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Es war einmal ein Bäuerlein in einem abgelegenen Dorfe des Oberinntales (wir wollen das Dorf Spategg nennen), und dieses Bäuerlein hatte drei paus- und rotbackige Buben, denen das Leben bei den Augen herausschaute. Vorzüglich entwickelten sie ein großes Talent im Zerstören. Fing der eine an, mit seinem Sackdolmatsch den Fensterbalken oder irgendeine Bank zu zerschneiden, wollten gleich die anderen zwei auch helfen, und in kurzer Zeit lagen die Holzsplitter herum, und es waren arge Löcher gebohrt; und kam dann der Vater dazu und sah das Treiben seiner drei Herzkinder, da mußte freilich der birkene Heilige Geist hinter der Spiegeltafel herab, und er tanzte dann wacker auf den Rücken und über die Köpfe der in ihrer Tätigkeit gestörten Buben. Hatten sie doch so fleißig gearbeitet, und nun dafür Schläge!
Dem Bäuerlein war doch nicht so voller Ernst mit seiner Rute. Hm, dachte er, für einen Fensterbalken oder eine Bank gibt's noch Holz genug im Walde droben, die Buben haben Talent, sie schlagen mir nach; aber Bauern sollen sie mir keine werden, wäre schade um ihren Kopf; er soll nicht Heubürden tragen, das ewige Tragen und Ziehen ertötet den Verstand. Sie sollen mir alle drei studieren. Und er eröffnete dieses sein Vorhaben seiner Ehehälfte. Diese war ein gar frommes Weiblein, las an Sonntagen viel in Kochems alter Legende und hatte darin herausgefunden, wie so mancher Sohn eines armen Bäuerleins oft Bischof, ja sogar ein heiliger und gelehrter Papst geworden sei.
Als ihr der Mann seinen hohen Plan entdeckte, da funkelte ihr Auge vor Freude, er hatte ihr aus der Seele gesprochen. Zwar getraute sie sich nicht zu hoffen, daß einer ihrer lieben Buben Bischof oder gar Papst werden würde, so hoch gingen ihre Gedanken nicht, aber, sagte sie, etwas kann aus den Buben werden. Der Alois wäre so recht für einen Dechant, der Joseph für einen Kooperator und der Hans für einen Hilfspriester. Es waren freilich auch das noch kühne Hoffnungen, denn Alois zählte nicht mehr als neun, der Joseph sieben und der Hans vier Jahre, und das Anwesen des Bäuerleins mochte etwa 4000 fl. wert sein; also viel zu wenig für solche Pläne. Setzen wir's daran, sprach sie, wer einen Geistlichen zum Sohne hat, verhungert im Alter gewiß nicht. Aber du lieber Himmel, wer sollte nun in Spategg den Buben das Studieren lernen? Der Kurat war ein sehr frommer Herr; er hatte noch in den guten alten Zeiten seine Studien gemacht, wo man in fünf Jahren mit allem fertig werden konnte; jetzt war es so heikel, man fordert etwas mehr als das Meßbuch lesen zu können; er konnte also wenig machen, und der Schulmeister kannte auch nicht viel mehr als seine ellenlangen Buchstaben droben auf der Wandtafel, auch rechnete er noch nach Strichen, Bauernfünfern und römischen Zehnern, indem er ein Strichlein nach dem andern abwischte. Im Dorfe Spategg war also mit dem Studieren nichts anzufangen; es wurde daher der einstimmige Beschluß gefaßt, das alte Heimatsgut zu verkaufen und nach Großkirchen zu übersiedeln.
Nun so war denn eines schönen Tages die ganze Familie auf der Wanderschaft nach Großkirchen. Den Hans führte die Mutter an der Hand, Joseph und Alois wollten sich nicht führen lassen, sie wollten lieber sich ein wenig herumtummeln; ein kleines Schwesterchen trug die Dirne im Rückkorbe, es schlief gar süß und wußte von der Auswanderung nichts.
