Paul, Hermann
Prinzipien der Sprachgeschichte.
Paul, Hermann

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313 Achtzehntes Kapitel.

Sparsamkeit im Ausdruck.

§ 218. Die sparsamere oder reichlichere Verwendung sprachlicher Mittel für den Ausdruck eines Gedankens hängt vom Bedürfnis ab. Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass mit diesen Mitteln auch vielfach Luxus getrieben wird. Aber im Grossen und Ganzen geht doch ein gewisser haushälterischer Zug durch die Sprechtätigkeit. Es müssen sich überall Ausdrucksweisen herausbilden, die nur gerade so viel enthalten, als die Verständlichkeit für den Hörenden erfordert. Das Mass der angewendeten Mittel richtet sich nach der Situation, nach der vorausgehenden Unterhaltung, der grösseren oder geringeren Übereinstimmung in der geistigen Disposition der sich Unterhaltenden. Es kann unter bestimmten Voraussetzungen etwas durch ein Wort dem Angeredeten so deutlich mitgeteilt werden, als es unter anderen Umständen erst durch einen langen Satz möglich ist. Nimmt man diejenige Ausdrucksform zum Masstabe, die alles das enthält, was erforderlich ist, damit ein Gedanke unter allen Umständen für jeden verständlich werde, so erscheinen die daneben angewendeten Formen als unvollständig.

Es begreift sich daher, dass die sogenannte Ellipse bei den Grammatikern eine grosse Rolle gespielt hat. Misst man allemal den knapperen Ausdruck an dem daneben möglichen umständlicheren, so kann man mit der Annahme von Ellipsen fast ins Unbegrenzte gehen. Bekannt ist der Missbrauch, der damit im 16. und 17. Jahrhundert getrieben ist. Indessen war dieser Missbrauch doch nur die weitergehende Durchführung von Anschauungen, die auch jetzt noch in unseren Grammatiken vertreten sind. Es gilt diesen Masstab aufzugeben und jede Ausdrucksform nach ihrer Entstehung ohne Hineintragung von etwas Fremdem zu begreifen. Man wird dann die Ansetzung von Ellipsen auf ein Minimum einschränken. Oder aber man müsste den Begriff der Ellipse in viel ausgedehnterem Masse anwenden, als 314 es jetzt üblich ist: man müsste zugeben, dass es zum Wesen des sprachlichen Ausdrucks gehört elliptisch zu sein, niemals dem vollen Inhalt des Vorgestellten adäquat, so dass also in Bezug auf Ellipse nur ein Gradunterschied zwischen den verschiedenen Ausdrucksweisen besteht.

§ 219. Wir betrachten zuerst die Ergänzung eines Wortes oder einer Wortgruppe aus dem Vorhergehenden oder Folgenden. Hier kann zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob und wieweit man überhaupt berechtigt ist von einer Ergänzung zu reden. Wir haben oben § 96 gesehen, dass ein Satzteil mehrfach gesetzt werden kann. Die übrigen Elemente des Satzes haben dann gleichmässig Beziehung zu dem einen wie zu dem andern. Man wird schwerlich für alle Fälle behaupten, dass diese eigentlich doppelt gesetzt werden müssten, dass sie einmal wirklich gesetzt, ein zweites (drittes, viertes) Mal zu ergänzen seien. Am wenigsten anwendbar ist der Begriff der Ergänzung bei der Konstruktion apò koinoû. Aber auch in einem Satze wie er sah mich und erschrak wird man nicht nötig finden er bei erschrak noch einmal zu ergänzen; und ebenso wenig wird man in der Verbindung mit Furcht und Hoffnung die Präp. vor Hoffnung ergänzt sein lassen, weil man auch sagen kann mit Furcht und mit Hoffnung. Es fragt sich aber, ob man nicht den Begriff der Ergänzung ganz fallen lassen und dafür die einmalige Setzung mit mehrfacher Beziehung substituieren kann. Man muss dazu nur aufhören das, was man gewöhnlich einen Satz nennt, als eine in sich geschlossene Einheit zu betrachten, und ihn vielmehr als Glied einer fortlaufenden Reihe ansehen.

