Paul, Hermann
Prinzipien der Sprachgeschichte.
Paul, Hermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

390 Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Sprachmischung.Vgl. zu diesem Kapitel Whitney, On mixture in language (Transactions of the American Philological Association, 1881); Schuchardt, Slavodeutsches und Slavoitalienisches, Graz 1885, sowie andere Arbeiten desselben über Mischsprachen; Harrison, Negro English (Anglia VII, 233); Lundell, Norskt Språk (Nordisk Tidskrift 1882, S. 469); Loewe, Zur Sprach- und Mundartenmischung (Zschr. f. Völkerps. 20, 261); Windisch, Zur Theorie der Mischsprachen und Lehnwörter (Ber. der phil.hist. Kl. der Sächs. Gesellsch. der Wissensch. 1897, S. 101); G. Hempl, Languagerivalry and speech-differentation in the case of race-mixture (Transactions of the American Philological Association 1898, S. 31); Erik Björkman, Blandspråk och lånord (Sjätte nordiska filologmötes förhandlingar. Upsala 1902); J. Wackernagel (G. G. N. 1904, S. 20), Sprachtausch und Sprachmischung 11; Jespersen, growth and structure of the English language, Chap. IV, V, VI.

§ 274. Gehen wir davon aus, dass es nur Individualsprachen gibt, so können wir sagen, dass in einem fort Sprachmischung stattfindet, sobald sich überhaupt zwei Individuen miteinander unterhalten. Denn dabei beeinflusst der Sprechende die auf die Sprache bezüglichen Vorstellungsmassen des Hörenden. Nehmen wir Sprachmischung in diesem weiten Sinne, so müssen wir Schuchardt darin recht geben, dass unter allen Fragen, mit denen die heutige Sprachwissenschaft zu tun hat, keine von grösserer Wichtigkeit ist als die Sprachmischung. In diesem Sinne haben wir die Sprachmischung durch alle Kapitel hindurch berücksichtigen müssen, da sie etwas von dem Leben der Sprache Unzertrennliches ist. Hier dagegen nehmen wir das Wort in einem engeren Sinne. Hier verstehen wir etwas darunter, was nicht notwendig zum Leben der Sprache gehört, wenn es auch kaum auf irgend einem Sprachgebiete ganz fehlt.

Sprachmischung in diesem engem Sinne ist zunächst die Beeinflussung einer Sprache durch eine andere, die entweder ganz unverwandt ist oder zwar urverwandt, aber so stark differenziert, dass sie besonders erlernt werden muss; weiterhin aber auch die Beeinflussung einer Mundart durch eine andere, die dem gleichen kontinuierlich 391 zusammenhängenden Sprachgebiete angehört, auch wenn sie noch nicht so stark abweicht, dass nicht ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Angehörigen der einen und denen der andern möglich wäre. Noch eine Art von Sprachmischung gibt es, die darin besteht, dass aus einer älteren Epoche der gleichen Sprache schon Untergegangenes neu aufgenommen wird.

§ 275. Wir betrachten zuerst die Mischung verschiedener deutlich voneinander abstehender Sprachen. Um den Hergang bei der Mischung zu verstehen, müssen wir natürlich das Verhalten der einzelnen Individuen beachten. Die meiste Veranlassung zur Mischung ist gegeben, wo es Individuen gibt, die doppelsprachig sind, mehrere Sprachen neben einander sprechen oder mindestens eine andere neben ihrer Muttersprache verstehen. Ein gewisses Minimum von Verständnis einer fremden Sprache ist unter allen Umständen erforderlich. Denn mindestens muss doch das, was aus der fremden Sprache aufgenommen wird, verstanden sein, wenn auch vielleicht nicht ganz exakt verstanden.

Veranlassung zur Zweisprachigkeit oder zu einem mehr oder weniger vollkommenen Verständnis einer fremden Sprache ist natürlich zunächst an den Grenzen zweier Sprachgebiete gegeben, in verschiedenem Grade je nach der Intensität des internationalen Verkehrs. Ferner durch Reisen der Einzelnen auf fremdem Gebiete und vorübergehenden Aufenthalt auf demselben; in stärkerem Grade durch dauernden Umzug einzelner und vollends durch räumliche Verpflanzungen grosser Massen, durch Eroberungen und Kolonisation. Endlich kann ohne irgendwelche direkte Berührung mit einem fremden Volke die Erkenntnis seiner Sprache durch die Schrift vermittelt werden. Im letzteren Falle pflegt die Kenntnis auf gewisse durch Bildung hervorragende Schichten der Bevölkerung beschränkt zu bleiben. Durch die schriftliche Vermittelung ist dann nicht bloss Entlehnung aus einer lebenden fremden Sprache möglich, sondern auch aus einer zeitlich zurückliegenden Entwickelungsstufe derselben.

