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§ 122. Wir haben es uns bisher zum Gesetz gemacht uns unsere Anschauungen über die sprachlichen Vorgänge aus solchen Beobachtungen zu bilden, die wir an der historisch deutlich zu verfolgenden Entwickelung machen konnten, und erst von diesen aus Rückschlüsse auf die Urgeschichte der Sprache zu machen. Wir müssen versuchen diesem Prinzipe auch bei der Beurteilung der Urschöpfung möglichst treu zu bleiben, wenn sich hier auch grössere Schwierigkeiten in den Weg stellen. Sie unmittelbar zu beobachten bietet sich uns nicht leicht die Gelegenheit. Denn solche singulären Fälle, von denen uns wohl einmal berichtet wird, wie etwa die willkürliche Erfindung des Wortes Gas können nicht gerade viel Aufschluss über die natürliche Sprachentwickelung geben. So schwebt denn über dem Vorgange ein gewisses mystisches Dunkel, und es tauchen immer wieder Ansichten auf, die ihn auf ein eigentümliches Vermögen der ursprünglichen Menschheit zurückführen, welches jetzt verloren gegangen sein soll. Solche Anschauungen müssen entschieden zurückgewiesen werden. Auch in der gegenwärtig bestehenden leiblichen und geistigen Natur des Menschen müssen alle Bedingungen liegen, die zu primitiver Sprachschöpfung erforderlich sind. Ja, wenn die geistigen Anlagen sich zu höherer Vollkommenheit entwickelt haben, so werden wir daraus sogar die Konsequenz ziehen müssen, dass auch diese Bedingungen jetzt in noch vollkommenerer Weise vorhanden sind als zur Zeit der ersten Anfänge menschlicher Sprache. Wenn wir im allgemeinen keinen neuen Sprachstoff mehr schaffen, so liegt das einfach daran, dass das Bedürfnis dazu nicht mehr vorhanden ist. Es kann kaum eine Vorstellung oder Empfindung in uns auftauchen, von welcher nicht eine Assoziationsleitung zu dem überlieferten Sprachstoff hinüberführte. Dies massenhafte Material, auf das wir einmal eingeübt sind, lässt nichts Neues neben sich aufkommen, zumal da es sich durch mannigfache Zusammenfügung und durch 175 Bedeutungsübertragung bequem erweitern lässt. Würde man aber das Experiment machen eine Anzahl von Kindern ohne Bekanntschaft mit irgend einer Sprache aufwachsen zu lassen, sie sorgfältig abzuschliessen und nur auf den Verkehr unter sich einzuschränken, so brauchen wir kaum zweifelhaft zu sein, was der Erfolg sein würde: sie würden sich, indem sie heranwüchsen, eine eigene Sprache aus selbstgeschaffenen Wörtern bilden.
Etwas einem solchen Experimente wenigstens annähernd Gleichkommendes soll wirklich vorliegen. Bekannt ist durch Max Müllers Vorlesungen der Bericht des Robert Moffat über die sprachlichen Zustände in vereinzelten Wüstendörfern Südafrikas. Danach sollten sich dort die Kinder während häufiger langer Abwesenheit ihrer Eltern selbst eine Sprache erfinden. Doch möchte ich ohne die Mitteilung genauerer Beobachtungen nicht zu viel Wert auf solche Angaben legen.Vgl. jetzt über angebliche Worterfindung des Kindes Wundt 1, 277ff.; O. Jespersen, Origin of Linguistic Species (Scientia Vol. VI).
§ 123. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. Wir sind, glaube ich, zu der Behauptung berechtigt, dass selbst in den Sprachen der europäischen Kulturvölker die Schöpfung neuen Stoffes niemals ganz aufgehört hat. Nach allen Fortschritten, welche die indogermanische Etymologie in den letzten Dezennien gemacht hat, bleibt immer noch ein sehr beträchtlicher Rest von Wörtern, die weder auf Wurzeln der Grundsprache zurückgeführt, noch als Entlehnung aus fremden Sprachen nachgewiesen werden können. Ja, wenn wir den Wortvorrat der lebenden deutschen Mundarten durchmustern, so finden wir darin sehr vieles, was wir ausserstande sind zu dem mittelhochdeutschen Wortvorrat in Beziehung zu setzen. Gewiss müssen wir die Ursache dieses Umstandes zu einem grossen Teile darin sehen, dass unsere Überlieferung vielfach lückenhaft, unsere wissenschaftlichen Kombinationen noch unvollkommen sind. Immerhin aber bleibt eine beträchtliche Anzahl von Fällen, in denen schwer abzusehen ist, wie vermittelst der Lautentwickelung und Analogiebildung eine Anknüpfung an älteren Sprachstoff je möglich werden soll. Wir werden daher den jüngeren und jüngsten Sprachperioden nicht bloss die Fähigkeit zur Urschöpfung zuzuschreiben haben, sondern auch die wirkliche Ausübung dieser Fähigkeit. Wir dürfen auch hier die Ansicht nicht gelten lassen, es seien in der Entwickelung der Sprache zwei Perioden zu unterscheiden, die eine, in welcher der ursprüngliche Sprachstoff, die sogenannten Wurzeln, geschaffen würde, und eine zweite, in welcher man sich begnügt hätte aus dem vorhandenen Stoffe Kombinationen zu gestalten. In der Entwickelung der Volkssprache gibt es keinen Zeit- 176 punkt, in welchem die Urschöpfung abgeschlossen wäre. Anderseits haben sich gewiss kurz nach den ersten Urschöpfungen dieselben Arten der Weiterentwickelung des ursprünglich Geschaffenen geltend gemacht, wie wir sie in den späteren Perioden beobachtet haben. Es besteht in dieser Hinsicht zwischen den verschiedenen Entwickelungsphasen kein Unterschied der Art, sondern nur des Grades. Es ändert sich nur das Verhältnis der Urschöpfung zu der traditionellen Fortpflanzung des Geschaffenen und zu den anderweitigen Mitteln der Sprachbereicherung, der Bedeutungserweiterung durch Apperzeption, der Kombination einfacher Elemente, der Analogiebildung etc.
