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Schon ehe der Druck der ersten Auflage vollendet war, konnte ich nicht darüber im Zweifel sein, dass meine Erörterungen der Ergänzung dringend bedürftig seien, indem manche wichtige Seiten des Sprachlebens darin nur flüchtig berührt waren. Ich fasste daher sofort eine solche Ergänzung ins Auge und war unablässig darauf bedacht alles zusammenzutragen, was mir dazu dienlich schien. Doch aber kam mir die Aufforderung meines Verlegers zur Herstellung einer zweiten Auflage zu rasch und unerwartet, als dass ich derselben sofort hätte Folge leisten können. Auch jetzt hätte ich lieber noch gezögert, um manches besser ausreifen zu lassen. Ich musste aber schliesslich doch dem durch die reichliche Nachfrage nach dem Buche berechtigten Drängen des Verlegers nachgeben.
Auch diese zweite Auflage wird vor den Augen mancher Fachgenossen nicht mehr Gnade finden als die erste. Die einen werden sie zu allgemein, die andern zu elementar finden. Manche werden etwas Geistreicheres wünschen. Ich erkläre ein für allemal, dass ich nur für diejenigen schreibe, die mit mir der Überzeugung sind, dass die Wissenschaft nicht vorwärts gebracht wird durch komplizierte Hypothesen, mögen sie auch mit noch so viel Geist und Scharfsinn ausgeklügelt sein, sondern durch einfache Grundgedanken, die an sich evident sind, die aber erst fruchtbar werden, wenn sie zu klarem Bewusstsein gebracht und mit strenger Konsequenz durchgeführt werden.
Ohne erhebliche Veränderungen sind aus der ersten Auflage herübergenommen Kap. 13 (=8), 14 (=7), 21 (=13), 23 (=14), auch 9 (=10) abgesehen von der Weglassung des letzten Abschnittes, dessen Gegenstand eine ausführlichere Behandlung in Kap. 6 gefunden [IV] hat. Etwas belangreichere Veränderungen oder Zusätze haben erfahren die Einleitung (= Kap. 1), Kap. 2 (=12), 3 (=3), noch mehr 19 (=9 von S. 160 an), 20 (=11), 10 (= der Hauptmasse von 5 und 6). Zum Teil aus der ersten Auflage herübergenommen, zum Teil neu sind Kap. 1 (=2), 5 (=4) und 11 (= Stücken von 5 und 6). Ganz neu oder nur kurzen Andeutungen der ersten Auflage entsprechend sind Kap. 4, 6, 7, 8, 12, 15, 16, 17, 18 und 22.
Es war anfänglich meine Absicht noch ein methodologisches Kapitel anzufügen über die Scheidung des Lautwandels von den durch Rücksicht auf die Funktion bedingten Umgestaltungen der Lautform. Ich möchte indessen nicht gern das wiederholen, was ich schon in den Beiträgen z. Gesch. d. deutschen Spr. u. Lit. VI, 1ff. ausgeführt habe. Freilich sehe ich sowohl aus der sprachwissenschaftlichen Praxis als aus den theoretischen Erörterungen der letzten Jahre, dass die dort gegebenen Auseinandersetzungen wenig Beachtung gefunden haben. Sie sind namentlich von allen denjenigen ignoriert, welche geleugnet haben, dass in der Methode der morphologischen Untersuchungen neuerdings ein erheblicher Fortschritt gemacht sei.
Freiburg i. B., Juni 1886.
Das Werk hat diesmal keine so durchgreifende Umgestaltung erfahren wie in der zweiten Auflage. Wesentlich verändert und erweitert sind Kap. IV und VIII. Von sonstigen Änderungen und Zusätzen sind die erheblichsten in §§ 45, 98, 130, 152 161, 172, 176, 184, 195, 202 zu finden.
München, April 1898.
