Paul, Hermann
Prinzipien der Sprachgeschichte.
Paul, Hermann

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121 Sechstes Kapitel.

Die syntaktischen Grundverhältnisse.Zu diesem Kapitel und den folgenden auf Syntax bezüglichen vgl. Reckendorf, Zur allgemeinen Syntax (Idg. Forschungen 10, 167). R. bespricht in dieser Abhandlung für die allgemeine Sprachwissenschaft wichtige Eigenheiten des Arabischen, die er eingehend in seinem Werke »Die syntaktischen Verhältnisse des Arabischen (Leiden 1895-98)« behandelt hat. Die Forschungen Reckendorfs zeigen, wie die aus den Indogermanischen Sprachen gewonnenen allgemeinen Grundsätze auch auf dem Gebiete der semitischen Sprachen anwendbar sind.

§ 85. Alle Sprechtätigkeit besteht in der Bildung von Sätzen. Freilich besteht keine Einigkeit darüber, was man unter einem Satze zu verstehen hat. Sehr verschiedene Definitionen sind aufgestellt. Es ist auch nicht zu leugnen, dass sich dem Versuche, eine vollkommen befriedigende Begriffsbestimmung zu finden, eigentümliche Schwierigkeiten in den Weg stellen. Die von mir früher gegebene Definition lautete: der Satz ist der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür, dass sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen. Ich wählte eine so allgemeine Fassung, um alle verschiedenen Satzarten darunter begreifen zu können und manchen engeren Fassungen entgegenzutreten, z. B. dem verbreiteten Irrtum, dass der Satz ein Verb. fin. enthalten müsse. Verbindungen wie Omnia praeclara rara, Summum jus summa injuria, Träume Schäume, Ich ein Lügner? Ich dir danken? erkläre ich gerade so gut für Sätze wie Der Mann lebt, Er ist tot.In nichtindogermanischen Sprachen, auch wenn sie deutlich ausgeprägte Verbalformen haben, sind Sätze ohne Verb. noch viel häufiger. Vgl. über das Arabische Reckendorf S. 169.

Meine Definition ist von verschiedenen Seiten angefochten worden. Wundt wendet sich besonders dagegen, dass der Satz Ausdruck einer 122 Verbindung von Vorstellungen sein soll. Nach ihm beruht er vielmehr auf der Zerlegung eines im Bewusstsein vorhandenen Ganzen in seine Teile (II. 241), ist Ausdruck für die willkürliche Gliederung einer Gesamtvorstellung in ihre in logische Beziehungen zu einander gesetzten Bestandteile (245). Hierauf möchte ich zunächst erwidern, dass, wenn wirklich die Zerlegung eines Ganzen in der Seele des Sprechenden vorangegangen ist, dann doch wieder eine Verbindung vorgenommen ist, dass daher von dieser Seite meine Definition nicht zu beanstanden ist. Ferner trifft diese vom Standpunkte des Hörenden zu, auf den Wundt hier so wenig wie anderwärts Rücksicht nimmt.Eine Berücksichtigung desselben verlangt auch Dittrich (Die sprachwissenschaftliche Definition der Begriffe »Satz« und »Syntax« in Philos. Studien 19, 93) und versucht eine solche in einer Modifikation der Wundtschen Definition. In ihm werden zunächst durch die einzelnen Wörter Einzelvorstellungon hervorgerufen, und durch die Verknüpfung der einzelnen Wörter wird er veranlasst, die Einzelvorstellungen in Beziehung zu einander zu setzen. Es ist aber auch nicht wahr, dass der Bildung eines jeden Satzes die Zerlegung eines im Bewusstsein vorhandenen Ganzen vorangegangen sein müsse. Wundt scheint bei seiner Definition allgemeine Sätze im Auge gehabt zu haben, wie sie als Beispiele in der Logik gebraucht werden (er selbst führt an »das Gras ist grün«), aber im wirklichen Leben keine Rolle spielen. Bei den meisten sonstigen Sätzen verhält es sich anders. Nehmen wir zunächst Sätze, die eine sinnliche Wahrnehmung aussprechen. Wenn jemand sagt »Karl lacht«, so kann es sein, dass seine Augen erst auf den Betreffenden gefallen sind, als er sich schon im Zustande des Lachens befand, und dann träfe Wundts Auffassung zu. Es kann aber auch sein, dass seine Aufmerksamkeit schon vorher auf den Karl gerichtet war und er nun eine mit demselben vorgehende Veränderung gewahr geworden ist; dann ist Wundts Auffassung nicht anwendbar. Einleuchtender noch ist folgendes Beispiel: jemand weiss, dass sich in der Nähe ein Löwe befindet, den er aber im Augenblick nicht sieht, und an den er auch nicht denkt; da hört er ein Gebrüll; dieser zunächst für sich gegebene Gehörseindruck ruft die Vorstellung des Löwen wach; er kommt zu dem Satz der Löwe brüllt; hier ist doch nicht erst eine Gesamtvorstellung »der brüllende Löwe« in ihre Teile zerlegt. Und so werden eine Menge Sätze gebildet, bei denen die Vorstellungen, die den einzelnen Wörtern entsprechen, erst nach einander ins Bewusstsein getreten sind. Besonders deutlich ist das u. a. bei Antworten. Wenn A fragt wer hat gesiegt? und B antwortet Fritz hat gesiegt, so ist in B zunächst durch das Gehörte die Vorstellung des Gesiegthabens erzeugt, die dann ihrerseits die Vorstellung 123 Fritz hervorgerufen hat. Vollends versagt Wundts Definition bei negativen Behauptungssätzen, bei Aufforderungs- und Fragesätzen. Für kompliziertere Satzgebilde gibt Wundt nachträglich selbst die Ansicht auf, dass die einzelnen Teile schon in einer Gesamtvorstellung enthalten gewesen sein müssten.Vgl. den Abschnitt »Geschlossene und offene Wortverbindungen« S. 316ff.

Mit mehr Recht ist gegen meine Definition eingewendet, dass dieselbe auch auf zusammengesetzte Satzglieder wie der gute Mann passe. Man hat daher verlangt, es müsse noch die Bestimmung aufgenommen werden, dass der Satz etwas Selbständiges, in sich Abgeschlossenes sei. Geschieht dies aber, so ergibt sich daraus die Konsequenz, dass dasjenige, was nach allgemeinem Sprachgebrauch Nebensatz genannt wird, nicht als ein Satz anerkannt werden kann. In Wirklichkeit verhält sich auch der Nebensatz nicht anders als wie ein Satzglied oder unter Umständen nur wie ein Teil eines solchen. Aber die Möglichkeit ihn gerade auszugestalten wie einen selbständigen Satz hat die Veranlassung gegeben, ihm die Bezeichnung Satz beizulegen, wobei das Vorhandensein eines verb. fin. als ausschlaggebend betrachtet ist. Es kommt dazu, dass, wie wir noch sehen werden, die Grenze zwischen abhängigem und selbständigem Satze eine fliessende ist. Jedenfalls sieht man daran das Schwankende des Satzbegriffs.Noreen (vgl. Vårt Språk 51) sucht der Schwierigkeit aus dem Wege zu gehen, indem er für den abgeschlossenen Satz die Bezeichnung »mening« einführt, um dann die Bezeichnung »sats« noch für den Nebensatz verwenden zu können. Ähnlich will Wechsler (Gibt es Lautgesetze? S. 17) den Ausdruck Satz durch »Äusserung« ersetzen. Für die ursprüngliche Satzbildung, bei der es noch keine zusammengesetzten Glieder gab, könnte unsere obige Definition genügen, und, wie wir noch sehen werden, haben sich die zusammengesetzten Glieder zum Teil aus Sätzen entwickelt.

§ 86. Zum sprachlichen Ausdruck der Verbindung von Vorstellungen gibt es folgende Mittel: 1. die Nebeneinanderstellung der den Vorstellungen entsprechenden Wörter an sich; 2. die Reihenfolge dieser Wörter; 3. die Abstufung zwischen denselben in Bezug auf die Energie der Hervorbringung, die stärkere oder schwächere Betonung (vgl. Karl kommt nicht - Karl kommt nicht); 4. die Modulation der Tonhöhe (vgl. Karl kommt als Behauptungssatz und Karl kommt? als Fragesatz); 5. das Tempo, welches mit der Energie und der Tonhöhe in engem Zusammenhange zu stehen pflegt;Hierunter kann man auch die eventuellen Pausen zwischen den einzelnen Wörtern mit einbegreifen, durch welche die engere oder weniger enge Zusammenfassung markiert wird. 6. Verbindungswörter wie Präpositionen, Konjunktionen, Hilfszeitwörter; 7. die flexivische Abwandlung 124 der Wörter, und zwar a) indem durch die Flexionsformen an sich die Art der Verbindung genauer bestimmt wird (patri librum dat), b) indem durch die formelle Übereinstimmung (Kongruenz) die Zusammengehörigkeit angedeutet wird (anima candida). Es ist selbstverständlich, dass die beiden letztgenannten Mittel sich erst allmählich durch längere geschichtliche Entwickelung haben bilden können, während die fünf erstgenannten von Anfang an dem Sprechenden zur Verfügung stehen. Aber auch 2-5 bestimmen sich nicht immer bloss unmittelbar nach dem natürlichen Ablauf der Vorstellungen und Empfindungen, sondern sind einer traditionellen Ausbildung fähig.

Je nach der Menge und Bestimmtheit der angewendeten Mittel ist die Art und Weise, wie die Vorstellungen mit einander zu verbinden sind, genauer oder ungenauer bezeichnet. Es verhält sich in Bezug auf die Verbindungsweise gerade so wie in Bezug auf die einzelne Vorstellung. Der sprachliche Ausdruck dafür braucht durchaus nicht dem psychischen Verhältnisse, wie es in der Seele des Sprechenden besteht und in der Seele des Hörenden erzeugt werden soll, adäquat zu sein. Er kann viel unbestimmter sein.

§ 87. Jeder Satz besteht demnach aus mindestens zwei Elementen. Diese Elemente verhalten sich zu einander nicht gleich, sondern sind ihrer Funktion nach differenziert. Man bezeichnet sie als Subjekt und Prädikat. Diese grammatischen Kategorien beruhen auf einem psychologischen Verhältnis. Zwar müssen wir unterscheiden zwischen psychologischem und grammatischem Subjekt, respektive Prädikat,Widerspruch gegen eine derartige Bestimmung hat Marty erhoben in einer im Archiv f. systematische Philos. III, S. 174ff. veröffentlichten Abhandlung, die den Titel führt »Über die Scheidung von grammatischem, logischem und psychologischem Subjekt, resp. Prädikat«. Seine Polemik hat mich nicht veranlassen können, meine Auseinandersetzungen zu ändern. Seine Bestimmung der Begriffe, die auf die antike Logik zurückgreift, und die Entwickelung, welche dieselben in der Grammatik erfahren haben, unberücksichtigt lässt, ist für den Sprachforscher gänzlich unbrauchbar. Dieser hat doch gewiss nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich seine Terminologie so zu gestalten, wie es der Natur seines Gegenstandes angemessen ist, und die Brauchbarkeit derselben in der Anwendung ist der beste Prüfstein ihrer Berechtigung. Dasselbe muss ich der ablehnenden Haltung Wundts gegenüber erklären. Der von ihm angewendete Ausdruck dominierende Vorstellung bietet keinen Ersatz. Soll man so das Subj. oder das Präd. bezeichnen? da beides nicht immer zusammenfällt, wie wir noch im Einzelnen sehen werden. Aber darum ist doch das grammatische Verhältnis nur auf Grundlage des psychologischen auferbaut.