Wo Durcheinanderwürfelung zweier Nationen in ausgedehntem Masse stattgefunden hat, da wird auch die Doppelsprachigkeit sehr allgemein, und mit ihr die wechselseitige Beeinflussung. Hat dabei die eine Nation ein entschiedenes Übergewicht über die andere, sei es durch ihre Masse oder durch politische und wirtschaftliche Macht oder durch geistige Überlegenheit, so wird sich auch die Anwendung ihrer Sprache immer mehr auf Kosten der andern ausdehnen; man wird von der Zweisprachigkeit wieder zur Einsprachigkeit gelangen. Je nach der Widerstandsfähigkeit der unterliegenden Sprache wird dieser Prozess schneller oder langsamer vor sich gehen, wird diese schwächere oder stärkere Spuren in der siegenden hinterlassen. 392

Die Mischung wird auch bei dem Einzelnen nicht leicht in der Weise auftreten, dass seine Rede Bestandteile aus der einen Sprache ungefähr in gleicher Menge enthielte wie Bestandteile aus der andern. Er wird vielleicht, wenn er beide gleich gut beherrscht, sehr leicht aus der einen in die andere übergehen, aber innerhalb eines Satzgefüges wird doch immer die eine die eigentliche Grundlage bilden, die andere wird, wenn sie auch mehr oder weniger modifizierend einwirkt, nur eine sekundäre Rolle spielen. In noch höherem Masse gilt das natürlich für denjenigen, der sich keine Sprechfähigkeit in der fremden Sprache erworben hat, sondern nur ein besseres oder schlechteres Verständnis. Bei demjenigen, der zwei Sprachen nebeneinander spricht, kann natürlich jede durch die andere beeinflusst werden, die Muttersprache durch die fremde und die fremde durch die Muttersprache. Der Einfluss der letzteren wird sich in der Regel stärker geltend machen. Er ist unvermeidlich, so lange man die fremde Sprache nicht ganz vollständig und sicher beherrscht. Doch kann auch der Einfluss des fremden Idioms auf das eigene ein sehr starker werden, wo man sich demselben absichtlich hingibt, was meist die Folge davon ist, dass man die fremde Sprache und Kultur höher schätzt als die heimische. Ein Unterschied besteht auch zwischen den im Folgenden zu besprechenden verschiedenen Arten der Beeinflussung. Fremdwörter werden in einer Sprache wohl meistens direkt durch Individuen eingeführt, welche dieselbe als ihre Muttersprache sprechen. Dagegen ist es unausbleiblich, dass eine als fremd erlernte Sprache durch Lautsubstitution und Beeinflussung der inneren Sprachform modifiziert wird.

Wenn nun aber auch der Anstoss zur Beeinflussung einer Sprache durch eine andere von Individuen ausgehen muss, die der einen wie der andern, wenn auch in noch so geringem Grade mächtig sind, so kann sich diese Beeinflussung doch durch die gewöhnliche ausgleichende Wirkung des Verkehrs innerhalb der gleichen Sprachgenossenschaft weiter verbreiten und sich so auf Individuen erstrecken, die mit dem fremden Idiom nicht die geringste direkte Berührung haben. Die letzteren werden dabei nicht bloss von den Angehörigen ihres Volkes beeinflusst, sondern unter Umständen auch von Angehörigen eines fremden Volkes, die sich ihre Sprache angeeignet haben. Natürlich werden sie die fremden Elemente immer nur langsam und in geringen Quantitäten aufnehmen.

§ 276. Wir müssen zwei Hauptarten der Beeinflussung durch ein fremdes Idiom unterscheiden. Erstens kann fremdes Material aufgenommen werden. Zweitens kann, ohne dass anderes als einheimisches Material verwendet wird, doch die Zusammenfügung desselben und seine Anpassung an den Vorstellungsinhalt nach fremdem Muster gemacht 393 werden; die Beeinflussung erstreckt sich dann nur auf das, was Humboldt und Steinthal innere Sprachform genannt haben.

Zur Aufnahme fremder Wörter in die Muttersprache veranlasst natürlich zunächst das Bedürfnis. Es werden demgemäss Wörter für Begriffe aufgenommen, für welche es dieser noch an einer Bezeichnung fehlt. Es wird in der Regel Begriff und Bezeichnung zugleich aufgenommen aus der nämlichen Quelle. Unter den am meisten in Betracht kommenden Kategorieen sind hervorzuheben Orts- und Personennamen; ferner aus der Fremde eingeführte Produkte. Sind dieselben im wesentlichen Naturerzeugnisse, so können die Bezeichnungen dafür mit der Sache von den unkultiviertesten Völkern auf die kultiviertesten übergehen, wohingegen die Einführung von Kunstprodukten mit ihren Benennungen eine gewisse Überlegenheit der fremden Kultur voraussetzt, welche allerdings nur sehr einseitig zu sein braucht. Noch entschiedener ist eine solche Überlegenheit Voraussetzung bei der Überführung von technischen, wissenschaftlichen, religiösen, politischen Begriffen. Eine starke Kulturbeeinflussung bringt fast immer einen starken Import von Fremdwörtern mit sich. Ein Bedürfnis mag noch erwähnt werden, welches auch die Aufnahme von Wörtern aus einer niedrigeren Kultursphäre veranlassen kann, das der Darstellung fremder Verhältnisse, sei es, dass diese Darstellung den Zweck der Belehrung hat und eine wahrheitsgetreue Schilderung und Erzählung zu geben sucht, sei es, dass sie für poetische Zwecke verwendet wird. Über das eigentliche Bedürfnis hinaus geht die Entlehnung, wenn die fremde Sprache und Kultur höher geschätzt wird als die eigene, wenn daher die Einmischung von Wörtern und Wendungen aus dieser Sprache für besonders vornehm oder zierlich gilt.