Gebräuchlich ist es eine Ergänzung anzunehmen in Fällen wie die deutsche und französische Sprache und noch entschiedener für die Form die deutsche Sprache und die französische. Das wir aber auch hier nichts anderes haben, als zwei Glieder die in dem nämlichen Verhältnis zu einem dritten stehen, zeigt der Umstand, dass wir zwar nicht im Deutschen, wohl aber in anderen Sprachen dergleichen Sprechformen mit anderen vertauschen können, wobei die beiden Glieder zu einer Einheit zusammengefasst zu dem dritten (oder richtiger jetzt zweiten) Gliede gestellt werden. Dies bekundet sich durch die Anwendung des Plurals. Man sagt z. B. quarta et Martia legiones (neben legio Martia quartaque, beides bei Cic.), Falernum et Capanum agros (Var. agrum Liv.), it. le lingue greca e latina (neben la lingua greca e latina), franz. les langues française et allemande, les onzième et douzième siècles, engl. the german and french languages.

Ein ähnliches Verhältnis haben wir da, wo zu einem gemeinsamen Gliede eine Mehrheit von einander korrespondierenden Gliedern hinzutritt 315 (Karl schreibt gut, Fritz schlecht). Dass auch hier die übliche Annahme einer Ergänzung überflüssig, ja unzulässig ist, zeigt wieder die in manchen Sprachen vorkommende Setzung des Prädikats in den Plur., vgl. Palatium Romulus, Remus Aventinum ad inaugurandum templa capiunt (Liv.); dementsprechend auch beim Abl. abs.: ille Antiocho, hic Mithridate pulsis (Tac.). Selbst bei Disjunktion der Subjekte ist der Plur. des Prädikates in verschiedenen Sprachen neben dem Sing. in Gebrauch: vgl. Sonnensäulen, die weder Zeit noch Regen fäulen (Haller); lat. si quid Socrates aut Aristippus contra morem consuetudinemque civilem fecerint locutive sint (Cic.); haec si neque ego neque tu fecimus (Cic.); Roma an Carthago jura gentibus darent (Liv.); franz. ou la honte ou l'occasion le détromperont; ni la douceur, ni la force n'y peuvent rien; engl. nor wood, nor tree, nor bush are there (Scott). Dieser Plur. ist jedenfalls von solchen Fällen ausgegangen, in denen ohne wesentliche Veränderung des Sinnes Vertauschung mit kopulativer Verbindung möglich war, und hat sich dann analogisch auch auf solche ausgedehnt, die keine Vertauschung zulassen. Er ist ein Beweis dafür, dass das Sprachgefühl sich das einmal gesetzte Prädikat nicht doppelt gesetzt gedacht hat.

Ein gemeinsam zu Haupt- und Nebensatz gehöriger (respektive in dem einen zu ergänzender Satzteil) findet sich bei der § 97 besprochenen Art des apò koinoû und auch bei Relativsätzen, die auf andere Weise entstanden sind, z. B. den lateinischen (qui tacet consentit). Ferner im Mhd., wenn ein konjunktionsloser Nebensatz im Verhältnis des Objekts zu dem regierenden steht: dâ wânde ich stæte fünde (Minnesinger), er sprach wêre intrunnin (Rother). Seltener sind andere Fälle: nune weiz ich wie es beginne (Tristan); wes er im gedâhte daz elliu diu wolde bedwingen (j. Judith); mitthiu ther heilant gisah thio menigi steig ûfan berg (Fragm. theot.); kem einer her mit dem opfer, brecht auch vil golts darvon (H. Sachs); da ihn die schöne fraw erblicket, winckt ihm (id.); was ich da träumend jauchzt und litt, muss wachend nun erfahren (Goe.); dass, indem er ihn gesegnete, ihm gebot und sprach (Lu.).

Sehr gewöhnlich werden in der Wechselrede Worte des einen vom andern nicht wiederholt. Doch darf man das nicht als Argument dafür geltend machen, dass eine Ergänzung anzunehmen notwendig sei. Denn auch die Wechselrede muss als etwas kontinuierlich Zusammenhängendes betrachtet werden.

Als eine starke Anomalie erscheint es uns jetzt, wenn ein Satzglied nicht zwei sich aneinander anschliessenden Sätzen gemein ist, sondern zwei durch einen dritten getrennten, vgl. swaz er den künic ê geschalt, des wart ir zehenstunt mêr, und (er) jach, si wære gar ze hêr 316 (Wolfram); wer mit wölfen wil geulen, der muss auch mit in heulen, sunst thun sie sich bald meulen und (er) ist bei in unwert (H. Sachs). Ebenso, wenn die Sätze, denen das Glied gemeinsam ist, sich zwar aneinander anschliessen, aber keine direkte Beziehung zueinander haben, vgl. sô ist geschehen des ir dâ gert und wænent (ihr meint), mir sî wol geschehen (Hartmann v. Aue).

