll an der Freude teilnehmen, kein bitteres Tröpfchen soll diesen Tag vergällen. Also komme auch, mache mir und dem Vater diese Freude. Wer weiß, wann wir wieder einmal so freudig im Leben zusammenkommen. Wir erwarten Dich also sicher.«

Also der Kanarienvogel war der erste am Ziel und im Hafen der Ruhe, und war er doch der Jüngste; es gab für ihn nun kein Schwanken, kein Wählen, keinen Rücktritt mehr.

Der Monat August brach an; Alois war schon bereits zum Feste nach Großkirchen geeilt. Er hatte seine lieben Eltern und seine teure Heimat fünf Jahre nicht mehr gesehen, und darum klopfte ihm das Herz, als er wieder einmal sein Vaterhaus im Hintergrunde von Großkirchen auftauchen sah. Seine Jugendbilder lebten wieder auf; am Talerplätzchen hielt er richtig sein Rästchen, und doch waren seine Gefühle jetzt ganz andere, er war ernster, ein Mann geworden. Wie freute sich die Mutter, ihren lieben Alois wieder zu sehen. Er war gar vornehm gekleidet, und darum getraute sie sich nicht, ihn mit jener Herzlichkeit zu begrüßen, wie sie gerne gewollt hätte. Doch der Alois merkte das Ding, und darum schüttelte er ihr recht wacker die Hand und fragte sie, ob er ihrem Herzen wohl noch der alte Alois sei. Da kannte die Mutter keine Schranken mehr.

Mit dem Nuiterbauern war es gar komisch, vor lauter Respekt redete er den Alois mit Sie an, was er doch sonst nur bei Geistlichen und hohen weltlichen Herren tat, und Alois mochte dagegen protestieren wie er wollte, das ließ sich der Nuiterbauer nicht nehmen.

Haben Sie den Joseph nicht mitgebracht, fragte er den Alois, er wird etwa bei unserem Familienfest keinen Ungeraden machen? Wo steckt er denn?

Er will nicht heraus nach Großkirchen, sagte Alois. Ihn hat die Stiefelgeschichte denn doch zu sehr verdrossen.

Schau, schau, fuhr der Nuiterbauer fort, nun setzt er seinen Kopf auf! Er ist halt mein Sohn! Doch das sollte er seinem Vater, der doch am Ende nur sein Wohl will, nicht gar so sehr verargen; er sollte doch glauben, daß ich auch ein Vaterherz habe. Wäre es ihm ärger an den Hals gegangen, so hätte ich ihn gewiß nicht sitzen lassen. Daß er ein wenig zappeln mußte, hat ihm nicht geschadet. Dann muß man auch bedenken, daß man für einen Lieblingsplan doch mehr opfert; die weltlichen Herren mögen mitunter recht kreuzbrave Leute sein, aber es gibt halt darunter viele laxe Christen, und wenn man mich erschlagen würde, so könnte ich dennoch nicht anders sagen, als daß ich den geistlichen Stand für den höchsten halte. Sie müssen mir es schon verzeihen, Herr Alois, ich rede so, wie mir ums Herz ist. Nichts für ungut, Herr Alois!

Am 2. August abends sollte Pater Brundusius nach Innsbruck kommen. Das wußte Joseph, und darum ging er ihm bis über den Berg Isel entgegen. Er war fast bis in die Schupfe gekommen; da sah er zwei Patres die Schönbergerstraße herabkommen. Da muß der Kanarienvogel dabei sein, dachte sich Joseph. Immer näher und näher kommen sie; endlich erkennt Joseph die hagere Gestalt seines Bruders. Pater Brundusius hat das Aussehen eines sehr abgetöteten Mönches. An dem Arme trägt er ein Strohsportelchen, in der Rechten hat er einen Naturstab, an dem statt der Handhabe der Kopf eines Mönches eingeschnitten ist; sein dünnes, kurzes Bärtchen gab Zeugnis von seiner Jugendlichkeit. Wer hätte in ihm den lustigen Kanarienvogel wiedererkannt?

Sittsam, gemessen und bescheiden schritt er einher.

Hans, rief Joseph ihm entgegeneilend, endlich sehe ich dich nach vier Jahren gesund wieder. Gott sei Lob; du vergibst mir schon, wenn ich Hans sage; denn der Name Brundusius ist meiner Zunge zu wenig geläufig.

Nun ging's Innsbruck zu. Als Pater Brundusius am Berg Isel stand und die Städte Innsbruck und Hall erblickte, wo er so viele fröhliche Stunden erlebt hatte, da blieb er in Betrachtung versunken stehen und sagte: O Welt, wie vergänglich bist du! Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Dort drunten liegt zwar noch das alte Hall, die Salzpfannen rauchen noch geradeso wie vor vier Jahren, aber ich bin nun ein ganz anderer geworden! – Das brachte die kurze Zeit von vier Jahren!

Ist der Alois noch in Innsbruck? fragte Pater Brundusius.

Nein, antwortete Joseph, er ist schon hinaus nach Großkirchen, um bei deiner Primiz zugegen zu sein.