Das psychologische Subjekt ist die zuerst in dem Bewusstsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschliesst. Das Subjekt ist, 125 mit Steinthal zu reden, das Apperzipierende, das Prädikat das Apperzipierte. Richtig bezeichnet v. d. Gabelentz (Zschr. f. Völkerpsychologie 6, 378) die beiden Elemente vom Standpunkte des Hörenden aus. Das psychologische Subjekt ist nach ihm das, worüber der Sprechende den Hörenden denken lassen, worauf er seine Aufmerksamkeit hinleiten will, das psychologische Prädikat dasjenige, was er darüber denken soll. Doch kann diese Art der Bestimmung des Prädikats leicht zu einer so beschränkten Auffassung verführen, wie sie in unseren Grammatiken gang und gäbe ist. Wir müssen daran festhalten, dass es nur darauf ankommt, dass eine Vorstellung im Bewusstsein an die andere angeknüpft wird.

Wir sind jetzt gewohnt dem Verhältnis des Subjekts zum Prädikat einen engern Sinn unterzulegen. Ist das Prädikat ein Nomen, so verlangen wir für die normale Satzbildung, dass dasselbe entweder mit dem Subjekt identifiziert werde, oder dass es den weiteren Begriff bezeichne, welchem der engere des Subjekts untergeordnet wird, oder dass es eine Eigenschaft angebe, welche dem Begriffe des Subjekts inhäriert. Aber in Sprichwörtern werden auch Beziehungen ganz anderer Art durch die grammatische Form der Nebeneinanderstellung von Subjekt und Prädikat ausgedrückt, vgl. ein Mann ein Wort, gleiche Brüder gleiche Kappen, viel Feind' viel Ehr', viele Köpfe viele Sinne, viel Geschrei wenig Wolle, alter Fuchs alte List, klein Geld kleine Arbeit, neuer Arzt neuer Kirchhof, heisse Bitte kalter Dank, kurz Gebet tiefe Andacht, roter Bart untreue Art, Gevatter übern Zaun Gevatter wieder herüber, Glück im Spiel Unglück in der Liebe, mit gefangen mit gehangen, früh gesattelt spät geritten, allein getan allein gebüsst; entsprechend in anderen indogermanischen Sprachen, vgl. franz. bon capitaine bon soldat, bonne terre mauvais chemin, longue langue courte main, brune matinée belle journée, froides mains chaudes amours, fèves fleuries temps de folies, soleil à la vue bataille perdue, point d'argent point de Suisse; engl. like master like man, one man one vote, small pains small gains, first come first served.Im Arabischen ist das Verhältnis zweier Substantiva, von denen das eine Subj., das andere Präd. ist, ein wesentlich freieres als normaler Weise in den indogermanischen Sprachen, vgl. Reckendorf, Idg. F. S. 169, Synt. Verh. § 7. Beispiele: der Marsch zwischen uns (dauert) drei Nächte; zwei Gruben, deren eine Blut (mit Blut gefüllt ist). Zwar pflegt man solche Sätze als verkürzte hypothetische Perioden aufzufassen und demgemäss ein Komma zwischen die beiden Bestandteile zu setzen, aber dass man sie durch eine hypothetische Periode umschreiben kann (wo viel Geschrei ist, da ist wenig Wolle etc.), geht uns hier gar nichts an, ihre grammatische Form ist keine andere als die von Sätzen wie Ehestand Wehestand, die Gelehrten 126 die Verkehrten, Bittkauf teurer Kauf etc. Bei den ersten Sätzen, welche Kinder bilden, dient die blosse Aneinanderreihung von Wörtern zum Ausdruck aller möglichen Beziehungen. Aus der Erfahrung gesammelte Beispiele werden von Steinthal, Einl. S. 534-6 beigebracht, vgl. Papa Hut (= der Papa hat einen Hut auf), Mama baba (= ich will bei der Mama schlafen).Vgl. auch die von Wundt II, 312. 3 angeführten Sätze. Wo man sich einer fremden Sprache zu bedienen genötigt ist, deren man nicht mächtig ist, greift man in der Not zu demselben primitiven Auskunftsmittel und wird von der Situation unterstützt verstanden. Man bedeutet z. B. jemandem durch die Worte Wein Tisch, dass er den Wein auf den Tisch stellen soll u. dergl. Die Bedingungen, welche dazu veranlassen dergleichen Sätze zu erzeugen und es dem Hörenden ermöglichen die nicht ausgedrückte Beziehung der Begriffe zu erraten, sind natürlich nicht bloss in den Anfängen der Sprechtätigkeit der Einzelnen oder der Menschheit vorhanden, sondern zu allen Zeiten. Wenn sie auf den höher entwickelten Stufen nur in beschränktem Masse zur Anwendung kommen, so liegt dies bloss daran, dass vollkommenere Ausdrucksmittel zu Gebote stehen.

§ 88. Zur Unterscheidung von Subjekt und Prädikat gab es ursprünglich nur ein Mittel, die Tonstärke. Im isolierten Satze ist das psychologische Prädikat als das bedeutsamere, das neu hinzutretende stets das stärker betonte Element. Dies dürfen wir wohl als ein durch alle Völker und Zeiten durchgehendes Gesetz betrachten. Ein zweites Unterscheidungsmittel könnte die Wortstellung abgegeben haben. V. d. Gabelentz in dem oben erwähnten Aufsatze meint (S. 376), dass die Anordnung Subjekt-Prädikat (beides als psychologische Kategorien betrachtet) ausnahmslos gelte.Umgekehrt betrachtet Wegener, S. 31ff. die Voranstellung des Prädikats als das eigentlich Normale, eine Anschauung, der ich auch nicht beitreten kann. Diese Ansicht scheint mir nicht ganz richtig; wir müssen bei Beurteilung dieser Frage die Sprachen und die Fälle ganz bei Seite lassen, in denen für die Stellung des grammatischen Subjekts und Prädikats durch die Tradition eine feste Regel herausgebildet ist. Wir dürfen nur solche Fälle heranziehen, in denen beide den Platz vertauschen können, in denen also die Stellung nicht durch grammatische, sondern lediglich durch psychologische Normen bedingt ist. Die Ansicht, welche v. d. Gabelentz hegt, dass ein vorangestelltes grammatisches Präd. immer psychologisches Subj. sei, trifft allerdings in vielen Fällen zu, z. B. in dem Goetheschen Weg ist alles, was du liebtest, Weg, warum du dich betrübtest, Weg dein Glück und deine Ruh'; sagen wir aber z. B. ein Windstoss ergriff das Blatt und weg 127 war es, so kann weg unmöglich als psychologisches Subj. gefasst werden. Ebenso besteht Übereinstimmung zwischen psychologischem und grammatischem Subjekt, wenn auf die Bemerkung Müller scheint ein verständiger Mann zu sein ein anderer entgegnet ein Esel ist er; und so in vielen Fällen. Der Subjektsbegriff ist zwar immer früher im Bewusstsein des Sprechenden,Ich meine hier Subj. in dem oben bestimmten psychologischen Sinne. Das grammatische Subj. tritt nicht selten später ins Bewusstsein als das grammatische Präd., indem z. B. ein Vorgang wahrgenommen wird, bevor man über den Gegenstand, an dem er sich vollzieht, ins Klare kommt, vgl. Sigwart, Die Impersonalien, S. 18. aber indem er anfängt zu sprechen, kann sich der bedeutsamere Prädikatsbegriff schon so in den Vordergrund drängen, dass er zuerst ausgesprochen und das Subjekt erst nachträglich angefügt wird. Dies kommt häufig vor, wenn der Subjektsbegriff schon vorher im Gespräche da gewesen ist, vgl. die angeführten Beispiele. Dann hat auch der Angeredete in der Regel, während er das Prädikat hört, schon das dazu gehörige Subj. im Sinne, welches daher auch manchmal eben so gut wegbleiben kann, vgl. »was ist Maier?« »Kaufmann (ist er)«. Aber auch wenn der Angeredete auf das Subj. nicht vorbereitet ist, kann lebhafter Affekt die Veranlassung werden, dass sich das Präd. an die Spitze drängt. Der Sprechende verabsäumt dann zunächst über dem Interesse an der Hauptvorstellung die für den Angeredeten notwendige Orientierung, und es fällt ihm erst hinterher ein, dass eine solche erforderlich ist. Es ist ein analoger psychologischer Vorgang, wenn das Subj. zuerst durch ein Pron., dessen Beziehung für den Angeredeten nicht selbstverständlich ist, und erst hinterher bestimmter ausgedrückt wird, vgl. ist sie blind, meine Liebe? (Lessing); sie hindert nicht allein nicht, diese Binde (id.); was für ein Bild hinterlässt er, dieser Schwall von Worten? (id.); mhd. wie jâmerlîch ez stât, daz hêre lant (Walth. v. d. Vogelw.), si ist iemer ungeschriben, diu fröude die sie hâten (Hartm. v. Aue); franz. elle approche, cette mort inexorable.Vgl. andere Beispiele bei Wegener, S. 41. Aus den gegebenen Ausführungen erhellt, dass die Sätze mit vorangestelltem psychologischen Prädikat eine Verwandtschaft haben mit den bald weiter unten zu besprechenden Sätzen, in denen überhaupt nur das Präd. ausgedrückt wird. Sie sind eine Anomalie gegenüber der bei ruhiger Erzählung oder Erörterung vorwaltenden Voranstellung des Subjekts, aber doch eine nicht wegzuleugnende und nicht gar seltene Anomalie. Die Wortstellung kann daher nicht als ein mit den Anfängen der Satzbildung gegebenes Unterscheidungsmittel von Subj. und Präd. betrachtet werden.Nach Wundt soll die Betonung schlechterdings massgebend für die Wortstellung sein. Er stellt (S. 359) den Satz auf: wo die Wortstellung frei, nicht durch eine überlieferte feste Norm oder durch andere Bedingungen gebunden ist, da folgen sich die Wörter nach dem Grade der Betonung der Begriffe. Dies würde zu der s. 113, Anm. 2 besprochenen Ansicht stimmen, dass die natürliche Ordnung Voranstellung des psychologischen Prädikates sei. Wundts Satz ist offenbar unrichtig. Man mag jedes beliebige Buch aufschlagen, jedes beliebige Gespräch anhören, und man wird zahlreiche Sätze finden, in denen das bedeutsamste und stärkstbetonte Wort nicht am Anfang steht, wiewohl es die Wortstellungsgesetze an sich gestatteten. Veranlassung zur Voranstellung eines Satzgliedes ist vielmehr in vielen, wir dürfen wohl sagen in den meisten Fällen der Umstand, dass es psychologisches Subj. ist, und dieses hat keinen starken Ton, ausser wenn ein Parallelsatz daneben steht, zu dessen Subj. es im Gegensatz steht. Beispiele dafür, wie dasjenige Glied vorangestellt wird, das an den Inhalt des vorhergehenden Satzes anknüpft, also eben das psychologische Subjekt, gebe ich § 198. Zu meiner Auffassung stimmt auch, was Reckendorf S. 170 über Stellung von Subj. und Präd. im Arabischen bemerkt. 128

§ 89. Wie die einzelnen Wörter konkrete und abstrakte Bedeutung haben können, so auch die Sätze. Konkret ist ein Satz, sobald eines von den beiden Hauptgliedern, das psychologische Subjekt oder das psychologische Prädikat konkret ist. Normaler Weise ist es das Subjekt, welches dem Satze konkrete Natur gibt. Konkrete und abstrakte Sätze brauchen der Ausdrucksform nach nicht verschieden zu sein. Wir können in Bezug auf die menschliche Natur überhaupt sagen der Mensch ist sterblich, wie wir in Bezug auf einen Einzelnen sagen der Mensch ist unausstehlich, und nur aus dem Zusammenhange und der Situation lässt sich die verschiedene Natur der Sätze erkennen. In dem ersteren Satze könnte man auch pluralische Ausdrucksweise einsetzen: die Menschen oder alle Menschen sind sterblich. Er bleibt dann aber nicht eigentlich abstrakt; denn alle Menschen fasst man wohl richtiger als einen konkreten Ausdruck = alle Menschen, die existieren. Ist das Subjekt konkret, so kann der Satz nicht abstrakt sein. Es bleibt allerdings immer noch die verschiedene Möglichkeit, dass das Prädikat als etwas dem Subjekt schlechthin Zukommendes, als etwas Bleibendes oder sich Wiederholendes gedacht werden kann oder als etwas demselben nur zu bestimmter Zeit Anhaftendes. Im ersteren Falle besteht gewissermassen eine Mittelstufe zwischen einem abstrakten und einem konkreten Satze, und es sei daher erlaubt für diese Art von Sätzen in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den Ausdruck abstrakt-konkret zu gebrauchen. Auch dieser Verschiedenheit braucht keine Verschiedenheit der Ausdrucksform zu entsprechen. Er spricht schnell kann bedeuten »er spricht in diesem Augenblicke schnell« und »er pflegt schnell zu sprechen«; er ist saumselig kann ein Benehmen in einem einzelnen Falle oder eine bleibende Charaktereigenschaft bezeichnen. 129

