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Krippenspiel im Reichstag

Helle Aufregung in der Wandelhalle. Wirrwarr in den Fraktionszimmern. Regierungskrise in Sicht. Das dreizehnte Kabinett der Republik wackelt.

Doch fern vom Lärm, in einem efeuumsponnenen Gelaß, sitzen ernste Männer mit zerfurchten Stirnen, die das alles nichts angeht. Das ist der Untersuchungsausschuß. Da probiert das Parlament, das noch niemals Geschichte gemacht hat, wenigstens Geschichte zu erforschen. Was war 1917 los? Wer hat die Friedensbemühungen des Papstes kaputtgemacht? Ein historisches Seminar tut sich auf. Polemischer Ton ist verpönt. Der deutschnationale Vorsitzende schwingt den Pädagogenfinger. Hier gibt es weder Kläger noch Beklagte, sagt er.

Alle Aufmerksamkeit sammelt sich um ein kleines, putziges Männchen, sehr gravitätisch in seinem für eine Stunde aufgebügelten Glanz. Diese hochgeworfne Stirn über all der Putzigkeit, diese martialisch knarrende Stimme – das kennen wir. Das ist das gute, alte, mit Recht so unbeliebte Preußen. Das könnte der Regimentsschreiber sein, der dem Leutnant Katte, dem Sündengenossen des jungen Fritz, das Todesurteil verlas. Nein. Es ist Georg Michaelis, der einem unbestätigten Gerücht zufolge einmal Reichskanzler gewesen sein soll. Unwahrscheinlich die Gestalt, unwahrlich wie die Luft dieses Raumes, wie die Leute darin, die alle diesen selben Michaelis einmal unterstützt, ihn toleriert, ihm geglaubt haben. Da sitzen sie, die einstigen Akteure und Puppen dieses, dieses Michaelis und fragen ihn bitter ernst, wie es denn damals gewesen sei. Denn sie machen nicht Politik, sondern Wissenschaft.

Hier liegt ein grundsätzlicher Irrtum vor: Verantwortungen für Krieg und Niederlage, für diplomatische und militärische Fehlgriffe katastrophaler Art werden in revolutionären Ländern im allgemeinen unter der Laterne geklärt. Bei uns ist man für solche Methoden zu wissenschaftlich. Bei uns erklären die Beklagten sich selbst zum politisch-neutralen Experten-Komitee und sprechen sich gegenseitig frei.

Dennoch ist dies Intermezzo im Untersuchungs-Ausschuß nicht uninteressant. Denn es zeigt uns nochmals den deutschen Parlamentarismus, wie er sich im Juli 1917 etablierte. Wir können vergleichen. Er hat sich nicht geändert seitdem.

(Die Weltbühne, 21. Dezember 1926)


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