Mit entlehnten Wörtern verhält es sich ähnlich wie mit neugeschaffenen. Derjenige, welcher sie zuerst anwendet, hat in der Regel nicht die Absicht, sie usuell zu machen. Er befriedigt damit nur das momentane Bedürfnis nach Verständigung. Bleibende Wirkungen hinterlässt eine solche Anwendung erst, wenn sie sich wiederholt, in der Regel nur, wenn sie spontan von verschiedenen Individuen ausgeht. Das Lehnwort wird erst ganz allmählich üblich. Es gibt verschiedene Grade der Üblichkeit. Es ist zunächst ein beschränkter, durch räumliche Nähe oder Übereinstimmung in der Kultur gebildeter Kreis innerhalb einer Volksgemeinschaft, in welchem ein Wort üblich wird, respektive mehrere solche Kreise. In dieser beschränkten Geltung bleiben viele Wörter, während andere sich auf alle Schichten der Bevölkerung verbreiten. Sind sie ganz allgemein üblich geworden und haben sie nicht etwa in ihrer Lautgestalt etwas Abnormes, so verhält sich das Sprachgefühl zu ihnen nicht anders als zu dem einheimischen Sprach- 394 gut. Vom Standpunkt des Sprachgefühls aus sind sie keine Fremdwörter mehr.

§ 277. Eine besondere Aufmerksamkeit bei der Entlehnung fremder Wörter verdient das Verhalten gegenüber dem fremden Lautmaterial. Wie wir gesehen haben, deckt sich der Lautvorrat einer Sprache niemals völlig mit dem einer andern. Um eine fremde Sprache exakt sprechen zu lernen, ist eine Einübung ganz neuer Bewegungsgefühle erforderlich. So lange diese nicht vorgenommen ist, wird der Sprechende immer mit denselben Bewegungsgefühlen operieren, mit denen er seine Muttersprache hervorbringt. Er wird daher in der Regel statt der fremden Laute die nächstverwandten seiner Muttersprache einsetzen und, wo er den Versuch macht Laute, die in derselben nicht vorkommen, zu erzeugen, wird er zunächst fehlgreifen. Durch vieles Hören und lange Übung kann er sich natürlich allmählich eine korrektere Aussprache erwerben, doch ist es bekanntlich selten, dass sich jemand eine fremde Sprache so vollkommen aneignet, dass er nicht mehr als Ausländer zu erkennen ist. Wo daher eine Sprache ihr Gebiet über ein ursprünglich anders redendes Volk ausbreitet, da ist es kaum anders möglich, als dass die frühere Sprache des Volkes irgend welche Spuren in der Lauterzeugung hinterlässt, und dass sich auch sonst stärkere Abweichungen einstellen, weil das Bewegungsgefühl nicht ganz übereinstimmend ausgebildet ist. Wo die Erlernung der fremden Sprache nur durch Vermittelung der Schrift erfolgt, da kann natürlich von einer Nachahmung der fremden Laute gar keine Rede sein, es ist ganz selbstverständlich, dass die Laute der eigenen Sprache untergeschoben werden.

Wo ein Volk mit einem anderen ausser an den Grenzen nur durch Reisen und Ansiedlungen Einzelner und durch literarischen Verkehr in Berührung tritt, da wird nur der kleinere Teil die Sprache des fremden Volkes verstehen, ein noch kleinerer Teil sie sprechen und ein verschwindend kleiner Teil sie exakt sprechen. Bei der Entlehnung eines Wortes aus einer fremden Sprache werden daher oft schon diejenigen, die es zuerst einführen, Laute der eigenen Sprache den fremden unterschieben. Aber wenn es auch vielleicht mit ganz exakter Aussprache aufgenommen wird, so wird sich dieselbe nicht halten können, wenn es weiter auf diejenigen verbreitet wird, die der fremden Sprache nur mangelhaft oder gar nicht mächtig sind. Der Mangel eines entsprechenden Bewegungsgefühls macht hier die Unterschiebung, die Lautsubstitution, wie wir es mit Gröber nennen wollen, zur Notwendigkeit. Ist ein fremdes Wort erst einmal eingebürgert, so setzt es sich auch fast immer aus den Materialien der eigenen Sprache zusammen. Selbst diejenigen, welche wegen ihrer genauen Kenntnis 395 der fremden Sprache den Abstand gewahr werden, müssen sich doch der Majorität fügen. Sie würden sonst pedantisch oder geziert erscheinen. Nur ausnahmsweise bürgert sich unter solchen Umständen ein fremder Laut in einer Sprache ein, natürlich am leichtesten ein solcher, der einerseits häufig vorkommt, andererseits sich scharf von allen der Sprache ursprünglich eigenen abhebt. So ist z. B. in die neuhochdeutsche Schriftsprache trotz der massenhaften Lehnwörter nur ein neuer Laut eingeführt, das Französische j (g) in jalousie, genie, genieren etc. Und auch hierfür setzen nicht bloss die Volksmundarten, sondern auch die städtische Umgangssprache den Laut unseres sch ein.