§ 124. Das Wesen der Urschöpfung besteht, wie wir schon gesehen haben, darin, dass eine Lautgruppe in Beziehung zu einer Vorstellungsgruppe gesetzt wird, welche dann ihre Bedeutung ausmacht, und zwar ohne Vermittelung einer verwandten Vorstellungsgruppe, die schon mit der Lautgruppe verknüpft ist. Eine solche Urschöpfung ist zunächst ein Werk des Moments, welches untergehen kann, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Damit dadurch eine wirkliche Sprache entstehe, müssen derartige Hervorbringungen auch eine bleibende psychische Nachwirkung hinterlassen, infolge derer späterhin der Laut vermittelst der Bedeutung, die Bedeutung vermittelst des Lautes gedächtnismässig reproduziert werden kann. Das Wort muss ferner auch von andern Individuen verstanden und dann gleichfalls reproduziert werden.
Die Erfahrungen, die wir über die Entstehung neuer Wörter durch Analogiebildung und die Erfassung neuer Anschauungen mit Hilfe des vorhandenen Wortvorrats gemacht haben, dürfen wir auch für die Beurteilung der Urschöpfung verwerten. Wir haben bisher immer gesehen, dass die Benennung des Neuen durch eine Apperzeption mit dem schon Benannten erfolgt, sei es, dass man einfach die schon vorhandene Benennung auf das Neue überträgt, oder dass man aus derselben ein Kompositum oder eine Ableitung bildet; d. h. also: es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen dem neubenannten Objekte und seiner Benennung, vermittelt durch ein früher benanntes Objekt. Dieser Kausalzusammenhang ist zunächst notwendig, damit die Benennung bei dem, der sie zuerst anwendet, hervorgerufen wird, und damit sie von andern verstanden werden kann. Erst durch mehrfache Wiederholung wird eine solche Kausalbeziehung überflüssig, indem die bloss äusserliche Assoziation allmählich fest genug geknüpft wird. Die Folgerung, dass auch die Urschöpfung, um überhaupt geschaffen und verstanden zu werden, eines solchen Kausalzusammenhanges bedarf, ist gewiss nicht abzuweisen. Da es nun ein vermittelndes Glied nicht gibt, so muss man einen direkten Zusammenhang zwischen Objekt und Benennung 177 erwarten. Ausserdem aber wird das Verständnis ursprünglich ermöglicht gerade so wie bei der Anknüpfung neuen Vorstellungsinhaltes an ein schon bestehendes Wort mit Hilfe der durch die Situation gegebenen Anschauung und der Gebärdensprache.
Wir haben gesehen, dass in der Regel nichts in der Sprache usuell werden kann, was nicht spontan von verschiedenen Individuen geschaffen wird. Auch gehört dazu, dass es von dem gleichen Individuum zu verschiedenen Zeiten spontan, ohne Mitwirkung des Gedächtnisses geschaffen werden kann. Wenn aber der gleiche Lautkomplex sich zu verschiedenen Malen und bei verschiedenen Individuen an die gleiche Bedeutung anschliesst, so muss dieser Anschluss überall durch eine gleichmässige Ursache veranlasst sein, die ihren Sitz in der Natur des Lautes und der Bedeutung hat, nicht in einem zufällig begleitenden Umstande. Es kann zugegeben werden, dass gelegentlich auch eine von einem Einzelnen einmal geschaffene Verbindung allgemeine Verbreitung findet. Aber die Möglichkeit dieses Vorganges ist in bestimmte Grenzen eingeschlossen. Ist etwa derjenige, welcher zuerst eine Bezeichnung für ein Objekt findet, der Entdecker, Erfinder des betreffenden Objekts, so dass alle übrigen von ihm darüber unterrichtet werden, so ist damit auch der von ihm gefundenen Bezeichnung eine Autorität verliehen. Bei den wenigsten Objekten ist ein solches Verhältnis denkbar. In der Regel kann es nur die Angemessenheit der Bezeichnung sein, was ihr allgemeinen Eingang verschafft, d. h. also wieder die innere Beziehung zwischen Laut und Bedeutung, die, wo eine Vermittelung fehlt, auf nichts anderem beruhen kann als auf dem sinnlichen Eindruck des Lautes auf den Hörenden und auf der Befriedigung, welche die zur Erzeugung des Lautes erforderliche Tätigkeit der motorischen Nerven dem Sprechenden gewährt.
