Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Das Klosterleben

Motto:

Du liederlich's Bürschl,
Du mußt di bekehr'n,
Aus an liederlich'n Bürschl
Kann a no a mol was wer'n.
(Studentenlied.)

Während der Kanarienvogel in Hall und Umgebung diese Geschichte in Szene gesetzt hatte, saß Joseph ganz vergnügt in seinem Zellelein zu Eppan und kümmerte sich um die ganze Welt nicht mehr, ja selbst seinen lieben Eltern schrieb er nur höchst selten; des Kanarienvogels Exzesse erfuhr er erst am Ende des zweiten Semesters. Schauen wir uns nun die neue Wohnung und Lebensart des Joseph ein wenig an.

Das Klösterchen liegt in einer reizenden Lage über der Etsch draußen, zwei Stunden von Bozen entfernt. An den herrlichen Ruinen von Sigismundkron vorbei steigt man den mit Reben bepflanzten Hügel hinauf und ein paradiesischer Anblick eröffnet sich, wenn man das Dorf Girlan erreicht hat. Rechts drüben winkt die stolze, ehrwürdige St. Paulskirche, und ganz im Hintergrunde hoch oben auf schwindliger Anhöhe die Ruinen des Schlosses Hoheneppan, das einst stolz das Etschland auf und ab beherrschte.

Zur Linken winkt Kaltern herüber, dessen Häuser und Adelssitze sich in schönen Abstufungen übereinander gegen den Berg Mendola hinaufziehen. In der Mitte zwischen St. Paul und Kaltern liegt das Dorf St. Michael oder eigentlich Eppan. Auch da sind viele alte Adelsansitze; den schönen Hintergrund bildet ein malerisch gelegener Kalvarienberg mit seinen Kapellen, die Spitze krönt ein wunderschönes, weithin leuchtendes Kirchlein, und hinter ihm ziehen sich noch den Berg hinan terrassenförmig wohl mehr als zehn Schlösser und Adelssitze. Ich behaupte, daß die Gegend um Eppan noch mehr Reize besitzt als selbst das Paradies Tirols, Meran; denn Meran hat seine häßlichen Pfauenfüße in der einförmigen Talgegend gegen Bozen hinab, auch ist die Hitze im Sommer dort lästiger als in Eppan, und im Winter senden manchmal die eisigen Ötztaler Ferner ihren frostigen, beißenden Odem durch das Passeirer Tal heraus, und diese haben wirklich nichts Paradiesisches; doch de gustibus non est disputandum, heißt ein lateinisches Sprichwort, das die Deutschen übersetzen: »Jedem Lappen gefällt seine Kappen«.

Als Joseph durch diese paradiesischen Gefilde hereinmaschiert war, war Herbst; die Trauben hingen blaubestaubt in Hülle und Fülle an den Reben, und die Winzer machten sich eben daran, sie in ihre Körbe hineinzuschneiden. Sie waren gar guter Dinge, sangen und jauchzten, und da und dort begegnete ihm ein Bäuerlein, das pfeifend auf einem Wagen saß und hinter sich ein großes Faß hatte, in dem der süße Rebensaft schlotterte und seine überreichlichen roten Tränen sogar über das Faß herabperlen ließ.

Dem Joseph war nicht singerisch, noch weniger pfeiferisch zu Mute; in seinem Herzen wogte und gärte ein großer Geisteskampf, er hätte lieber geweint, so wehmütig war er gestimmt.

Also dieser schönen Welt soll er für immer entsagen, soll sich hinter vier enge Mauern verschließen, seine schönen Jünglingsjahre dort vertrauern? Ja das will er tun, den Gehorsamsbrief von dem Provinzial hat er schon im Sacke; er ist die Urkunde der Überlieferung in eine lebenslängliche Gefangenschaft. So spricht zu Joseph der sinnliche Mensch.

Wie war ihm zu Mute, als er an der Glocke der Klosterpforte zog? Er gehörte ja nun da hinein, die Welt ging ihm nichts mehr an, er soll sie an der Schwelle der Klosterpforte lassen.

Der Guardian und Novizenmeister, Pater Norbert, war der Mann, der die Herzen der jungen Leute gewinnen konnte. Schon mehr als hundert junge Studentenwildlinge hatte er zu demütigen, sanftmütigen und willigen Kapuzinern gemacht. Wenige waren, die seiner zum Herzen redenden Liebe widerstanden. Er fragte auch nicht, wie tief er früher drinnen gesteckt sei. Man solle nicht mehr zurückschauen, meinte er, der alte Mensch sei ja mit dem Habit abgestreift, vorwärts, vorwärts soll man schauen.

Auch den Joseph empfing Pater Norbert wie einen alten Bekannten und Mitbruder und eröffnete ihm; daß er vorerst dreitägige Exerzitien halten müßte.

Von Exerzitien hatte Joseph wenig Begriff, denn Exerzitien und Student reimt sich nicht zusammen, und Pater Norbert sagte auch nichts Weiteres, als daß die Exerzitien dazu dienten, den alten Wust in der Seele hervorzusuchen und gänzlich damit aufzuräumen.

Er führte dann Joseph in sein zukünftiges Zellelein und gab ihm ein dickleibiges lateinisches Buch. Was vorzüglich zu lesen ist, sagte er, habe ich mit Eselsohren abgemerkt. Dann ließ der Guardian den Joseph allein.

Das erste was dieser tat, war, sich seine neue Residenz anzuschauen. – Das Ding schaute einem Gefängnisse so ziemlich ähnlich: 1½ Klafter Länge, 1 Klafter Breite und 1½ Klafter Höhe umfaßt seine ganze Wohnung. Mit einem hölzernen Riegel und einer hölzernen Schnalle wurde die Türe gesperrt. Zu was auch sperren, Gold und Silber war da nirgends zu treffen, und den größten Fang, den hier ein Dieb hätte machen können, wären etwa ein paar Bildchen und fromme Bücher gewesen, und solche Dinge können Diebe am allerwenigsten brauchen.