Nicht selten werden mehrere verschiedene fremde Laute durch den gleichen einheimischen ersetzt. So werden im Ahd. lat. f und v beide durch f wiedergegeben (geschrieben zuweilen auch v oder u), vgl. fenstar, fiebar, fîra etc. - fers, fogat (vocatus), evangelio etc.Vgl. Franz, Die lateinisch-romanischen Elemente im Althochdeutschen, Strassburg 1884, S. 20. 22. Ursache, warum auch v durch f wiedergegeben wird, ist das Fehlen eines dem lateinischen genau entsprechenden Lautes, indem an Stelle unseres jetzigen w noch konsonantisches u gesprochen wurde. Ferner wird im Ahd. die lateinische Fortis p ebenso wie die tönende Lenis b durch die dazwischen liegende tonlose Lenis wiedergegeben, geschrieben bald b, bald p, vgl. beh, (peh) = pix, bira = pirum, bredigôn = praedicare etc. - becchi (pecchi) = baccinum, buliz = boletum etc. Ursache ist, dass es im Oberdeutschen nach der Lautverbindung kein tönendes b gab, weil das früher vorhandene seinen Stimmton verloren hatte und keine Fortis p, weil die früher vorhandene zu ph verschoben war. Umgekehrt kann man den fremden Laut bald durch diesen, bald durch jenen naheliegenden einheimischen wiedergeben. Doch wird man wohl in der Regel finden, wo in den Lehnwörtern einer Sprache der gleiche fremde Laut bald durch diesen, bald durch jenen Laut wiedergegeben ist, dass die Aufnahme der Wörter in verschiedenen Perioden stattgefunden hat. So wird lat. v in den ältesten deutschen Lehnwörtern durch w wiedergegeben (vgl. wîn, wiccha, pfâwo etc.), wahrscheinlich weil es noch wie das deutsche v konsonantischem u oder wenigstens noch bilabial war.Vgl. Franz a. a. O. In den jüngeren althochdeutschen Lehnwörtern erscheint es als f (vgl. oben); in denen der modernen Zeit wieder als w.

Als Lautsubstitution können wir es auch betrachten, wenn ungewohnte Konsonantenhäufungen durch Einschiebung eines Vokales erleichtert werden, vgl. z. B. waranio in der lex Salica und it. guaragno = as. wrennio, it. lanzichenecco, franz. lansquenet = Lanzknecht. 396

Wo die Herübernahme eines Wortes nur nach dem Gehör und auf Grund unvollkommener Kenntnis des fremden Idioms erfolgt, da treten sehr leicht noch weitergehende Entstellungen ein, die auf einer mangelhaften Auffassung durch das Gehör und auf einem mangelhaften Festhalten durch das Gedächtnis beruhen. In Folge davon werden namentlich Lautverbindungen, an die man nicht gewöhnt ist, durch geläufigere ersetzt und Kürzungen vorgenommen. Sehr leicht tritt Volksetymologie dazu.

§ 278. Von den Veränderungen, welche die fremden Wörter bei der Aufnahme erleiden, sind diejenigen zu scheiden, die sie erst nach ihrer Einbürgerung durchmachen. Da uns aber viele Wörter erst längere Zeit nach ihrer Aufnahme überliefert sind, so ist diese Scheidung nicht immer so leicht zu machen. Die eingebürgerten Fremdwörter nehmen natürlich so gut wie die einheimischen an dem Lautwandel teil. Die Teilnahme oder Nichtteilnahme an einem Lautwandel kann uns da, wo uns die Überlieferung in Stich lässt, Aufschluss geben über die relative Zeit der Entlehnung. Wenn im Ahd. das lateinische t in einigen Wörtern als t, in andern als z erscheint (vgl. tempal, turri, abbât, altari - ziagil, strâza, scuzzila), lat. p in einigen als p (b), in andern als ph oder f (vgl. pîna, priestar - phîl, phlanza, phîfa, pfeffar), so unterliegt es keinem Zweifel, dass die Wörter mit z oder ph oder f eine ältere Schicht von Entlehnungen darstellen als die mit t und p. Denn die betreffenden Veränderungen hätten nicht eintreten können, wenn die Wörter nicht schon vor der Lautverschiebung aufgenommen gewesen wären, sodass sie das Schicksal der echt germanischen teilen konnten.

Ausserdem sind die Fremdwörter bei der Weiterverbreitung denselben assimilierenden Tendenzen unterworfen wie bei der ersten Aufnahme. Ein Wort kann zunächst von Individuen, die der fremden Sprache vollständig mächtig sind, ganz oder annähernd genau in der fremden Lautgestalt aufgenommen werden, kann aber, indem es auf solche Individuen übertragen wird, die der fremden Sprache unkundig sind, doch durch Unterschiebung eines anderen Bewegungsgefühls, durch Verhören und durch Volksetymologie entstellt werden. Kommt eine solche Entstellung bei der grossen Masse in allgemeinen Gebrauch, so kann sie auch auf diejenigen zurückwirken, welchen die originale Lautgestalt sehr wohl bekannt ist. Sie müssen sich trotz ihres besseren Wissens der herrschend gewordenen Aussprache fügen, wenn sie nicht unverständlich werden oder affektiert erscheinen wollen. In anderen Fällen dagegen erhält sich im Munde der Gebildeten eine der originalen nahe stehende Lautgestalt, während sich daneben eine oder mehrere abweichende volkstümliche entwickeln, vgl. z. B. Korporal - Kaporal, Sergeant - Scharsant, Gensd'armes - Schandarre (so in Niederdeutsch- 397 land), Kastanie - Kristanje, Chirurgus - Gregorius, renovieren - rennefîren etc.

