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Der junge Fridericus

Die deutsche Revolution hat neben manchem andern auch versäumt, die Siegesallee abzutragen. Sie fand nicht den Mut, in einem symbolischen Akt die alte Zeit zu zerstören. Diese halb komische, halb herausfordernde Freiluftpuppenstube des letzten Hohenzollern hätte in tausend Stücke zerschlagen werden müssen. Allerdings gibt es auch bleibendere Zeugnisse des Königtums als die von Eberlein, Uphues et cetera gebackenen Kunstfiguren. In Potsdam geht noch heute der Mann mit dem Dreispitz um. Begegnete er uns dort im Dunkeln, wir würden kaum auf den Gedanken kommen, zu sagen: »Guten Abend, Herr Gebühr.« Die Hohenzollern haben im Zug der Jahrhunderte ein paar Erznarren und sehr viel gleichgültigen Durchschnitt produziert, aber nur ein wirkliches Original, das mit ein paar Spritzern Höllenfeuer getauft ist. Die byzantinische Historiographie zählt Friedrich zu den größten Regenten, die jemals gelebt haben; sie hält jeden Kriegerischen schlechtweg für einen Großen und auch für den geborenen Bewältiger aller Friedensaufgaben. Niemals jedoch ist Friedrich ein Soldat der Idee gewesen, seinen Kriegen fehlt das Kreative. Aus dem vergossenen Blut einer Generation sproß kein neues Leben, auf den Schlachtfeldern dreier Kriege wuchs, in des Wortes traurigster Bedeutung, kein Gras mehr. Diese Kriege waren Kabinettskriege, dazu bestimmt, das graue Gefängnis preußisches Vaterland um ein paar neue Gelasse zu erweitern. Erst als Friedrichs ruhmreiches Instrument, seine Armee, viel später unter dem rasanten Feuer napoleonischer Regimenter niederbrach, da flossen Licht und Luft in den alten Kerker hinein.

Ein ränkevoller Staatsmann, ein oft bedeutender Feldherr, als Regent ein skurriler Tyrann, in seinen Folgen ein namenloses deutsches Nationalunglück – das war Friedrich. Die preußische Geschichtsschreibung ist indessen noch heute »fritzisch« gesinnt. Der schottische Puritaner Thomas Carlyle, übrigens auch ein sehr unebener, sehr egozentrischer Charakter, hat Friedrich eine vielbändige, noch immer gelesene Verhimmelung gewidmet. Messerscharf und klar steht dagegen der knappe kritische Essay des Liberalen Thomas Babington Macaulay. Franz Mehring hat in der »Lessinglegende« den friderizianischen Staat erbarmungslos seziert und von dem Regentenruhm wenig übrigbleiben lassen. Seit einem halben Dutzend Jahren ist nun der Architekt Werner Hegemann wie zu einem persönlichen Duell gegen die preußischen Kriegerkönige angetreten. Sein »Fridericus« war ein intellektuell gepanzerter Widerspruch gegen sinnlos nachgeplapperten Legendenkram. Es war ein schwieriges Buch, in seiner nicht leicht zu bewältigenden Form zugleich ein höchst eindringlicher Protest gegen die flotte Büchermacherei dieser Zeit. Jetzt folgt ein zweites Buch zum gleichen Thema, »Das Jugendbuch vom Großen König« (Jakob Hegner, Hellerau), ein schönes, einfach geschriebenes Buch, das ohne Übersteigung intellektueller Hürden zu erreichen ist, ein Werk, das ganz breiten Erfolg haben müßte, der zugleich ein Erfolg des besten deutschen Geistes sein würde.

