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Der vielgewanderte Peter Martin Lampel, den wir im Laufe weniger Jahre als Rebellen und als Loyalisten, als Fememörder und als Philanthropen staunend kennengelernt haben, zieht jetzt mit dem Johanniterkreuz des Jungdeutschen Ordens durch die Lande und begeistert sich am freiwilligen Arbeitsdienst. Er hat im vergangenen Frühjahr in Hannover, Sachsen und Schlesien die Arbeitslager des Jungdo und andrer Organisationen besucht und gibt jetzt eine umfangreiche Reportage heraus (»Packt an, Kameraden! Erkundungsfahrten in die Arbeitslager«, Rowohlt). Die Arbeit mußte wohl schnell fertig werden, und sie ist in der Tat unglaublich geschludert. Die Diktion hält glücklich die Mitte zwischen Arnolt Bronnen und Max Jungnickel. Das Deutsch ist vielfach nicht nur schlecht, sondern auch falsch. Haben Rowohlts Lektoren das nicht gemerkt? »Zu mindestens« gibt es nicht. »Das Handmitanlegen« ist eine abscheuliche Wortbildung und sei hier nur als symptomatisch für den Stil des Ganzen vermerkt. Hat man das seufzend festgestellt, hat man sich verärgert durch dichtes Satzgestrüpp gearbeitet, hat man umfangreiche Partien als unlesbar aufgegeben, so gesteht man doch gern zu, daß vieles in unmittelbarer Frische gesehen ist, daß Lampel auch hier seine angeborene Begabung beweist, mit ein paar Strichen Menschen in ihrer sozialen Bedingtheit zu zeichnen. Aber das Talent verwildert, ohne dabei reicher zu werden. Zunächst einmal: Zwanzig Wochen freiwilligen Hilfsdienst über einem Lehrbuch der deutschen Sprache. Pack an, Kamerad Lampel!
Nun mag man sich zu Lampels Stil stellen, wie man will, wenn man sich durch sein Buch geschaufelt hat, weiß man über den freiwilligen Arbeitsdienst mehr als bisher. Der Verfasser möchte um alles in der Welt überzeugen, deshalb setzt er Detail auf Detail ein. Aber je mehr er gibt, desto weniger gelingt es ihm, alle Sträubenden zu sich herüberzuziehen. Wer den freiwilligen Arbeitsdienst ohnehin ablehnt, wird bei Lampel nur neue und recht konkrete Argumente finden. Zunächst erfaßt man sehr deutlich die Unterschiede zwischen den Beweggründen der Propagandisten und denen der Jugend, die sich um sie drängt. Die jungen Leute möchten nur der verrottenden Misere der Untätigkeit entrinnen. Da ihnen sonst niemand hilft, greifen sie zu, ohne zu fragen. Das ist ganz einfach. Aber es ist ein Unfug, ein Handeln aus zwingendem Notstande glorifizieren und zu einer spontanen Volksbewegung machen zu wollen. Lampels eilfertiger Überschwang sieht in dem Arbeitsdienst ein neues Instrument der Nationalerziehung und zur Selektion einer führenden Schicht. Dafür eifert er mit dem flotten Temperament des Schnellgewonnenen, darüber vergißt er die auch noch vorhandene Frage, ob der freiwillige Arbeitsdienst überhaupt als volkswirtschaftlich nützlich zu vertreten ist.
Wie steht es aber mit dem pädagogischen Wert? Bedeutet dieser freiwillige Arbeitsdienst wirklich eine Vorbereitung fürs Leben? Ich halte die Spekulation Lampels für grundfalsch. Denn dieses Lagerleben mit Baracken und Zelten und bunten Fähnchen ist in seiner reizvollen Naturnähe und Primitivität keine wirkliche Vorbereitung auf die Arbeit, wie sie nun einmal ist und sein wird. Die wirkliche Arbeit ist ja ganz anders, trocken, eintönig, unromantisch. Da gibt es kein unterhaltsames Camping mehr, wo sich so nett über »Führertum« diskutieren läßt. Niemals habe ich so gut wie bei Lampel begriffen, warum sich die Reaktion schon so lange für den freiwilligen Arbeitsdienst interessiert. Es fing schon gleich nach der Abschaffung der Wehrpflicht an. Lampel schildert einige Lager und das Leben darin mit minutiöser Treue, und es ergibt sich immer der gleiche Eindruck: Wallensteinerei der Arbeit; hinter nicht ganz klarer Phraseologie fascistischer Drill; das Ganze: die erste Orchesterprobe für eine spätere Militarisierung der Arbeit. Den jungen Leuten wird eine Ideologie eingeimpft, die antidemokratisch ist und antisolidaristisch, die das alte Klassengefühl der Arbeiterschaft durch Subordination unter den Willen von »Führern« ersetzt. So werden Betriebsbullen für die fascistische Fabrik gezüchtet. Zugleich aber läßt man den Glauben