Eine besondere Art der Assimilation besteht in der Übertragung der einheimischen Akzentuationsweise auf die fremden Wörter. Diese erfolgt wohl in der Regel nicht von Anfang an bei der ersten Übertragung, sondern erst nach längerer Einbürgerung. Im Engl. lässt es sich deutlich verfolgen, wie die französischen Wörter, ursprünglich mit französischem Akzent aufgenommen, erst nach und nach zu der germanischen Betonungsweise übergegangen sind. Im Deutschen lässt sich das Gleiche an den fremden Eigennamen beobachten. Im Ahd. und teilweise noch im Mhd. betont man noch Adâm, Abêl, Davîd etc. Appellativa dagegen erscheinen schon in den ältesten althochdeutschen Denkmälern mit zurückgezogenem Akzent und Wirkungen dieser Zurückziehung, vgl. z. B. fogat (vocatus), mettina (matutina), fenstar. Wahrscheinlich aber ist auch bei diesen die Zurückziehung des Akzentes nicht gleich bei der Aufnahme eingetreten.

Durch die besprochenen lautlichen Modifikationen wird ein Wort immer mehr seinem Ursprunge entfremdet, sodass derselbe selbst für denjenigen, der mit der Sprache, aus der es stammt, vertraut ist, unkenntlich werden kann. Zu solcher Entfremdung können aber auch Veränderungen in der Sprache, aus der das Wort entlehnt ist, beitragen. So beruht unsere Aussprache der aus dem Französischen entlehnten Wörter zum Teil auf einer jetzt in Frankreich nicht mehr bestehenden Aussprache, vgl. Paris, Konzert, Offizier etc. Noch weiter haben sich deutsche Wörter von der Lautgestalt entfernt, in der sie in die romanischen Sprachen übergegangen sind, vgl. z. B. franz. tape, tapon = Zapfen, it. toppo = Zopf, franz. touaille = oberd. Zwehle, mitteld. Quehle, it. drudo = traut. Ebenso kann die Bedeutung, mit der das Wort entlehnt ist, sich in der Grundsprache ebensowohl verändern wie in der Sprache, in die es übergegangen ist, und endlich kann es in der Grundsprache ganz untergehen.

§ 279. Es kann ein und dasselbe Wort mehrmals zu verschiedenen Zeiten entlehnt werden. Es erscheint dann in verschiedenen Lautgestalten, wovon die jüngere sich nahe an die Grundsprache anschliesst, während die ältere schon mehr oder minder starke Veränderungen durchgemacht hat. Mitunter ist die Bedeutung, mit der ein Wort bei der zweiten Entlehnung aufgenommen wird, verschieden von der bei der ersten, und es wird daher gar kein Zusammenhang zwischen den Formen empfunden, vgl. ordnen - ordinieren, dichten - diktieren, predigen - prädizieren, ahd. zabal (Spielbrett) - tavala (beide aus tabula); auch prüfen und probieren decken sich nicht in ihrer Bedeutung. Wo die Bedeutung vollständig übereinstimmt, da geht die ältere Form 398 leicht unter, vgl. Altar, mhd. schon alter; oder es wird die ältere Form auf die volkstümliche mundartliche Rede beschränkt, vgl. ade - adieu, Melodei (aus mhd. melodîe regelrecht entwickelt) - Melodie (neu aus dem Franz.), Phantasei - Phantasie, Känel (Kännel, Kändel, Kener) - Kanal, Kämi - Kamin, Kappel - Kapelle, Keste - Kastanie. Besonders häufig sind mehrfache Formen in Folge mehrfacher Entlehnung bei Personennamen. Dabei wird auch vielfach der Ursprung aus der gleichen Grundlage nicht mehr erkannt, indem die älteren Formen z. T. nur noch als Familiennamen erscheinen. Vgl. Endres - Andreas, Bartel - Bartholomäus, Michel - Michael, Velten - Valentin, Metz - Mattis - Matthias, Marx - Markus, Zacher - Zacharias, Merten - Martin etc.

Zuweilen wird nicht eine völlig neue Entlehnung vorgenommen, sondern das schon seit längerer Zeit eingebürgerte und lautlich modifizierte Lehnwort erfährt nur eine partielle Angleichung an das zu Grunde liegende Wort der fremden Sprache, vgl. mhd. trache = nhd. drache (draco), mhd. tihten = nhd. dichten (dictare), mhd. Krieche = nhd. Grieche (Graecus).Es kommt bei diesen Wörtern allerdings auch der in einem gewissen Teile von Deutschland eingetretene lautliche Zusammenfall von Tenuis und Media in Betracht, so dass also das Grundwort vielleicht nur für die Regelung der Schreibung in der Schriftsprache massgebend gewesen ist. Auch Jude beruht wohl auf einer Wiederanlehnung an Judaeus, und Jüde ist die einzige lautgesetzlich entwickelte Form.

