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Vorausgesetzt, daß das Kabinett Fehrenbach die ersten Stürme und Anstürme übersteht, werden in der ersten Hälfte des kommenden Monats in Spa Mitglieder der deutschen Regierung mit den »großen Männern« der Entente an einem Tisch sitzen. Schon heute wissen wir, daß aus dieser Konferenz nichts besonders Erfreuliches herauskommen wird, und dabei haben wir deutschen Demokraten und Pazifisten seit langem eine solche Aussprache sehnlichst herbeigewünscht. Der Zeitpunkt ist der denkbar ungünstigste. In Deutschland ein Wahlresultat, das das Mißtrauen des Auslandes bergehoch anwachsen ließ; skrupellos auf Augenblickswirkung gestellte Agitation entwirft Bilder kommenden Vergeltungskrieges. Die Soldateska spottet der schwachen bureaukratischen Fesseln und läßt sich nicht einmal herbei, der herzlich zahmen demokratischen Kontrolle wenigstens rein äußerlich die Reverenz zu erweisen. Allzu leicht macht es Deutschland den starken Männern drüben, die Opposition der Vernünftigen beiseite zu schieben. Die deutschen Dokumente sprechen! Eine einzige Ausgabe der »Täglichen Rundschau« gibt der Pariser und der Londoner Hetzpresse die willkommene Gelegenheit, hohnlachend einen John Maynard Keynes abzutun, den leidenschaftlichen Vorkämpfer einer wahrhaften europäischen Wiederherstellung. Jenen Keynes, dessen empörtes Gerechtigkeitsgefühl die Umrisse des Versailler Altmännerkollegiums mit dem Griffel eines Tacitus für ewige Zeiten festgehalten hat.
Es ist eine alte Geschichte: wer freimütig darauf hinweist, daß es im Lande Dinge gibt, die wenig geeignet sind, das Vertrauen der Nachbarn zu erwecken, der muß die Verdächtigung einstecken, er rechtfertige oder verherrliche sogar die dem Lande ungünstige Politik der andern. Muß es denn immer wiederholt werden, daß der Versailler Vertrag in der Sache ein Ausdruck des Gewaltglaubens, eine Enttäuschung nach Wilsons hochgemuten Verheißungen bedeutet, technisch aber ein flüchtiges und schlechtes Stück Arbeit ist?! Daran läßt sich nicht rütteln. Aber ebensowenig an der Tatsache, daß gewisse Strömungen bei uns geeignet sind, die Vernichtungstendenzen bei den Siegern, namentlich den Franzosen, aufs äußerste zu fördern und ihnen einen Schein von Berechtigung zu verleihen.
Wir erheben gegen die Entente den Vorwurf, daß sie uns gegenüber eine Politik plumper Drohungen und Erpressungen betreibt. Aber wir erheben auch gegen viele unserer Volksgenossen den Vorwurf, daß sie es der Entente allzu leicht machen, bei dieser bequemen Politik zu verharren. Die Entente soll und muß lernen, daß man das deutsche Problem nicht löst, indem man ein paar Regimenter Kolonialtruppen über die Demarkationslinien schickt, und daß eine weitsichtige Außenpolitik höhere Ziele haben muß als jenes, den Jubel der Jingopresse auszulösen. In Spa wird auch Marschall Foch anwesend sein. Und wird natürlich aus militärischen Gründen auf die Verewigung der Besetzung des Rheinlands dringen. Und wird ein Exposé mitbringen, in dem ausgeführt ist, wie unrecht es sei, durch wirtschaftliche Konzessionen Deutschland in die Lage zu versetzen, sich so weit emporzumästen, daß es bald wieder in einen Krieg eintreten könne.