§ 125. Fassen wir nun die Wörter, bei denen ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sie verhältnismässig junge Neuschöpfungen sind, näher ins Auge, so zeigt sich, dass es vorzugsweise solche sind, welche verschiedene Arten von Geräuschen und Bewegungen bezeichnen.Eine Übersicht über die Theorien der Schallnachahmung gibt Rubinyi, Das Problem der Lautnachahmung Germ-Rom. Monatschr. V, 497. Reiches Material bietet Leskien, Schallnachahmung und Schallverba im Litauischen IF 13, 165. Man vgl. z. B. nhd. bambeln, bammeln, bummeln, bimmeln, batzen (nd. schallend auffallen), bauzen (= batzen - bellen), belfen, belfern, blaffen, blarren, blerren, blatzen, platzen, pletzen, bletschen, pletschen, platschern, planschen, panschen, plätschern, blodern, plaudern, blubbern, plappern, blauzen, Böller, bollern, bullern, ballern, boldern, poldern, bompern, bumpern, Buff, buffen, Puff, puffen, burren, bubbeln, puppeln, puppern, dudeln, 178 fimmeln, fummeln, flattern, Flinder, flindern, Flinderling, flandern, flink, flinken, flinkern, flirren, flarren, flarzen, flartschen, flismen, flispern, Flitter, flodern, flunkern, flüstern, gackeln, gackern, Gautsche, gautschen, glucken, glucksen, grackeln, hampeln, humpen, humpeln, hätscheln, holpern, hurren, huschen, kabbeln, kichern, kirren, kischen (zischen), klabastern, Klachel oder Klächel (bayrisch = Glockenschwengel oder anderes baumelndes Ding), klatschen, kletzen, kleschen (= klatschen), klimpern, klirren, Klunker, knabbeln, knabbern, knacken, Knacks, knarpeln, knarren, knarzen, knarschen, knirren, knirschen, knurren, knascheln, knaspeln, knastern, knisten, knistern, Knaster(-bart), knatschen, knetschen, knitschen, knutschen, knattern, knittern, knuffen, knüffeln, knüllen, knuppern, knuspern, kollern, kullern, krabbeln, kribbeln, krakeln, kräkeln, kreischen, kuckern (cucurire), lodern, lullen, mucken, mucksen, munkeln, murren, nutschen, pfuschen, pimpeln, pimpelig, pinken, pladdern, plumpen, plumpsen, prasseln, prusten, quabbeln, quabbelig, quackeln, quaken, quäken, quieken, quieschen, rappeln, rapsen, rascheln, rasseln, räuspern, rempeln, Rummel, rumpeln, rüppeln, schlabbern, schlampen, schlampampen, schluckern, schlottern, schlürfen, schmettern, schnack, schnacken, schrill, schummeln, schwabeln, schwappen, stöhnen, stolpern, strullen, summen, surren, tatschen, tätschen, tätscheln, ticken, torkeln, turzeln (hessisch = torkeln), tuten, wabbeln, wibbeln, watscheln, wimmeln, wimmern, wudeln, ziepen, zirpen, zischen, zischeln, zullen und zulpen (saugen), züsseln (schütteln), zwitschern. Einige Wörter bezeichnen zugleich Schall und Zerplatzen wie Klack, Klaff; andere Schall und Schmutzfleck wie Klacks, Klecks, Klatsch. Ich habe mich absichtlich auf solche Wörter eingeschränkt, die frühestens im Spätmittelhochdeutschen nachweisbar sind. Man könnte ebenso eine reichliche Liste derartiger Wörter aus den älteren germanischen Dialekten zusammentragen, die nichts Vergleichbares in den übrigen indogermanischen Sprachen haben, desgleichen aus dem Griechischen und Lateinischen. Man wird sich dem Schlusse nicht entziehen können, dass, wenigstens so weit unsere Beobachtungen zurückreichen, hier das eigentliche Gebiet der sprachlichen Urschöpfung liegt.
Dass wir bei dieser Art von Wörtern eine innere Beziehung von Klang und Bedeutung empfinden, ist allerdings im einzelnen Falle kein Beweis dafür, dass sie wirklich einer solchen Beziehung ihren Ursprung verdanken. Denn es gibt nachweislich eine Anzahl von Wörtern, die erst durch sekundäre Entwickelung eine solche Lautgestaltung oder eine solche Bedeutung erlangt haben, dass sie den Eindruck onomatopoetischer Bildungen machen. Aber ein Überblick der Wörter in ihrer Gesamtheit schliesst doch die Annahme durchgehenden Zufalls aus. Es fällt dabei noch ein Umstand schwer ins Gewicht, nämlich die Häufigkeit ähnlicher, namentlich nur durch den Vokal verschiedener 179 Wörter von gleicher oder sehr ähnlicher Bedeutung, die doch nicht lautgesetzlich aus einer Grundform abgeleitet werden können. So finden sich auch vielfach in verschiedenen Sprachen ähnlich klingende Wörter dieser Art, die doch nach den Lautgesetzen nicht verwandt sein können.
Eine besondere Gruppe von onomatopoetischen Wörtern bilden die Nachahmungen von Tierstimmen, die vielfach zu Benennungen der betreffenden Tiere geführt haben.Vgl. Wackernagel, Voces variae aminantium, 2. Ausg., Basel 1862. J. Winteler, Naturlaute und Sprache, Programm der Aargauischen Kantonschule, 1892. O. Hauschild, Naturlaute der Tiere in Schriftsprache und Mundart, ZfdWf. 12, 1.
Nur aus dem onomatopoetischen Triebe erklären sich auch gewisse Umgestaltungen schon fertiger Wörter. Eines der charakteristischsten Beispiele ist mhd. gouch = nhd. Kuckuck mit den Zwischenformen guckauch, guckuch und ähnlichen. Auch diese Bildungen bezeichnen zum Teil Geräusche, zum Teil unruhige Bewegungen. Dergleichen Umwandlungen sind von dem Lautwandel gänzlich zu trennen und als partielle Neuschöpfungen zu betrachten. Auch die weiter oben angeführten Wörter können nicht als totale Neuschöpfungen betrachtet werden, wie noch später zu erörtern sein wird.