Die Zimmereinrichtung war auch just nicht zu luxuriös. Zwei hölzerne Schragen mit Brettern darüber, ein Strohsack und Strohpolster mit einer groben Wolldecke darüber waren das Bett, ein hölzerner, grob gearbeiteter Stuhl, ein Pult, ein Betschemel, eine Bücherstelle, ein Kruzifix und ein paar Täfelchen waren die übrigen Bestandteile im Zimmer.

Die Aussicht durch das etwas mehr als einen Quadratfuß große Fensterlein ging hinab in einen mit Weinrebenlauben gezierten Garten und war selbst von Weinreben und Lorbeeren umrankt.

Die Ordnung und Reinigung des Zimmers lag in dem Belieben des jeweiligen Bewohners, doch fehlte für den, der Sauberkeit liebt, nicht ein Kehrwisch, an einem Nagel des Pultes seitwärts aufgehängt.

Die Musterung des Joseph war bald vollendet. Er legte seinen Hut auf das Bett und machte es sich bequem.

Nun wurde über das Buch hergefallen; er zupfte an dem ersten Eselsohre, und die Aufschrift des Kapitels lautete: »Beichtspiegel für Novizen behufs einer Generalbeichte«.

Ah so, dachte sich Joseph, da heißt es hineinschauen und sich fragen: Hast du etwa das und das und das nicht auch getan? Da heißt es zuerst: das ganze Lebenshaus auskehren.

Angenehmes Geschäft war das gerade für Joseph nicht, aber hier in der stillen Zelle ging es doch leichter, sein ganzes bisheriges Leben vor den Augen vorbeispazieren zu lassen.

Joseph hätte nicht geglaubt, daß er ein solches Päckchen Sünden auf sich habe. Er mußte einen Bleistift herausnehmen und sich die Sache notieren. Draußen in der Welt war er immer bald fertig gewesen, denn da gibt es nicht so viele Sünden, aber das Buch, das Joseph vor sich hatte, machte es ein wenig genauer und heikler als die Weltleute, die manchmal nicht bloß Mücken, sondern tüchtige Elefanten laufen lassen; auch konnte Joseph in dieser Stille in die innersten Pulse seiner Seele hineinschauen und sie schlagen hören.

Die drei Tage gingen ziemlich langweilig und träge dahin, auch redete mit ihm niemand ein Wort, was man im Kloster Silentium heißt, und Joseph hätte so gerne geschwätzt. Selbst beim Essen im Refektorium wurde hl. Schrift vorgelesen, dann sonst etwas Heiliges; endlich wurde es ganz stille und außer dem Geräusche der Teller, Messer und Gabeln konnte man gar nichts hören.

Auch sah ein Tischnachbar den andern nicht, denn jeder hatte seine Kapuze tief über das Antlitz herabgezogen, so daß jeder nur das vor sich liegende Essen sehen konnte. Visavis gab es auch keines, da sie alle der Länge nach in einer Reihe herabsaßen.

Dem Joseph kam das Ding vor wie das Mahl der zwölf Geister an der Tafelrunde.

Zudem wurde er um Mitternacht immer durch ein fürchterliches Geklapper aus dem Schlafe gestört; es war dies das Zeichen, das die Patres zur Mette rief. Und um 4¾ Uhr in der Frühe hämmerte jemand entsetzlich an alle Türen. Es sollte heißen: Surgite fratres! (Steht auf Brüder!)

Die drei Tage waren nun doch endlich bald vorüber. Es war nach dem Abendessen des dritten Tages, da winkte Pater Norbert den neuen Kapuziner-Kandidaten zu sich heran.

Nun, habt Ihr's in Ordnung mit Eurem Sündenpäckchen? fragte er, dann könnt ihr in meine Zelle kommen, wir werden es dann in Frieden mitsammen abtun, wir werden bald fertig sein. In einem halben Stündchen, meine ich, habt Ihr es abgeschüttelt. Nur Courage! das geht jedem so, dürft etwa nicht glauben, daß Ihr allein Sünden hättet, ich bin auch nicht mehr als ein recht elender, sündiger Mensch.

Als Joseph in des Guardians Zelle niederkniete und der Guardian den hölzernen Riegel vorschob, da hörte Joseph sein Herz laut klopfen, als er aber wieder auf den vor ihm stehenden Gekreuzigten und die milde schmerzhafte Mutter Gottes darunter sah, bekam er Courage und begann halt in Gottesnamen das von seinem Zettelchen herabzulesen, was er sich in den drei Tagen notiert hatte. Die Liste ging immer tiefer hinab, es wurde immer weniger und weniger, endlich war er am Ende, und der gute Pater Norbert meinte, ein Engel habe das alles von seinem Sündenblatte weggewischt, er sprach ihn von allem los im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und Joseph könne das Blättchen getrost ins Feuer werfen, das sei einmal gewesen und sei nun vor dem Himmel nicht mehr. Er möge sich nun weiter nicht mehr ängstigen. Und als Joseph aus der Zelle trat, war es ihm wirklich, als ob ein schwerer Stein ihm vom Halse wäre, leicht wie ein Vögelchen flog er hinab in den Chor, und was er dort drunten im Herzen empfunden, was er dem lieben Herrgott im heiligsten Altarssakramente und der Muttergottes gesagt hat, hat meine Feder nicht erlauscht und kann es daher auch nicht wiedergeben.

Am anderen Tage sollte Joseph als Noviz eingekleidet werden. Bruder Schneider hatte eifrig an dem groben Habit des Joseph gearbeitet. Er lag fertig in einem Korbe neben dem Hochaltare in der Klosterkirche, ein Hanfstrick als Gürtel lag auch dabei und ein Rosenkranz mit großem hölzernen Kreuze.

Die Konventmesse war vorüber; Pater Norbert hatte sie gehalten. Da trat ein Jüngling von 21 Jahren in Studentenkleidung mit braunen, langen, glatten Haaren, das Haupt und die Blicke gesenkt, mit gefalteten Händen vom Chore heraus an die untersten Stufen des Hochaltars und kniete sich dort nieder.