§ 280. Wo gleichzeitig zwei nahe verwandte Sprachen auf eine dritte wirken, da geschieht es leicht, dass aus beiden die einander korrespondierenden Wörter aufgenommen werden, die dann in der Bedeutung übereinstimmen und in der Lautform wenig voneinander abweichen. Dies Verhältnis finden wir namentlich in den Lehnwörtern aus dem Lat. und dem Franz. So haben wir nebeneinander ideal und ideell, real und reell, jetzt in ihrer Bedeutung differenziert, früher gleichwertig; Schiller gebraucht material = materiell. Goethe hat religios = religiös. Einem norddeutschen Referendar entspricht ein süddeutsches Referendär. Statt Trinität, Majestät etc. bestehen im Mhd. trinitât, majestât; im 16. und 17. Jahrh. sind beide Formen nachweisbar;Vgl. J. Grimm, Kl. Schr. 1, 337, wo aber die Auffassung eine andere ist. das ä kann nur dem Franz. entstammen.

In diesen Fällen kann es nicht ausbleiben, dass auch die dem Französischen entstammende Form von dem des Lateinischen Kundigen direkt auf dieses bezogen wird. In anderen Fällen sind Wörter überhaupt nicht direkt aus der Grundsprache aufgenommen, sondern nur aus einer anderen, in der sie Lehnwörter sind. So sind griechische Wörter zunächst aus dem Lateinischen zu uns gekommen, daher mit 399 lateinischer Betonung und mit der Endung -us statt -os. Ebenso sind lateinische Wörter, die ihrerseits wieder dem Griechischen entlehnt sein können, durch Vermittlung des Französischen auf uns gekommen, vgl. Musik, Protestant, Agent, September, Artikel, Religion etc., ebenso die Eigennamen Horaz, Ovid etc. Auch hier stellt sich ein für den der Originalsprache Kundigen direktes Verhältnis her, und die Folge davon ist, dass er, auch wenn er Wörter direkt aus der Originalsprache entnimmt, diesen eine den durch Vermittlung überkommenen analoge Lautgestalt gibt, dass er z. B. den griechischen in den lateinischen Akzent umsetzt, dass er die lateinischen Endungen -us, -um und andere fortlässt, dass er den Ausgang der lateinischen Wörter auf io in ion verwandelt. Hierher gehört es auch, dass Verba, die direkt dem Lateinischen entnommen sind, die aus dem Französischen stammende Endung -ieren erhalten haben, vgl. negieren, spazieren, pokulieren, prädizieren, annektieren, regulieren, prästieren, präparieren etc. Aus älterem personifieren (z. B. bei Le.) ist mit Anschluss an das Lateinische personifizieren geworden.

§ 281. Wir haben oben § 115 gesehen, dass einer Ableitung, die mit einem weniger gewöhnlichen Suffixe gebildet ist, leicht noch das für die betreffende Funktion normale Suffix beigefügt wird. Eine besondere Art dieses Vorganges ist die, dass einem fremden Suffixe noch das synonyme einheimische beigefügt wird, vgl. Historiker, Physiker, Musiker, Kritiker etc. (Bildungen, die von Adelung noch gemissbilligt werden); Sicilianer, Mantuaner, Primaner; Italiener; Benediktiner, Rabbiner (nach Adelung besser Rabbine); Athenienser, Waldenser; Genueser, Bologneser; Galiläer, Pharisäer; Unitarier, Proletarier; Samariter, Jesuiter (volkstümlich); Patrizier, Plebejer; Kassierer, Tapezierer, Barbierer (neben Kassier etc.); sicilianisch, italienisch, genuesisch; idealisch, kolossalisch (beides im 18. Jahrh. häufig), kollegialisch, musikalisch, physikalisch, theatralisch, martialisch etc.; kokettisch, antikisch, barockisch (18. Jahrh.); Prinzessin, Äbtissin (mhd. ebbetisse), Baronessin (18. Jahrh.). Die Verba auf -ieren sind entstanden, indem an die fertige altfranzösische Infinitivform auf -ier noch die deutschen Verbalendungen angetreten sind.

§ 282. Es werden immer nur ganze Wörter entlehnt, niemals Ableitungs- und Flexionssuffixe. Wird aber eine grössere Anzahl von Wörtern entlehnt, die das gleiche Suffix enthalten, so schliessen sich dieselben ebensogut zu einer Gruppe zusammen wie einheimische Wörter mit dem gleichen Suffix, und eine solche Gruppe kann dann auch produktiv werden. Es kann sich das so aufgenommene Suffix durch analogische Neubildung mit einheimischem Sprachgut verknüpfen. Der Fall ist bei Ableitungssilben nicht gerade selten. Wir haben im Deutschen nach dem Muster von Abtei etc. ein Bäckerei, Gerberei, Druckerei etc.; 400 nach Bagage etc. Bildungen der Volkssprache wie Takelage, Kledage, Bommelage etc. (vgl. Andr. Volkset. 98); nach korrigieren etc. hofieren, buchstabieren, sich erlustieren, mhd. wandelieren, bei H. Sachs gelidmasieret.Kaum hier anzureihen, weil mit der Absicht komische Wirkung zu erzielen gebildet, sind Schöpfungen der Studentensprache wie burschikos (mit griechischer Adverbialendung), Luftikus, Putzikus, Lumpacius. Vgl. ferner romanische Bildungen wie it. falsardo, mit germanischem Suffix, englische wie oddity, morderous, eatable mit französischem Suffix.Vgl. Whitney a. a. O. S. 17. Beispiele von slawischen Suffixen in deutschen Mundarten bei Schuchardt S. 86. Es gibt bei uns mehrere Suffixe fremden Ursprungs, die nur in der Gelehrtensprache üblich sind und sich dann nicht nur mit Elementen aus der gleichen Sprache verbinden, sondern auch mit solchen aus einer andern fremden, zuweilen auch mit einheimischem Sprachgut, vgl. -ist in Jurist, Purist, Romanist, Tourist, Manierist, Hornist, Hoboist, Carlist etc.; -ismus in Atavismus, Purismus, Fanatismus, Somnambulismus etc.; -ianer in Hegelianer, Kantianer etc. Diese Bildungen finden sich zum Teil auch im Französischen und sind zum Teil wohl aus dieser Sprache entlehnt. Wenn man Bildungen wie Purist und Purismus wegen der Mischung aus einem lateinischen und einem griechischen Elemente beanstandet, so ist das insofern nicht zutreffend, als sie weder lateinische noch griechische, sondern deutsche, respektive französische Bildungen sind.