§ 126. In diesem Zusammenhange müssen wir auch auf das Wesen der Interjektionen eingehen. Uns muss vor allem die Frage interessieren, ob man in ihnen mit Recht die primitivsten Äusserungen der Sprechtätigkeit zu sehen hat, wie von verschiedenen Seiten angenommen, von andern bestritten ist. Wir verstehen unter Interjektionen unwillkürlich ausgestossene Laute, die durch den Affekt hervorgetrieben werden, auch ohne jede Absicht der Mitteilung. Man darf aber darum nicht die Vorstellung damit verknüpfen, als wären sie wirkliche Naturlaute, die mit ursprünglicher Notwendigkeit aus dem Affekte entsprängen wie Lachen und Weinen. Vielmehr sind die Interjektionen deren wir uns gewöhnlich bedienen, gerade so gut durch die Tradition erlernt wie die übrigen Elemente der Sprache. Nur vermöge der Assoziation werden sie zu unwillkürlichen Äusserungen, weshalb denn auch die Ausdrücke für die gleiche Empfindung in verschiedenen Sprachen und Mundarten und auch bei den verschiedenen Individuen der gleichen Mundart je nach der Gewöhnung sehr verschieden sein können.
Wir müssen zwei Arten von Interjektionen unterscheiden. Die einen sind lediglich Ausdruck der inneren Empfindung, z. B. o, ach, pfui. Von diesen beziehen sich einige auf eine ganz bestimmte Empfindung, z. B. pfui auf die des Abscheus. Andere, wie o und ach können bei sehr verschiedenen Empfindungen ausgestossen werden, es sind also artikulierte Substrate, die an und für sich ziemlich indifferent sind 180 und erst durch den begleitenden Gefühlston einen bestimmteren Inhalt bekommen. Ihre Unbestimmtheit wird allerdings wohl nichts Ursprüngliches sein. Von Hause aus scheint ach nur Interjektion des Schmerzes gewesen zu sein. Eine andere Interjektion des Schmerzes ouwê (nhd. auweh) hatte im Mhd. eine fast ebenso ausgedehnte Anwendung erlangt wie nhd. ach, durch welches es jetzt wieder zurückgedrängt ist. Das Traditionelle in der Natur dieser Interjektionen zeigt sich auch darin, dass sie unter besonders begünstigenden Umständen sogar wie andere Wörter aus einer fremden Sprache entlehnt werden können. So stammt unser o aus dem Lat. Es ist ferner eine in den verschiedensten Sprachen zu machende Beobachtung, dass Interjektionen aus andern Wörtern und Wortgruppen entstehen, vgl. z. B. ach Gott, alle Wetter, Gott sei Dank, leider. Durch Lautveränderungen kann der Ursprung so sehr verdunkelt werden, dass er selbst bei angestellter Reflexion nicht mehr zu erkennen ist, vgl. herrje (Herr Jesus), jemine (Jesu domine). Wir sind daher auch bei den in keiner Weise analysierbaren und scheinbar ganz einfachen Interjektionen nicht von vornherein sicher, ob sie nicht auf ähnliche Weise entstanden sind. Immerhin aber wird wenigstens ein Teil dieser Interjektionen nicht aus andern Wortklassen entstanden, sondern unmittelbar auf Empfindungslaute zurückzuführen sein. Aus ihnen können Verba abgeleitet werden wie deutsch ächzen, griech. pheúzein. Dies sind junge Bildungen, es ist aber auch denkbar, dass auf einer frühen, noch formlosen Entwickelungsstufe der Sprache Empfindungsinterjektionen unmittelbar verbale Funktion angenommen haben. Über sonstige Annäherung der Interjektion an andere Redeteile vgl. Kap. XX. Es ist somit die Möglichkeit gegeben, dass auch ein Teil des nichtinterjektionellen Wortmateriales auf Gefühlsausrufe zurückgeht, die durch Urschöpfung entstanden sind.
Eine zweite Art von Interjektionen steht in nächster Beziehung zu den besprochenen onomatopoetischen Bildungen. Sie haben nicht bloss Beziehung zu inneren Gefühlen, sondern auch zu äusseren Vorgängen. Sie sind Reaktionen gegen plötzliche Erregungen des Gehörsoder Gesichtssinnes. So müssen wir wohl wenigstens ihr ursprüngliches Wesen auffassen. Sie werden dann auch bei der Erinnerung und Erzählung der solche plötzliche Erregung wirkenden Vorgänge gebraucht. Ich meine Wörter wie nhd. paff, patsch, bardautz, perdauz, bauz, blauz, blaff, buff, puff, bums, futsch, hurre, husch, hussa, klacks, klaps, kladderadatsch, knacks, plump, plumps, ratsch, rutsch, schrumm, schwapp, wupp etc.Diesen stehen auch die imperativischen Interjektionen näher wie pst und die Fuhrmannszurufe. Manche dieser Wörter sind auch Substantiva oder haben 181 Verba zur Seite, und es ist dann zum Teil schwer zu sagen, was eigentlich das Ursprüngliche ist. Es ist das aber auch nicht von Belang, sobald die Wörter als Reaktionen gegen die Sinneserregung anerkannt sind.