§ 90. Unserer Behauptung, dass zum Satze mindestens zwei Glieder gehören, scheint es zu widersprechen, dass wir Sätze finden, die nur aus einem Worte oder einer eine Einheit bildenden Gruppe bestehen. Der Widerspruch löst sich so, dass in diesem Falle das eine Glied, in der Regel das psychologische Subjekt, als selbstverständlich keinen sprachlichen Ausdruck gefunden hat. Es kann aus dem vorher Besprochenen ergänzt werden. Insbesondere ist zu beachten, dass es in der Wechselrede sehr häufig den Worten des Anderen zu entnehmen ist. Die Antwort pflegt nur aus einem Prädikate zu bestehen, das Subjekt ist entweder in der Frage enthalten, oder die ganze Frage ist das psychologische Subjekt : 1. »wer hat dich geschlagen ?« »Max.« 2. »bist du das gewesen ?« »ja« (nein, gewiss, freilich, doch). Ebenso dienen als Prädikat zu einem von dem Andern ausgesprochenen Satze Bemerkungen wie zugestanden, einerlei, ganz gleich, wohl möglich, nicht möglich, (wie) seltsam, getroffen, genug, kein Wunder, Geschwätz, Possen, Lügen, Unsinn. In andern Fällen ist die Anschauung, die vor dem Sprechenden und Hörenden steht, die Situation das psychologische Subjekt, auf welches die Aufmerksamkeit noch durch Gebärden hingelenkt werden kann. Diese Anschauung kann die redende oder die angeredete Person sein, vgl. Ihr Diener, gehorsamer Diener, zu Befehl - willkommen, so traurig? warum so traurig? Ferner gehören hierher namentlich viele Ausrufungen des Erstaunens und Entsetzens und Hilfsschreie wie Feuer, Diebe, Mörder, sowie viele Aufforderungen, auch Fragen wie gerade oder ungerade? rechts oder links? Wenn der Prinz in Lessings Emilia beginnt: Klagen, nichts als Klagen, Bittschriften, nichts als Bittschriften!, so sind das nur Prädikate, das Subjekt wird durch die Briefe gebildet, die er in die Hand nimmt. Bei solchen dem sprachlichen Ausdruck nach eingliedrigen Sätzen ist es möglich, dass dasjenige, was für den Sprechenden psychologisches Prädikat ist, für den Hörenden vielmehr Subjekt wird. Für denjenigen, der beim Anblick eines Brandes ausruft Feuer, ist die Situation Subjekt und der allgemeine Begriff Feuer Prädikat; dagegen für denjenigen, der Feuer rufen hört, ehe er selbst einen Brand gewahr wird, ist der Begriff Feuer Subjekt und die Situation Prädikat. Es kann auch Sätze geben, in denen für beide Teile das Ausgesprochene Subjekt, die Situation Prädikat ist. Es sieht z. B. jemand, dass ein Kind in Gefahr kommt, so ruft er wohl der Person, welcher die Bewachung desselben anvertraut ist, nur zu das Kind. Hiermit ist nur der Gegenstand angezeigt, auf den die Aufmerksamkeit hingelenkt werden soll, also das psychologische Subj., das Präd. ergibt sich für die angeredete Person aus dem, was sie sieht, wenn sie dieser Lenkung der Aufmerksamkeit Folge leistet. Oder, wenn von zwei Reisegefährten der eine bemerkt, dass der andere seinen 130 Schirm hat stehen lassen, so genügt der blosse Ausruf dein Schirm, um diesen das Prädikat dazu ergänzen zu lassen.Wundt (II, 238ff.) sträubt sich dagegen, den hier besprochenen Ausdrucksformen Satznatur zuzuerkennen. Er bezeichnet sie als Satzäquivalente. Sein Grund ist, dass man zur Bestimmung des Begriffes Satz nichts hinzunehmen dürfe, was ausserhalb des Gebietes der Sprache läge, also nicht wirklich durch Worte ausgedrückt sei. Dagegen möchte ich bemerken, dass es eben im Wesen der sprachlichen Mitteilung begründet ist, dass nicht etwa nur ausnahmsweise, sondern meistens etwas hinzugedacht werden muss, was mit den Worten an sich nicht gegeben ist, wie ich dies § 51-60 auseinandergesetzt habe (vgl. auch § 21). Dies ist auch auf die Satzbildung anzuwenden. Auch zu Satzäquivalenten, wenn wir diesen Terminus annehmen, können die betreffenden Ausdrucksformen doch nur werden, indem etwas Aussersprachliches hinzugedacht wird. Solange wir bei Feuer nichts denken als die Bedeutung des Wortes an sich, ist es ebensowenig ein Satzäquivalent wie ein Satz. Wundt unterscheidet übrigens dabei nicht die Fälle, in denen Ergänzung aus der Situation notwendig ist, von denen, in welcher Rückbeziehung auf sprachliche Äusserungen stattfindet, in denen man also innerhalb des Gebietes der Sprache bleibt. Merkwürdigerweise betrachtet dann Wundt einen Ausruf wie welch ein Mann nicht als Satzäquivalent, sondern als wirklichen Satz (vgl. S. 256ff.), und zwar als einen attributiven Satz. Attributiv ist allerdings dabei welch, aber attributiv in dem ganz gewöhnlichen Sinne, genau so wie in dem vollständigen Satze welch ein Mann ist das. Das einfachere welch ein Mann ist, wenn es auch aus mehreren Worten besteht, doch nur ein Satzglied, und zwar ein Prädikat, zu dem das Subj. aus der Situation zu entnehmen ist. Wundt hätte sich also nicht auf derartige Ausrufe stützen sollen, um seine Unterscheidung zwischen attributiven und prädikativen Sätzen zu begründen. Diese Terminologie kann nur verwirrend wirken. Ausserdem sind bei dieser Einteilung nur die normalen Satzformen der indogermanischen Sprachen berücksichtigt, nicht die sonst möglichen (vgl. § 87). Der Vokativ, für sich ausgesprochen, um jemand herbeizurufen, ihn zu warnen, zu bitten, ihm zu drohen, ihm bemerklich zu machen, dass er unter mehreren jetzt an der Reihe ist etwas zu tun, ist ein solcher sprachlich, aber nicht psychologisch prädikatloser Satz. Dagegen neben einem Verbum in der zweiten Person ohne Subjektspron. kann der Vok. als Subj. zu diesem gefasst werden. Man interpungiert gewöhnlich Karl, komm und komm, Karl, dagegen du komm und komm du, ohne dass ein Unterschied des Verhältnisses besteht.

§ 91. Hier ist auch festzustellen, wie es sich mit den sogenannten verba impersonalia verhält. Es ist eine vielfach erörterte Streitfrage, ob dieselben als subjektlos zu betrachten sind oder nicht. Eine kritische Erörterung der darüber geäusserten Ansichten findet sich in der Schrift von Miklosich »Subjektlose Sätze« (Zweite Auflage. Wien 1883). Im wesentlichen auf das von Miklosich beigebrachte Material stützt sich ein Aufsatz von Marty in der Vierteljahrsschr. f. wissenschaftliche Philos. VIII, 56ff.Vgl. ferner über die Frage Schuppe, Subjektlose Sätze (Zschr. f. Völkerps. 16, 249); Sigwart, Die Impersonalien, Freiburg i. B. 1888; Puls, Über das Wesen der subjektlosen Sätze, Progr. Gymn. Flensburg 1888/89; Schröder, Die subjektlosen Sätze, Progr. Gebweiler 1889; Goebel, Transactions of the American Philological Association 19, 20; Siebs, Die sogenannten subjektlosen Sätze (Zschr. f. vergl. Sprachforschung 43, 253); Erdmann, Logik², 1, 435. Um die Frage richtig zu beantworten, 131 muss man streng scheiden zwischen der grammatischen Form und dem dadurch bezeichneten logischen Verhältnis. Sehen wir nur auf die erstere, so kann es natürlich nicht zweifelhaft sein, dass Sätze wie es rauscht, franz. il gèle, niederserbisch vono se blyska (es blitzt) ein Subjekt haben. Aber alle Bemühungen dies es, il, vono auch als psychologisches Subjekt zu fassen und ihm eine bestimmte Ausdeutung zu geben haben sich als vergeblich erwiesen.Ich spreche hier von dem uns vorliegenden Sprachzustande. Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, dass den Ausgangspunkt für die Entstehung der Impersonalia Sätze gebildet haben, in denen das es eine wirkliche Beziehung hatte. Vgl. darüber die feinen Ausführungen Sigwarts. Auch von Sätzen wie lat. pluit, griech. húei, sanskr. varsati (es regnet), lit. sninga (es schneit) kann man annehmen, dass ihnen das formelle Subj. nicht fehlt; denn es kann in der Verbalendung enthalten sein, unter der sich ja auch ein persönliches er oder sie verstehen lässt. Man könnte sich für die entgegengesetzte Ansicht allerdings darauf stützen, dass in den betreffenden Sprachen die dritte Person auch neben einem ausgesprochenen Subjekte stehen kann. Aber es lässt sich durch kein Mittel beweisen, dass das Impersonale erst aus dieser Verwendungsweise abgeleitet sei. Es ist am natürlichsten auch hier ein formelles Subj. anzuerkennen. Es verhält sich mit der Personalendung nicht anders als mit dem selbständigen Pron. Indem der Satz auf die normale Form gebracht ist, hat er ein formelles Subj. erhalten, welches mit dem psychologischen nichts zu schaffen hat.Wirklich fehlen kann dagegen das grammatische Subj. im Deutschen vielfach, wenn von dem unpersönlichen Verb. ein Kasus abhängig ist, der dann das psychologische Subj. bildet, vgl. mich hungert, mir graut. Wir müssen eine ältere Stufe voraussetzen, auf welcher der einfache Verbalstamm gesetzt wurde, eine Stufe, die im Magyarischen wirklich noch vorliegt, wo die 3. Sg. kein Suffix hat (vgl. Miklosich, S. 15). Und von dieser Stufe können wir uns eine lebendige Vorstellung bilden nach Analogie der eben besprochenen aus einem nicht verbalen Worte bestehenden Sätze. Diese sind wirklich, was den sprachlichen Ausdruck betrifft, subjektslos.

Das psychologische Subj. ist also in dem Satze es brennt ebenso wenig ausgedrückt als in dem Satze Feuer. Aber man darf sich dadurch nicht zu der Ansicht verleiten lassen, dass überhaupt keins vorhanden ist. Auch hier findet eine Verknüpfung zweier Vorstellungen statt. Auf der einen Seite steht die Wahrnehmung einer konkreten Erscheinung, auf der andern die schon in der Seele ruhende Vorstellung 132 von Brennen oder Feuer, unter welche sich die betreffende Wahrnehmung unterordnen lässt. Nur als unvollständiger Ausdruck für die Verbindung dieser beiden Elemente kann das Wort Feuer ein Satz sein. Man könnte sich denken, dass beim Verb. in entsprechender Verwendung statt des Impersonale der Inf. üblich geworden wäre. Und wirklich wird dieser gebraucht, wo es sich um eine Aufforderung handelt. Als Kommandowort steht z. B. aufsitzen auf gleicher Linie mit marsch, und es kann psychologisch als Imperativ zu dem unpersönlichen es wird aufgesessen betrachtet werden.