Das gemeinsame Glied kann zwischen den nicht gemeinsamen stehen, sodass es sich zu einem jeden gleich bequem fügt (apò koinoû); oder es steht am Anfang oder Schluss des Ganzen: dann ist es zwar dem einen näher, aber immer noch leicht zu dem andern zu ziehen; oder endlich es ist einer von den Wortgruppen, auf die es gleichmässig zu beziehen ist, eingefügt: dann erscheint es zunächst nur zu dieser gehörig. Uns sind solche Einfügungen nur in der ersten Gruppe geläufig. Hierbei hat die Annahme einer Ergänzung in der zweiten (dritten etc.) Gruppe am meisten für sich. Im Ahd. und Mhd. ist Einfügung in die zweite nicht ganz selten: zi hellu sint gifiarit joh thie andere gikêrit (Otfrid); mâge und mîne man (meine Verwandten und meine Lehensleute); gelücke und Sîfrides heil; daz ich muoz und sterben sol. Beispiele aus dem Nhd.: nicht Sonne, Mond und Sternenschein, mir glänzte nur mein Kind (Bürger) es bell' und wüte, wie der Hund auch immer will (Heinr. Alberts Arien); mir sind das Reich und untertan die Lande (Klopstock). Vgl. it. il mar tranquillo e l'aure era soave (Petrarca); non pur per l'aria gemiti e sospiri, ma volan braccia e spalle (Ariost); afranz.: Breton l'ensaigne lor signor (das Feldgeschrei ihres Herrn) e li Romain crient la lor; griech. oúte bômòs oút' Apóllônos dómos sô'sei se (Eur.). Bei dieser Fügung kann wieder von einer Ergänzung eigentlich nicht die Rede sein. Vielmehr bleibt die erste Gruppe unvollständig, bis das gemeinsame Glied ausgesprochen ist, welches dann in diesem Augenblicke zugleich zur Vervollständigung der ersten und der zweiten Gruppe dient.

§ 220. Die Funktion, welche ein gemeinsames Glied hat, ist oft nicht nach den verschiedenen Seiten hin die gleiche. Hierdurch entsteht ein Missverhältnis, indem sich das Glied in seiner grammatischen Form nur nach einer Seite richten kann. Die Scheu vor diesem Missverhältnis, welches sich durch Wiederholung vermeiden lässt, ist in den verschiedenen Sprachen und Perioden eine sehr verschiedene.

Am unanstössigsten ist überall Nichtübereinstimmung in der geforderten Person (auch im Numerus) des Verbums. Vgl. er hat mich eben so lieb wie du; du glaubst es, ich nicht; sie reisen morgen ab - ich auch. Als Abnormität aber erscheint es uns, wenn das gemeinsame Glied sich nach dem zweiten Teile richtet, vgl. autòs mèn húdôr, egô` dè oînon pínô (Dem.); dass ich im Vater und der Vater in mir ist (Lu.); 317 non socii in fide, non exercitus in officio mansit (Liv.). Die Differenz des Tempus ist unberücksichtigt in folgenden Beispielen: hêmeîs homoîoi kaì tóte kaì nûn esmen (Thuc.); álla mèn próteron, álla dè nûn peirâ légein (Xen.); die Differenz von Tempus und Modus zugleich in folgendem: epeidê^ ou tóte, allà nûn deîxon (Dem.). Eine ziemlich gewöhnliche Erscheinung ist es wieder, dass der Inf. aus einem Verb. fin. zu entnehmen ist: er hat gehandelt, wie er musste; noch freier im Mhd. nâch der mîn herze ie ranc und iemer muoz; griech. pánu chalepô^s échô, oîmai dè kaì humô^n toùs polloùs (Plato). Seltener ist so ein Part. zu entnehmen, vgl. mhd. daz diu minne dich verleitet, als si manegen hât. Ein und dieselbe Form fungiert im Deutschen zuweilen als Inf. und als Part.: ich habe es nicht und werde es nicht vergessen (Klopstock); vgl. weitere Beispiele bei Andr. Sprachg. S. 133. H. Sachs sagt zu ehren sein wir zu euch kumen, ein histori vns für genumen (ähnlich häufig), wiewohl von dem zweiten Verbum das Perf. hätte durch haben umschrieben werden müssen.