Als das Mütterchen bei der Kirche vorbeiging, wo ihre Voreltern ruhten, wischte sie sich eine Träne vom Auge, der Abschied von diesem lieben Plätzchen war ihr hart; aber in Großkirchen gab es nicht bloß eine Kirche, sondern mehrere, und dort gab es auch Patres und von 5 Uhr bis 8 Uhr alle halbe Stunde eine Messe; das tröstete die Mutter und noch mehr der Gedanke, daß dort aus den Buben etwas Großes werden würde. Die Spategger sagten freilich, daß aus allem dem nichts werde und daß sie einmal an den Bettelstab kommen würden.
Als die Karawane in Großkirchen ankam, war es Nacht, und die Lichter winkten zutraulich von den Häusern herab. Die vielen Lichtlein gefielen den Buben; als aber eben ein großer Hund beim ersten Wirtshause zu bellen anfing, flüchteten sich alle drei hinter der Mutter Schürze, denn sie hatten noch nie einen Hund gesehen, weil solch Untier mit feurigen Augen und fürchterlichem Rachen in ganz Spategg nicht war.
Bald war man in Großkirchen heimisch; nur wurden die drei Buben von den Großkircher Buben bei jeder Gelegenheit geneckt, weil sie recht grobes Lodengewand trugen und die nackten Knie herreckten. Auch sagten sie nuit statt nichts, man nannte sie daher Nuiter.
Großkirchen war eine Halbstadt: es gab dort viele Herren, die Nuiter aber wußten die herrischen Sitten nicht, und da gab es daher manches zum Lachen. So z. B. kannte der Joseph die Frösche nicht, in Spategg gab es fast gar keine Frösche; als er daher einmal mit den Nachbarsbuben Frösche fangen ging, füllten diese ihm den Hut voll Kröten ein. Joseph brachte sie der Mutter als Frösche nach Hause. Die Frösche hüpften freilich nicht, wie jene der Nachbarsbuben, aber sie waren um desto größer.
Aber wer malt das Erstaunen Josephs, als ihn die Mutter statt zu loben, schreiend mit seinen vermeintlichen Fröschen zur Küche hinaustrieb und ihm befahl, er sollte die Kröten in den Kanal werfen. Das wollte dem Joseph nicht eingehen, er trug sie heimlich in den Frühgarten und schüttete sie dort aus, um sie gelegenheitlich, wenn die Mutter zur bessern Einsicht käme, zu holen. Denn Frösche müssen es sein, weil es die Nachbarsbuben gesagt haben. Aber am andern Tage machte die Mutter schon Jagd auf Josephs Frösche, sie wollte keine im Garten dulden; der Alois half ihr sie totschlagen und auf den Düngerhaufen werfen. Also alle schöne Mühe Josephs war ins Wasser gefallen.
Der Hans spielte der Mutter auch einmal einen argen Streich. Es war an einem Fronleichnamstage. Der Spategger Bauer mußte, weil er einen schönen Petrus-Glatzkopf hatte, in eine rote Kutte schliefen und bei der Prozession die Muttergottesstatue des heiligen Rosenkranzes mittragen helfen. Alois und Joseph gingen mit der Prozession. Hans mußte zu Hause bleiben, da er erst vier Jahre zählte. Die Prozession zog an des Spateggers Hause vorbei; die Mutter kniete andächtig mit dem kleinen Kinde auf dem Arme am Fensterbalken. Hans war ebenfalls an ihrer Seite. Sie jagte ihn aber immer wieder weg, da er noch im Hemde war, denn in Spategg war es Sitte, die Buben fast bis im vierten Jahre im Hemde herumlaufen zu lassen; der unbändige Bube hatte sich heute nicht erwischen lassen, um ihm die Hosen anziehen zu können, die alte Spategger Sitte behagte ihm besser.
Endlich, gottlob, der Bube kam nicht mehr zum Fenster! Die große Trommel und der türkische Schellenkranz erklangen. Sie gingen eben mit der Mutter Gottes am Hause vorbei.