Der onomatopoetische Charakter solcher Interjektionen tritt noch stärker hervor bei der häufig angewendeten Verdoppelung und Verdreifachung,Vgl. O. Weise, Die Wortdoppelung im Deutschen (Zschr. f. deutsche Wortf. 2, 8). ganz besonders wenn dabei die mehrfach gesetzten Elemente durch Ablaut differenziert werden.Vgl. auch DWb 4² 2008. 9. vgl. fickfack, gickgack, kliffklaff, klippklapp, klitschklatsch, klimperklamper, kribbeskrabbes, krimskrams, mickmack, pinkepanke, ripsraps, ritschratsch, schnickschnack, schnipschnapp(schnurr), stripstrap(strull), schwippschwapp, ticktack, lirumlarum, bimbambum, piffpaffpuff; engl. criddle-craddle, widdle-waddle; franz. clic-clac, cric-crac, drelin-drelon. Diese Wörter werden zum Teil auch als Substantiva gebraucht, und es werden direkt Substantiva so gebildet, vgl. Kringelkrangel, Tingeltangel, lat. murmur, turtur; auch werden weitere Ableitungen aus solchen Bildungen gemacht wie fickfacken, Fickfacker, wibbelwabbelig. Übrigens wird dabei mehrfach alter Sprachstoff benutzt, der sonst gar keinen interjektionellen Charakter hat, vgl. Klingklang, Singsang, hickhack, Mischmasch, Wirrwarr, wischiwaschi, Zickzack. Vgl. auch onomatopoetische Ausgestaltungen wie klinglingling (vielleicht aus klingklingkling entstanden), hoppsasa. Aus dem selben Triebe entsprungen, aber in den Grenzen der normalen Sprache sich haltend sind Verbindungen mehrerer nur durch den Vokalismus verschiedener malender Wörter, wie flimmen und flammen, flimmern und flammern, kickezen und kackezen, klippen und klappen, klippern und klappern, klistern und klastern, klitschern und klatschern, knistern und knastern, knirren und knarren, knittern und knattern, kribbeln und krabbeln, krimmen und krammen, kritzen und kratzen, Gekritz und Gekratz, rischeln und rascheln (alle durch Beispiele aus Schriftstellern belegt). Auch der Reim spielt bei onomatopoetischen Ausdrücken eine Rolle, vgl. krimmeln und wimmeln, holterdepolter, Hackemack, Kuddelmuddel, Schurlemurle, Schlampampe; engl. hotch-potch, hum-drum, hurlyburly, helter-skelter.Vgl. die von Simonyi S. 266 aus dem Ungarischen und Finnischen angeführten Zusammensetzungen.
§ 127. Onomatopoetisch sind ferner die meisten Wörter der Ammensprache, und auch in ihnen spielt die Reduplikation eine grosse Rolle, vgl. Wauwau, Putput, Papa, Mama etc. Diese Sprache 182 ist nicht eine Erfindung der Kinder.Vgl. Wundt 1, 277ff. Sie wird ihnen so gut wie jede andere Sprache überliefert. Ihr Wert besteht darin, dass sie einem leicht erkennbaren pädagogischen Zwecke dient. Die innere Beziehung des Lautes zur Bedeutung, welche in ihr noch besteht und jedenfalls immer neu geschaffen wird, erleichtert die Verknüpfung beider sehr erheblich. Das geht sogar soweit, dass auch die Wörter der ausgebildeten Sprache teilweise zuerst in einer Komposition mit Wörtern der Ammensprache erlernt werden, vgl. Wauwauhund, Bähschaf, Puthuhn, Mukuh u. dergl.
§ 128. Wundt will die onomatopoetischen Wörter nicht als Lautnachahmungen fassen. Nach ihm1, 331. 329. ist die Ähnlichkeit der Sprachlaute mit den Gehörseindrücken, durch die sie hervorgerufen sind, keine im voraus gewollte, sondern nur eine nachträglich entstandene: sie ist durch das Gefühl vermittelt, das den Eindruck mit dem durch ihn ausgelösten Laute verbindet. Für die in jüngerer Zeit entstandenen Wörter dürfte das kaum richtig sein, gewiss nicht für die Wörter der Ammensprache. Wieweit Wundts Auffassung für die Anfänge der Sprache zutrifft, darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben. Als einen Beweis für die Richtigkeit seiner Auffassung macht Wundt geltend, dass unter den als onomatopoetisch in Anspruch genommenen Wörtern sich auch solche befänden, die eine Bewegung ohne Geräusch bezeichneten. Es fragt sich aber, ob dieses etwas Ursprüngliches ist und ob nicht zunächst die Vorstellung eines Geräusches mit in die Bedeutung eingeschlossen war.
Eine andere Art von Urschöpfung, wie sie früher schon mehrfach vermutet ist, soll nach Wundt1, 333ff. darin bestehen, dass Organe und Tätigkeiten, die zur Bildung der Sprachlaute in Beziehung stehen, mit Wörtern benannt werden, bei deren Artikulation die gleichen Organe und Tätigkeiten mitwirken. Auf diese Weise sollen z. B. Bezeichnungen für essen, blasen, Mund, Zunge entstanden sein. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit ist dieser Hypothese nicht abzusprechen, wenn sich auch inbezug auf die einzelnen zum Beweise beigebrachten Fälle eine Sicherheit kaum gewinnen lässt.
Misslicher steht es mit dem, was man gewöhnlich als Lautsymbolik bezeichnet, wofür Wundt jetzt den Ausdruck Lautmetapher verwendet.1, 336ff. Eine Verwandtschaft zwischen dem Klange von Wörtern und ihrer Bedeutung glaubt man vielfach herauszuhören in der eigenen oder sonst 183 vertrauten Sprache, aber wohl meistens erst in Folge einer sekundären Assoziation. Abgesehen davon ist bei der Beurteilung der subjektiven Auffassung ein weiter Spielraum eröffnet, und man wird günstigstenfalls kaum über eine gewisse Wahrscheinlichkeit hinausgelangen. Viele auf den ersten Blick plausibel scheinende Annahmen lassen sich durch die geschichtliche Forschung als unzutreffend erweisen.