Bei den Nomina sind dergleichen Inkongruenzen in der jetzigen Sprache fast durchweg verpönt, erscheinen aber in der älteren Sprache häufig, zumal im 16. Jahrhundert, zum Teil auch noch bis ins 19. Jahrhundert, und finden sich auch in anderen Sprachen reichlich. So kongruiert das Adj. nur mit dem nächststehenden von zwei kopulativ verbundenen Substantiven: aus meinem grossen Kummer und Traurigkeit (Lu.), von eurer Saat und Weinbergen (Lu.), sein sonstiger Ernst und Trockenheit (Goe.), seiner gewöhnlichen Trockenheit und Ernst (id.), zu Ihrem Glück und Freude (id.), ohne weiteres Ufer noch Küste (id.); viele Beispiele bei Andr. Sprachg. 127ff.; franz. un homme ou une femme noyée; it. in publica utilità ed onore, le cità ed i villagi magnifichi; span. toda sa parentela y criados, la multitud y dolor, los pensiamentos y memorias, un pabellon o tienda; lat. urbem ac portum validum (Liv.). Zu mehreren Präpositionen, die verschiedene Kasus regieren, wird ein Wort nur einmal gesetzt ohne Anstand, wenn die verschiedenen Kasus lautlich übereinstimmen, z. B. mit und ohne Kost; aber auch bei Nichtübereinstimmung, z. B. um und neben dem Hochaltare (Goe.), durch und mittelst der Sprache (Herder); weitere Beispiele bei Andr. Sprachg. S. 128. Ebenso kann auch neben mehreren Verben die nämliche Form mehrere Kasus repräsentieren, vgl. lat. quod tactum est et ille adjunxit (Cic.); quae neque ego teneo neque sunt ejus generis (id.); nhd. was geschieht und ich nicht hindern kann (Le.); eine Dose, die er mit 80 Gulden bezahlt hätte und nur 40 wert wäre (Goe.);Vgl. Andrs. Sprachg. S. 129. 130. womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln und bedrohen kann (Goe.); bei dessen 318 Gebrauch wir einander mehr schmeicheln als verletzen (Goe.);Vgl. ib. S. 133. leidlicher wer mir vnd het auch lieber das drey oder vierteglich fieber (H. Sachs); bei Zwischenstellung vnd wissen nit jr widervart mag offt lang haben nit mehr fug (id.). Selbst ein von einer Präp. abhängiges Wort wird zugleich zum Subj. des folgenden Verbums gemacht: dan leszt er uns fürtragen schon das heilig euangelion durch sein heilige junger, deuten all christlich prediger (H. Sachs); von ritter Cainis ich lasz het lieb fraw Gardeleye (id.). Die Freiheit wird auch auf solche Fälle ausgedehnt, wo eigentlich Formen von verschiedener Lautgestaltung verlangt würden. Namentlich fungiert ein obliquer Kasus zugleich als Subj. zu einem folgenden Verb. So bei asyndetischer Nebeneinanderstellung: liess der bischoff die seinen über das her laufen, erstachen der etlich (Wiltwolt von Schaumburg, 1507); mit Zwischenstellung ich war selb bei dieser Handlung, geschach e du warst geborn (H. Sachs). Ebenso bei Verbindung durch und: sehr häufig im Mhd., vgl. ez möhte uns wol gelingen und bræhten dir die frouwen; aber auch noch nhd., vgl. er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen und wurden alle voll des heiligen Geistes (Lu.); den es krenke meinethalben und meinen ohren offenbare (Lu.); auch dem, der sie verfolgt, und fleht und schenkt und schwöret, wird kaum ein Blick gegönnt, und wird nur halb gehöret (Le.). Bei Verbindung durch wan (= denn): thut euch bedenken, wan wisset selber je gar wol (H. Sachs). Auch zu der oben § 219 bezeichneten Anomalie kann noch Inkongruenz hinzutreten, vgl. belîbe ich âne man bî iu zwei jâr oder driu, sô ist mîn herre lîhte tôt und kument (kommt ihr) in sô grôze nôt (Hartmann v. Aue). Beispiele bei apò koinoû mit logischer Unterordnung sind schon § 97 gegeben. Im Lat. kann auch ein Nom. einen Akk. mit vertreten: qui fatetur . . et . . non timeo (Cic.); ein Dat. einen Akk.: cui fidem habent et bene rebus suis consulere arbitrantur (id.). Es kann auch ein Possessivpron. das betreffende Personalpron. mitvertreten: jâ was ez ie dîn site unde hâst mir dâ mite gemachet manege swære (Hartmann v. Aue); alsobald stunden seine Schenkel und Knöchel feste, sprang auf (Lu.). Oder ein , welches mit einem Adv. verbunden ist, das Demonstrativpron.: dâ mite so müezeget der muot und (das) ist dem lîbe ein michel guot (Gottfrid v. Strassburg). Endlich können zwei verschiedenartige Satzteile zusammengefasst das Subjekt zu einem folgenden Verb. bilden, vgl. dar vuorte si in bî der hant und sâzen zuo einander nider (Hartmann v. Aue); dô nam daz Constantînis wîb ir tohter, die was hêrlîch, unde bâtin Dietherîche (Rother); wie herzog Jason wardt verbrandt von Medea also genandt; hetten doch vor viel Zeit vertrieben (H. Sachs); 319 so hertzlieb von hertzlieb musz scheiden vnd gentzlich kein Hoffnung mehr handt (id.).