Wieder so ein junges Herrchen an die Schlachtbank geführt, flüsterten die Leute in den Kirchenstühlen draußen einander zu. Schade um ihn, so jung, hieß es. Welch ein Entschluß, welch ein Opfer!

Alles blickte neugierig auf den Jüngling, der Jüngling war Joseph. Er hörte von diesem Geflüster nichts; denn jetzt wendete sich Pater Norbert vom Altare gegen ihn und zeigte ihm den Leib unseres Herrn Jesu Christi. Wegen seiner opferte Joseph ja die ganze Welt, und dafür soll er Jesum nun für jetzt und für immer als Anteil und Lohn empfangen.

Ecce agnus Dei, qui tollit peccata mundi, hört Joseph, er gibt die Welt gerne hin, er hätte tausend Welten hingegeben; denn jetzt gehört Gott ihm und er ist Gottes. Joseph fühlte, daß sein Opfer gegen das, was er erhielt, dennoch nur ein Nichts sei.

Pater Norbert tritt vom Altare, Joseph ein wenig seitwärts und spricht mit dem Herrn in seinem Herzen; er meint, nun möchte er gerne sterben.

Da stört ihn der Guardian aus seinen Betrachtungen.

Sie begehren, fragte er ihn laut, freiwillig von mir das heilige Ordenskleid.

Ja, sagte Joseph mit fester Stimme.

Und so zog ihm denn Pater Norbert den vorher geweihten Habit über sein Weltkleid, umgürtete den Strick und sagte: Accipe habitum sancti Patris Francisci, accipe cingulum! (Nimm den Habit des heiligen Vaters Franziskus, nimm den Gürtel und du wirst dafür das ewige Leben haben! Amen.)

Dann ergriff er eine Schere und die Haare fielen unter derselben von dem Haupte Josephs, es wurde ihm die Krone ausgeschoren.

Im Chor sangen inzwischen die anderen Brüder im tiefen, gemessenen Tone den Psalm Davids Ecce quam bonum! (Siehe, wie gut ist es, unter Brüdern zu wohnen!)

Und Joseph stand nach einer halben Stunde nicht mehr als der flotte Student unter seinen Mitnovizen, sondern als ein armer, demütiger Mönch. Seine eigene Mutter würde ihn kaum noch erkannt haben.

Lächelnd schauten ihn die anderen an und begrüßten ihn unter herzlichem Händedruck als ihren neuen Mitbruder, so auch der Guardian und die Patres. Wir wünschen Ihnen Glück, hieß es. Lassen Sie es sich nicht reuen, Sie haben nur die unruhige, verführerische Welt für den Himmel hingegeben. Sehen Sie, wir sind glücklich und haben unseren Schritt noch nie bereut.

So war nun Joseph Kapuziner geworden. Er hieß nun nicht mehr Joseph, denn der alte Joseph sollte nun gar nicht mehr existieren. Er hieß nun Frater Conversus; so wollen wir ihn von nun an nennen; obwohl er eigentlich anders hieß.

Mittags ging es nicht mehr so wie die anderen Tage. Da wurde unter dem Essen geredet. Deo gratias, sagte der Guardian, und dies war das Zeichen zum Reden. Vor dem jungen Novizen stand ein höheres Weinkrügelein als bei den übrigen, und am Ende kam zu Frater Conversus um eine Speise mehr; was sie Carität hießen.

Die Lebensweise Josephs war nun ungefähr folgende:

Um Mitternacht, wenn der Hammer den ersten Schlag auf die Viertelstundglocke der Uhr im Klostergange machte, begann einer der Novizen, der die Weckwoche hatte, mit einer hölzernen Maschine, Ratsche genannt, einen entsetzlichen Rumor, vor allen Zellen auf und ab gehend und in einem fort die klappernde Maschine schnell drehend.

Da hieß es nun: Auf und hinab in den Chor zur Mette.

Die Toilette war bald gemacht. Man wischte sich schnell die Augen aus, sprang vom Strohsacke herab, schloff in die unter dem Bettschragen stehenden Sandalen, schnürte den Gürtel etwas fester und schlug die Kapuze zurück; denn der Kapuziner schläft in Habit und Kapuze, er legt sein Ordenskleid nie ab. Das war also alles in einer Minute geschehen. In fünf Minuten stand schon alles im Chor. Jeder hatte sein angewiesenes Plätzchen. Fehlte einer, so wurde er ohne viele Umstände vom Bette geholt.

Der Guardian gab, in die Hand klatschend, ein Zeichen, und nun begann das Psallieren.

Dieser langsame, gemessene, tiefe Chorgesang der Mönche um Mitternacht, wenn die ganze Welt in den Armen des Schlafes liegt, hat etwas Feierliches, Erhabenes, Schönes.

Niemand wacht als der Mönch vor dem ewig wachen Jesus im allerheiligsten Altarssakrament und etwa noch der Kranke auf seinem Schmerzenslager und das Laster, welches die Finsternis sucht.

Die Psalmen wurden stehend gebetet, nur beim Gloria patri verneigte man sich tief; bei den Lektionen saß man; wenn man aber beim Tedeum laudamus zu den Worten » Te ergo quaesumus« kam, warf sich alles anbetend auf das Antlitz nieder.

Erst um 1¼ Uhr nach Mitternacht, manchmal noch später, war der Chor zu Ende.

Montag, Mittwoch und Freitag wurde dem Chorgebete noch etwas anderes, gar Kurioses angehängt. Welch sonderbare Augen machte da der verzärtelte Joseph, nun Frater Conversus, her!

Man blieb nämlich nach beendeter Mette noch im Chor. Es wurden nun alle Lichter ausgelöscht, nur eines wurde noch in einer Laterne belassen und vor die Türe hinausgetragen. Der es hinausgetragen, kam dann wieder zurück und schloß die Chortür. Nun befand man sich in vollständiger Finsternis.

» Miserere mei Deus«, begann nun der Guardian: Pitsch, patsch, pitsch, patsch ertönte es von allen Seiten. Dem Frater Conversus fing es zu gruseln an; denn er merkte nun, daß die Mitbrüder sich selbst geißelten. Davon hatte ihm Pater Norbert kein Wort gesagt, und er stand wie ein armer Sünder im Finstern da, unschlüssig, was er tun sollte.