Miklosich und Marty verkennen die Existenz eines psychologischen Subjekts für die unpersönlichen Sätze. Sie halten dieselben wirklich für eingliedrig mit Berufung auf Brentanos Psychologie und sehen in ihnen einen Beweis für die Theorie, dass das logische Urteil nicht notwendig zweigliedrig zu sein braucht. Mitbestimmend für diese Ansicht scheint bei Marty die Beobachtung gewesen zu sein, dass zum Aussprechen einer Wahrnehmung in einem konkreten, auch sprachlich zweigliedrigen Satze noch etwas anderes erforderlich ist als die Zusammenfügung der beiden Glieder. Sagen wir z. B. diese Birne ist hart, so müssen wir erst den Gegenstand, von dem wir etwas aussagen wollen, unter die allgemeine Kategorie Birne, die Eigenschaft, die wir an ihm bemerkt haben, unter die allgemeine Kategorie hart gebracht haben. Wir müssen also um unser Urteil auszusprechen noch zwei Hilfsurteile gebildet haben. Vergleichen wir damit den Vorgang beim Aussprechen eines unpersönlichen oder dem sprachlichen Ausdrucke nach eingliedrigen Satzes wie es brennt oder Feuer, so entspricht hier das Urteil nur dem, was in dem Satze diese Birne ist hart Nebenurteil war. Man könnte also von diesem Gesichtspunkte aus meinen, dass der unpersönliche Satz wirklich nicht mehr enthält als das Prädikat eines normalen Satzes, und da der letztere als zweigliedrig bezeichnet wird, scheint es dann nur konsequent, den ersteren als eingliedrig zu bezeichnen. Dabei übersieht man aber, dass dasjenige, was in dem einen Falle nur Hilfsurteil war, in dem andern Selbstzweck geworden ist. Man könnte mit dem gleichen Rechte den Unterschied vernachlässigen, der zwischen dem Satzgliede der sterbliche Mensch und dem Satze der Mensch ist sterblich besteht. Unter allen Umständen aber ist ein Satz wie Feuer, es brennt zweigliedrig; denn auch die entsprechenden Hilfsurteile sind zweigliedrig. Von eingliedrigen Urteilen kann ich mir überhaupt gar keine Vorstellung machen, und die Logiker sollten die Sprache nicht zum Beweise für die Existenz derselben heranziehen; sonst zeigen sie, dass auch ihr Denken noch sehr von dem sprachlichen Ausdruck abhängig ist, von dem sich zu emanzipieren doch ihre Aufgabe sein sollte. 133

Nach unseren bisherigen Erörterungen ist es klar, dass dem sprachlichen Ausdruck nach eingliedrige Sätze immer konkret, nie abstrakt sind. Denn ihre Aufgabe besteht darin, eine konkrete Anschauung mit einem allgemeinen Begriffe zu vermitteln. Dasselbe gilt von den unpersönlichen Sätzen, in denen das Verb. nicht noch eine Bestimmung neben sich hat. Mit einer solchen dagegen können sie auch abstraktkonkret sein, vgl. es regnet hier viel.

§ 92. Wenn wir den Satz als Ausdruck für die Verbindung zweier Vorstellungen definiert haben, so scheinen dem die negativen Sätze zu widersprechen, die vielmehr eine Trennung bezeichnen. Indessen kommt eine solche Trennung nicht zum Ausdruck, wenn nicht die betreffenden Vorstellungen im Bewusstsein des Sprechenden aneinander geraten sind. Wir können den negativen Behauptungssatz als Ausdruck dafür bezeichnen, dass der Versuch eine Beziehung zwischen zwei Vorstellungen herzustellen missglückt ist. Der negative Satz ist jedenfalls jünger als der positive. So viel mir bekannt ist, findet die Negation überall einen besonderen sprachlichen Ausdruck. Es liesse sich aber sehr wohl denken, dass auf einer primitiven Stufe der Sprachentwickelung negative Sätze gebildet wären, in denen der negative Sinn an nichts anderem zu erkennen gewesen wäre als an dem Tonfall und den begleitenden Gebärden.

§ 93. Was in Bezug auf den Unterschied zwischen positiven und negativen Sätzen nur als möglich hingestellt werden kann, das gilt jedenfalls von dem Unterschiede zwischen Aussage- und Aufforderungssätzen.Wundt teilt die Sätze ein in Aussage-, Ausrufungs- und Fragesätze. Die Ausrufungssätze scheidet er in Wunschsätze und Gefühlssätze und versteht unter letzteren das, was man gewöhnlich allein als Ausrufungssätze bezeichnet. Wie er selbst sagt, will er unter Gefühlssätzen solche verstehen, die irgend einer Gemütsstimmung Ausdruck geben, ohne dass sich damit eine Willensregung verbindet (II, 256). Er betrachtet dieselben als die ursprünglichste Satzart. Die Beispiele aber, die er anführt, sind ihrer Form nach nichts weniger als primitiv; denn sie haben die Form von Fragesätzen, und zwar von solchen mit Fragepron. oder -adv. Den primitiven Sätzen näher stehen jedenfalls solche wie der ist gross oder der schreit, wenn sie mit dem Ausdruck des Staunens gesprochen werden. Diese müsste man aber doch wohl unter die Aussagesätze unterordnen. Der Anteil des Gefühles kann keinen Einteilungsgrund für die Satzarten abgeben. Er kann bei jeder Satzart stark oder schwächer oder gar nicht vorhanden sein. Bei den primitivsten Sätzen war er gewiss immer stark. Wenn man sie deshalb als Ausrufungssätze bezeichnen will, so mag man das immerhin tun. Aber damit ist nichts über das logische Verhältnis der Teile des Satzes zu einander ausgesagt, wonach wir jetzt mit Recht die Satzarten scheiden. Diese Ausrufungssätze müssen gerade so wie die ohne Affekt gesprochenen in Aussage- und Aufforderungssätze eingeteilt werden. Denn dass die letzteren immer Ausdruck eines Affektes sein müssten, ist gleichfalls eine irrige Annahme. Ich wähle die Bezeichnung Aufforderungssätze als die 134 indifferenteste. In der Aufforderung ist natürlich Bitte, Gebot und Verbot, Rat und Warnung, Aufmunterung, auch Konzession und Ablehnung oder Verbitten enthalten. Es bedarf keiner Beispiele dafür, dass für alles dies der gleiche sprachliche Ausdruck angewendet werden kann, und dass die verschiedenen Nuancen dann nur an dem verschiedenen Gefühlstone erkannt werden. Wir müssen daran aber auch noch die Wunschsätze anknüpfen. Man kann einen Wunsch aussprechen in der Erwartung, dass das Aussprechen einen Einfluss auf seine Realisierung hat, dann ist er eben eine Aufforderung; man kann ihn aber auch ohne eine solche Erwartung aussprechen. Das ist ein Unterschied, der von dem naiven Bewusstsein des Kindes und des Naturmenschen noch nicht oder wenigstens nicht immer beachtet wird. Der Dichtersprache und selbst der naturwüchsigen Umgangssprache ist es noch heute geläufig blosse Wünsche zu Aufforderungen zu steigern und durch den Imperativ auszudrücken. Noch mehr berühren sich Wunsch und Aufforderung in konjunktivischen oder optativischen Ausdrucksformen.

Wir sind jetzt gewohnt den Aussagesatz als den eigentlich normalen Satz zu fassen. Der Aufforderungssatz ist aber ebenso ursprünglich, wo nicht gar älter. Die frühesten Sätze, die von Kindern gesprochen werden (die allerfrühesten bestehen natürlich aus einem einzigen Worte), haben eine Beziehung zu ihren Begierden, sind entweder Forderungen oder Aussagen, die gemacht werden, um ein Bedürfnis anzudeuten, das Befriedigung verlangt. Es darf angenommen werden, dass es sich auf der frühesten Stufe der Sprachentwickelung eben so verhalten hat. Es bedurfte daher ursprünglich auch zur Charakterisierung des Aufforderungssatzes keines besonderen sprachlichen Mittels, die einfache Nebeneinanderstellung von Subjekt und Prädikat genügte hier eben so gut wie für den Aussagesatz, nur der Empfindungston liess den Unterschied erkennen. Noch heute bedienen wir uns ja solcher Aufforderungssätze in Masse, in denen die Aufforderung nicht als solche charakterisiert ist. Es sind dies die Sätze ohne Verb. , vgl. Augen rechts, Gewehr auf, Hut ab, hierher, alle Mann an Bord, Scherz bei Seite, aller Anfang mit Gott, Auge um Auge, die Alten zum Rat, die Jungen zur Tat, Preis dir, Friede seiner Asche, dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut, jedem das Seine, fort mit ihm, her damit etc.; ferner dem sprachlichen Ausdrucke nach eingliedrige Sätze, bei denen als Subj. die 2. Pers. im Sg. oder Pl. hinzuzudenken ist, wie still, hurtig, laut, sachte, Wein, Freiheit und Gleichheit, Schritt, Marsch, Platz, Vorsicht, her, weg, hinaus, vorwärts, auf, zu, an die Arbeit, zum Henker etc. In dieser primitiven Form erscheinen gerade Aufforderungssätze, während sie für Aussagesätze in der Regel nicht anwendbar ist. Aus diesem negativen Umstande entspringt nun allerdings die Folge, 135 dass diese Sätze für uns sofort als Aufforderungen zu erkennen sind. Doch gibt es immer noch Fälle, die zweideutig sind, vgl. Feuer als Alarmruf und Feuer als Kommando.

Auch statt einer bestimmten charakteristischen Form der Verbums kann eine an sich unbestimmte zur Aufforderung verwendet werden. So das Part. perf., vgl. Rosen auf den Weg gestreut, alles Harms vergessen (Hölty); in die Welt, in die Freiheit gezogen (Schi.). Häufiger der Inf., vgl. absitzen, Schritt fahren u. dergl.; im It. ist der Inf. üblich nach Negationen: non ti cruciare; desgleichen im Rum., Prov. und Afranz. (vgl. Diez III, 212). Jolly (Geschichte des Inf. S. 158. 209) will diese Infinitive aus der ursprünglichen dativischen Funktion des Infinitivs erklären. Eine solche Erklärung muss allerdings für den imperativischen Inf. im Griech. als zulässig anerkannt werden. Aber der Gebrauch im Deutschen und Romanischen ist jungen Ursprungs und darf nicht an indogermanische Verhältnisse angeknüpft werden, für die das Bewusstsein dem Sprachgefühle längst abhanden gekommen war. Für die Epoche, in welcher dieser Gebrauch sich gebildet hat, ist der Inf. nichts anderes als die Bezeichnung des Verbalbegriffes an sich, und diese Infinitivsätze sind daher mit Sätzen wie Marsch auf eine Linie zu stellen. Bemerkenswert ist, dass auch die 2. Sg. des indogermanischen Imperativs den reinen Tempusstamm zeigt (griech. lége).

§ 94. Den Behauptungs- und Aufforderungssätzen stellt man als eine dritte Klasse die FragesätzeVgl. zum Folgenden Imme, Die Fragesätze nach psychologischen Gesichtspunkten eingeteilt und erläutert, Programme des Gymn. zu Kleve 1879/81. zur Seite. Es lässt sich aber für eine solche Dreiteilung der Sätze kein einheitliches Prinzip finden, und diese drei Klassen können nicht einander koordiniert werden. Vielmehr müssen wir eine zwiefache Art von Zweiteilung annehmen. Nicht bloss die Behauptungs-, sondern auch die Aufforderungssätze haben ihr Pendant in Fragesätzen, vgl. lat. quid faciam gegen quid facio. Man gebraucht dafür den Ausdruck deliberative Fragen. Wir könnten sie geradezu als Frageaufforderungssätze bezeichnen.