Doch was entsteht plötzlich in der Prozession für eine Störung? Warum erhebt sich ein Gelächter? O Himmel! was mußte die arme Mutter sehen; sie hätte sich in den Boden hineinschämen mögen. Der Hans war davongeschlichen, kam im Hemde durch die Haustüre heraus auf die Gasse und drängte sich durch die Leute hin zum Vater unter das Ferkulum der Mutter Gottes.
Gehst Bube, gehst heim, wart ich werde dich sohlen, so rief immer der Vater; der Bube aber wollte nicht aus seinem Verstecke heraus, obwohl der Vater mit dem Fuße nach ihm stieß. Die Musikanten kamen vor Lachen aus dem Takte, ja selbst der zelebrierende Dechant mußte wider Willen über diesen komischen Leviten der Mutter Gottes lächeln.
Endlich trat die Mutter, die ihr kleines Kind im ersten Schrecken in das Bett hineingeworfen hatte, mit glutübergossenen Wangen zur Haustüre heraus und zerrte den widerstrebenden Hemdleviten ins Haus hinein. Welche Lektion Hans dann bekommen habe, darüber schweigt die Chronik. Er sagte hernach zum Vater, daß ja die Ministranten auch im Hemde gewesen seien; doch diese Ausrede wollte der Vater nicht gelten lassen; von nun an mußte Hans schon immer um 5 Uhr früh seine lodenen Kniehosen anziehen, und er durfte sie den ganzen Tag nicht mehr abziehen bis zum »Schutzengelmein« der Nacht. Dieser Vorfall des hl. Blutstages war in Großkirchen lange das Tagesgespräch.
Um nun seine Buben ein wenig gehobelter zu machen, schickte der Nuiter sie in die Schule, natürlich zuerst Alois und Joseph, der Hans war noch zu jung, obgleich er schon 6- und 7jährige Buben niederraufte und ihre Nasen blutig schlug.
Alois konnte schon wacker lesen und schreiben und rechnen, die »glürnige« Mutter hatte es ihm gelernt, auch konnte er auskehren, Milchnäpfe spülen, melken, mit der Peitsche schnalzen und Brennsuppe kochen. Joseph konnte schon das ABC, ja sogar das Buchstabieren, versteht sich, wußte er auch die zehn Gebote Gottes, die fünf Gebote der Kirche und noch vieles andere. Zum Hauswesen aber war er nicht anzustellen, denn das Ding kam ihm zu einförmig vor, er wiegte das Kind über und über und brachte es oft in Gefahr des Erstickens. Also in die Schule mit dem Tölpel! Dem Joseph klebte die Mutter ein nagelneues ABC auf ein drei Zoll dickes Brett; der Alois bekam ein Namenbüchlein, einen Katechismus und eine Schiefertafel mit angehängtem Griffel. So ausgerüstet ziehen die beiden in die Großkircher hohe Schule.
Doch den Alois erfaßte schon auf dem Wege ein panischer Schrecken vor dem langen, dürren Schulmeister, dessen Nase über das Kinn hinabreichte; er hatte ihn oft in der Kirche gesehen, als er den Kindern tüchtige Kopfnüsse austeilte.
Alois bog links ab hinaus in das Feld zur Schießstätte und machte dort allein allerhand Turnübungen oder baute sich aus Steinen und Kot gar stattliche Häuschen, die einem Stadtbaumeister Ehre gemacht hätten. Die Bücher und die Tafel hatte er seitwärts versteckt. Und als der Winter kam, machte er Schneemännchen oder rodelte mit dem Schlitten über den Hügel herab. So oft er dann die Schulkinder nach Hause gehen sah, gesellte er sich ordentlich zu ihnen. So tat er ein ganzes Schuljahr. Joseph fürchtete den dürren, langen Schulmeister nicht, er trat mit seinem Nudelbrette beherzt in die Schulstube. Als aber der Schulmeister immer an dem Nuit des Joseph und seiner Aussprache etwas auszusetzen hatte, da wurde Joseph bockbeinig, er lernte gar nichts mehr, und der Schulmeister ließ ihn als einen Stock, mit dem nichts anzufangen wäre, ruhig sitzen. Joseph aber machte sich die Unterhaltung, das ABC von dem Nudelbrette abzukratzen, oder er lieh sich eine Schiefertafel und einen Griffel aus und machte Versuche, die Nase und Figur des Schulmeisters abzukonterfeien.