Da das Beispiel ansteckt, und er meinte, daß er ein größerer Sünder sei als alle anderen, so schlug er halt auch in Ermanglung einer Geißel sich mit der Faust bald auf die Wangen, bald auf den Arm oder wo sonst die Faust hintreffen konnte. Diese Selbstbestrafung dauerte so lang, bis der Psalm Miserere, De profundis und vier Gebete zu Ende gebetet waren.

Dann ging man erst wieder stillschweigend zu Bette. Erst am andern Tage erklärten dem Frater Conversus seine Mitnovizen, daß man dieses Disziplin heiße. Er solle nur in einem Täschchen seines Habits unter dem Ärmel suchen, da werde er schon eine lederne Geißel mit Drahtkettchen finden. Und wirklich, als Frater Conversus nachforschte, entdeckte er das sonderbare Instrument. Bruder Schneider hatte nicht vergessen, es auch ihm in die Tasche zu stecken.

Um 4¾ Uhr Früh hieß es wieder aufstehen zum gemeinschaftlichen Morgengebete im Chor; dann war ebendort geistliche Betrachtung bis 6 Uhr; dann wurden die Horen gesungen bis zur Non; den Beschluß machte die Konventmesse.

Um 7 Uhr kam man erst vom Chor in die Zelle. Frühstück gab es höchst selten; doch Frater Conversus war von den Studienjahren her gewöhnt, vom Frühstück nichts zu wissen.

Von 7 bis 8 Uhr hielt Frater Conversus geistliche Lesung im Aszeten Neudegger. Von 8 bis 10 Uhr war Schule beim Novizenmeister über die Klosterregeln, das Brevier usf. Um 10¼ Uhr war wieder Chor und die Novizen sollten sich gewöhnlich schon ¼ Stunde früher einfinden. Um 10½ Uhr ging's zum Essen, wo man bis 11½ Uhr sitzen blieb. Und da ging es auch meistens nicht unterhaltlich her, denn fast immer war Silentium, selten ertönte das Deo gratias des Guardians. In der Fasten (und die Hälfte des Jahres ist bei den Kapuzinern wohl Fastenzeit) war das Silentium beim Essen fast durchgehends.

Nach dem Essen hieß es, mit den Novizen in dem Garten oder den Gängen auf und ab wandelnd, das Officium Marianum beten.

Dann hieß es, wieder in die Zelle. Nur vier Stunden in der Woche wurde den Novizen zu reden erlaubt, wohl etwa nur deswegen, daß sie das Reden nicht ganz verlernen; nämlich am Sonntag, Dienstag und Donnerstag von 12 bis 1 Uhr und am Sonntag, abends von 6 bis 7 Uhr.

Begann der Hammer sein Eins oder Sieben zu schlagen, so mußte sich eines jeden Mund wieder sperren, er durfte nicht einmal seinen angefangenen Satz vollenden, so wollte es der pünktliche Gehorsam.

Von 1 bis 2 Uhr konnte man sich in seiner Zelle mit etwas Beliebigem, d. h. Geistlichem, beschäftigen. Da gab es etwa einen Thomas von Kempen oder Heilige Schrift zu lesen. War Joseph dazu nicht aufgelegt, so nahm er eine mechanische Arbeit vor.

Um 2 Uhr war Vesper und danach bis 3½ Uhr wieder Schule. Um 4 Uhr war Komplet und Betrachtung im Chore bis 5¼ Uhr, darauf klänkte es zum Abendessen. Um 6 Uhr wurde die meistens sehr bescheidene Tafel aufgehoben. Dann ging's wieder in die Zelle bis 7¾ Uhr, worauf im Chore Perdonanz genommen wurde, d. h. jeder machte sich dort im stillen seine Gewissenserforschung und bat den Herrn noch um Verzeihung seiner heutigen Fehler; dann hieß es: Marsch auf den Strohsack, denn bis Mitternacht sind es nur vier Stunden.

So ging es im Klosterleben des Frater Conversus mit wenigen Ausnahmen alle Tage den gleichen Gang fort, wie das Räderwerk einer Uhr; und Conversus hatte nie Langeweile.

Seine Nebenbeschäftigung war die Fabrikation künstlicher Blumen aus Leinwand für die Kirche, dann war er auch eine Zeitlang Unterbibliothekar, d. h. er mußte alle Werke ordnen, Blättchen hinaufpappen und die Titel hinaufschreiben; ein paar Monate war er auch provisorischer Blumengärtner und konnte prüfen, wer herrlichere Blumen mache, er aus seiner Leinwand oder der liebe Herrgott mit seinen unsichtbaren Händen. Am Ende mußte Frater Conversus dennoch bekennen, daß seine Blumenmacherei eine elende Pfuscherei sei.

Ein paar Tatsachen haben denn doch in den Gang des Lebensuhrwerkes des Fraters Conversus eine kleine Abwechslung hineingebracht, und das waren die heiligen Weihnachtstage.

Am heiligen Abend 10¾ Uhr wurde Frater Conversus von dem Wochner geweckt; er sollte das Christkindlein aufsingen helfen.

Bald stand Joseph im Chorhemde, als Altardiener gekleidet, mit noch einem Novizen am Ende des Dormitoriums oder Schlafganges; sie hielten in der Linken einen Leuchter mit brennender Kerze, in der Rechten hatten sie Metallglöcklein. Bald ertönten diese Metallglöcklein silberhell in die stille Klosternacht hinein; es sollte dies das Zeichen sein, daß das Christkindlein bald komme, man solle nun zur Mette aufstehen. Das waren gleichsam die Gloriaengel, welche die Hirten aus ihrem Schlafe aufweckten.

Nun verstummten die Glöcklein, und die beiden Altardiener begannen mit noch zwei anderen Novizen, im Quartett ein zwar altes, doch melodiereiches Lied zu singen:

Puer natus in Bethlehem,
  Unde gaudet Jerusalem.

Ein Knäblein geboren zu Bethlehem,
  Und es freut sich Jerusalem – Jerusalem. –
Cognoscit bos et asinus,
  Quod puer esset dominus.