Von den beiden Hauptarten der Frage ist diejenige, in welcher nur ein Satzglied in Frage gestellt wird, jedenfalls jüngeren Ursprungs als diejenige, in welcher der ganze Satz in Frage gestellt wird.Es ist bisher noch nicht gelungen eine ganz passende Terminologie für diese beiden Arten zu finden. Delbrück, SF I, 75 nennt die erste Verdeutlichungsfragen, die zweite Bestätigungsfragen. Imme a. a. O. I, 15 eignet sich den zweiten Terminus an, während er den ersten durch Bestimmungsfragen ersetzt. Mir scheint aber gerade der Ausdruck Bestätigungsfragen nicht recht geeignet, weil er eigentlich die Erwartung einer bejahenden Antwort einschliesst. Suchier teilt mir mit, dass sein Lehrer Feussner die Ausdrücke Satz- und Wortfrage angewendet habe, die jedenfalls passender sind. Andere verhältnismässig passende Ausdrücke sind Entscheidungs- und Ergänzungsfrage. A. Noreen behandelt die beiden Arten in der Abhandlung Två olika slags frågesatser (Språk och stil 1, 1). Er schlägt dafür die Ausdrücke rogativ und quaesitiv vor. Denn 136 zu der ersteren bedarf es eines besonderen Fragepronomens, respektive -adverbiums, welches die letztere nicht nötig hat. Das Interrogativum ist in den indogermanischen Sprachen zugleich Indefinitum. Es gibt meines Wissens kein Kriterium, woran sich erkennen liesse, welche von diesen beiden Funktionen die ursprüngliche ist. Sich die letztere aus der ersteren entstanden zu denken macht keine Schwierigkeit. Aber auch das Umgekehrte wäre denkbar, und dann hätten wir einen Weg aus der älteren Art des Fragesatzes in die jüngere. Auf die Frage ist jemand da? kann man antworten (ja,) der Vater oder (nein,) niemand. Denken wir uns nun die besondere Fragestellung hinweg, an die wir jetzt gebunden sind, also jemand ist da?, so liegt die Berührung mit wer ist da? auf der Hand. Noch näher stehen Fragen mit Interrogativum solchen mit Indefinitum da, wo eine negative Antwort als selbstverständlich erwartet wird, vgl. wer wird das tun? - wird das jemand tun?, was kann ich antworten? - kann ich etwas antworten? wo ist ein solcher Mensch zu finden? - ist irgendwo ein solcher Mensch zu finden?

Die Frage, auf welche man als Antwort ja oder nein erwartet, wird in manchen Sprachen durch eine besondere Partikel, in den germanischen und romanischen Sprachen durch die Wortstellung charakterisiert. Die fragende Wortstellung ist aber nicht von Anfang an auf den Fragesatz beschränkt gewesen. Wir finden sie z. B. im Ahd., Alts. und Ags. häufig im Behauptungssatz, vgl. verit denne stuatago in lant, holoda inan truhtîn etc. Die Frage war demnach an der Stellung allein nicht zu erkennen, und erst der fragende Ton war das entscheidende Merkmal, wodurch sie sich von der Behauptung schied. Wir haben noch jetzt Fragen, bei denen dieser Ton das einzige Charakteristikum ist, nämlich diejenigen, welche kein Verbum enthalten, vgl. niemand da? fertig? ein Glas Bier? (als Frage des Kellners); franz. votre désir? Wir können uns daher leicht eine Vorstellung davon machen, dass es schon lange Fragesätze gegeben haben kann, ehe irgend ein anderes charakterisierendes Mittel dafür gefunden war als der fragende Ton. Die Frage ist daher schon auf ganz primitiver Stufe möglich, wenn auch natürlich jünger als Behauptung und Aufforderung.

Die reine Frage liegt gewissermassen in der Mitte zwischen positiver und negativer Behauptung. Sie verhält sich neutral. Es kann an und für sich keinen Unterschied machen, ob man sie in eine positive oder negative Form kleidet, nur dass eben deswegen die positive 137 Form als das Einfachere vorgezogen wird und die negative die Funktion erhält eine Modifikation der reinen Frage auszudrücken.

Es gibt nämlich verschiedene derartige Modifikationen, wodurch die Frage mehr oder weniger dem Charakter des Behauptungssatzes angenähert werden kann. So wird sie zur zweifelnden Behauptung, bei der man also schon zu einer bestimmten Annahme geneigt ist und nur noch eine letzte Bestätigung durch einen anderen erwartet. In diesem Falle tritt die negative Frageform ein bei Erwartung einer positiven Antwort: warst du nicht auch dabei? ich glaubte dich zu sehen. Es macht für den Sinn keinen wesentlichen Unterschied, wenn man statt dessen die Form des positiven Behauptungssatzes mit Frageton anwendet: du warst auch dabei? du bist (doch) zufrieden? Man kann also von beiden Seiten her zu dieser Zwischenstufe gelangen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck der Verwunderung. Die Verwunderung ist die subjektive Unfähigkeit eine Vorstellungsmasse durch eine andere zu apperzipieren trotz einer von aussen, sei es durch eigene Wahrnehmung, sei es durch Angabe eines andern, gegebenen Anforderung. Hierfür können wir wieder entweder die Frageform anwenden oder Behauptungsform mit Frageton: ist Franz tot? - Franz ist tot?, bist du schon wieder da? - du bist schon wieder da? Neutral in dieser Hinsicht sind die Sätze ohne Verbum: du mein Bruder? mir das? schon da? so früh?, ebenso die infinitivischen: so ein Schelm zu sein? Es kommen auch Ausdrücke der Verwunderung vor, bei denen das psychologische Subjekt und Prädikat durch und verbunden sind: so jung und schon so verderbt? a maid and be so martial? (Shaksp.). Abgeschwächt wird der Ausdruck der Verwunderung zu einer blossen Einleitungsformel für ein Gespräch, vgl. ausgeschlafen? so vergnügt? noch immer bei der Arbeit? u. dergl.

Ein spezieller Fall ist die verwunderte oder entrüstete Abweisung einer Behauptung. Hierfür ist die primitive Ausdrucksform ohne Verb. finitum besonders beliebt: ich ein Lügner? er und bezahlen? lat. ego lanista? (Cic.), franz. moi vous abandonner? it. io dir bugie? engl. she ask my pardon? how? not know the friend that served you? Auch die entrüstete Abweisung einer Zumutung kommt vor, vgl. ich dich ehren? (Goe.), what? I love! I sue! I seek a wife (Shak.) Solche Sätze müssten wohl den Frageaufforderungen zugerechnet werden.

Die Veranlassung zur Frage ist natürlich ursprünglich ein Bedürfnis des Fragenden. Es gibt aber auch Fragen (jedenfalls jüngeren Ursprungs), bei denen der Fragesteller über die Antwort, welche darauf gehört, nicht in Zweifel ist und nur den Angeredeten veranlassen will diese Antwort selbständig zu finden. Hierher gehören die pädagogischen Fragen. Tritt eine Andeutung darüber hinzu, welche Beantwortung 138 der Fragende erwartet, so haben wir die Art, welche man gewöhnlich mit dem unbestimmten Namen rhetorische Fragen bezeichnet. Man nötigt dadurch den Angeredeten eine Wahrheit aus eigener Überlegung heraus anzuerkennen, wodurch sie ihm energischer zu Gemüte geführt wird, als wenn sie ihm bloss von aussen mitgeteilt würde. Nichts anderes eigentlich als rhetorische Fragen sind auch die sogenannten Ausrufungssätze von der Form wie schön ist sie!

§ 95. Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat in dem § 87 bezeichneten weiten Sinne ist das Verhältnis, aus dem die übrigen syntaktischen Verhältnisse entspringen mit einer einzigen Ausnahme, nämlich der kopulativen Verbindung mehrerer Elemente zu einem Satzgliede. Diese Verbindung kann in den entwickelten Sprachen durch eine Partikel bezeichnet werden, es genügt aber vielfach noch die blosse Aneinanderreihung, weshalb es uns nicht wunder nehmen kann, dass man im Anfang jeden besondern sprachlichen Ausdruck für die Kopulation entbehren konnte.

§ 96. Jede andere Art der Satzerweiterung geschieht dadurch, dass das Verhältnis von Subjekt und Prädikat mehrmals auftritt. Wir können zwei Grundformen des auf diese Weise erweiterten Satzes unterscheiden. Die erste besteht darin, dass zwei Subjekte zu einem Prädikate oder zwei Prädikate zu einem Subjekte treten. Ist dabei das Verhältnis der beiden Subjekte zu dem gemeinsamen Prädikate oder das der beiden Prädikate zu dem gemeinsamen Subjekte völlig gleich, so lässt sich ein solcher dreigliedriger Satz ohne wesentliche Veränderung des Sinnes mit einem zweigliedrigen vertauschen, dessen eines Glied eine kopulative Verbindung ist. Daraus ergeben sich Berührungspunkte und Vermischungen zwischen diesen beiden Satzarten. Am reinsten erscheint die Doppelheit eines Satzgliedes von der kopulativen Verbindung zu einem Gliede gesondert, wenn das Satzgliederpaar ein ihm gemeinsam zugehöriges Glied in die Mitte nimmt ohne Anwendung einer kopulativen Partikel, also bei der sogenannten Konstruktion apò koinoû, wie sie im Mhd. ziemlich häufig ist, vgl. dô spranc von dem gesidele her Hagene alsô sprach. Sagen wir dagegen da sprang vom Sitze Hagen und sprach so, so haben wir schon eine Übergangsstufe von doppeltem Prädikate zu einem zusammengesetzten. Dass aber noch keine wirkliche Zusammenfassung der beiden Prädikate stattfindet, beweist der bei doppeltem Subj. ausnahmslose Sing. des Prädikats (der Mann ist tot und die Frau). In der älteren Sprache macht sich die Zusammenfassung geltend, wenn hinterher noch ein weiteres Prädikat angefügt wird, vgl. Petrus aber antwortete und die Apostel und sprachen (Lu.), wo wir jetzt auch ein neues Subj. setzen müssen. Viel schwankender ist das Sprachgefühl, wenn keine Trennung 139 durch einen Einschub stattfindet. Dann ist es ebensowohl möglich mehrere Glieder anzunehmen, die eins nach dem anderen mit den übrigen Elementen des Satzes verknüpft werden, wie ein zusammengesetztes, welches auf einmal angeknüpft wird. Die erstere Auffassung liegt weniger nahe, wenn das Satzgliederpaar an die Spitze, als wenn es an das Ende gestellt wird. Das Schwanken des Sprachgefühls bekundet sich darin, dass bei einer Mehrheit von Subjekten, von denen wenigstens das zunächststehende ein Sing. ist, das Präd. sowohl im Plur. als im Sing. stehen kann. Bei Nachstellung des Prädikats müssen wir allerdings jetzt den Plur. setzen, aber im Lat. ist auch der Sing. üblich, vgl. Speusippus et Xenocrates et Polemo et Crantor nihil ab Aristotele dissentit (Cic.); consules, praetores, tribuni plebis, senatus, Italia cuncta semper a vobis deprecata est (Cic.); filia atque unus e filiis captus est (Caes.); selbst et ego et Cicero meus flagitabit (Atticus). Ebenso it.: le ricchezze, gli honori e la virtù è stimata grande; franz. le fer, le bandeau, la flamme est toute prête (Racine); so auch im älteren Nhd. Wolken und Dunkel ist um ihn her (Lu.); dass ihre Steine und Kalk zugerichtet würde (ib.).