Einmal hatte er wieder einen solchen Versuch gemacht, die Zeichnung war ihm herrlich gelungen: so eine lange, schöne Nase, so verzerrte Trudenfüße und so einen fürchterlichen Kopf hatte er nie zuwege gebracht. Er zeigt ihn seinem Banknachbar, und dieser schlägt darüber gleich ein lautes Gelächter auf. Da eilt der Meister herbei, sieht den Hochverrat an seiner Person; greift in der Eile nach seiner Tabaksdose und hämmert damit so lange auf den Kopf des armen Delinquenten, bis endlich der Boden weicht und aller Tabak in die dichten Haare des Joseph hinabgleitet. Das war noch ärger, nun wird der verbrecherische Kopf ergriffen und wird lange, lange geschüttelt, bis endlich das letzte Stäubchen des Schnupftabaks herausgebeutelt war. Und von diesem Zeitpunkte an war dem Joseph auch das Zeichnen verleidet.
Das Schuljahr war zu Ende. Die Preisverteilung im großen Tanzsaale zum Goldenen Schnepfen war angesagt. Die Kinder wandelten in ihren schönsten Kleidern dahin, um sich den Lohn ihres Fleißes zu holen; die Eltern wollten auch dahin, voll Erwartung und Hoffnung für ihre teuren Kinder. Da durfte natürlich der Nuiterbauer nicht fehlen, seine Buben haben Talent, ein Preis kann keinem derselben auskommen, denn die Großkircher Kinder haben keine so gescheiten Köpfe wie die seinigen.
Mit Pauken und Trompeten wird die Feierlichkeit eröffnet. Aber wo steckt denn der Alois; ich sehe ihn im ganzen Saale nicht, es wird ihm wohl nicht übel geworden sein? Dann muß den Preis für ihn ich holen! Der Joseph ist dort! So spricht zu sich der Nuiterbauer.
Da wird der erste, zweite, dritte und vierte Preis verlesen, immer Pauken und Trompetenklang inzwischen; aber da ist von keinem Alois des Nuiterbauern eine Erwähnung.
Endlich sind die Preise alle vergriffen. Andere Namen werden als lobenswert abgelesen. Kein Alois und kein Joseph des Nuiterbauern! Endlich erscheint der Name des Nuiterbauern – Joseph. Er ist unter allen der Letzte, der Alois wurde gar nicht genannt. Der Nuiterbauer hing seinen Kopf tief herab, welche Enttäuschung! Doch noch ein Hoffnungsstrahl belebte ihn. Der Alois wurde ja gar nicht genannt, er wurde vielleicht übersehen. So muß es sein!
Und er tritt nun hin zum dürren Schulmeister und fragte ihn wegen seines Alois.
Ich weiß von keinem Spategger Alois, ein solcher war bei mir nie, wohl hatte ich einen Joseph, aber dieser war ein Kalb, ein Holzblock, Ihr habt es ja selbst gehört, er war der Letzte. Er ist ein Stock und bleibt ein Stock, und aus einem Stocke wird nie etwas anderes werden. Ihr tätet besser, ihn mit den Ochsen an das Joch zu spannen.
Armer Nuiterbauer! also alle deine schöne Hoffnung ist wie mit einem Schlage vernichtet! Sinnend und verdrießlich ging er heim.
Aber wo steckt denn der Alois, was ist doch mit diesem Buben gewesen, denkt der Nuiterbauer, hier waltet ein Geheimnis ob; ich muß den Buben ins Examen nehmen. Und wirklich eröffnete der Nuiterbauer, zu Hause angekommen, mit den beiden Buben ein strenges Examen.
Alois war schon da. Todblaß saß er im Tischwinkel und las in der Heiligenlegende. Joseph stand am Fenster und zupfte an seinem Hosenträger.