Der Ochs und das Eselein
  Erkennen Gott den Herrn sein – sein – etc.

Und so ging es an allen Zellen der schlafenden Brüder vorbei bis hinab zur Krippe im Refektorium, vor der das Lied zu Ende gesungen wurde.

Hierauf wurde die Mette gehalten, und begleitete den Gesang auch nicht Orgelklang, so kam er doch aus gerührter Brust, wenigstens dem Frater Conversus ging es so; und war auch die Messe still um Mitternacht gefeiert, so flimmerten doch viele Lichtlein am Altare und in der Krippe.

Nach der Mette ging es in das Refektorium; wo Pater Norbert den versammelten Brüdern eine herzergreifende Anrede über die Liebe des göttlichen Heilandes hielt.

Die Rede war zu Ende, alle hatten sie auf den Knien angehört.

Da zog sich Pater Norbert die Sandalen aus, warf sich mit dem Angesichte zur Erde und sprach:

Ich bitte alle Mitbrüder durch die Liebe des neugeborenen Heilandes um Verzeihung, wenn ich einen von ihnen etwa beleidigt oder geärgert habe.

Seinem Beispiele folgte der Vicarius und so hinab bis zum jüngsten Laienbruder.

Das war eine wahre Liebesnacht! Noch nie in seinem Leben hatte Frater Conversus eine so schöne heilige Nacht gehabt, er konnte sie in seinem Leben nicht mehr vergessen.

Eine andere Unterbrechung des einförmigen Lebens des Fraters Conversus war die Rekreationszeit. Bevor nämlich eine lange Fasten wieder anfängt, wurde eine Woche der Erholung gewidmet. Nachmittags und abends wurden außer den Chorstunden allerhand kurzweilige Spiele gemacht. Einer sucht sich Karten heraus und macht Einsätze mit dem Kapuzinergelde, d. h. Heiligenbildchen, welche die Kreuzer vorstellen, oder Skapulieren und Rosenkränzen, welche die Goldmünzen sind. Andere setzen sich zu einem Damenbrett und machen ein Damenspiel, Langpuff oder Fuchsjagen; die Geistreicheren lieben ein Schach zu machen, die Laienbrüder begnügen sich hie und da auch an dem Mühlziehen, und da fallen mitunter recht heitere Witze, und es geht recht lebhaft brüderlich und munter her. Daß mitunter auch wacker scharmutziert wird, wenn ein ungeschickter Spielgehilfe etwas verpfuscht hat, versteht sich von selbst, so auch, daß der Gewinner wohlgefällig seine gewonnenen Heiligkeiten in die Brieftasche steckt und der Verlierer ein saures Gesicht macht. Im Sommer gab es Kegel- und Bocciaspiel.

Frater Conversus war bei der Unterhaltung auch einer der Muntersten und dachte: Lustig in Ehren hat Gott und die Welt gern. Pater Norbert mochte sauertöpfische Gesichter auch nicht gerne sehen, er prophezeite von solchen immer, daß sie das Novizenjahr im Kloster nicht fertig machen, sondern früher herausspringen würden, und meistens hatte er recht.

Eine andere Unterhaltung war dem Frater Conversus das Kanarienvögelein des Guardian. Dieses war ein recht neckisches Spitzbüblein. Wenn die Novizen in Pater Norberts Zelle kamen, flog der kleine Lump von einem zum anderen, setzte sich auf den Kopf oder auf die Achsel; ja wenn er hier und da recht boshaft gelaunt war, zupfte er sie wacker an ihrem Barte und störte so oft den Vortrag des Novizenmeisters. Dieser aber lachte dann gewöhnlich selbst über das Talent seines Vögeleins, und er liebte es zu sehr, als daß er diesem mutwilligen Treiben die Rute hätte entgegensetzen wollen. Wenn es gar keine Ruhe gab, öffnete er ihm das Fenster, daß es draußen im Garten frische Luft schöpfe, und wollte es dennoch nicht fort, so nahm er ein Lineal und zeigte es ihm drohend, worauf der kleine gelbe Schelm mit seinen schwarzen Augensternlein ihn fragend anschaute und endlich davonflog.

Bisweilen flog er wohl auch an des Conversus Zellenfenster und pickte an den Glasscheiben, um Einlaß bittend. Und wurde geöffnet, so setzte er sich auf den Schreibpult, aber nicht lange ließ es ihn ruhen, bald ging seine Neckerei an, indem er bald an einem Blatte des Buches, in dem Frater Conversus las, oder an der Feder, mit der er schrieb, zupfte, und wollte sich Conversus auch dadurch nicht stören lassen, so ging es wieder an seinen Bart.

Und blieb der gelbe Schelm manches Mal zu lang im Garten oder flog er gar in andere Gärten, so holte Frater Conversus von Pater Norbert das Drehörgelein, womit er abgerichtet wurde, und spielte den Tiroler Wastl. Dieser Ton war dem gelben Sänger wie ein Locken der Sirene, bald war er da und präsentierte sich, den Tiroler Wastl des Örgeleins übertönend und zu Boden singend. Doch wie es mit den Freuden der Welt geht, auch diese kleine Freude sollte dem Frater Conversus eines schönen Tages genommen werden.

Pater Norbert hatte dem Gelbschnabel ein Weibchen gegeben und ein schönes Nestchen bereitet. Der Gelbschnabel hatte über seine Gehilfin eine große Freude, doch er verlor viel von seinem jugendlichen Frohsinn und hatte nicht mehr Zeit, auf Neckereien zu denken; er mußte Wolle zupfen und im Neste zurecht richten, mußte auch dem Weibchen Futter zutragen, kurz er mußte ihm anhangen.