§ 221. Wir haben in Kap. 16 gesehen, dass zwei Hauptbegriffe durch ein oder mehrere Mittelglieder verknüpft sein können, welche die Art der Verknüpfung genauer bestimmen, sei es dass dieses Verhältnis zugleich psychologisch und grammatisch ist, oder dass es rein psychologisch ist und sich mit der grammatischen Verknüpfungsweise nicht deckt. Da nun häufig daneben Ausdrucksweisen vorkommen, welche solcher Mittelglieder entraten, so ist man leicht geneigt diese für elliptisch zu erklären. Diese Anschauung ist für viele Fälle durchaus zurückzuweisen. Wenn man z. B. statt Hectoris Andromache und Caecilia Metelli genauer sagen könnte Andromache uxor Hectoris und Caecilia filia Metelli so folgt daraus doch nicht, dass bei den kürzeren Ausdrucksweisen die Formen uxor und filia zu ergänzen sind, sondern sie erklären sich ohne solchen Behelf aus der allgemeinen Funktion des Genitivs, und wer hier eine Ellipse annimmt, muss konsequenterweise mit den Grammatikern des 16. Jahrhunderts bei jedem Genitiv eine Ellipse annehmen. Daneben finden sich aber solche Ausdrucksformen, für welche der Bezeichnung elliptisch eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist, insofern sie auf Grund vollständigerer Ausdrucksweisen entstanden sind, bei denen aber darum doch nicht die Auslassung eines bestimmten Wortes anzunehmen ist.

Richtungsbezeichnungen sind gewiss ursprünglich nur neben Verben der Bewegung entwickelt. Man findet nun öfters eine Richtung angegeben neben Verben, die bereiten oder dergl. bedeuten, vgl. mhd. sich bereite von dem lande vil manic ritter starc (Nibelungenlied), wir suln ouch uns bereiten heim in mîniu lant (ib.); dô soumte man (lud man auf) den degenen von dannen wâfen und gewant (ib. C); die sich gegarwet hâten ze strîte ûf daz velt (Alphart); dô vazte sich der herzoge in des kunigs hof (da rüstete sich der Herzog, um an den Hof des Königs zu ziehen, Kaiserchronik, und so öfters in diesem Denkmal); vgl. griech. phaneròs ê^n oíkade paraskeuazómenos (Xen.); ähnlich ekéleusan epì tà hópla (id.)Indem solche Verbindungen gewohnheitsmässig werden, kann sich die Auffassung von der Bedeutung des Verbums verschieben, indem die Bewegung in einer bestimmten Richtung als mit dazu gehörig angesehen und schliesslich zur Hauptsache wird. So ist nhd. schicken ursprünglich »zurecht machen«, Reise ursprünglich »Aufbruch«, aufbrechen ursprünglich das Gegenteil von aufschlagen (nämlich das Lager). Ebenso bei mhd. rûmen: heiz inz rûmen von dan (Hartmann v. Aue), ich rûme dir daz rîche von hinnen vlühticlîche (Rudolf v. Ems). Vgl. ferner griech. ekleípein tê`n pólin eis chôríon. Es ist nicht anzunehmen, dass bei solchen Wendungen dem Sprechenden etwa der 320 nicht ausgesprochene Inf. eines bestimmten Verbums wie gehen, bringen oder derg.l vorgeschwebt hat. Vielmehr ist der psychologische Prozess, dem z. B. die Wendung paraskeuázesthai oíkade ihre Entstehung verdankt, folgender. Es schweben zunächst die beiden Begriffe des sich Bereitens und des räumlichen Zieles, um dessen Willen man sich bereitet, vor und verbinden sich direkt miteinander als psychologisches Subj. und Präd. Indem man aber von Sätzen her wie poreúontai oíkade oder paraskeuázontai oíkade poreúesthai die Gewohnheit hat das räumliche Ziel in einer bestimmten Form auszudrücken, wendet man diese Form auch hier an. Es wirkt also zweierlei zusammen: einerseits die schon vor der Entstehung aller formellen Elemente der Sprache vorhandene und immerdar bleibende Fähigkeit, die Beziehung, in welche zwei Begriffe im Bewusstsein zueinander getreten sind, mag dieselbe nun eine unmittelbar gegebene oder eine durch andere Begriffe vermittelte sein, durch Nebeneinanderstellung der Bezeichnungen für diese Begriffe auszudrücken; anderseits die Analogie der entwickelten Ausdrucksformen.