Alois komm heraus da! sprach der Bauer im grimmigen Tone, so daß es dem Alois vom Kopfe bis zu den Füßen zu gruseln anfing. Der Bube kam hinter dem Tische heraus und zitterte am ganzen Leibe.
Warum, fuhr der Bauer fort, bist du heute bei der Preisverteilung nicht einmal genannt worden? Bube, wo warst du?
Alois: Ich – ich war gar nicht in der Schule, ich habe mich vor dem dürren Schulmeister gefürchtet, und ich war immer während der Schule am Schießanger droben.
Bauer: Also ein ganzes Jahr bist du hinter die Schule gegangen! Joseph, warum hast du mir das nicht gesagt, du hast es gewußt?
Joseph: Das erstemal getraute ich mir es nicht zu sagen, das zweitemal auch nicht und dann erst gar nicht mehr: und so ist halt ein Jahr vorübergegangen. Ich habe gemeint, der Alois würde es zu stark kriegen. Zudem hat er mir Zuckerkandel versprochen.
Wartet Buben, sprach nun der Vater, ich werde euch auch einen Zuckerkandl geben. Der Bauer ging hinauf in den Wald und schnitt dort die längsten Birkenruten ab, so wie der Großkircher Geißbube immer eine hatte.
Schweigend trat er mit diesem schrecklichen, neuen Heiligen Geiste zur Stubentüre herein. Sein erstes Wort war: Joseph, da nimm sie und weiche sie im Brunnen ein!
Joseph hätte sie lieber jetzt schon auf seinem Leibe tanzen gefühlt, aber nun soll er und Alois einen förmlichen langsamen Exekutionsprozeß mitmachen, jede Minute war ihm eine fürchterliche Pein.
Endlich war nach der Meinung des Nuiterbauern das Ding im Brunnen gehörig zugweich gemacht. Joseph hole sie, befahl kurz der Bauer, und zitternd brachte sie Joseph.
Die strenge Exekution begann. Joseph heulte, Alois heulte, das Kind heulte, die Mutter heulte, die Katze miaute, so daß die ganze Nachbarschaft die Köpfe bei den Fenstern herausstreckte und sich verwundernd fragte, was heute bei dem Nuiterbauern los sei.
Ich bitte dich, lasse es und schlage die armen Jungen nicht ganz tot, rief die zu den Füßen des dreinschlagenden Mannes liegende Mutter. Erst als die Zweige der Birkenrute alle in der Stube herumlagen, senkte der Nuiterbauer den Arm.
Da habt ihr's nun, ihr ungezogenen Sapperlotter, sprach er; ich werde euch lehren, einen Vater so zu hintergehen.
Wir tun es nicht mehr, sprachen Joseph und Alois, froh, daß das Donnerwetter, das so lange und unheilvoll über ihnen geschwebt, endlich losgebrochen und vorüber war. Doch tat es eine gute Wirkung, es reinigte die leichtsinnige Luft und brachte Fruchtbarkeit.
Wohl wurde der alte, grämliche, dürre Schulmeister das nächste Jahr pensioniert, und Alois und Joseph bekamen neue, manierliche Lehrer, welche die Nuiterbuben nicht für gar so dumm hielten. Die Buben bekamen Freude am Lernen, und schon dieses Jahr holte sich jeder derselben ein goldgeschnittenes Preisbuch. Mit neidischen Augen schauten die Großkircher Kinder und Eltern auf die Nuiter; der Nuiterbauer aber sah im Geiste schon in Alois den Dechant und in Joseph den Kooperator heranwachsen. Jeder bekam von ihm einen Groschen zum Geschenke, und die Mutter schlug ihnen dafür Eier in das Schmalz hinein. Das war im Spategger Hause ein Freudentag.
Und der Hans, der nun auch in die Schule hineingewachsen war, tat es seinen Brüdern nach, wenn nicht zuvor. Er hatte auch ein Stimmlein, so wie ein Kanarienvogel; er mußte singen lernen, und bald erfreute er durch seine wohltönende Diskantstimme alle Andächtigen in der Pfarrkirche in Großkirchen.