Eines Tages fiel es nun dem Weibchen ein, sich auch wie das Männchen in die freie Luft zu wagen und sich wacker auf den Ästen der Bäume herumzutummeln. Das gefiel dem Weibchen. Kehren wir heim, sagte der Gelbschnabel zu seiner Ehehälfte; doch diese sagte: Nein, die Freiheit ist so schön, und flog in des Nachbars Garten. Das Männchen läßt sich verlocken, es flog nach. Dann ging es noch weiter und immer weiter, bis endlich des Paters Norbert Zellelein aus dem Gesichte war und nur mehr die große, weite Welt lockend vor ihnen lag. Und da gab es so herrliche Lockspeisen, Würmchen, Körnlein und andere Dinge, und es war nicht so eng wie in der Zelle oder gar in dem eisernen Käfige. Sie kehrten beide nicht wieder. Die weiß befiederte Eva hatte den Gelbschnabel verlockt. Wohl mochte der Gelbschnabel es hintennach oft bereut haben; aber er hatte sich einmal an diesen Lockvogel gehängt; es war nicht mehr zu ändern. Und das Drehörgelein des Paters Norbert ließ an den Fensterbalken der Zelle vergebens seinen Tiroler Wastl erklingen. Gelbschnabel hörte nichts mehr.

Pater Norbert und Frater Conversus hätten um das verführte Vögelein fast weinen mögen. Pater Norbert meinte, es sei dies ein recht lebendiges Bild, wozu einen Menschen närrische Weiberliebe führen kann, da rufe Gottes- und des Gewissensstimme auch umsonst.

Dann erzählte er folgenden Vorfall, der sich unter seinen Novizen zugetragen habe.

Er habe einmal ein paar gar prächtige Novizen gehabt. Diese seien in einer Nacht des Faschings gegen die Vorschriften nach der Mette in den Garten gegangen und dort auf und ab gewandelt. Nun an sich sei dieser Fehler unbedeutend, er habe aber sehr schwere Folgen gehabt. Wie sie unter den Weinlauben auf und ab wandelten, hätten sie auf einmal den Schall von Trompeten, Geigen und Klarinetten gehört. Es stoße nämlich der Klostergarten an das Sonnenwirtshaus, und dort wäre Tanzmusik gewesen.

Dies hätte diese zwei so sehr angezogen, daß in ihnen auf einmal der ganze Klostergeist wich und ihnen die Klostermauern zu eng wurden. Sie wären im Dunkel auf das Kirchengewölbe hinaufgeschlichen, wo ihre weltlichen Kleider und Sachen in Verwahrung waren, wären aus der Kutte geschloffen und hätten sich wieder in die Weltkleider gesteckt.

Dann seien sie über die Gartenmauer gestiegen, dem Tanzsaale zugerannt und hätten dort die ganze Nacht mit leichtsinnigen Weibsleuten getanzt und sich dann auf und davon gemacht. Er habe später nur noch erfragt, daß beide recht liederliche Taugenichtse geworden seien. In der Frühe beim Wecken waren ihre Zellen leer, ihre Habite hingen an der Brunnensäule des Klosterhofes. Seht Ihr, sprach Pater Norbert, das waren auch ein paar leichtsinnige Kanarienvögel; sie taten den ersten unerlaubten Schritt und flogen endlich ganz aus.

Infolge dieser Erzählung ging Frater Conversus im ganzen Fasching nicht an jene Stelle des Klostergartens, die dem Sonnenwirtshause nahe war.

In der Fasten gab es wieder eine neue Affäre.

Eines Tages kam ein zerlumpter Zillertaler Bube an die Klosterpforte und verlangte nach dem Pater Guardian. Pater Norbert kam zur Pforte und fragte den Buben um sein Begehren. Dieser schluchzt und weint, dicke Tränen rollen ihm über seine Wangen. Erst nach langem Schluchzen kommt er endlich zu Wort und erzählt, daß er zu Hause im Zillertale eine Stiefmutter habe, die ihn davongejagt habe. Er möchte so gerne studieren, aber Vater und Mutter wollen davon nichts hören, er habe daher mehr Schläge als Essen bekommen und habe sich bis hierher durchgebettelt.

Pater Norbert mit seinem einfältigen, weichen Herzen hatte inniges Mitleid mit dem Knaben; er ließ ihm gleich ein Essen geben, ließ ihm eine leere Zelle zur Wohnung herrichten, bettelte für ihn bei den reichen Gutsbesitzern in Eppan Kleider und die Kosttage, gab ihm den Frater Conversus als Instruktor im Latein, kurz, er wurde gänzlich versorgt.

Doch der Bube kam dem Frater Conversus ziemlich schlau vor, er hatte ihn etlichemal auf Lügen ertappt, auch war sein Blick gar zu unstet. Da man aber von dem Nächsten nichts Arges denken darf, so schlug Frater Conversus immer den bösen Argwohn gegen den Knaben aus dem Sinne.

Da es noch ziemlich kalt war, schlief der Knabe in der geheizten Wintersakristei, von der Wärmelöcher hinauf in die Novizenzellen gingen.

Eben hatte es einmal in einer Nacht 10 Uhr geschlagen, und alles im Kloster lag in tiefer Ruhe, da fing ein Novize, der mondsüchtig war und beim Vollmonde im Schlafe oft arg wütete, schrecklich zu heulen an; gewöhnlich kam das Übel mit Schlag 10 Uhr; im Kloster war man das Ding schon gewöhnt und schlief deswegen ruhig fort.

Dem Zillertaler Buben aber war es unbekannt; er fuhr auf das Geheul vom Schlaf auf und heulte noch ärger als selbst der Novize: »Der Teufel holt mich, der Teufel holt mich, Hilfe, Hilfe!« schrie er aus vollem Halse, »ich will gerne alles bekennen«.

Auf dieses entsetzliche Heulduett lief alles im Kloster mit Lichtern zusammen, der Wintersakristei zu, wo der Knabe so gewaltig schrie, als ob er wirklich schon am höllischen Bratspieße steckte.

Was gibt es? fragte der in die Sakristei eintretende Guardian.

Der Teufel holt mich, schrie der Knabe fort, der Teufel holt mich.

Ich sehe keinen Teufel, sagte Pater Norbert.

Da droben ist er an dem Oberboden, hört Ihr ihn heulen, Pater Guardian retten Sie mich, ich will gerne alles bekennen.