Das nämliche Verhältnis findet noch in sehr vielen anderen Fällen statt. Es gehören hierher viele der in Kap. VI besprochenen Ausdrucksformen wie Scherz beiseite, wer da? etc. Nachdem einmal die meisten Wörter formelle Elemente in sich aufgenommen hatten, konnte die eben bezeichnete und in Kap. VI näher erörterte Fähigkeit sich gar nicht anders äussern, als indem zugleich die Bedeutung dieser formalen Elemente zur Geltung kam. Wir betrachten jetzt noch einige weitere hierher gehörige Konstruktionsweisen, die gewöhnlich für elliptisch angesehen werden.

Den schon besprochenen zunächst stehen Richtungsbezeichnungen nach den Verben können, mögen, sollen, wollen, dürfen, müssen, lassen, helfen, z. B. ich mag nicht nach Hause, ich lasse dich nicht fort. Diese sind so usuell geworden, dass sie vom Standpunkte des gegenwärtigen Sprachgefühles aus in keinem Sinne als elliptisch bezeichnet werden können. Ferner Anwendungen wie er ist weg, er ist nach Rom, die nicht anders aufzufassen sind wie er ist in Rom, d. h. weg und nach Rom sind als Prädikate zu nehmen, ist als Kopula. Desgleichen er ist von Rom, woher ist er?, woher hast du das? etc. Auch schreiben nach oder von, sich wohin bemühen, herbei rufen, wünschen, zaubern sind eigentlich hierherzuziehen. Vgl. dazu weniger gewöhnliche Wendungen wie ich freue mich nach Hause (Goe.), vielleicht finden Sie auf beiliegendem Blättchen etwas in Ihre Sammlungen (Goe.). Dazu lateinische Konstruktionen wie quando cogitas Romam? (Cic.), ipsest quem volui obviam (von dem ich wollte, dass er mir entgegen gehen sollte, Ter.), puto utrumque ad aquas (Cic.). 321

Wenn wir sagen ich möchte dich nicht anders, als du bist, so wird man das schwerlich aus einer Ellipse von haben erklären wollen. Näher würde anders sein liegen; aber durch Einfügung von sein bekäme man eine undeutsche Konstruktion. So wenig aber hier ein sein ergänzt werden darf, so wenig muss ein sein hinzugedacht werden bei lat. Strato physicum se voluit (Cic.).

Im Lat. findet sich zuweilen zu einem Subjektsnominativ ein Akk. gesetzt ohne Verbum: sus Minervam, fortes fortuna, manus manum, dii meliora; quae cum dixisset, Cotta finem (Cic.); ego si litteras tuas (id.); quid tu mihi testis? Diese Konstruktionen werden dadurch nicht erklärt, dass man ein Verb. angibt, welches als Ergänzung hinzugefügt werden müsse. Vielmehr muss man sagen: es sind hier zwei Begriffe darum in der Form des Nom. und Akk. miteinander verknüpft, weil sie in demselben Verhältnis zueinander stehen, wie in einem vollständigeren Satze Subjekt und Objekt. Entsprechend aufzufassen ist die unmittelbare Verbindung eines Subjektsnominativs mit einer präpositionellen Bestimmung oder einem Adv., vgl. itaque ad tempus ad Pisones omnes (Cic.); hæc hactenus (wo hæc freilich auch als Akk. gefasst werden könnte), an tu id melius? (Cic.), ne quid temere, ne quid crudeliter (Cic.); taûta mèn oûn dè hoútôs (Plato). Dafür gibt es auch im Deutschen Analogieen: in lebhafter Erzählung sagt man ich rasch hinaus, ich hinterher u. dgl.; vgl. der Graf nun so eilig zum Tore hinaus (Goe.); der Sultan gleich dem Tone nach (Wieland).