§ 129. Zwischen den Urschöpfungen, durch welche eine schon ausgebildete Sprache bereichert wird, und denjenigen, mit welchen die Sprachschöpfung überhaupt begonnen hat, ist noch ein bedeutender Unterschied. Jene fügen sich, soweit sie nicht reine Interjektionen sind, in das schon bestehende Formensystem ein. Sie erscheinen mit den zu der Zeit, wo sie geschaffen werden, üblichen Ableitungs- und Flexionssilben. In poltern z. B., wenn es hierher gehört, ist nur poltdurch Urschöpfung, -ern nach Analogie gebildet. Wir können daher in einem solchen Worte eigentlich nur eine partielle Urschöpfung anerkennen. Wir sehen übrigens aus diesem Beispiele, dass das, was man gewöhnlich als Wurzel aus einem Worte abstrahiert, durchaus nicht immer einmal als selbständiges Element existiert zu haben braucht, auch nicht in einer älteren Lautgestalt, sondern sogleich bei seinem Entstehen mit einem oder mehreren Suffixen versehen sein kann und versehen sein muss, sobald es der dermalige Sprachzustand erfordert.
Nicht bloss die Suffixe werden nach Analogie des vorhandenen Sprachmaterials geschaffen, sondern auch die Funktion als Subst., Verb. etc., und es wird also auch damit etwas in die neuen Wörter hineingetragen, was nicht auf Urschöpfung beruht.
Bei den ersten Schöpfungen, mit denen die Sprache begonnen hat, kann natürlich von einem solchen Mitwirken der Analogie keine Rede sein. An ihnen kann noch keine Spur einer grammatischen Kategorie haften. Sie entsprechen ganzen Anschauungen. Sie sind primitive Sätze, von denen wir uns noch eine Vorstellung machen können auf Grundlage der § 90 besprochenen aus einem Worte bestehenden Sätze wie Diebe, Feuer. Sie sind also auch wie diese eigentlich Prädikate, zu denen ein sinnlicher Eindruck das Subj. bildet. Damit der Mensch zum Aussprechen eines solchen Satzes gelangt, muss aus der Fülle dessen, was gleichzeitig in seine Wahrnehmung fällt, etwas Bestimmtes ausgesondert werden. Da nun diese Aussonderung noch nicht durch eine logische Operation bewerkstelligt werden kann, so muss sie durch die Aussenwelt veranlasst werden. Es muss etwas vorgehen, wodurch die Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung hin fixiert wird. Nicht die ruhende und schweigende Welt, sondern die bewegte und tönende ist es, deren sich der Mensch zuerst bewusst wird, und für die er die ersten Sprachlaute schafft. An Stelle einer Bewegung 184 der Umgebung kann auch eine Bewegung des eigenen Leibes dienen, wodurch die Augen plötzlich auf einen unerwarteten Anblick gelenkt werden. Der Eindruck wird natürlich um so intensiver sein, wenn dadurch Freude oder Schmerz, Begierde oder Furcht erregt werden. Es ist also das die Aufmerksamkeit erregende Objekt zugleich mit dem, was an dem Objekt vorgeht, was durch den Sprachlaut bezeichnet wird. Wir nähern uns dieser primitiven Sprechweise noch jetzt in Ausrufungen der Überraschung und im Affekt. Wir können also von den ältesten Wörtern sagen, dass sie den unvollkommenen Ausdruck einer Anschauung, wie sie später durch einen Satz wiedergegeben wird mit interjektionellem Charakter verbinden.
§ 130. Noch in anderer Hinsicht muss es sich mit den ersten Urschöpfungen anders verhalten als mit den später nachfolgenden. Bei den letzteren kann von Anfang an die Absicht der Mitteilung mitwirken, bei den ersteren nicht. Zu absichtlicher Ausübung einer Tätigkeit behufs eines bestimmten Zweckes gelangen wir erst, nachdem wir die Erfahrung gemacht haben, dass dieser Zweck dadurch erreichbar ist, und diese Erfahrung machen wir, indem wir sehen, dass die unabsichtlich oder in anderer Absicht angestellte Tätigkeit den betreffenden Erfolg gehabt hat. Vor Schöpfung der Sprache weiss der Mensch nichts davon, dass er einem andern mit Hilfe der Sprachlaute etwas mitteilen kann. Dieser Grund allein würde genügen, um jede Annahme einer absichtlichen Erfindung zurückweisen. Wir müssen in Bezug auf die ersten Sprachlaute durchaus bei der Ansicht stehen bleiben, dass sie lediglich ein Bedürfnis des einzelnen Individuums befriedigen ohne Rücksicht auf sein Zusammenleben mit den andern. Sobald aber solche Laute von andern Individuen perzipiert werden zugleich mit der sinnlichen Wahrnehmung, die sie hervorgerufen hat, so kann beides in Beziehung zu einander gesetzt werden. Dass ein anderes Individuum diese Beziehung empfindet, kann auf dem wirklichen Kausalzusammenhange beruhen, der zwischen der Wahrnehmung und dem Laute durch Vermittelung der Nervenerregung besteht. Sind die verschiedenen Individuen im wesentlichen gleich organisiert, so wird der gleiche sinnliche Eindruck in ihnen ungefähr den gleichen Ausdruckslaut erzeugen, und sie müssen sich, wenn sie denselben von andern hören, sympathetisch berührt fühlen. Gewiss aber ist die Zahl der so erzeugten Laute eine verhältnissmässig geringe gewesen. Erheblich von einander abweichende Anschauungen werden den gleichen Laut