§ 97. Von zwei Prädikaten, die zu einem Subjekte treten, kann aber auch das eine dem andern untergeordnet werden, und dadurch verwandelt sich das erstere in eine Bestimmung des Subj., wobei aus dem dreigliedrigen Satze ein zweigliedriger wird. Jetzt dienen uns als Bestimmung des Subj. vornehmlich substantivische und adjektivische Attribute und Genitive von Substantiven, aber auch durch Präpositionen angeknüpfte Substantiva und Adverbia. Mit Hilfe dieser verschiedenen Bezeichnungsweisen ist es möglich die Verschiedenheit des logischen Verhältnisses zwischen dem Bestimmenden und dem Bestimmten bis zu einem gewissen Grade auch sprachlich auszudrücken. Eine Sprache, die noch keine Flexion und keine Verbindungswörter ausgebildet hat, ist dazu nicht im Stande. Sie hat wieder kein anderes Mittel als die blosse Nebeneinanderstellung des bestimmten und des bestimmenden Wortes.Noch ziemlich mannigfache logische Verhältnisse können im Arabischen durch blosse Nebeneinanderstellung von Substantiven ausgedrückt werden, vgl. Reckendorf, Die Synt. Verhältnisse des Arab. S. 93. Dass die dem Subj. beigegebene Bestimmung nicht Prädikat ist, kann sich dann, falls nicht etwa schon eine feste Wortstellung ausgebildet ist, nur daraus ergeben, dass noch ein drittes Wort vorhanden ist, welches durch eine stärkere Betonung und etwa durch eine kleine Pause von den beiden Wörtern, die zusammen das Subjekt bilden, abgehoben wird. Das Verhältnis des bestimmenden Elementes zu dem bestimmten ist dem des Prädikats zum Subjekt in der Weite, wie wir es oben gefasst haben, analog. Und wirklich ist die 140 Bestimmung nichts anderes als ein degradiertes Prädikat, welches nicht um seiner selbst willen ausgesprochen wird, sondern nur, damit dem Subj. (Obj.) nun ein weiteres Präd. beigelegt werden kann. Die Bestimmung des Subjekts hat also ihren Ursprung in Sätzen mit Doppelprädikat.

Die Herabdrückung des Prädikats zu einer blossen Bestimmung können wir uns am besten an denjenigen Fällen klar machen, in denen ein Verbum finitum davon betroffen ist. Wir haben es dabei mit einem Prozess zu tun, der sich spontan in verschiedenen Sprachen und Epochen vollzogen hat und zum Teil noch geschichtlich verfolgbar ist. Den Ausgang bildet die oben § 96 besprochene Konstruktion apò koinoû. Dabei kann es geschehen dass das eine der beiden Prädikate sich logisch dem andern unterordnet, so dass es durch einen Relativsatz ersetzbar wird.Über diese Erscheinung gibt es eine beträchtliche Literatur, vgl. besonders J. Grimm, Über einige Fälle der Attraktion (Kl. Schr. 3, 312ff.); Steinthal, Assimilation und Attraktion (Zschr. f. Völkerps. I, 93ff. = Kl. Schr. 107ff.), vgl. besonders S. 173ff.; Tobler, Über Auslassung und Vertretung des Pronomen Relativum (Germ. XVII, 257ff.; Jolly, Über die einfachste Form der Hypotaxis im Idg. (Curtius, Studien VI, 217); Kölbing, Untersuchungen über den Ausfall des Relativpronomens in den germanischen Sprachen, Strassburg 1872; Erdmann, Syntax Otfrids II, S. 124ff.; Behaghel, Asyndetische Parataxe (Germ. XXIV, 167ff.); Lohmann, Über die Auslassung des englischen Relativpronomens (Anglia III, 115ff.); G. Neckel, Über die altgermanischen Relativsätze, Berlin 1900. In diesen Schriften findet sich zum Teil eine von der oben gegebenen stark abweichende Auffassung. Dagegen zu polemisieren habe ich für überflüssig gehalten, da es mir scheint, dass die Richtigkeit desjenigen Standpunktes, dem ich mich angeschlossen habe, des Standpunktes von Jolly und Behaghel, einem jeden einleuchten muss, der nicht in den Banden des eigenen Sprachgefühles und der traditionellen Grammatik befangen ist. So zuweilen im Ahd. und Mhd., vgl. mit zühten si ze hûse bat ein frouwe saz darinne (= eine Dame, die darin ihren Wohnsitz hatte), wer was ein man lac vorme Grâl? (= der vor dem Grale lag), die worhte ein smit hiez Volcân (mit Namen Vulcan); nist man, thoh er uuolle, thaz gumisgi al irzelle (es gibt keinen Menschen, der, wenn er auch wollte, die Menschenmenge ganz zählen könnte). Es kann auch ein vom Hauptverbum abhängiger Kasus zugleich als Subjekt des Nebenverbums dienen: von einem slangen was gebunden (Überschrift einer Fabel von Boner); ich hab ein sünt ist wider euch (H. Sachs); dar inne sach er glitzen von kolen rot ein glut wart auf sein fallen (die auf sein Fallen wartete, id.). Die Konstruktion wird gegen den Ausgang des Mittelalters häufiger als früher. Eine viel grössere Ausdehnung hat der entsprechende Gebrauch im Englischen, Schwedischen und Dänischen gewonnen. Beispiele aus Shakespeare: there is a devil haunts thee, it is thy 141 sovereign speaks to thee, here are some will thank you, I have a mind presages me, it is not you I call for.

In den bisher angeführten Beispielen stand das gemeinsame Glied in der Mitte. Es kommen im Ahd. auch Fälle vor, in denen es an der Spitze steht oder zwischen das erste Prädikat und seine Bestimmungen eingeschoben ist. Es kann dabei als Subjekt oder Objekt oder als sonstige adverbiale Bestimmung dienen; es braucht auch nicht zu beiden Prädikaten das gleiche Verhältnis zu haben. Hierher gehören aus Otfrid mit Unterordnung des zweiten Prädikats Fälle wie uuer ist thes hiar thenke (wer ist, der das hier denken sollte); nist man nihein in uuorolti thaz saman al irsageti (es gibt keinen Menschen in der Welt, der das alles zusammen sagen könnte). Das erste Prädikat ist untergeordnet in folgendem Falle: in selben uuorton er then man thô then êriston giuuan sô uuard er hiar fon thesemo firdamnot (mit denselben Worten, mit denen er den ersten Mann überwand, ward er hier von diesem verdammt). Dabei nimmt das in selben uuorton noch einmal auf, wie es jeden beliebigen Satzteil aufnehmen kann. In einem anderen Falle ist der gemeinsame Satzteil durch ein Pron. aufgenommen: allo uuîhi in uuorolti thir gotes boto sageti, sie quement sô gimeinit ubar thîn houbit.

Am häufigsten ist im Ahd. das apò koinoû im allgemeinen, namentlich negierten Satze mit konjunktivischem Nebenverbum. Diese Art kennen auch die romanischen Sprachen,Vgl. Diez III, 381. vgl. ait. non vi rimasse un sol non lacrimassi (es blieb da niemand zurück der nicht geweint hätte); prov. una non sai vas vos non si' aclina (ich weiss keine, die nicht euch geneigt ist), anc non vi dona tan mi plagues (niemals habe ich eine Dame gesehen, die mir so gefallen hätte); afranz. or n'a baron ne li envoit son fil (es gibt keinen Baron, der ihm nicht seinen Sohn schickte).

Überblickt man unbefangen die Überlieferung, so wird man die Ansicht nicht aufrecht erhalten können, dass diese Konstruktion überall, wo sie vorkommt, auf Tradition von der indogermanischen Grundsprache her beruhe, es ist vielmehr wahrscheinlich, dass sie sich auch in späteren Epochen spontan erzeugt hat, wiewohl schon andere vollkommenere Ausdrucksformen ausgebildet waren. Ausserhalb des Idg. findet sie sich z. B. im Arabischen, wo man sich so ausdrückt: ich ging vorüber bei einem Manne schlief, vgl. Steinthal, Haupttyp. 267; ähnlich in andern nichtindogermanischen Sprachen.Vgl. Jacobi, Kompositum und Nebensatz, S. 30ff.

Wenn so das Verb. finitum zur Geltung einer attributiven Bestimmung herabgedrückt werden konnte, wie viel mehr ein Prädikat, 142 welches noch keinerlei Kennzeichen verbalen Charakters an sich hatte. Der Ursprung des attributiven Verhältnisses liegt somit klar zu Tage.

In Bezug auf die Funktion der Bestimmung müssen gewisse Unterschiede hervorgehoben werden, die gewöhnlich keinen sprachlichen Ausdruck finden, die aber nichtsdestoweniger logisch sehr bedeutsam sind. Die Bestimmung braucht den Bedeutungsumfang, welchen das als Subj. fungierende Wort an sich oder nach einer anderweitig bereits gegebenen Begrenzung hat, nicht zu alterieren, indem sie diesem ganzen Umfange zukommt: vgl. der sterbliche Mensch, der allmächtige Gott, das starre Eis; es kann aber auch, indem sie nur einem Teile von dem zukommt, was in der usuellen oder bereits durch andere Mittel spezialisierten Bedeutung des betreffenden Wortes enthalten ist, dieselbe individuell verengern: vgl. alte Häuser, ein altes Haus, ein (der) Sohn des Königs, die Fahrt nach Paris, Karl der Grosse; ebenso das alte Haus, insofern es in Gegensatz zu einem neuen gestellt wird, wogegen diese Verbindung nicht hierher gehört, wenn schon ohne das Beiwort feststeht, welches Haus gemeint ist. In den Fällen, welche unter die zweite Kategorie gehören, ist die Bestimmung unentbehrlich, weil ohne sie das Prädikat nicht gültig ist. In der ersten Kategorie sind noch folgende Unterscheidungen von Belang. Erstens: die Bestimmung kann als eine dem Begriffe, welchem sie beigefügt wird, zukommende schon bekannt sein, wie dies bei der Wiederholung der stehenden Beiwörter in der epischen Sprache der Fall ist, oder es kann durch die Bestimmung etwas Neues mitgeteilt werden. Im letzteren Falle hat die Bestimmung eine grössere Selbständigkeit, nähert sich dem Werte eines wahren Prädikates. Wir ziehen in diesem Falle häufig Umschreibung durch einen Relativsatz vor: Karl, welcher arm war, Ludwig, der ein geschickter Maler war. Zweitens: die Bestimmung braucht gar keine Beziehung zum Prädikat zu haben, sie kann aber auch in Kausalbeziehung zu demselben stehen, z. B. der grausame Mann achtete nicht auf das Flehen des Unglücklichen.

Wir haben die Bestimmung als ein abgeschwächtes Präd. aufgefasst. Es gibt nun eine Zwischenstufe, auf welcher die Bestimmung noch eine grössere Selbständigkeit hat, noch nicht so eng mit dem Subj. verbunden ist, weshalb es angemessener ist sie als ein besonderes Satzglied anzuerkennen. Hierher gehört, was man gewöhnlich prädikatives Attribut nennt, z. B. er kam gesund an. Aber auch präpositionelle Bestimmungen können in dem nämlichen logischen Verhältnisse stehen, z. B. er bat mich auf den Knieen, wofür man ein knieend einsetzen könnte. Loser ist das Verhältnis des prädikativen Attributes zum Subj. deshalb, weil es nicht eine demselben notwendig und dauernd anhaftende Eigenschaft, sondern einen zufälligen und vorübergehenden Zustand 143 bezeichnet. Es kann daher als ein selbständiges Glied neben Subj. und Präd. betrachtet werden. Die Selbständigkeit bekundet sich in den meisten Sprachen durch die freiere Wortstellung gegenüber der gebundenen des reinen Attributs. Im Nhd. hat die nähere Verwandtschaft mit dem Prädikate noch darin ihren Ausdruck gefunden, dass wie für dieses die unflektierte Form des Adj. gebraucht wird.

Nachdem einmal die Kategorie der Bestimmung sich für das Subj. aus dem Präd. entwickelt hatte, wurde es möglich nach dieser Analogie auch dem Präd. und weiterhin, nachdem sich die Kategorie des Obj. entwickelt hatte, auch diesem eine Bestimmung beizugeben. So wurzelt die spätere adnominale Bestimmung durchaus in der Subjektsbestimmung.