Seltener werden Flexionsendungen auf diese Weise aufgenommen.Vgl. hierzu Schuchardt S. 8. Es gehört dazu schon eine besonders innige Berührung zweier Sprachen. Die französische Pluralbildung mit s ist in Niederdeutschland ziemlich verbreitet: Kerls, Mädchens, Fräuleins, Ladens, pleonastisch in Jungens. Auch in die Schriftsprache ist sie gedrungen bei ursprünglich indeklinablen Wörtern: A's, O's, Neins, Abers, Vergissmeinnichts, Stelldicheins; bei Fremdwörtern, die auf einen vollen Vokal ausgehen und sich deshalb in keine sonstige Deklination einfügen: Papas, Sophas, Mottos, Kolibris; weniger allgemein üblich und als korrekt anerkannt bei solchen auf -um: Albums. Weiter verbreitet ist die französische Pluralbildung im Niederländischen, vgl. mans, zons, vaders, broeders, waters, euvels, lakens, vroukens, vogeltjes und so überhaupt bei den Neutris auf -er, -el, -en und den Deminutiven; pleonastisch angefügt wird das s in jongens, bladers (neben bladen und bladeren), benders (neben benderen zu ben) u. a. In das Indoportugiesische ist die englische Genitivendung eingedrungen; man sagt z. B. hombre's casa. Die ausgedehnteste Herübernahme von Flexionsendungen hat in der Zigeunersprache stattgefunden. So gibt es ein spanisches und ein englisches Zigeunerisch. 401

§ 283. Beeinflussung in Bezug auf die innere Sprachform erfährt eine Sprache, wie schon hervorgehoben, namentlich durch diejenigen von denen sie als eine fremde gesprochen wird. Doch keineswegs ausschliesslich. Für die Literatursprache kommt in dieser Hinsicht besonders der Einfluss von Übersetzungen in Betracht.

Wo ein Wort aus einer fremden Sprache sich in seiner Bedeutung nur teilweise mit einem Worte der eigenen Sprache deckt, da wird man leicht dazu verführt, jenem den vollen Umfang der Bedeutung beizulegen, die diesem zukommt. Es ist dies ja bei Übersetzungsübungen einer der häufigsten Fehler. Solche Fehler können in zweisprachigen Gebieten leicht usuell werden.Vgl. Schuchardt S. 95ff. Ein südslawischer Schriftsteller schreibt habt ihr keine Scheu und Schande weil sramota »Schande« und »Scham« bedeuten kann. Von den Deutschruthern wird Schnur im Sinne von »Braut« gebraucht, weil im Slovenischen nevesta Schwiegertochter und Braut bedeutet. Häufig wird im Slawodeutschen damals von der Zukunft gebraucht; ebenso wo = wohin, weil im Slawischen für beides das nämliche Wort gebraucht wird.

Ein wesentlich davon verschiedener Vorgang ist es, wenn für einen Begriff, für den es bisher an einer Bezeichnung gefehlt hat, ein Wort nach dem Muster einer fremden Sprache geschaffen oder mit einem schon bestehenden Worte eine Bedeutungsübertragung nach diesem Muster vorgenommen wird. Dieser Vorgang ist in der wissenschaftlichen und technischen Sprache neben der direkten Herübernahme fremden Materials üblich. Man vergleiche z. B. die Versuche die lateinischen grammatischen Termini durch deutsche wiederzugeben. Jene sind ihrerseits Nachbildungen der griechischen. Eine tiefer in alle Schichten der Bevölkerung eindringende Wirkung hat auch nach dieser Richtung die Einführung einer fremden Religion; man vgl. z.B. Wörter wie Beichte, Busse, Gewissen, Abendmahl, erbauen, Gevatter. Und so sind es überhaupt dieselben Kultureinflüsse, welche die Einführung von fremdem Wortmaterial veranlassen, die auch fremdes Gedankenmaterial, in einheimisches Gewand gekleidet, zuführen.S. Singer hat in der Zeitschr. f. deutsche Wortf. 3, 220 und 4, 125 ein reichhaltiges Verzeichnis von deutschen Wörtern gegeben, die in ihrer Bildungsweise und Bedeutungsentwicklung fremden, namentlich lateinischen und französischen Wörtern entsprechen. Doch ist allerdings die Übereinstimmung allein noch nicht genügend um jene als Nachbildungen von diesen zu erweisen. Dazu bedarf es namentlich noch genauerer Untersuchungen über ihr frühestes Vorkommen.