Schon wurde dem Alois eine lateinische Grammatik gekauft; Pater Gotthard im Klösterchen draußen brachte ihm die ersten lateinischen Brocken bei.
Ala alae, ala alae wiederholte er den ganzen Tag, das geschlossene Buch in der Hand haltend.
Ala alae sagte ihm Joseph nach, ala alae sang der Kanarienvogel Hans, und bald konnte Alois zum Joseph sagen » tu es asinus«, zu deutsch: du bist ein Esel, und Joseph wußte nicht, was sein gelehrter Bruder sagte.
Schon machte Alois gar schwierige lateinische Argumentlein und brachte sie allemal dem Vater nach Hause. Pater Gotthard hatte ihm gesagt, daß er die Böcke immer mit roter Tinte durchstreichen und die Zahl derselben ansetzen werde. Und so machte der Spategger Bauer immer den Bockkontrollor, obgleich er davon nichts verstand. Gab es auf den Argumentblättlein viel Tintenblut, so gab es für Alois zu Hause saure Gesichter ab, war aber eine durchstrichene Null zu sehen, so setzte es allemal einen dicken Theresienkreuzer vom Vater ab, den Alois in ein rotes hölzernes Büchslein tat.
Das letzte Schuljahr für Alois war auf der Mühle, es setzte für ihn den dritten Preis ab; ja Alois behauptete, er hätte den ersten verdient, aber Bauernkinder könnten nie zu den Ersten gesetzt werden, des Landrichters Naz hätte den Schullehrer selbst zum Instruktor, und dieser habe bei der Probeschrift des Nazens Hand geführt, und bei der Regeldetri überall ausgeholfen; sonst wäre er stecken geblieben.
Ja, sagte dann der Spategger Bauer, des Landrichters Bub gehört schon voran, er hat einen »Konstruktor« und die »Regulus« Tri ist für Bauernsöhne schon etwas zu hoch, ich einmal würde mich mit diesem Kribes Krabes nicht auskennen; aber wir Alten sind halt zu dumm.
Michaeli rückte heran, die Zeit, wo die Schwalben abziehen und die Blätter gelb werden. Da saß in des Spateggers Stube ein kleines gespässiges Männchen mit großen Brillen auf der Nase, er nähte an dem Kaputrocke und den Tuchhosen, die für den angehenden Studenten Alois bestimmt waren.
Das Männchen hatte vor 50 Jahren in Großkirchen die Röcke nach der neuesten Mode gemacht, er war damals als wohlgeschulter Geselle aus Wien gekommen und wurde Selbstmeister. Er hatte immer die Ehre, dem Dechant und dem alten Aktuar die Röcke nach der neuesten Mode anzufertigen. Die Knöpfe mußten halb im Rücken droben sitzen, ein breiter, umgestülpter Kragen umschloß den Hals, die zwei Flügel mußten hinabreichen bis an die Knöchel, kein Zoll durfte fehlen. Zum Nähen nahm er selbstgedrehten dicken Zwirn, Seide war ihm unbekannt. Das Tuch für des Alois Rock wurde von des Vaters Brautrock hergenommen. Lange Stiefel waren auch schon in der Arbeit, der Herrenschuster machte sie, auch dieser war der erste Fußbekleidungskünstler in Großkirchen; er behauptete, vor 30 Jahren in Nürnberg der beste Schustergeselle gewesen zu sein.
Nun sollte Alois das neue Gewand anprobieren. Zuerst schloff er in die nagelneuen Stiefel hinein, dann in die langen Hosen, dann knöpfte er sich mit Mühe die neue Weste zu; endlich fuhr er unter Mithilfe des zufrieden lächelnden Schneidermeisterleins in die Rockärmel hinein. Des guten Alois Finger reichten kaum hinaus bis zu den Ärmelumschlägen. Der Bub wird wachsen, sprach das Meisterlein. Es steht ihm wie angegossen, sprach er, und Alois mußte in der Stube auf und ab spazieren. Gravitätisch schritt er einher, sich bewußt, nun etwas Besseres zu sein. Die anderen in der Stube rissen die Augen auf und staunten den jungen umgewandelten Alois an. Doch ging das Auf- und Abgehen zuerst etwas hart, es war alles steif und neu, und es erging dem Alois fast wie dem David in Sauls Eisenrüstung.