§ 98. Eine zweite Grundform des erweiterten Satzes ist dadurch entstanden, dass sich ein drittes Glied angeschlossen hat, das im Prädikatsverhältnis steht nicht zum Subj. des einfachen Satzes wie in den behandelten Fällen, sondern zum Prädikat desselben, welches also ihm gegenüber im Subjektsverhältnis steht. Wir nehmen natürlich auch hier wieder Subj. und Präd. in dem oben bestimmten weiten psychologischen Sinne. Aus diesem dritten Gliede sind die verschiedenen adverbialen Bestimmungen entsprungen, also auch das Objekt im engeren und weiteren Sinne. Es erklärt sich aus diesem Ursprunge, dass auf die adverbialen Bestimmungen gewöhnlich als auf das eigentliche Hauptprädikat im psychologischen Sinne der stärkste Ton fällt, und dass sie im allgemeinen in einem loseren Verhältnis zum Verb. stehen als die adnominalen zu ihrem Nomen. Allerdings kann auch bei den ersteren nach Analogie der letzteren der Anschluss ein engerer werden.

§ 99. Nachdem einmal die adverbialen und adnominalen Bestimmungen sich als besondere Kategorieen aus ursprünglichen Prädikaten herausgebildet haben, ist eine weitere Komplizierung des Satzes möglich, indem eine schon aus einem bestimmten und einem bestimmenden Elemente bestehende Verbindung wieder durch ein neues Element bestimmt werden oder ihrerseits als Bestimmung dienen kann, und indem ferner mehrere bestimmende Elemente zu einem bestimmten oder mehrere bestimmte zu einem bestimmenden treten können, gerade so wie mehrere Subjekte zu einem Prädikate oder mehrere Prädikate zu einem Subjekte. Beispiele: 1. alle guten Geister, Müllers älteste Tochter, er gerät leicht in Zorn (zu konstruieren gerät in Zorn + leicht); - 2. sehr gute Kinder, alles opfernde Liebe, er spricht sehr gut; - 3. trübes, regnerisches (trübes und regnerisches) Wetter, er tanzt leicht und zierlich; - 4. Karls Hut und Stock, er schilt und schlägt sein Weib.

Die zuerst aufgeführte Verbindungsweise pflegt man als das Verhältnis der Einschliessung zu bezeichnen. Sie ist nicht immer von der dritten scharf zu sondern. Sage ich z. B. grosse runde Hüte, so 144 macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob wir diese Verbindung als 1 oder 3 konstruieren. Im Nhd. bietet da, wo zwei Adjektiva zusammentreffen, der Gebrauch der starken oder schwachen Form ein Mittel das Verhältnis der Beiordnung und das der Einschliessung von einander zu scheiden, ein Mittel, welches freilich da im Stiche lässt, wo beide Formen lautlich zusammengefallen sind. Aber die Schwierigkeit einer korrekten Aufrechterhaltung der Unterscheidung zeigt sich in vielen Verstössen der Schriftsteller gegen die Regel der Grammatik, vgl. die Beispiele bei Andr. Sprachg. S. 38ff.

Konstruktion 3 und 4 lassen im Grunde eine doppelte Auffassung zu. Sie können entweder, wie oben zunächst angegeben ist, als apò koinoû gefasst werden oder als Zusammenfügung eines Elementes mit zwei zu einer Einheit kopulativ verbundenen Elementen. Daher zeigt sich bei 4 in den Sprachen, welche grammatische Kongruenz entwickelt haben, das nämliche Schwanken in der Form des Attributs, wie wir es § 96 in der Form des Prädikats gefunden haben. Vgl. einerseits franz. le bonheur et le courage constants, la langue et la littérature françaises; lat. Gai et Appii Claudiorum; anderseits franz. la fille et la mère offensée (Racine); lat. Tiberius et Gajus Gracchus, et tribunis et plebe incitata in patres (Livius). Aber nicht alle Fälle von derselben grammatischen Form sind in dieser Weise zweideutig. In den angeführten Fällen bezeichnet jedes von den beiden Substantiven eine selbständige Substanz. Es kann aber auch sein, dass durch die Verknüpfung nur zwei verschiedene Seiten desselben Gegenstandes bezeichnet werden, z. B. mein Oheim und Pflegevater. Hier dürfen wir, wo die Verbindung als Subj. oder Obj. erscheint, nur konstruieren mein + Oheim und Pflegevater. Wo jedes Wort einen besonderen Gegenstand bezeichnet, zieht man es jetzt im Deutschen, wenigstens bei Singularen vor auch jedem sein besonderes Attribut zu geben. Mein Oheim und mein Pflegevater bedeutet somit etwas anderes als mein Oheim und Pflegevater. Nur dann können wir die erste Verbindung auf eine Person beziehen, wenn sie ausdrücklich in Beziehung auf eine solche gesetzt ist als Prädikat oder als Attribut oder endlich als Anrede. Es erscheint jedoch auch umgekehrt, wiewohl von den Grammatikern verpönt, häufig die einfache Setzung des Attributs neben mehreren Substantiven, die jedes einen besonderen Gegenstand bezeichnen, vgl. die massenhaften Beispiele bei Andr. Sprachg. S. 125ff., dazu auch meine Deutsche Grammatik IV, § 180. So hat Lessing geschrieben über die Grenzen der Malerei und Poesie, Goethe in einem Briefe das Unverhältnis Ihres jetzigen und vorigen Zustandes.

§ 100. Wir haben im Vorhergehenden schon die Grenzen des sogenannten einfachen Satzes überschritten und in das Gebiet des 145 zusammengesetzten hinübergegriffen. Es zeigt sich eben bei wirklich historischer und psychologischer Betrachtung, dass diese Scheidung gar nicht aufrecht erhalten werden kann. Sie beruht auf der Voraussetzung, dass das Vorhandensein eines Verb. fin. das eigentliche Charakteristikum des Satzes sei, einer Ansicht, die auf viele Sprachen und Epochen gar nicht anwendbar ist, für keine ganz zutrifft. Wo die deutliche Ausprägung eines Verb. fin. fehlt, fällt auch die Scheidung zwischen einfachem und zusammengesetztem Satze in dem gewöhnlichen Sinne fort. Der sogenannte zusammengesetzte und der sogenannte erweiterte Satz sind daher ihrem Grundwesen nach vollkommen das nämliche. Es ist deshalb auch eine irrige Ansicht, dass die Herabdrückung eines Satzes zum Satzgliede, die sogenannte Hypotaxe, sich erst auf einer späten Sprachstufe entwickelt habe. Das Bestehen des erweiterten Satzes, das auch den primitivsten Sprachen nicht fehlt, setzt ja diese Herabdrückung als vollzogen voraus. Irrtümlich ist ferner die gewöhnliche Ansicht, dass die Hypotaxe durchgängig aus der Parataxe entstanden sei. Man könnte mit demselben Rechte behaupten, dass die Gliederung eines Satzes in Subj. und Präd. aus der kopulativen Verbindung zweier Wörter entstanden sei. Diese Ansicht hat sich deshalb bilden können, weil die älteste Art der Hypotaxe allerdings einer besonderen grammatischen Bezeichnung entbehrt und bloss eine logisch-psychologische ist. Eine solche logische Unterordnung aber als Beiordnung zu bezeichnen ist durchaus inkorrekt.

Ein wichtiger Schritt zur Erzeugung komplizierterer Gebilde war, dass das Objektsverhältnis auf einen Satz übertragen wurde. Sehr häufig werden noch jetzt im Dentschen und ebenso in anderen Sprachen, die schon einen reich entwickelten Satzbau haben, Verbindungen, welche sich in der Form nicht vom Hauptsatze unterscheiden, als Objekte gebraucht. Hierher gehört die oratio directa. Hierher gehören ferner Sätze wie ich behaupte, er ist ein Lügner; ich glaube, du rasest; ich sehe, du zitterst; bedenke, es ist gefährlich. Auch Aufforderungen und Fragen werden in das nämliche Abhängigkeitsverhältnis gestellt: ich bitte dich (bitte), gib es mir; vgl. lat. quaeso cogita ac delibera; sage, hast du ihn gesehen; sprich, was bekümmert dich; vgl. lat. videte, quantae res his testimoniis sunt confectae (Cic.); quaero de te, qui possunt esse beati (Cic.); responde, quis me vendit (Plaut.). Seltener ausser neben dem Passivum begegnen derartige Subjekte: besser ist, du lässt es bleiben; das macht, sie ist sehr mannigfaltig (Le.).

In allen diesen Fällen haben allerdings die Subjekts- und Objektssätze zugleich eine gewisse Selbständigkeit, und ohne dass ihnen eine selbständige Geltung beigelegt wird, können sie abgesehen von der oratio directa nicht gebraucht werden. Wir können z. B. nicht 146 sagen ich glaubte, du bist krank und eben so wenig ich glaubte, du warst krank. Es folgt aber aus dieser beschränkten Selbständigkeit nicht, dass das Verhältnis zum Hauptverbum ursprünglich parataktisch ist, sondern in Bezug auf das Hauptverbum besteht entschiedene Hypotaxe und Selbständigkeit nur, insofern von dem Vorhandensein desselben abgesehen wird. Die Selbständigkeit ist eine grössere, wenn der regierende Satz nachgestellt oder eingeschoben wird, da dann die Abhängigkeit erst nachträglich bemerkt wird; vgl. er ist ein Lügner, glaube ich oder er ist, glaube ich, ein Lügner; lat. quid ulli locuti inter se? dic mihi (Plaut.); signi, dic, quid est? (Plaut.). Im Falle der Einschiebung sind unsere Grammatiker sogar geneigt, vielmehr den eingeschobenen Satz für den untergeordneten zu halten, und sie könnten sich darauf berufen, dass ein glaube ich ungefähr so viel ist wie ein wie ich glaube oder meiner Meinung nach oder meines Bedünkens. Im älteren Nhd. ist es ganz üblich einen Satz zunächst selbständig hinzustellen und ihn dann doch zugleich zum Subj. oder Obj. eines nachfolgenden Satzes zu machen. Vgl. folgende Beispiele aus Hans Sachs: ein evolk dreissig jar fritlich lebet, verdross den teufel gar; der frauen wart sein hab vnd gut, geschach nach Christi geburt zware vierhundert vnd auch funfzig jare; des wirt ein böse letz der lon, deut der schwanz von dem scorpion; das betrübt weib sich selbst erstach vnd nam ein kleglich end, beschreibt Boccatius; darum jm jedermann wol sprach, tut Plutarchus beweisen. Hier die Ellipse eines das anzunehmen, wäre durchaus ungerechtfertigt.

Aus der Vereinigung von Selbständigkeit und Abhängigkeit erklärt sich auch der Personengebrauch in derartigen Sätzen, z. B. er denkt, er hat was Rechtes getan statt ich habe, also nach dem Standpunkte des Sprechenden, nicht nach dem Standpunkte dessen, dem man den Gedanken zuschreibt; ebenso glaube mir, du bist im Irrtume; er meint, er kann dich betrügen.

Es kommt auch vor, dass man trotz der logischen Abhängigkeit die ausgeprägte Form der Parataxe wählt. So allgemein in der Verbindung sei so gut und tue das. Vgl. bei H. Sachs ir seidt gewonet alle zwen vnd tragt mit euch was nit wil gehn. Andere Beispiele Andr. Sprachg. S. 140, Behaghel ZfdWf. VI, 366 und DWb. unter gedenken II 4 f b; englische bei Storm, Engl. Phil. I, 218.

Die indirekte Rede im Deutschen muss jetzt als etwas grammatisch Abhängiges betrachtet werden, und das Kennzeichen der Abhängigkeit dabei ist der Konjunktiv. Sehen wir aber auf den Ursprung der Konstruktion, so ist es klar, dass hier gleichfalls ein Zwitterding zwischen logischer Abhängigkeit und logischer Selbständigkeit zu Grunde liegt. Eine Konstruktion wie er meint, er könne dich betrügen 147 verhielt sich ursprünglich nicht anders als das oben angeführte er meint er kann dich betrügen, nur dass die Behauptung mit geringerer Sicherheit hingestellt und deshalb der Konj. (Opt.) in potentialem Sinne gesetzt ist. Dass sonst der Gebrauch des Potentialis in Hauptsätzen untergegangen ist, hat die Auffassung des Verhältnisses als wirklicher grammatischer Abhängigkeit gefördert.