Nochmals: Warum wird Herrn Foch und seinen Myrmidonen ihr Handwerk so sehr erleichtert? Warum kann Herr Barthou die Politik Millerands, die wir doch wirklich als eine solche der harten Hand empfinden, unter dem frenetischen Beifall der Boulevardblätter als »schlapp« bezeichnen? Die angelsächsischen und italienischen Staatsmänner haben ein besseres Organ für die Notwendigkeiten der Situation und wissen, daß es zur Zeit ärgere Sorgen gibt als militärische. Warum müssen sie aus dem Felde geschlagen werden, ausgerechnet mit Haufen bedruckten deutschen Zeitungspapiers? Das wäre ein Triumph deutscher Politik, wenn zu einer solchen Konferenz, die doch Wege in die Zukunft weisen soll, nicht mehr Herr Foch gebeten würde, weil man seiner nicht mehr zu bedürfen glaubt. – –
In der sozialistischen Welt wetteifern zur Zeit etliche Internationalen. Eine jede ein Stück Ohnmacht. Die »Deutsche Tageszeitung«, hierin der verwandten Intelligenz des »Hammers« folgend, weiß hin und wieder Spannendes von einer »Judeninternationale« zu berichten. Doch gibt es gegenwärtig nur eine Internationale von Bedeutung, wenn sie auch nicht auf dem Papier steht: das ist die Internationale der Nationalisten! Mit gefletschten Zähnen, geifernd vor Wut, so stehen sich die Genossen wider Willen gegenüber; aber der gleiche geistige und sittliche Tiefstand eint sie und die Überzeugung, daß der brutalsten Macht diese Welt gehört. Setzt Herrn Ernst Reventlow an einen Tisch mit Herrn Léon Daudet von der »Action Française« und Herrn Bottomley vom »John Bull«, und die Entente cordiale ist fertig. Wie das einander in die Hände arbeitet! Beginnt der eine zu poltern, ist der andere glücklich, ihn nun seinerseits überpoltern zu können. Die Völker aber sehen zu und bewundern die losgelassenen Indianerinstinkte ihrer Überpatrioten. Und doch stehen immer die Völker am Marterpfahl, wenn ihre Führer mit dem Tomahawk Politik machen.
Früher war Außenpolitik in Deutschland eine Geheimwissenschaft und wurde von den wenigen Auserlesenen in Seidenschuhen betrieben. Heute führt ein jeglicher seine Weisheit in Holzpantinen spazieren. Die alldeutschen Tobsuchtsausbrüche, in der Ära Kiderlen noch sporadisch, sind längst permanent geworden. Delirium als Prinzip – ein kostbares Rezept für auswärtige Politik!
Zugegeben, das alte Regime bedeutete keine Erziehung zur Verantwortlichkeit und hat auch dem Deutschen nicht gerade den Blick fürs Ganze auf den Weg gegeben. Aber wie sich jetzt unsere nationalistische Presse immer tiefer in Verhetzung und Verwilderung hineinarbeitet, das überbietet alle früheren Leistungen und wäre Gegenstand nicht politischer, sondern psychiatrischer Untersuchung, wenn dazu Zeit wäre, wenn nicht Deutschlands Lage so furchtbar wäre. In engstem Zusammenhang damit steht auch eine große innerpolitische Gefahr.