Kennt ihr mich noch, fragte Alois den Joseph und Hans, die etwas neidisch zur Seite standen.
Nein, sagten diese, du bist nun ein Herr, wir kennen dich nicht mehr. Wir wollen auch Herren werden. Gelt Kaspar, so wandte sich Joseph nun zum Meister, das nächste Jahr machst du mir einen solchen Kaput? Freilich, erwiderte der Meister, dir mache ich noch einen noblern. Und Joseph war zufrieden.
Die Mutter und der Vater standen sinnend beiseite, man sah es ihnen an, daß sie ihre Träume sich langsam verwirklichen sahen. Der Dechant in der Wiege stand vor ihnen.
Das Ding hatte freilich eine schöne Seite, aber am andern Tage in der Frühe kam eine andere, eine traurige. Der Liebling der Mutter, der sanfte Alois sollte fort, fort für ein langes Jahr und weit fort.
Das war für das Mutterherz ein harter Schlag. Alle hatten die ganze Nacht wohl wenig geschlafen; die Mutter und der Alois am allerwenigsten. Joseph träumte wachend von seinem schönen Rocke, den er bekommen werde, die Mutter von dem traurigen Abschiede, der Vater von dem Dechant, Alois von seinem neuen Leben in der Stadt, wo er keine Mutter mehr an der Seite haben werde, der Hans dachte darüber nach, wie es ihm etwa morgen in der Pfarrkirche mit Singen ergehen werde. Nur die kleine Josepha, Maria und Theres verstanden von dem allem nichts; sie schliefen noch fest, als die Mutter schon lange in der Küche am Herde stand und für den Alois Kuchen backte. Sie schaute gar traurig in die prasselnden Flammen und wischte sich dabei manche Träne vom Auge, denn ihr Erstgeborner sollte fort, und eine Mutter hat halt ihre Kinder lieb und gerne um sich.
Nun wurde geweckt, bald war alles in der Höhe. Der Vater sollte den Alois nach »Sprugg« begleiten. Für sie wurde das Essen hergerichtet. Doch dem Alois wollte das Ding nicht schmecken, seine Kehle war wie zugeschnürt. Man sprach gar wenig, das Herz war zu voll. Nun steckte die Mutter noch eine Menge Kuchen und Speck in den Schnappsack, dem Alois und Vater mit auf die Reise.
Da ertönet von den Patern herüber das Silberglöcklein zum Ave-Maria. Es ist 4 Uhr morgens, die Stunde, welche zum Aufbruch bestimmt war.
Der Vater ist reisefertig, Alois auch, Joseph und Hans wollen bis über Großkirchen hinaus ihrem Bruder das Geleite geben. Die jüngeren Schwestern läßt man schlafen.
Alois sei brav, bleibe christlich und denke oft an deine Mutter und ihre Ermahnungen, so schluchzte die Mutter; dann kniete sich Alois nieder, und die Mutter tauchte ihre Finger in das Weihbrunnkrüglein, machte über des Alois Stirn das Kreuz und sprach: Es segne dich Gott der Vater usf. Dann drückte sie nochmals ihr Kind an das Herz, und Alois ging.
Ach wie war es nun in des Spateggers Stube so traurig, so leer. Die Mutter kniete allein vor einem Bilde der Schmerzhaften und weinte und betete für ihren Alois. Joseph und Hans kamen ohne Alois zurück.
Wie langsam verflossen die Stunden am ersten Tage; war ja der liebe Vater auch nicht da. Der junge Student wanderte inzwischen an der Seite des Vaters das Inntal hinab, das der Vater ganz gut kannte, denn oft war er nach Hall um Salz gefahren, er kannte jeden Weg und Steg und konnte dem neugierigen Alois Auskunft geben.