bestehen, es handle sich bei alledem um ein »antikapitalistisches« Werk, weil in Einzelfällen Zwischengewinne eines Unternehmers ausgeschaltet werden. Überall wimmeln frühere Offiziere herum, Angehörige eines Standes also, der noch niemals und nirgends ein sympathisch betontes Interesse an schwerer körperlicher Arbeit genommen hat, und wenn man erfährt, daß der ganze freiwillige Arbeitsdienst in Sachsen zum Beispiel einem alten Freikorpsmann und Verschwörer wie Heinz Hauenstein untersteht, so müßte Lampel schon mit einer die deutsche Grammatik virtuos beherrschenden Engelszunge reden, um zu überzeugen, daß es hier mit rechten Dingen zugeht. Natürlich bedeutet der freiwillige Arbeitsdienst für seine Organisatoren nicht eine praktische Frage, über die man verschiedner Meinung sein kann, sondern eine neue Heilslehre wie Mazdaznan oder Gesundbeten. In Deutschland wird alles augenblicklich Weltanschauung, und während junge Leute in Heide und Moor schippen und schwer scharwerken, um endlich wieder abends einen Topf Essen zu haben, hat der Vereinsvorstand in seinem Bureau bereits das Ritual einer nicht sehr klaren, aber trotzdem oder ebendeshalb sehr zugkräftigen Ideologie entwickelt. Die kleinbürgerliche Betätigungsmanie hat hier ein neues unbegrenztes Feld gefunden; es gibt sogar schon eine Volkshochschule für freiwilligen Arbeitsdienst, wie lange noch, und die Universitäten verleihen den Doktor frw. Arb. Es gibt ohne Zweifel einen Wandervogel-, einen Rucksacktyp, Menschen, denen es Spaß macht, unter freiem Himmel am Lagerfeuer ein paar Suppenwürfel in Wasser aufzulösen, dann nach eingenommener Mahlzeit befriedigt unter die Zeltbahn zu kriechen und sich dem Ursinne des Lebens näher zu fühlen.
Wir wollen ihnen nicht das Vergnügen stören, sie mögen in Gottes Namen ihre Weltanschauung pflegen, so viel und oft sie wollen, aber sie sollen uns in Ruhe lassen. So erzählt Lampel manche Episoden, von deren Komik er keine Ahnung hat. Da ist dieser Dialog mit einer Helferin in einem hannoverschen Lager:
»Sie ist schlank, dunkelblond, etwa an vierzig. Mit einem klaren Gesicht und entschiedenem, männlichem Einschlag. ›Wie kommen Sie sich derart mutterseelenallein vor in dieser moorigen Öde und unter den vierzig handfesten Gesellen, gnädige Frau?‹
Sie antwortet zurückhaltend und kühl: ›Ein Privatleben wollte ich auch nicht, mich interessiert der Durchschnitt durch den deutschen Menschen!‹«
Kamerad Lampel gibt das wieder, ohne mit der Wimper zu zucken. Warum sollte er auch lächeln? Das ist ja doch sein eigner Stil.
Packt an, Kameraden! Eine wunderschöne Parole, die leider nicht hilft, weil es für sechs Millionen eben nichts anzupacken gibt. So ein Freiwilligensystem wäre wohl denkbar in Pionierzeiten, wo ohne augenblicklichen Nutzwert für eine kommende Prosperity gedarbt, gespart, geschuftet wird. Einstweilen räumt die Wirtschaft noch eine Position nach der andern. Infolgedessen kann also der heutige Arbeitsdienst auch nur Pläne realisieren, die volkswirtschaftlich noch recht dubios sind. (In diesem Zusammenhang sei an Werner Hegemanns scharfe Fehde gegen Kanalbauten erinnert.) So bleibt bis auf weiteres alles ein Experiment, bei dem ein Aufwand, dessen Zweckmäßigkeit noch unbewiesen ist, aus Mitteln bezahlt wird, die wir nicht haben. Alles an diesen Fragen ist herzlich vieldeutig, und eindeutig ist nur die grimmige Not der Jugend, die sich selbst gegen Hunger und Verkommenheit schützen will. Deshalb ist es notwendig, daß überall die Gewerkschaften mitbestimmend hinzugezogen werden, nicht nur um der heute schon arg grassierenden Ausbeutung Grenzen zu ziehen, sondern auch um zu verhindern, daß diese Arbeitslager zu Zuchtanstalten von gelben Fabrikfeldwebeln werden. Bekanntlich ist das System der Betriebsräte in unsrer Verfassung »verankert«. Das System des freiwilligen Arbeitsdienstes bedeutet die beste Möglichkeit, den Anker in aller Ruhe wieder hochzuziehen. Kamerad Lampel – gestern noch Genosse Lampel –, den Kopf vollgestopft mit bündischen Faxen, sieht das nicht und weiß wahrscheinlich auch gar nicht, was er tut, für welche Interessen er sich begeistert und andern den Sinn verwirrt.
(Die Weltbühne, 20. September 1932)