In entsprechender Weise verbindet sich ein Nebensatz mit einem regierenden Satze direkt, der bei vollständigerem Ausdruck des Gedankens durch Vermittelung eines anderen Nebensatzes oder eines Satzgliedes angeknüpft werden müsste. Diese Verknüpfungsweise kann dann auch wieder usuell werden, sodass man nichts mehr vermisst. Vgl. wie viel wir solche Erklärer haben, mögen die herrschenden Vorurteiler zeugen (Herder), wo wir von unserem Sprachgefühle aus ein davon vermissen; wie Lavater sich hiebei benommen, sei nur ein Beispiel gegeben (Goe.); dass ich Sie gestern vorbei liess, sind zwei Ursachen (Goe.); wie oft ich bei euch bin, werdet ihr vielleicht ehestens ein Dokument zu Gesichte kriegen (Goe.); und fragst du mich nach diesen beiden Schätzen; der Lorbeer ist es und die Gunst der Frauen (Goe.); dass ichs dir gestehe, da ergriff ihn mein Gemüt (Goe.); besuche deine Brüder, obs ihnen wohl gehe (Lu.). Hierher gehören auch Wendungen wie was das anbetrifft, was ich davon weiss u. dergl., die in den verschiedensten Sprachen Analogieen haben. Entsprechend verhalten sich infinitivische Wendungen wie die Wahrheit zu sagen, es kurz zu sagen, um nur eins anzuführen, um von allem übrigen zu schweigen; ferner kurz (ich weiss es nicht), mit einem Worte, gerade heraus, beiläufig, à propos. 322

§ 222. Eine Ergänzung aus der Situation findet statt, wenn an Stelle eines Substantivums mit einer dazu gehörigen Bestimmung bloss die letztere gesetzt wird. Hierher gehört nicht etwa der Gute als Bezeichnung für jede beliebige gute Person oder das Gute als Bezeichnung für jedes beliebige gute Ding. Dabei findet keinerlei Art von Ellipse statt. Der Begriff der Person, eventuell der männlichen Person und der der Sache sind durch das Geschlecht des Artikels bezeichnet. Wir haben es hier nur mit den Fällen zu tun, in denen eine Beziehung auf einen spezielleren Begriff stattfindet; vgl. Rechte, Linke (Hand); calida, frigida (aqua); alter, neuer, süsser, Burgunder, Champagner etc., ákratos (Wein); agnina, caprina (caro); Appia (via), strata, chaussée; aestiva, hiberna (castra); natalis (dies); quarta, nona (hora); tê^ husteraía, tê^ trítê (hêméra); octingentesimo post Romam conditam (anno); decima (pars); Iónios (kólpos); Mousikê' etc. (téchnê); ahd. frenkisga (zunga). Wenn man hier eine Ellipse annehmen will, so ist nicht viel dagegen einzuwenden. Nur muss man sich klar machen, dass eine entsprechende Ergänzung aus der Situation, wie wir in Kap. IV gesehen haben, auch in sehr vielen anderen Fällen stattfindet, wo es uns nicht einfällt eine Ellipse zu statuieren. Wenn wir unter der Alte alten Wein verstehen, so beruht das auf derselben Unterlage, als wenn wir darunter nicht jeden beliebigen alten Mann verstehen, sondern einen, den wir gerade vor uns haben oder von dem eben gesprochen ist. In den aufgeführten Fällen ist die besondere Verwendung des Adj. schon mehr oder weniger usuell geworden. Je fester der Usus geworden ist, um so weniger ist zum Verständnis die Unterstützung durch die Situation erforderlich. So werden die Bezeichnungen Alter, Neuer wohl nur im Weinhause, beim Weinhandel oder, wo sonst schon irgendwie die Aufmerksamkeit auf Wein gelenkt ist, von diesem verstanden und sind überhaupt nur in weinbauenden Gegenden üblich; dagegen Champagner wird ohne alle besondere Disposition viel eher auf die bestimmte Weinsorte als auf einen Einwohner der Champagne bezogen. Sobald nun die Unterstützung durch die Situation für das Verständnis entbehrlich ist, so ist auch das Wort nicht mehr als ein Adj. zu betrachten, sondern als ein wirkliches Substantivum, und es kann dann von einer Ellipse in keinem Sinne mehr die Rede sein.

Eine ganz entsprechende Entwickelung begegnet uns auch bei genitivischen Bestimmungen. Vgl. lat. ad Martis, ad Dianae (templum); ex Apollodori (libro); de Gracchi apud censores (oratione); franz. la saint Pierre (fête). Im Deutschen sind die Festbezeichnungen Michaelis, Johannis, Martini etc. und die Ortsbezeichnungen St. Gallen, St. Georgen St. Märgen vollkommen selbständig geworden und werden nicht mehr 323 als ergänzungsbedürftig und daher auch nicht mehr als Genitive empfunden.