Die immer neu hervortretenden Gegenstände verwischten den Gedanken des Alois an die Heimat und seine Mutter, und der Spategger Bauer war dessen froh. Und erst gar, als sie in einem Wirtshause um Mittagszeit einkehrten und ein Gläschen Wein tranken, wurde der Student aufgeräumt, gesprächig und munter.
Innsbruck, schrie der junge Student, als die zwei über die Anhöhe bei Kranebitten herabstiegen und die Stadt vor ihren Augen der ganzen Länge nach sich ausdehnte.
Ja, das ist Innsbruck, antwortete der Spategger Bauer, der früher absichtlich nichts gesagt hatte, daß sie nun bald die Stadt sehen werden. Siehst du, sagte er weiter, das schöne Gebäude dort am Ende oben ist das Stift Wilten und dort im Hintergrunde das Schloß Ambras. Mit der Abenddämmerung rückten sie in Innsbruck ein. Wie schaute da Alois, ihm kam Innsbruck viel größer vor als Großkirchen, und er hatte gemeint, Großkirchen sei groß; und welche große Kirchen, wie viele und welch hohe Häuser, wie viele Menschen! So ist es bei uns nur, sagte Alois zum Vater, wenn Markttag ist. Ist's hier immer so?
Immer so, sagte der Vater, ja oft noch ärger, besonders an Sonntagen.
Am andern Tage ward ein Quartier gesucht, und der junge Student wurde den Schulvorständen vorgestellt, lauter Herren, die dem Alois vornehmer vorkamen als der Dechant; er war sehr schüchtern. Als da alles in Ordnung war, handelte es sich noch darum, dem Alois Kosttage zu verschaffen; denn die Kost zu bezahlen vermochte der Spategger Bauer nicht, besonders wenn der junge Kooperator und Hilfspriester in spe auch noch an die Reihe kämen. Da ging es nun an ein Türklopfen und Herumwandern von Haus zu Haus.
Ich täte gar schön bitten um einen Kosttag für ein armes Studentlein aus dem Oberlande, sprach immer der Spategger Bauer. Ich bitte gar schön, sagte Alois nach, sein Käppchen verlegen in den Händen drehend.
Da gab es freilich oft genug eine abschlägige, manchmal auch eine harte Antwort, und das Ding tat dem Spategger Bauern und dem Alois in der Seele weh, aber der Hunger tut auch weh, und es sind sieben Tage in der Woche, sieben Tage sind viel, und somit gingen sie dann halt wieder weiter, und alle Leute sagten nicht nein; es waren endlich deren sieben, die ja gesagt hatten, und somit war der junge Student für dieses Jahr versorgt. Als sie das siebentemal ja sagen gehört hatten, war dem Spategger Bauer und Studentlein ein schwerer Stein vom Herzen. Das Studentlein durfte nun nicht am Hungertuche nagen; denn wenn auch ein voller Bauch nicht gern studiert, so studiert es sich doch noch viel härter, wenn man vor Hunger die Sterne sehen und zählen könnte.
Vier Tage hatte der Spategger Bauer bei Alois in Innsbruck zugebracht; nun war es Zeit, in die Heimat aufzubrechen und den Bekümmerten zu Hause Nachricht zu geben, wie es dem Studentlein ergehe.
Mit dem Klingelziehen hatte Alois den Abschied vom Vater vergessen, nun aber rückte er um desto ärger vor seine Augen.
Traurig ging er an der Seite des Vaters über die Innbrücke hinaus; beim Weißen Rößl in der Au wurde noch eingekehrt; Alois wollte nicht recht trinken, der Vater auch nicht.
Bei dem letzten Bildstöckchen an der Ulfiswiese streckte der Spategger Bauer dem Studentlein die Hand zum Abschiede hin und drückte ihm zwei harte Kronentaler hinein.
Grüßet mir die Mutter stark, recht stark, sagte Alois mit bewegter Stimme, er konnte nun die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch der Vater ging hastigen Schrittes davon. Alois stand lange noch da und blickte ihm nach; dann aber ging er schweren Herzens allein in die Stadt zurück.