Wenn, was schon jetzt als ziemlich feststehend betrachtet werden kann, die Konferenz von Spa Deutschland keine Erleichterung bringen wird, sondern nur die alten Forderungen in neuer Umrahmung, dann werden unsere reaktionären Parteien eine neue chauvinistische Glutwelle übers Land gehen lassen. Das deutsche Elend, das in erster Linie sie verschuldet haben, wird ihnen gut genug sein als Anlaß zu neuen agitatorischen Gesten. Die Parteien der Kriegsverlängerer und Kriegsgewinnler, die Einpeitscher des Revanchegedankens und Begönnerer des Kapp-Putsches werden die Republik, werden die demokratischen und sozialistischen Parteien verantwortlich machen für die Schläge auf den Magen, die das deutsche Volk von der Entente erhält. Sie haben der Demokratie die Verantwortung für den von ihnen verlorenen Krieg aufgebürdet, sie werden auch vor dieser neuen Verleumdung nicht zurückschrecken. Die Entfesselung des Nationalismus ist bisher noch immer das probateste Mittel geistbankerotter Elemente gewesen, sich die Herrschaft zu sichern. Und die »Sieger« vom 6. Juni brauchen neuen Wein in die alten Lügenschläuche! Es ist ihnen in den vergangenen drei Wochen nicht gelungen, auch nur eine leidlich mittelmäßige Idee zu produzieren. An Stelle der großen Wirtschaftsretter und erstklassigen Fachmänner erscheinen alltägliche Bureaukraten preußischer Schulung. Sie hätten schon Fachmänner; leider sind diese bei der gereizten Stimmung der Arbeiterschaft nicht ministrabel. Eher würden die Arbeiter alle Räder stillstehen lassen, als die Verwaltung der Wirtschaft in Händen dieser offenbaren Vertrauensleute des rabiatesten Industrieherrentums zu dulden. Die Reaktionäre haben also sehr viel zu vertuschen. Wie man sie kennt, werden sie nicht zögern, in Deklamationen wider die »schlechte« Republik und die »korrupte« Demokratie wahre Orgien zu feiern und die Mittel- und Linksparteien zu Sündenböcken zu machen.
Ein weiteres Umsichgreifen des Chauvinismus aber bedeutet einfach die Katastrophe der Demokratie. Diese Gefahr muß erkannt werden. In England gibt es gute Liberale; die zugleich sehr solide Jingos sind. Deutschland kennt solche Art nicht. Hier ist der Chauvinismus die Eigenart und die leider auch sehr wetterfeste Maske der Reaktion. Als Herr Traub sich patriotardisch zu echauffieren begann, siedelte er zu Westarp über.
Es geht um die Existenz der Demokratie. Keinen Augenblick darf sie sich von einer an sich vielleicht verständlichen Massenstimmung hinreißen lassen. Mitten in der allgemeinen Entrüstung über die Ententepolitik muß sie mit unerbittlicher Schärfe auf jene hinweisen, die sie als wahre Urheber des Unglücks erkannt hat.
Völkerpolitik wird nicht mit Temperamentsausbrüchen gemacht. Eine nationale Pflicht nur hat der Deutsche heute: jede pomphafte Gebärde zu vermeiden und still zu arbeiten! Nationale Würde, das ist nicht vaterlandsparteiliche Schmierenpathetik, sondern Besinnung und Abrechnen mit sich selbst. Patriotismus, das sei Handlung und nicht Wort. Die Franzosen fürchten deutsche Revanche. Wären sie klug, würden sie das beseitigen, was Revanchegedanken nähren kann. So hell leuchtet es noch nicht in Frankreichs Politik, aber die Ahnung ist da. Die von Nitti begonnene und von Lloyd George diplomatisch unterstützte Politik der Verständigung wird sich durchsetzen. Wir Deutsche sollten den Klärungsprozeß nicht mit Tiraden aufhalten. Wir, die von Mißtrauen Zernierten, können viel zum Abbau der Kriegsstimmung und damit zur Entwaffnung der Welt beitragen, wenn wir offen zum Ausdruck bringen, daß nach den blutigen Erfahrungen von vier Kriegsjahren eine Rückkehr zu politischen Grundsätzen unmöglich ist, die nicht wenig mitschuldig waren an der Entfesselung des Krieges.
Viele Feinde hat das deutsche Volk in der Welt. Aber die schlimmsten trägt es in sich. Übermütig wie einst möchten sie auf dem Reichsgebäude die Junkerfahne aufpflanzen. Der Wind pfeift von rechts und peitscht die Flut. Wir wollen der Mache die Gesinnung entgegensetzen und uns zur Verantwortung erziehen vor Volk und Menschheit. Das ist der Damm, an dem die Woge des Völkerhasses zerschellen wird.
(Berliner Volks-Zeitung, 27. Juni 1920)