Das Duell eines Schriftstellers mit einem toten preußischen König –? Das brauchte in einem andern Fall als dem Hegemanns nicht mehr zu sein als eine Marotte. Denn was wäre ein Kampf gegen Sarkophage, wenn nicht deren schwere granitene Deckel auch noch fühlbar auf unsrer Zeit lasteten ... Zwischen dem ersten und zweiten Friedrich-Buch hat Hegemann das »Steinerne Berlin« geschrieben, die Chronik vom Wachsen einer Millionenstadt. Hier erst ist mir sein Haß gegen die einstigen königlichen Herren der Stadt Berlin ganz verständlich geworden. In der engen trostlosen Anhäufung von Mietskasernen, in dem traditionellen Wohnelend der Hauptstadt sieht er die Sünde der preußischen Könige zu Mauerwerk erstarrt, hier ist die verbissene Militärpolitik der Hohenzollern für Jahrhunderte Stein geworden. Hier ist zugunsten des Militarismus alles ungeschehen geblieben, was dem Organismus Stadt Leben, Gesundheit, Farbe gibt. Die Kasernenphantasie der Soldatenkönige ist hier Schicksal für viele Generationen kranker Kinder, leidender Familien geworden.

Den größten der Könige holt sich Hegemann in seinem neuen Buch heraus, das von dessen konfliktreicher Jugend handelt. Wie oft sind diese Vorgänge und Zustände nicht schon erzählt worden: dieser Kampf mit dem Vater, die Einkerkerung, die Hinrichtung Kattes, dieses rohe Hof leben und dieser gräßliche, alles armfressende Militärfimmel. Es ist seltsam, daß diese Dinge hier neu und erstmalig wirken. Bei Hegemann stellt sich sofort dieselbe Wirkung ein wie bei Franz Mehring: die Beziehung zur Gegenwart ist da. Die Gamaschenideologie dieser Zeit lebt ja noch, die Irrlehre von der Omnipotenz des Staates und der bewaffneten Gewalt als Universalmittel, das ist noch gegenwärtig, und wir erleben hier durch einen ebenso hinreißenden wie gewissenhaften Berichterstatter die Geburtsstunde der preußischen Macht. Hegemann erlaubt sich einmal die bitterböse Ironie, ein Gedicht zu zitieren, das ganz und gar wie ein traditioneller friderizianischer Hymnus wirkt:

Und plötzlich sieht man Fahnen wehen
von einer nie erschauten Art.
Kolonnen ziehn, die Trommler gehen,
und hunderttausend Männer stehen
um einen Willen fest geschart.

O nein, es geht nicht auf Fridericus, sondern auf Adolf Hitler.

So zieht bei Hegemann in einem Stück preußischer Staatsgeschichte die Jugend Friedrichs vorüber. Noch immer dramatisch genug, aber mit den Augen des Psychologen gesehen. Nicht mehr »zwei Welten« stehen sich gegenüber, nicht zwei Ideen, sondern zwei Neurastheniker schlimmsten Kalibers. Der Vater: eine Bestie, die sich sadistisch austobt und dafür den ganzen Staat zur Verfügung hat, der Sohn: feige, schmuddlig, intrigant, gewissenlos und eitel wie ein Narziß – kein junges Heldenleben, »Krankheit der Jugend«, mehr nicht. Vieles davon verwächst sich später, nichts an dem kalten bewußten Machiavellisten erinnert mehr an den phantastischen Jüngling. Wie solide die Hohenzollern seelisch konstituiert sind, wie quicklebendig sie die eigne Schmach und die Leiden andrer überstehen, das erleben wir jetzt ja an dem Beispiel von Wilhelm und Filius, die sich auf den Gräbern des Weltkrieges ihr behagliches, von der Republik hochdotiertes Privatierdasein gebaut haben. Der junge Leutnant Karte ist bekanntlich als abschreckendes Beispiel für den Kronprinzen in Küstrin hingerichtet worden. Als Friedrich König wurde, erhob er zwar den Vater Kattes in den Grafenstand, aber als später der alte Mann sich mit der Bitte an ihn wandte, seinen unehelichen Sohn doch für legitim zu erklären, da schrieb er an den Rand des Gesuchs ... Nun, was schrieb er wohl zu dem Gesuch eines Vaters, dem er durch seine Torheit einst den Sohn geraubt hatte? Er schrieb in seinem berühmten Marginalstil: »Wer wird alle hurkinder naturalisieren?« Diese Hohenzollern sind immer eine verdammt gesunde Familie gewesen.

(Die Weltbühne, 23. Dezember 1930)


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