Von der neuen Auflage wird man wohl vor allem eine Auseinandersetzung mit dem ersten Bande von Wundts Völkerpsychologie (Leipzig 1900. ²1904) erwarten. Leider kann ich mich diesem Werke gegenüber, so viel Anregungen es auch im einzelnen bringt, doch in den Hauptpunkten nur ablehnend verhalten. Eine Reihe von Einwendungen sind gegen dasselbe von Delbrück (Grundfragen der Sprachforschung, Strassburg 1901) und Sütterlin (Das Wesen der sprachlichen Gebilde, Heidelberg 1902) erhoben worden. Tiefer in den Kern der Sache dringt meiner Überzeugung nach Wegener in seiner Anzeige der Schrift von Delbrück im Lit. CBl. 1902, Sp. 401, der ich, von nebensächlichen Punkten abgesehen, durchaus beistimmen muss.
Der Gegensatz zwischen Wundt und mir beruht nicht so sehr darauf, dass ich mich an die Psychologie Herbarts angelehnt habe (ohne übrigens dessen metaphysischen Standpunkt einzunehmen), während Wundt sein eigenes System zugrunde legt. Allerdings mag es damit zusammenhängen, dass die Analogie, der ich (wohl in Übereinstimmung mit allen heutigen Sprachforschern) eine so grosse Bedeutung für die Sprechtätigkeit und die Sprachentwickelung beigemessen habe, bei Wundt fast gar keine Rolle spielt (vgl. meine Anm. zu S. 116). Aber eine viel tiefere und breitere Kluft trennt uns, die sich auf keine Weise überbrücken lässt, in Folge der beiderseitigen Stellung zu der sogenannten Völkerpsychologie.
Wundt stellt, wie schon der Gesamttitel seines grossen Werkes zeigt, die Völkerpsychologie neben die Individualpsychologie, und zwar alles Ernstes in einem Sinne, wie ich ihn in der Einleitung meines Buches bekämpft habe (vgl. meine Anm. zu S. 13). Dazu glaubt er sich berechtigt, sobald zu dem seelischen Leben nicht mehr eine transzendente Trägerin hinzugedacht wird. Die Veränderungen der Sprache erfolgen nach ihm durch Veränderungen in der Volksseele, nicht durch solche in den Einzelseelen. Das Problem, welches für [VI] mich im Mittelpunkt der Untersuchung steht, die Frage, wie sich die Wechselwirkung der Individuen unter einander vollzieht, ist für Wundt überhaupt kein Problem. Er behandelt daher die Sprache immer nur vom Standpunkt des Sprechenden, nicht von dem des Hörenden (vgl. S. 122). Auf diesem Wege kann meiner Überzeugung nach kein volles Verständnis der Sprachentwickelung gewonnen werden.
In manchen Besprechungen des Wundtschen Werkes ist die Zuversicht ausgesprochen, dass von demselben eine fundamentale Umgestaltung der Sprachwissenschaft ausgehen würde. Ich kann diese Erwartung nicht teilen. Wundt selbst in seiner Verteidigungsschrift gegen Delbrück (Sprachgeschichte und Sprachpsychologie, Leipzig 1901) S. 8ff. erklärt, dass es ihm nicht sowohl auf eine Verwertung der Psychologie für die Sprachwissenschaft angekommen sei, als auf eine Verwertung der Sprachwissenschaft für die Psychologie, dass er aus der Betrachtung der Sprache psychologische Gesetze haben gewinnen wollen. Ich bezweifle, dass dies möglich ist. Gewiss kann der Psychologe aus der Sprachgeschichte mancherlei Anregung zum Nachdenken schöpfen. Aber jede Veränderung des Sprachgebrauches, wie sie die Sprachgeschichte zu verzeichnen pflegt, auch die allereinfachste, ist nach der von mir vertretenen Auffassung schon das Ergebnis mannigfacher Sprech- und Hörbetätigungen vieler Individuen. Nicht dies Ergebnis ist ein Gegenstand für den Psychologen, sondern die einzelnen Vorgänge, die es schliesslich herbeiführen. Sprechtätigkeit im weitesten Sinne, auch die Spracherlernung eingeschlossen, ist das Gebiet, dem sich die psychologische Forschung zuwenden muss. Hierbei