§ 223. In den besprochenen Fällen erhält ein Satzglied Vervollständigung seines Sinnes aus der Situation. Es kann aber auch ein Satzglied, es kann das psychologische Subjekt oder Prädikat ganz und gar der Situation entnommen werden. Hierher gehören die § 90 besprochenen scheinbar eingliedrigen Sätze, wie Feuer, Diebe etc. Auch auf die Form dieser kann die Analogie der vollständigeren Sätze in der beschriebenen Weise einwirken. Sagt man z. B. in drohendem Tone abwehrend keinen Schritt weiter, so ist nur das psychologische Präd. ausgesprochen, als Subj. wird die Person verstanden, an welche die Warnung gerichtet ist. Das aber das erstere in den Akk. tritt, hat die gleiche Ursache wie bei den Sätzen von der Form Cotta finem. Das Gleiche gilt von Sätzen wie guten Tag, schönen Dank, herzlichen Glückwunsch u. dgl. In Fällen wie glückliche Reise, keine Umstände, viel Glück und vielen anderen gibt die Form keine Sicherheit darüber, ob der Akk. gemeint ist. In einem Satze wie manum de tabula lässt sich manum als psychologisches Subj. de tabula als Präd. auffassen, aber der Akk. manum zeigt, dass auch hierzu wieder ein Subjekt aus der Situation zu entnehmen und dass das Verhältnis zu demselben nach der Analogie des Objekts zum Subjekt gedacht ist. Ebenso verhält es sich mit ultro istum a me (Plaut.), ex ungue leonem = ex onúchôn léonta, malam illi pestem (Cic.) etc. Aus dem Deutschen gehören hierher Sätze wie den Kopf in die Höhe und danach auch wohl solche wie Gewehr auf, Scherz beiseite, davon ein ander Mal mehr, wenn auch die Lautform den Akk. nicht erkennen lässt. Auch andere Kasus präpositionelle Bestimmungen und Adverbia können so gebraucht werden, wie schon die angeführten Beispiele zeigen; vgl. noch sed de hoc alio loco pluribus (Cic.), de conjectura hactenus, nimis iracunde.

Zuweilen ist auch das psychologische Prädikat aus der Situation zu entnehmen, wobei der Tonfall, Mienen und Gebärden die Verständlichkeit unterstützen können. So z. B. bei unterdrückten Drohungen ich will (dich), vgl. das bekannte Virgilische quos ego. Hierher gehören Ausdrücke der Verwunderung oder Entrüstung oder des Bedauerns, die nur den Gegenstand angeben, über den man sich verwundert oder entrüstet oder den man bedauert. Das Prädikat wird dabei hauptsächlich durch den Gefühlston angedeutet. Vgl. Subjektsnominative wie dieser Kerl, diese Fülle, der Unglückliche, ich Armer etc. Ferner Infinitive wie so lange zu schlafen, so ein Schuft zu sein; lat. tantamne rem tam negligenter agere (Terenz), non puduisse verberare hominem senem (id.); Acc. c. Inf.: te nunc sic vexari, sic jacere, idque fieri mea culpa (Cic.); vgl. Draeg. § 154, 3. 324

§ 224. Auf die nämliche Weise erklären sich auch isolierte Sätze, die die Form des abhängigen Satzes haben. Sie sind ursprünglich entweder psychologische Subjekte oder Prädikate, wozu der korrespondierende Satzteil aus der Situation verstanden wird, können aber durch usuelle Verwendung allmählich den Charakter von selbständigen Hauptsätzen erlangen. Ursprüngliche Subjekte sind wie die oben angeführten Ausdrücke der Verwunderung und des Bedauerns auch solche, die mit der Konjunktion dass eingeführt werden: dass du gar nicht müde wirst! dass mir das begegnen muss! dass dir auch so wenig zu helfen ist! Ferner Bedingungssätze als Drohungen: wenn er mir in den Wurf kommt -, ertappe ich ihn nur -; lat. verbum si adderis (Terenz). Bedingungssätze als Wunschsätze: wäre ich erst da! wenn er doch käme! Bedingungssätze, für die man keinen Nachsatz zu finden weiss: wenn du noch nicht überzeugt bist; wenn er aber nicht kommt; lat. si quidem istuc impune habueris (Terenz). Bedingungssätze als Abweisungen einer Behauptung oder Zumutung, die aus Unkenntnis der wahren Verhältnisse gemacht wird: wenn du in mein Herz sehen könntest; wenn du wüsstest, wie leid es mir tut. Ursprüngliche Prädikate oder nach der grammatischen Form Objekte sind Wunsch- und Aufforderungssätze, mit dass eingeleitet: dass ich doch dabei sein könnte; mhd. daz si schiere got gehoene; franz. que j'aille à son secours ou que je meure; it. che tu sia maledetto und in allen romanischen Sprachen.


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