Wann gehst du? fragte Pater Brundusius weiter; wir haben höchste Zeit aufzubrechen.

Joseph: Ich gehe nicht hinauf zum Feste.

Wie, fragte Brundusius erstaunt, du gehst nicht? Warum nicht?

Joseph: Der Vater hat mich zu hart gehalten, und da wüßte ich nicht, warum nach Großkirchen gehen; vielleicht um bittere Vorwürfe zu hören?

Pater Brundusius: Ei was, Lappalien; dergleichen Dinge müssen jetzt alle vergessen werden. Der Vater wird schweigen, da lasse du mich machen. Ich sage dir, du gehst, und das morgen. – Und wenn dich die Liebe zum guten Vater und zur Mutter nicht antreibt, so tue es meinetwegen. Ich habe dir ja doch nichts in den Weg gelegt.

Pater Brundusius gab nicht nach, bis endlich Joseph die Zusicherung gab, auch zu seinem Primizfest zu kommen; er versprach jedoch, erst am 4. August abends in Großkirchen einzutreffen.

Wenn ein Primiziant in irgendeinem Dorfe Tirols erwartet wird, werden schon Wochen früher Vorbereitungen getroffen. Die Dorfmusik wird einprobiert, Inschriften, Blumen, Triumphbogen und Kränze werden hergerichtet, die Böller stehen schon geladen am Hügel, um dem ganzen Tale zu verkünden, daß der Neugeweihte nun herannaht; denn eine Primiz ist ein großes Ereignis des Dorfes, und jeder preist sich glücklich, eine solche erlebt zu haben.

Daß ein Spategger jemals primiziert habe, konnte sich niemand erinnern. Jetzt beneidete jeder den Nuiterbauern um sein großes Glück; er hatte nicht aufgehaust, und er hatte einen geistlichen Sohn. Da wollten nun alle in ganz Spategg Vettern und Basen des Nuiter sein, und wäre auch die Verwandtschaft noch von Noe her gewesen. Wo der Nuiterbauer erschien, hieß es: Grüß Gott, Vetter, ist's also wahr? Gelt der Hans ist doch Geistlicher geworden. Das habe ich immer gesagt, wenn andere es nicht glauben wollten.

Doch der Nuiterbauer lächelte selbstgefällig, er wußte wohl, warum er jetzt so viele Vettern habe, denn zu einer Primiz geladen zu werden, galt mehr als die Einladung zu tausend Hochzeiten. Er wußte ganz gut, daß alle Spategger ihn einst als einen Schwärmer und Narren verlacht hatten, als er seine Söhne aus seinem Stande herausheben und zu Herren machen wollte; er erinnerte sich, daß keiner der Verwandten seinen Studenten auch nur einen Kreuzer gegeben hatte; darum tat er sich etwas darauf zugute, daß er auf seine eigene Faust dieses bewerkstelligt hatte; doch war er edel genug, ihnen dieses nicht vorzuwerfen.

Ja seht ihr, sagte er dann, das war Gottes Bestimmung. Ich würde euch gerne zur Primiz einladen, aber das geht den Hans an.

O, war das für den Nuiterbauer eine selige Genugtuung. Selbst die Großkircher, die sonst das Nuiterbäuerlein oft verlacht hatten, waren nun gar freundlich mit ihm; der eine versprach zur Primiz Zucker, der andere Kaffee, der andere Torten, wieder ein anderer die Fleischspeisen unentgeltlich zu liefern.

Hans sollte am 3. August abends beim Gurgelwirt eintreffen, dort war er angesagt, dort wartete der Nuiterbauer mit den Kindern, dort viele Großkircher.

Aber der Kanarienvogel war immer ein Schelm gewesen, und so ließ er auch dieses Mal alle recht hübsch aufsitzen. Er liebte den Lärm nicht, und deswegen kam er eines anderen Weges. Während sein Vater noch beim Gurgelwirt saß und alle Minuten vor die Türe ging und über den Hügel hinauf blickte, ob der Pater Brundusius noch nicht komme, saß derselbe schon im Klösterlein zu Großkirchen am Abendtische. Erst von Großkirchen aus erhielten die Gefoppten beim Gurgelwirte Nachricht, daß ihr Ersehnter bereits wohlbehalten in Großkirchen sei.

Da ließ der Gurgelwirt einen Stutzen losfeuern, das Zeichen, daß nun der Primiziant angekommen sei, und nun gaben die Böller auf den Großkircher Hügeln donnernd allen Großkirchern bekannt, daß nun der Primiziant ankomme. Groß und klein eilte hinab zum Klösterlein, um den Nuiterhans zu sehen. Er wird bald kommen, hieß es, andere sagten, er ist schon da. Man wartete, bis endlich der Nuiterbauer vom Gurgelwirt heraufkam und die versammelte Menge über den Aufsitzer aufklärte.

Voll Ungeduld zog er an der Klosterglocke, und nach einer Minute kniete er zu den Füßen seines geistlichen Sohnes, erhielt seinen Segen und küßte ehrfurchtsvoll dessen hochgeweihte Hand. Was da der Nuiterbauer empfand, läßt sich nicht beschreiben, er meinte halt, er wäre schon jetzt im Himmel. Das Wiedersehen des Hans und des Alois war nicht minder rührend.