aber wird sie sich auf unmittelbare Beobachtung stützen und bedarf dazu der Sprachgeschichte nicht. Es bleibt dabei: die Psychologie ist ein unentbehrliches Hilfsmittel zum Verständnis der Sprachentwickelung, aber die Sprachgeschichte kann ihr diesen Dienst nicht vergelten, wenigstens nicht unmittelbar. Noch weniger kann die Psychologie aus der Betrachtung von Sprachzuständen Nutzen ziehen, über deren Vorgeschichte wir keine Quellen haben, wie sie aber von Wundt mit Vorliebe herangezogen werden. Hier kann uns vielmehr erst die anderswoher geschöpfte Einsicht in das Wesen der Sprachentwickelung, also auch die anderswoher geschöpfte psychologische Erkenntnis dazu verhelfen, Vermutungen über die Entstehung der betreffenden Zu- [VII] stände zu wagen, die einigen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit machen können. Ich vermisse denn auch bei Wundt eine Darlegung der psychologischen Erkenntnisse, die er als mit Hilfe der Sprachwissenschaft gewonnene angesehen wissen will. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass er mit fertigen psychologischen Anschauungen an die Sprachbetrachtung herangetreten ist. Darin liegt nach meinen obigen Auseinandersetzungen durchaus kein Vorwurf. Es konnte nicht anders sein.
Von zusammenfassenden Werken über allgemeine Sprachwissenschaft, die seit der dritten Auflage erschienen sind, wären noch zu erwähnen Jac. van Ginneken, Grondbeginselen der Psychologische Taalwetenschap, Lier 1904-06 (auch in französischer Bearbeitung: Principes dc linguistique psychologique, Paris 1908) und A. Marty, Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie, erster Band, Halle 1908. Der Verfasser des ersteren Werkes zeigt eine sehr umfassende Beherrschung der psychologischen und sprachwissenschaftlichen Literatur und enthält manche eigene gute Bemerkungen. Ich kann ihm aber nicht folgen in dem Bestreben die Sprachentwickelung aus wenigen allgemeinen Grundsätzen restlos abzuleiten. Martys Werk hält sich in den Grenzen logischpsychologischer Untersuchung, ohne in das dem Sprachforscher eigentümliche Gebiet überzugreifen. Es liegt mir nichts ferner, als ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Aber es berührt sich deshalb wenig mit meinen überall an die sprachliche Einzelforschung anknüpfenden Untersuchungen. O. Dittrich ist im ersten Bande seiner Grundzüge der Sprachpsychologie (Halle 1903) noch nicht über die Einleitung hinausgekommen (vgl. S. 21). Eingehende prinzipielle Erörterungen enthält das noch unvollendete Werk Vårt Språk von Ad. Noreen.
Ausser den Auseinandersetzungen mit Wundt, die meist in Anmerkungen gegeben sind, habe ich eine Anzahl von Veränderungen und Zusätzen angebracht und neuere Literatur eingetragen. Bedeutendere Änderungen des Textes sind vorgenommen auf S. 64-66, 121-123, 179, 181-182, 401-402.
Die Anwendbarkeit meiner Prinzipien auf nichtindogermanische Sprachen ist mir besonders durch das vortreffliche Werk von Simonyi [VIII] über die ungarische Sprache bestätigt, sowie auf beschränkterem Gebiete schon früher durch Reckendorfs Behandlung der arabischen Syntax.
Auf vielfältig geäusserten Wunsch ist diesmal ein Register beigegeben, das von meinem Neffen Dr. Paul Gereke ausgearbeitet ist.
München, Januar 1909.
Die Änderungen dieser Ausgabe beschränken sich auf kleine Zusätze und Berichtigungen. Da ich seit Jahren ausserstande bin, Gedrucktes oder Geschriebenes zu lesen, bedurfte ich bei der Revision fremder Hilfe, die mir durch Fräulein Dr. Annemarie Deditius und Herrn Dr. Rudolf Blümel geleistet wurde.
München, Januar 1920.
H. Paul.