hervorgerufen haben. Es ist daher auch zunächst noch durchaus nicht daran zu denken, dass ein solcher Laut, auch wenn er wiederholt von verschiedenen Individuen in der gleichen Weise hervorgebracht wäre, das Erinnerungsbild einer bestimmten Anschauung wach rufen 185 könnte. Alles, was er vermag, besteht nur darin, dass er die Aufmerksamkeit erregt. Spezielleren Inhalt gibt erst die Anschauung selbst. Dass die Aufmerksamkeit der übrigen Individuen sich auf denselben Gegenstand lenkt, welcher in dem einen oder in mehreren den Laut hervorgerufen hat, kann zum Teil durch die begleitenden Gebärden veranlasst sein. Wir werden uns überhaupt zu denken haben, dass die Lautsprache sich in ihren Anfängen an der Hand der GebärdenspracheDie Gebärdensprache ist jetzt eingehend von Wundt 1, 136-247 behandelt. entwickelt hat, dass ihr die Unterstützung durch dieselbe erst nach und nach entbehrlich geworden ist, je weiter sie sich vervollkommnet hat. Die Gebärdensprache muss natürlich gleichfalls von unwillkürlichen Triebbewegungen ihren Ausgang genommen haben. Bei ihr ist dieser Ursprung noch viel leichter erkennbar, weil wir sie auf einer primitiveren Stufe der Entwickelung beobachten können. Ist es einem Individuum wiederholt gelungen durch eine Triebbewegung die Aufmerksamkeit zu erregen, mag sie nun in den Augen, den Gesichtszügen, den Händen oder in den Sprechorganen ihr Endziel finden, so wird es allmählich dazu geführt, dass es mit Hilfe der betreffenden Bewegung auch absichtlich die Aufmerksamkeit zu erregen sucht, sobald es durch das Bedürfnis dazu gedrängt wird.
Ist einmal die Möglichkeit der absichtlichen Mitteilung erkannt, so hindert nichts mehr, dass zu den durch unwillkürliche Triebbewegung erzeugten Lauten auch solche hinzutreten, zu deren Erzeugung von Anfang an die Absicht der Mitteilung mitgewirkt hat. Wir müssen aber betonen die Absicht der Mitteilung, nicht etwa die Absicht, ein bleibendes Werkzeug der Mitteilung zu schaffen. Eine solche Absicht bleibt wie überall in der natürlichen Sprachentwicklung, so auch bei der Urschöpfung ausgeschlossen. Es ist das Bedürfnis des Augenblicks, welches eine neue Lautgruppe hervorbringt. Ob aber eine solche Lautgruppe mit der ersten Hervorbringung zu Grunde geht, oder ob sie eine bleibende Wirkung hinterlässt, das hängt von ihrer Beschaffenheit und von vielen zufälligen Umständen ab.
§ 131. Noch von einer Schwierigkeit müssen wir sprechen, die erst überwunden werden muss, bevor auch nur die ersten Anfänge einer Sprache sich herausbilden können, einer Schwierigkeit, die, soviel ich sehe, bis jetzt noch nirgends gewürdigt ist. Der Urmensch, der noch nicht gesprochen hat, kann so wenig wie ein neugeborenes Kind irgend einen Sprachlaut willkürlich erzeugen. Auch er muss das erst lernen, auch bei ihm kann sich erst allmählich durch mannigfache Tätigkeit 186 der Sprechorgane ein mit einem Lautbilde assoziiertes Bewegungsgefühl herausbilden, welches dann einen Regulator für sein Sprechen abgeben kann. Man darf sich daher nicht einbilden, dass eine Lautgruppe, wie sie einmal von einem Individuum hervorgebracht wurde, nun sofort von den andern hätte nachgeahmt werden können. Nicht einmal dasselbe Individuum konnte sie absichtlich wiederholen. Die Sache liegt für den Urmenschen noch viel schwieriger als für ein Kind unserer Zeit. Das letztere ist in der Regel von einer Anzahl von Menschen umgeben, bei denen sich schon wesentlich übereinstimmende Bewegungsgefühle ausgebildet haben. Es hört daher aus der Menge der möglichen Laute eine bestimmte abgegrenzte Anzahl immer wieder von neuem. Damit ist von vornherein eine bestimmte Richtung gegeben, nach welcher sich seine eigenen Bewegungsgefühle entwickeln, der sich seine Sprechversuche immer mehr annähern. Für den Menschen vor der Sprachschöpfung gibt es keine Norm, keine Autorität. Es scheint demnach, dass das Sprechen mit einem Durcheinander der verschiedenartigsten Artikulationen, wie sie jetzt nirgends in einer Sprache beisammen zu finden sind, begonnen haben müsse.Auch die onomatopoetischen Bildungen müssen ursprünglich von einer so bunten Beschaffenheit gewesen sein. Die noch wirklich vorliegenden, von uns oben besprochenen sind also auch insofern keine reinen Urschöpfungen, als sie sich aus dem Lautmateriale einer schon ausgebildeten Sprache zusammensetzen. Indem dieses Material bei der Nachahmung von Tierstimmen und anderen Geräuschen verwendet wird, geschieht etwas Ähnliches, wie wenn bei musikalischen Nachahmungen derselben die Abstände der Tonhöhe modifiziert werden, um sie auf die sonst in der Musik üblichen Intervalle zu bringen. Ein weiterer Schritt ist dann, dass zur Nachahmung auch sinnvolle Wörter und Sätze verwendet werden. Vgl. das reiche Material bei Wackernagel und Winteler, a. a. O. Wie konnte aber aus einem solchen Gewirr sich eine Gleichmässigkeit des Bewegungsgefühles herausbilden?