Auch das Verhältnis der Bestimmung zum Bestimmten konnte auf Sätze übertragen werden. Auf diese Weise wurde ein Satz zur Apposition eines Nomens. Vgl. er sprach die Worte: das tue ich niemals; eins weiss ich: es geschieht nicht wieder; Folgendes ist mir begegnet: ich traf einen Mann; ein sonderbarer Zufall hat sich gestern zugetragen: es begegneten sich zwei Freunde etc.; er hat die Gewohnheit: er erwidert nie einen Brief; ich habe die Überzeugung: du wirst dich noch bekehren. Besonders häufig ist so ein Pron., dem der Satz als Apposition dient, vgl. das ist sicher, er wird es nicht wagen; es ist besser, du gehst; lat. hoc relicuomst: si infitias ibit, testis mecum est anulus (Ter.); hoc capio commodi: neque agri, neque urbis odium me unquam percipit (Ter.). Ebenso stehen Sätze appositionell zu einem demonstrativen Adverbium: er ist so lieb, man kann ihm nicht böse sein.

Ist es nur ein Pron., was durch den Satz bestimmt wird, so kann man sich dasselbe auch ohne wesentliche Veränderungen des Sinnes wegdenken. Dann hat man wieder die oben besprochene Form, in der der Satz direkt zum Subj. oder Obj. gemacht wird. Vgl. es ist gewiss, du bleibst mit gewiss ist, du bleibst. Beide Ausdrucksformen berühren sich also sehr nahe mit einander.

Umgekehrt kann ein Nomen Apposition zu einem Satze werden; vgl. du verdrehst immer die Augen, eine schlechte Gewohnheit. Besonders üblich ist diese Konstruktion, wenn an das Nomen noch ein Relativsatz angeknüpft wird: er will aufbrechen, ein Entschluss, der ihm sehr schwer geworden ist. Hier erkennt man wieder deutlich die Apposition als eine Degradierung des Prädikates. Eben durch diese Degradierung ist der vorausstehende Satz vor der Degradiernug zu einem blossen Subjekte bewahrt worden.

§ 101. Wir haben so die Entwickelung des Satzes von seiner einfachsten Form zu kompliziertester Gestaltung verfolgt. Wir wenden uns jetzt zu der parataktischen Aneinanderfügung mehrerer Sätze. Dieselbe steht in Parallelismus zu der kopulativen Aneinanderreihung koordinierter Satzglieder, weshalb sich auch die ausgebildeten Sprachen der gleichen Hilfsmittel zur Bezeichnung beider Arten von Verknüpfung bedienen. Im Anfang musste auch hier die blosse Nebeneinanderstellung genügen. Wenn wir nun gesehen haben, dass bei der Hypotaxe eine gewisse Selbständigkeit des einen Gliedes bestehen kann, so zeigt sich 148 auf der anderen Seite, dass eine Parataxe mit voller Selbständigkeit der unter einander verbundenen Sätze gar nicht vorkommt, dass es gar nicht möglich ist Sätze untereinander zu verknüpfen ohne eine gewisse Art von Hypotaxe. Als selbständig, als einen Hauptsatz im strengsten Sinne können wir einen Satz nur dann bezeichnen, wenn er nur um seiner selbst willen ausgesprochen wird, nicht um einem andern Satze eine Bestimmung zu geben. Demgegenüber müssten wir den Nebensatz definieren als einen Satz, der nur ausgesprochen wird, um einen andern zu bestimmen. Es liegt nun auf der Hand, dass ein Satz zu gleicher Zeit um seiner selbst willen ausgesprochen werden und doch auch einem andern als Bestimmung dienen kann, dass es demnach zwischen den beiden Extremen eine Reihe von Zwischenstufen geben muss. Es liegt ferner auf der Hand, dass gar kein vernünftiger Grund vorhanden sein könnte Sätze parataktisch an einander zu reihen, wenn nicht zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang bestünde, d. h. wenn nicht einer den andern irgendwie bestimmte. Ein rein parataktisches Verhältnis zwischen zwei Sätzen in dem Sinne, dass keiner den andern bestimmt, gibt es also nicht; es ist kein anderer Begriff von Parataxe möglich als der, dass nicht einseitig ein Satz den andern, sondern beide sich gegenseitig bestimmen.

Reine Parataxe in diesem Sinne besteht zwischen Parallelsätzen, sei es, dass Analoges oder dass Entgegengesetztes verknüpft wird, er ist krumm, sie ist schief; er lacht, sie weint. Anders aber steht es schon mit der Erzählung. Wenn jemand berichtet um zwölf Uhr kam ich in N. an; ich ging in das nächste Hôtel; man sagte mir, es sei alles besetzt; ich ging weiter, so gibt immer der vorhergehende Satz dem folgenden eine zeitliche und auch kausale Bestimmung. Dies ist aber eine Funktion, an welche in dem Augenblicke, wo er ausgesprochen wird, noch nicht gedacht wird. Wir haben demnach wieder eine Vereinigung von Selbständigkeit und Abhängigkeit. Wir könnten uns eine umständlichere Ausdrucksweise denken, in welcher der Satz immer zweimal, einmal als selbständig, einmal als abhängig gesetzt würde. Statt einer solchen Wiederholung, die wenigstens nur ausnahmsweise wirklich vorkommt, bedient sich die Sprache der Substitution durch ein Pron. oder Adv. demonstrativum. Es war für die Entwickelung der Syntax ein höchst bedeutsamer Schritt, dass dem Demonstrativum, dem ursprünglich nur die Beziehung auf etwas in der Anschauung Vorliegendes zukam, die Beziehung auf etwas eben Ausgesprochenes gegeben wurde. Dadurch wurde es auch möglich dem psychologischen Verhältnis, dass ein Satz selbständig hingestellt wird und zngleich als Bestimmung für einen folgenden dient, einen grammatischen Ausdruck zu geben. Das Demonstrativum kann sich auf einen 149 ganzen Satz oder auf ein Satzglied beziehen. Auch in dem letzteren Falle ist vielfach der ganze Satz, welcher dieses Glied enthält, bestimmend für den folgenden. Sage ich z. B. ich begegnete einem Knaben; der fragte mich, so bezieht sich der auf einem Knaben; der Bedeutungsinhalt von der ist aber durch den allgemeinen Begriff Knabe nicht erschöpft, sondern erst unter Hinzuziehung der übrigen Teile des Satzes; es ist der Knabe, welchem ich begegnete. So wird also gewissermassen durch das Demonstrativum der vorangehende selbständige Satz in ein zusammengesetztes Satzglied verwandelt, indem sich die übrigen Teile des Satzes dem Worte, auf welches das Demonstrativum hinweist, als attributive Bestimmung unterordnen.

§ 102. Gehört es nun zum Wesen aller Satzverknüpfung, dass auch die selbständig hingestellten Sätze eine Beimischung von Unterordnung erhalten, so ist es ganz natürlich, dass von hier aus eine stufenweise Annäherung an gänzliche Unterordnung möglich ist, indem der selbständige Wert eines Satzes mehr und mehr gegen die Funktion einem andern als Bestimmung zu dienen zurücktritt. Bei der Erzählung dokumentiert sich die logische Unterordnung in den indogermanischen Sprachen durch Verwendung der relativen Tempora (Imperf. und Plusqu.). Vgl. Cincta premebantur trucibus Capitolia Gallis; Fecerat obsidio jam diuturna famem: Juppiter ad solium superis regale vocatis `Incipe!' ait Marti Ov. Fast. VI, 351. Ähnlich sehr häufig bei Ovid zur Einführung in die Situation, von der die Erzählung ausgeht. Besonders häufig in den verschiedensten Sprachen ist die Form des Hauptsatzes mit entschiedener logischer Unterordnung, wenn ein eben, gerade, kaum, schon, noch u. dergl. beigefügt ist, oder bei Wendungen wie es dauerte nicht lange u. dgl.; vgl. kaum seh' ich mich auf ebnem Plan, flugs schlagen meine Doggen an (Schiller); lat. vix bene desierat, currus rogat ille paternos (Ov.); im Lat. auch mit Verbindung durch eine kopulative Partikel: vix ea fatus erat senior, subitoque fragore intonuit laevum (Virg.); nec longum tempus et ingens exiit ad caelum (id.); am häufigsten und auch in unserer jetzigen Sprache allgemein üblich, erscheint diese Konstruktion mit einem Demonstrativum im Nachsatz: ich war noch nicht eingeschlafen, da hörte ich einen Lärm; es dauerte nicht lange, so kam er wieder etc.

Im Mhd. ist es nicht selten, dass von zwei asyndetisch neben einander gestellten Sätzen, der erste nur zur Bestimmung eines Satzgliedes im zweiten dient,Vgl. Behaghel in der Einleitung zu Veldekes Eneide S. XXVIII. vgl. ein marcgrâve der heiz Herman: mit deme er iz reden began (Rother); Josephus hiez ein wîser man: alse schiere er den rât vernam, mit michelen listen muose er sich vristen (Kaiserchronik); ein wazzer heizet In: dâ vâhten die Beiere mit in (ib.). 150

Bei Sätzen, die durch ein entweder - oder eingeleitet sind, kann der erste derartig logisch untergeordnet sein, dass er einem Satze gleich kommt, der durch ein wofern nicht eingeleitet ist, vgl. mhd. die ir christenlîchen anthäiz mit andern gehäizzen habent gemêret, ... eintweder diu schrift ist gelogen oder si choment in ein vil michel nôt (Heinrich v. Melk); franz. ou mon amour me trompe, ou Zaïre aujourd'hui pour l'élever à soi descendrait jusqu'à lui (Voltaire).

Bei umgekehrter Satzfolge lässt sich logische Selbständigkeit und Abhängigkeit nicht in der gleichen Weise vereinigen. Dient ein Satz einem vorhergehenden als Bestimmung, so ist es von vornherein klar, dass er nur um dessentwillen ausgesprochen wird, vgl. ich kam nach Hause, es schlug gerade 12 Uhr. Ich musste ihm alles sagen; er war so neugierig. Am deutlichsten tritt die Abhängigkeit hervor, wenn der bestimmende Satz in den bestimmten eingeschoben wird. Solche eingeschobenen Sätze (Parenthesen) sind ja in allen, auch noch so entwickelten Sprachen reichlich im Gebrauch, und zwar unterschiedslos bei den verschiedensten logischen Beziehungen zum regierenden Satze.

Indem auch Sätze, die eine Aufforderung oder Frage ausdrücken, in logische Abhängigkeit treten, werden sie zu Bezeichnungen der Bedingung oder des Zugeständnisses. Vgl. geh hin, du wirst sehen oder so (dann) wirst du sehen; lat. cras petito: dabitur (Plaut.); sint Maecenates, non deerunt, Flacce, Marones (Mart.); auch bei Verbindung durch Kopulativpartikel: sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist; mhd. der gebe mir niur eine bône und hab gewandelt (gebüsst) schône (Seifrid Helbling); lat. impinge lapidem et dignum accipies praemium (Phaedrus), quodvis opta et veniet (Petron); nlat. divide et impera. Aus solcher Anwendung der Aufforderungssätze sind in verschiedenen Sprachen Satzformen entsprungen, die als abhängig empfunden werden, indem das, was anfangs nur okkasionell mögliche Auffassung war, usuellen Wert erhalten hat. Vgl. z. B. ich bin dir nah, du seist auch noch so ferne; oder die englischen Imperative suppose, say (say you can swim, 'tis but a while Shak.), die gewissermassen zu Konjunktionen geworden sind. Hierher gehören auch die lateinischen Bedingungssätze mit modo (vgl. ego ista studia non improbo, moderata modo sint), welches nicht als regierende Konjunktion gefasst werden darf und ja auch noch neben dum stehen kann. Ebenso ist bekanntlich aus der Frage eine im Deutschen und Englischen sehr übliche und auch den romanischen Sprachen nicht fremde Form der Bedingungssätze entstanden (willst du es tun, so beeile dich).


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