Und der Knabe hängte sich wie ein Verzweifelter an Pater Norberts Arm.

Jetzt war dem Pater Norbert klar, wer der Teufel sei, den der Knabe meine. Der mondsüchtige Novize schrie noch immer in seiner Zelle droben.

Gut, sagte Pater Norbert, ich will den Teufel beschwören, aber bekennen mußt du. Was hast du zu bekennen?

Alles, was ich an der Pforte bei meiner Ankunft zu Ihnen gesagt habe, ist nicht wahr, ist erdichtet. Ich bin meinen Eltern heimlich davongelaufen, habe in Brixen 14 fl. gestohlen und die Patres in Klausen auch betrogen. Dann habe ich noch viele andere Lumpereien angestellt, die mir in der Eile nicht einfallen.

Pater Guardian retten Sie mich, hören Sie, er kommt.

Alle Patres, Kleriker und Laienbrüder lachten nun laut zusammen. Man schickte den Frater Conversus zum mondscheinsüchtigen Novizen hinauf, um ihn beim Namen zu rufen, dann kam er immer von seiner Mondwanderung zu sich und wurde ruhig.

Der kleine Verbrecher ließ nun vom Guardian ab und stand zitternd vor demselben.

Ein solcher Schurke bist du also, sagte Pater Norbert zum Knaben, kein Wunder, daß dich dein schlechtes Gewissen den Teufel sehen ließ.

Am anderen Tage bekam der junge abgetriebene Gauner natürlich den Laufpaß aus dem Kloster, und da der Schreckteufel von dieser Nacht nicht alle Tage zu haben war und man fürchtete, der Knabe möchte das Ding bald vergessen haben, so übernahm ihn der Gemeindevorsteher von Eppan, damit er heimgeschubt werde.

Lange noch war die Teufelsgeschichte des Zillertaler Buben das heitere Tagesgespräch im Kloster.

Als der Frühling der Natur sein schönes Gewand anzog und es droben am Gleifhügel zu grünen anfing, da fing es auch in dem Herzen des Fraters Conversus sich zu regen an, ein Etwas zog ihn auch hinaus in die schöne Gottesnatur. Der Mandelbaum glänzte ja blühend weiß vom Hügel herab, und die Pfirsichbäume glühten auch in zartem Rot, und wenn Frater Conversus nach der Mette sein Zellenfenster öffnete, so hörte er droben im Gebüsche so lieblich die Nachtigall schlagen, daß er seufzte und dachte: Draußen in der Welt ist alles so schön und voll Leben, nur meine Welt ist tot. Doch kaum hatte er sich auf diesem Gedanken ertappt, schlug er hastig das Fensterlein zu und sagte zu sich selbst: Welch Tor du bist! Siehe, das sind nur Eintagsblumen, heute blühen sie, morgen sind sie welk. In aller dieser Frühlingspracht wandelt schleichend der Tod. Vielleicht liegt gerade jetzt jemand hier in der Umgebung auf dem Sterbebette; was kümmert ihn dann die schöne Natur! Es gibt nur einen schönen dauernden ewigen Frühling, dort, dort! Welt, ich lasse dir deinen Frühling; du bist eine Betrügerin!

Solche Kämpfe wie Conversus hat wohl jede Seele in den Jahren der Jugend. Und wer seine Seele rein bewahren will, muß opfern. Doch diese Kämpfe waren nur vorübergehend; bald kehrte wieder stille Ruhe und Zufriedenheit ins Herz ein.

Der heiße Sommer kam heran, und gerade in diesem Jahre glühte die Sonne mehr als sonst über die Ziegeldächer Eppans. Dem Frater Conversus behagte die Hitze gar nicht; er wünschte den milden Winter zurück, wo am Weihnachtstage im Garten die herrlichsten Rosen blühten. Des Fraters Conversus Antlitz magerte ab, endlich bekam er gar den Bluthusten, was wohl von dem Chorbeten herkommen mochte, da er immer mit voller Stimme betete. Conversus mußte medizinieren und den Chor meiden. Das war ihm ein großes Kreuz. Da der Doktor meinte, daß eine Luftveränderung das beste sei, so wurde Conversus mit jenen, welche das Noviziat schon bestanden hatten, in das hochgelegene Sterzing geschickt, wo er dann die philosophischen Studien zu beginnen hatte. Conversus schied hart von dem lieben, guten Pater Norbert.

Wirklich erholte sich Frater Conversus zu Sterzing anfangs.

Es war an dem Franciscitage, also am 4. Oktober, da waren mehrere fremde Gäste zu Tische geladen. Doch was gehen fremde Gäste einen Novizen an, Conversus kümmerte sich darum gar wenig; er schaute nicht hinauf, wer oben säße.

Nach dem Essen war Rekreation angesagt. Conversus wollte eben in den Garten gehen, um einer Partie Boccia zuzuschauen. Da kam der Guardian mit einem Herrn auf Conversus zugegangen. Da ist ein unsriger Kandidat, sagte der Guardian, ich glaube, Sie sollen ihn kennen?

Grüß Gott Joseph; rief eine wohlbekannte Stimme, die dem Frater Conversus durch Mark und Bein und bis hinab zu seinem Herzen drang.

Da blickte Joseph den vor ihm Stehenden erst recht an.

Du Hans, du bist es, du Kapuzinerkandidat? rief tief erschüttert und freudig überrascht Frater Conversus. Ist's möglich?

So ist's, sprach der Kanarienvogel; ich suchte heute während des ganzen Essens mit meinen Augen nach dir, und ich konnte dich nicht herausfinden, ihr habt fast alle gleiche Gesichter. Hast du mich nicht gesehen und erkannt?

Nein, sprach Frater Conversus. Nun Gott sei Lob, daß du endlich auch in den Hafen der Ruhe eingelaufen bist. Ich habe dich schon gänzlich aufgegeben, sie schrieben mir letzthin von Hause, du wärest von den Studien weggekommen.

Kanarienvogel: Es ist schon wahr, aber du weißt wohl, der Kanarienvogel kann leichtsinnig sein, aber dann hat er schon auch wieder seine ernsten Stunden; ich habe nun ausgetobt.