Wir werden auch von dieser Seite her wieder zu der Annahme gedrängt, dass gewisse Lautgruppen besonders häufig nicht nur von dem gleichen, sondern auch von verschiedenen Individuen spontan, d. h. ohne Mitwirkung irgend welcher Nachahmung im wesentlichen gleichmässig erzeugt sein müssen. Nur für solche den natürlichen Bedingungen nach bevorzugte Lautgruppen kann sich in Ermangelung einer schon bestehenden Norm ein Bewegungsgefühl herausbilden. In einer solchen bevorzugten Lage befinden sich am ehesten die reinen Trieblaute, und an ihnen werden sich die ersten Bewegungsgefühle entwickelt haben. Wir können es uns auch nicht wohl anders vorstellen, als dass die Bewegungsgefühle für die einzelnen Laute sich sehr langsam eins nach dem andern entwickelt haben, und dass die traditionelle Sprache in ihren Anfängen sich mit einem Minimum von 187 Lautzeichen begnügt haben wird, wenn auch daneben von den verschiedenen Individuen bald dieser, bald jener Laut gelegentlich hervorgebracht wurde. Lernen doch auch die Kinder nur langsam einen nach dem andern von den Lauten der ihnen vorgesprochenen Sprache willkürlich hervorbringen. Und noch in einer anderen Beziehung wird es erlaubt sein, einen Analogieschluss aus der Kindersprache zu ziehen. Das Kind vermag zunächst nur éinen Konsonanten mit éinem Vokale zu kombinieren, welche Kombination dann in der Regel verdoppelt wird. Von solcher Form sind die am frühesten erlernten Wörter der Ammensprache (Papa, Mama etc.), und auf diese Form werden zunächst kompliziertere Wörter reduziert, die das Kind nachzusprechen versucht. Dies gilt insbesondere auch von Eigennamen, deren so entstandene Umbildungen dann als Koseformen auch in die Sprache der Erwachsenen übergehen, vgl. Lili, Lulu, Mimi. Auf einer etwas fortgeschritteneren Stufe tritt noch eine Vereinfachung der Lautkombinationen ein, die dadurch hergestellt wird, dass einzelne Laute fortgelassen, andere einander angeglichen werden. Man vgl. z. B. aus dem Wortschatze eines zweijährigen Mädchens tata = Martha, tate = Tante, babel = Gabel, popf = Knopf, dette = Decke, pom = komm, paffe = Kaffee, ottel = Onkel, ottotte = Onkel Otto, tetz = Cakes, hottört = Hottepferd, apfûf = Apfelmus, tutaus = Kukauge, autîs = ausgiessen, autaz = auskratzen, aufîs = aufschliessen.Andere solche Vereinfachungen führt Wundt 1, 306 auf. Mit Unrecht werden dieselben aber von ihm mit dem assimilatorischen Lautwandel in Parallele gesetzt. Man kann sich danach eine Vorstellung von der Wortgestaltung der primitivsten Sprachen machen. Man versteht danach auch die Rolle, welche die Reduplikation ursprünglich gespielt haben wird. Es wird danach ferner die Vermutung wahrscheinlich, dass sich Konsonantenkombinationen vielfach erst in Folge von Vokalausstossungen ergeben haben werden. Dass es sich wirklich so verhält, ist jetzt für die indogermanischen Sprachen durch die neueren Untersuchungen über den Vokalismus der Ursprache erwiesen.
Aus unseren Erörterungen geht hervor, dass eine längere Ausübung der Sprechtätigkeit vorangegangen sein muss, bis etwas entsteht, was wir allenfalls eine Sprache nennen können in dem Sinne, wie wir von deutscher und französischer Sprache reden, sollte es auch nur eine aus ein paar Wörtern bestehende Sprache sein. Das, was wir Urschöpfung genannt haben, ist an sich nicht ausreichend eine Sprache zu schaffen. Es muss gedächtnismässige Bewahrung des Geschaffenen durch die zu einer Genossenschaft gehörigen Individuen hinzutreten. Erst wo Sprechen und Verstehen auf Reproduktion beruht, ist Sprache da. 188 Betrachten wir dies als ausreichend für die Anerkennung des Vorhandenseins einer Sprache, so müssen wir auch vielen Tieren Sprache zuschreiben. Man wird schwerlich bestreiten können, dass die Lock- und Warnrufe derselben schon etwas Traditionelles, nicht mehr etwas bloss Spontanes sind. Sie repräsentieren ein Entwickelungsstadium, welches auch die menschliche Sprache durchlaufen haben muss, eben dasjenige, welches wir zu schildern versucht haben. Damit aber diejenige Art von Sprache entstehe, die wir jetzt bei dem ganzen Menschengeschlechte finden, gehört noch ein weiterer Schritt dazu. Es ist gewiss von grosser Bedeutung, dass die Zahl der traditionellen Wörter und damit die Zahl der unterschiedenen Anschauungen bei dem Menschen weit über das Mass irgend einer Tiergattung hinausgewachsen ist, aber der eigentliche charakteristische Unterschied der Menschensprache von der Tiersprache oder der jetzt bestehenden Sprache von der früheren Entwickelungsstufe liegt in ganz etwas anderem. In der Zusammenfügung mehrerer Wörter zu einem Satze besteht der entscheidende Schritt vorwärts. Erst dadurch wird dem Menschen auch die Möglichkeit gegeben sich von der unmittelbaren Anschauung loszulösen und über etwas nicht Gegenwärtiges zu berichten.Zu diesem Kap. vgl. jetzt auch meinen Vortrag »Der Ursprung der Sprache« (Beilage zur allgemeinen Zeitung, Jahrg. 1907, Nr. 13. 14).