Die Mutter hatte am selben Abende nicht das Glück, ihren teuren Hans zu sehen, denn sie mußte zu Hause bei den kleinen Kindern bleiben, und nach der Klaustrumszeit wollte Pater Brundusius nicht mehr das Klösterlein verlassen. Als aber die Böller knallten, da schoß ihr jeder Schuß mitten durch ihr Herz, und die Abendsuppe war heute mit Tränen der Freude gewürzt.

Am anderen Tage um 8 Uhr früh sah auch die Mutter ihren Sohn. Er schien ihr nicht mehr ihr Sohn, sondern ein glänzender Engel, ja Christus selbst zu sein, sie fiel vor ihm auf die Knie, und was sie da im Übermaße ihrer Seligkeit alles tat, das könnte ich nicht sagen. Pater Brundusius einmal streckte seine Hände über sie aus und flehte den Segen des Himmels über seine teure, heißgeliebte Mutter herab, dann hob er sie von der Erde auf, denn wer weiß, wie lange sie vor ihm so in Verzückung gekniet wäre.

Am 4. August abends kam auch Joseph, und nun fehlte kein teures Haupt mehr aus der Nuiterfamilie.

Meine Leser haben schon öfters einer Primiz beigewohnt und haben das Glück der Eltern und des Primizianten von ihren Gesichtern herabgelesen; darum übergehe ich die weitere Beschreibung, ich sage nur, daß das Klosterkirchlein zu Großkirchen mit Andächtigen so angefüllt war, daß man hätte auf den Köpfen gehen können, und daß die Leute sich noch weit auf die Felder hinaus anreihten. So viele Leute hatte die Klosterkirche von Großkirchen wohl noch nie gesehen.

Und wie schön sang erst der Kanarienvogel die Präfation, sie hob die Herzen über die Erde hinaus. Mit der Mutter des Pater Brundusius hatte es schon gar keine Numero, ihre Tränen versiegten nie, von der Zeit an, wo der Prediger sie als Mutter des Primizianten glücklich pries, bis zum Segen, den ihr Sohn noch zuletzt von der Kanzel herab allen spendete. Ja, als Hans bei der Wandlung den lieben Herrn in die Höhe hob, da wußte sie nicht mehr, wo sie kniete.

Bei der Tafel ging es gar munter her, und der Nuiterbauer war so witzig, daß alle Gäste über seine Einfälle herzlich lachen mußten. Der Mutter war ihr größtes Kreuz, daß sie nicht bei ihrem Sohne an der Tafel sitzen konnte, denn Weiber dürfen, wie bekannt, die Klausur nicht überschreiten. Sie wurden im Pförtnerstübchen extra bewirtet. Doch der Pater Brundusius folgte dem Zuge seines Herzens. Nachdem die Toaste auf den hochwürdigen Primizianten, seinen Vater und seine Mutter ausgebracht waren, entfernte er sich vom Refektorium und suchte seine Mutter auf; die Männer, dachte er sich, mögen sich an den guten Bissen und an dem Weinglase vertrösten; ich muß zu meiner Mutter, und Joseph begleitete ihn.

Das war des Nuiterbauern und seines lieben Weibes glücklichster Tag, selbst ihr eigener Hochzeitstag nicht ausgenommen.

Um 5 Uhr kehrte der Joseph mit der Mutter heim. Pater Brundusius blieb natürlich im Kloster. Der Nuiterbauer und Alois gingen erst um 8 Uhr aus dem Kloster nach Hause, und als er so durch die Gassen von Großkirchen ging, hätte er gerne allen Großkirchern zugejauchzt, daß er ein höchst glückseliger Vater sei; ja, als er vor seinem Hause ankam und die zu Ehren seines Sohnes errichteten Triumphbogen und Inschriften sah, da jauchzte der alte Mann wirklich laut auf, er konnte sein Gefühl nicht mehr bemeistern.

Doch die Triumphbogen wurden wieder welk, man mußte sie wegtun, weil sie nun einen traurigen Anblick gewährten, und Hans mußte auch wieder fort, der Alois und Joseph auch; denn so geht es halt in der Welt, nichts besteht. Aber die Erinnerung an diesen Tag war dennoch immer schön, und der Nuiterbauer war es zufrieden und die Mutter auch, denn wenn sie nun stirbt, müssen ihr alle Patres der Tiroler Kapuzinerprovinz eine hl. Messe lesen, und da muß ihr Fegfeuer wohl ausgelöscht werden.

Alois ging, um in Innsbruck seine Kriminalpraxis zu vollenden, Joseph zog in den dritten juridischen Kurs, auch Pater Brundusius ging nach Innsbruck, um seine theologischen Studien dort fortzusetzen. Jedoch alle kamen in des Nuiters Hause nie mehr so zusammen, wie es bei dieser Primizfeier der Fall war. Dies war die letzte Vereinigung aller Familienglieder auf dieser Erde.


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