Es werden ferner Wortgruppen, die als solche eine eigentümliche Bedeutung entwickelt haben, nach den einzelnen Worten übertragen. So sagt man z. B. in Östreich es steht nicht dafür = »es ist den Auf- 402 wand oder die Mühe nicht wert« nach dem Muster des cechischen nestojé za to.Weitere Beispiele aus dem Slawodeutschen bei Schuchardt S. 96ff. In Südwestdeutschland hört man nicht selten nach französischem Muster es macht gut Wetter. Auch diese Art von Nachbildung, für die ich hier nur einige besonders in die Augen fallende Beispiele gebe, ist etwas Häufiges.Auch hierfür verweise ich auf Singer mit dem gleichen Vorbehalt.

Dazu kommt endlich die Beeinflussung der Syntax.Vgl. Schuchardt S. 99ff. Da die Slawen für alle Geschlechter und Numeri des Relativums eine Form verwenden können, so wird im Slawodeutschen häufig was entsprechend verwendet, vgl. ein Mann, was hat geheissen Jakob; der Knecht, was ich mit ihm gefahren bin; auch ich bin nicht in der Stadt gewesen, was (= solange) er weg ist. Im 18. Jahrh. schrieb man fast allgemein nach französischem Muster ich lasse ihm das nicht fühlen u. dergl. Im Litauischen ist die deutsche Konstruktion was für ein Mann wörtlich nachgebildet. Auf die romanischen und germanischen Sprachen hat vom Beginn ihrer literarischen Verwendung an immer die lateinische Syntax einen bald stärkeren, bald schwächeren Einfluss gehabt.

Wenn wir zwischen Völkern, die in einer engeren Kulturgemeinschaft stehen, wie z. B. zwischen denen unseres Abendlandes, eine grosse Übereinstimmung in der inneren Sprachform finden, so beruht dies wenigstens zum Teil auf Angleichung durch Sprachmischung.

§ 284. Dialektmischung innerhalb eines zusammenhängenden Sprachgebietes hebt sich dann von der normalen ausgleichenden Wirkung des Verkehrs deutlich ab, wenn sie zwischen Dialekten vor sich geht, deren Gebiete nicht räumlich nebeneinander liegen. Dagegen ist keine eigentliche Grenze zu ziehen, wenn die Gebiete räumlich benachbart und in beständigem Verkehr untereinander sind. Man kann dann nur danach einen Unterschied machen, ob zwischen den betreffenden Dialekten ein scharfer Kontrast besteht oder ob die Verschiedenheiten gering sind und schon durch Übergangsstufen vermittelt.

Im allgemeinen gilt hier das Gleiche wie von der Mischung verschiedener Sprachen. Wortentlehnung ist auch hier der am leichtesten und häufigsten eintretende Vorgang. Dagegen wird das Lautmaterial nicht leicht verändert. Es findet auch hier Substitution der fremden Laute durch die nächstverwandten einheimischen statt. Daher erscheint ein aus einem verwandten Dialekte aufgenommenes Wort ganz gewöhnlich in der nämlichen Lautgestalt, die es erlangt haben würde, wenn es aus der Zeit der ehemaligen Spracheinheit her sich erhalten hätte. So wird es sich in der Regel bei geringeren Differenzen in der Lautentwickelung verhalten. Anders natürlich, wenn zwei Dialekte in ihrer 403 Entwickelung weiter auseinander gegangen sind, sodass, was sich etymologisch entspricht, sich nicht mehr phonetisch am nächsten liegt. So ist z. B. das ch in sacht, Nichte etc. bei der Aufnahme in das Hochdeutsche nicht in das etymologisch entsprechende ft umgesetzt.

Auf literarischem Gebiete entsteht vor der Festsetzung einer Gemeinsprache sehr gewöhnlich eine Mischung dadurch, dass ein Denkmal aus der Mundart, in der es ursprünglich verfasst ist, in eine andere umgesetzt wird. Das ist bei schriftlicher wie bei mündlicher Überlieferung möglich. Die Umsetzung bleibt gewöhnlich eine unvollkommene, zumal wenn sich das Versmass dagegen sträubt. Diese Art von Mischung ist ganz und gar zu scheiden von derjenigen, welche sich in dem Organismus der Sprachvorstellungen bei den einzelnen Individuen vollzieht.

§ 285. Entlehnung aus einer älteren Sprachstufe kann natürlich nur durch Vermittlung der Schrift erfolgen. Das Lautmaterial kann demnach nie dadurch beeinflusst werden. Diese Art der Entlehnung wird in der Regel nur mit bewusster Absicht bei literarischer Produktion vorgenommen. Dabei ist ein Unterschied zu beachten. Entweder sollen dabei gewisse wirkliche oder vermeintliche Vorzüge der älteren Sprache schlechthin wieder zu neuem Leben erweckt werden, oder die Altertümlichkeiten der Sprache sollen zur Charakterisierung der Zeit dienen, in die man durch die Darstellung versetzt wird. Im letzteren Falle wird man leicht viel weiter gehen als im ersteren. Eine Entlehnung ist es auch, wenn man eine untergegangene Bedeutung eines sonst noch lebendigen Wortes neu zu beleben versucht, wie man es z. B. mit Weib, Frau, Magd, Buhle getan hat.


 << zurück weiter >>