Frater Conversus: Ist's mit der Aufnahme in Richtigkeit?

Schaue selbst, du ewiger Zweifler, sagte der Kanarienvogel, da hast du die Obedienz vom Pater Provinzial.

Nun konnte Frater Conversus nicht mehr zweifeln.

Als Frater Conversus seinen Bruder im Studentenanzuge und mit einem kleinen Päckchen in der Hand so vor sich stehen sah, da regte sich in ihm Fleisch und Blut, er wischte sich eine Freudenträne vom Auge und schüttelte dem Kanarienvogel herzlich die Hand. – Der Guardian hatte die zwei Brüder bei diesen Gesprächen allein gelassen, denn er wußte wohl, daß man bei den ersten Begrüßungen nicht dritte Personen liebt, die den Gefühlen Zwang auflegen.

Der Kanarienvogel hatte noch immer seinen alten, unverwüstlichen heiteren Humor; dem Frater Conversus war auf dem Wege zum Kloster ganz anders zumute gewesen; er glaubte, daß der Kanarienvogel im Kloster es schwerlich aushalten werde, denn sein Temperament war zu lebhaft, zudem liebte er die Musik so sehr, und von dergleichen Dingen hört man in den Kapuzinerklöstern selten etwas.

Wissen es unsere Eltern, fragte Frater Conversus den Kanarienvogel, daß du ins Kloster gegangen?

Kanarienvogel: Keine Silbe. Sie meinen wahrscheinlich, daß ich irgendwo herumvagiere.

Frater Conversus: Das hättest du doch wenigstens ihnen schreiben sollen, sonst sind sie in Kummer.

Kanarienvogel: Für mich dürfen sie keinen Kummer haben, sie wissen ja doch, daß ich mich überall in der Welt durchschlage. Sie werden es wohl einmal erfahren. Mir hätten sie es kaum geglaubt.

Ich sagte keinem Menschen etwas, selbst dem Cyper nicht. Solche Dinge soll man nicht an die große Glocke hängen. Und was kümmert sich die Welt um einen einzigen Menschen, der wie ein Tropfen im Meere ist. Heute sagt sie noch: Weißt du was Neues: der Kanarienvogel aus Großkirchen ist zu den Kapuzinern gegangen, denke dir, der lustige Patron, der Taugenichts; das wird einen schönen Kapuziner abgeben! Und so fort. Am anderen Tage redet man schon nicht mehr davon, daher wollte ich von dem Schauplatze der Welt in aller Stille abtreten. Geräusch habe ich schon genug gemacht.

Gott erhalte dich und bleibe standhaft, so sprach Frater Conversus zu seinem Bruder, als er in der Frühe kam, um von ihm Abschied zu nehmen.

Aushalten werde ich, sprach der Kanarienvogel, und wenn meine verhaltenen Spitzbübereien mir auch meine Haut zu durchbrechen drohten; du wirst sehen.

Und der Kanarienvogel zog in das Noviziat nach Klausen.

Lauf davon, lauf davon, das kannst du nicht mehr aushalten, rief es dem Kanarienvogel immer zu; gar kein Ton einer Orgel, einer Geige oder sonst eines Instruments, immer seine glockenhelle Stimme in der Brust drunten behalten, die so gerne herausmöchte, immer dieses langweilige, eintönige tiefe Brummen beim Chorgesang, und das ein ganzes Jahr, ein ganzes Leben, das kam dem Kanarienvogel hart an, und er beneidete im Frühlinge die Vögelein im Garten, welche doch singen konnten, solang es ihnen beliebte und wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Oft jagte er diese befiederten Sänger mit Steinwürfen davon, weil es ihm vorkam, als wollten sie ihn necken; fast meinte er, es stecke in ihnen der Versucher aus dem Paradiese. Dazu war der Novizenpater in Klausen kein Pater Norbert, der das Singen liebte und die Novizen in Unterhaltungsstunden sogar zum Singen aufforderte. Der Novizenmeister in Klausen war ein abgesagter Feind der Musik und behauptete, die schönste Musik wäre ihr Chorgesang.

Doch der Kanarienvogel hielt wacker aus und machte sich in seinem Ärger über seinen langen Rosenkranz und über die Bücher her, und nach und nach brachte er schon wieder sein Herz zur Ruhe.

Als er am Fronleichnamstage wieder einmal Musik hörte, weinte er. Das sah niemand; wer wird auf einen Kapuziner die Augen werfen, und als Gänsbachers Agnus Dei-Solo vorgetragen wurde, das er so oft in Großkirchen und in Hall gesungen hatte, da ward er in den Gesangshimmel entzückt. Fast hätte er das Solo zu singen angefangen, da es ihm wehe tat, daß es der Sänger mit zu wenig Kraft und Schwung vortrug.

Wir wollen den Leser nicht länger mit Klostergeschichten langweilen. Wir wollen nur kurz bemerken, was sich weiter mit den beiden jungen Kapuzinern zugetragen hat.

Der Kanarienvogel, nun Frater Brundusius genannt, hielt wacker aus; ja er war sogar ein Muster eines Klerikers. Frater Conversus aber – nun der bekam nach der Prüfung des ersten Semesters wieder einen Anfall des Blutbrechens; er mußte endlich noch vor dem Beginne des zweiten philosophischen Kurses das Kloster verlassen; der schwere, rauhe Habit und das Chorbeten hätten ihn ins Grab gebracht. Ungern schied Joseph von der ihm so lieb gewordenen Zelle. Er sollte nun wieder hinaus in den Strudel der Welt; doch die Bestimmung macht der liebe Herrgott. Oft blickte Joseph nach dem stillen Klösterchen zurück, als er seinen Fuß wandernd weitersetzte.

Der Nuiterbauer hatte nichts dagegen, daß Joseph aus dem Kloster trat, denn nun hatte er dennoch wieder eine Hoffnung auf den zukünftigen Großkircher-Dekan. Natürlich meinte er, daß Joseph nach vollendeter Philosophie ganz gewiß in die theologischen Studien nach Brixen gehen werde.


 << zurück weiter >>