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Kürzlich wurde irgendwo von einem General aus dem chinesischen Bürgerkrieg erzählt, der nach seiner Niederlage nach Japan geflüchtet war und dort natürlich sofort interviewt werden sollte. Er aber antwortete ganz schlicht: »Ich bin geschlagen – was ist da weiter zu sagen?«
Ein deutsches Blatt, das diese Geschichte erzählte, nannte das »Weisheit des Ostens«. Mit Verlaub, das ist zu anspruchsvoll, das war einmal, und vor noch nicht langer Zeit, allgemeiner Brauch. Wer die blutige Partie verloren, zog sich schweigend zurück, zufrieden, daß man ihm die Epauletten beließ. Der General Ludendorff hat mit dieser Tradition gebrochen. Der Mann, der so gern die altpreußische Tradition im Munde führt, hat gegen diese und überhaupt jede Offizierstradition mit einer Hartnäckigkeit verstoßen, für die man vergebens nach Vorbildern sucht. Ein hochmütiger, selbstgerechter Condottiere, der das Vaterland zerstört, das seiner Anmaßung den Tribut verweigert.
Tradition? Kurt Riezler hat vor ein paar Jahren in einem sehr aufschlußreichen Artikel nachgewiesen, daß Ludendorff selbst ein unerhörter Traditionen-Zerstörer gewesen war. Die Novemberrevolution, so etwa folgerte Riezler, hat nur vollendet, was Ludendorff begonnen. Seit dem Beginn seines Regimes in der OHL war die Absetzung des Obersten Kriegsherrn tatsächlich durchgeführt. Ludendorff, monokelbewehrt, krähte den Imperator wie eine kleine Ordonnanz an. Der Kaiser staunte, aber wagte nicht zu mucksen. Er dachte nicht mehr daran, »alles alleine zu machen«. Der Paladin hatte ihn zum Statisten, zum prunkvollen Deckblatt seiner eigenen Kabinettspolitik gemacht. Nur folgerichtig, daß der Sturz Ludendorffs den Sturz des Monarchen zur Folge hatte. Ein Bismarck hat verzichtet, die Hohenzollern in sein Debacle zu ziehen, es war ihr Schicksal, daß sie schließlich, an Ludendorffs Wagen gekoppelt, in den Abgrund sausen mußten.
Dieser General ist ein Virtuose der Niederlage. Er versteht es, die peinliche Situation in allen Nuancen auszukosten, bis auf die Selbstanklage, die Selbstbezichtigung, die Reue. Würde er gelegentlich im Büßergewande erscheinen: »Brüder, ich habe gesündigt! Ich allein bin schuld!«, das Theater wäre unübertrefflich. Aber bis zum Sublimen stößt die Komödianterie nicht vor. Dennoch vollendet ist er in den Tönen des Hasses, der sich mühsam Luft machenden, nach Worten ringenden Erbitterung, dem erstaunten Aufblicken, wieder einmal verraten zu sein. Denn er ist immer der Verratene, immer, immer. Von den Herren der Kapp-Regierung, von Kahr, Lossow, Rupprecht, von den Juden, von der Kirche – vom ganzen deutschen Volk. Man wundert sich nur, daß ein so Vielerfahrener den Verrat nicht gleich von vorneherein in die Kalkulation zieht. Das ist sein Manko. Die Niederlage wäre dann wahrscheinlich weniger hart, aber das Auskosten der Niederlagen dann sicherlich auch weniger gründlich, weniger pathetisch und weniger bequem. Die Parzival-Geste wäre verpfuscht. Das Charakterbild problematischer, aber weniger amüsant.
Welche tollen Auf- und Abstiege! Schlachtenlenker, Tyrann eines Monarchen und einer hilflosen Zivilregierung, nationaler Kultgegenstand. 1917 Brest-Litowsk; er diktiert einen Gewaltfrieden. 1918 – Flüchtling, Herr Lindström, mit blauer Brille und Fußsack unterm Kinn. Dann Memoirenverfasser, knarrendes, aber wirkungsvolles »J'accuse!«, Held neuer Legenden, Haupt und Abgott rebellierender Offiziere – Kapp-Putsch. Ludendorff geht zufällig am Brandenburger Tor spazieren. In der Erneute, in seinem Geiste, mit seiner Autorität gemacht, wandelt er wie ein kaum beteiligter Flaneur. Die Gewerkschaften streiken die Lüttwitz-Truppen wieder zum Brandenburger Tor hinaus. Er stolpert wieder vor dem letzten Sprung. Ein zweites Mal ist Ludendorff erledigt. Es bringt kein Glück, wenn er etwas anfaßt, konstatiert damals die »Frankfurter Zeitung«.
Der Abgewirtschaftete geht nach München. Unter Kahr wird dieses friedliche Bier-Idyll zum Mekka der Konterrevolution und Ludendorff Mittelpunkt und Aushängeschild der Nationalen Bewegung. Adolf Hitler trommelt den Schwertglauben in die weite Welt. Bayern wächst zum Arsenal der Reaktion aus, zur Zitadelle, die das ganze übrige Deutschland beherrscht. Noch wissen nur wenige, daß zwei Strömungen konträr laufen, daß hinter verschlossenen Türen zwei Paniere erbittert kämpfen. Ludendorff ahnt wohl noch nicht, daß »Bayerns deutsche Mission« nicht mehr ist als ein Spezialgeschäft der Wittelsbacher und er Commis voyageur einer Firma, die bereit ist, ihm den Kragen umzudrehen, wenn er seine Provision einfordert. Schließlich geht ihm doch die Erkenntnis auf, aber er hofft auf den Norden, auf allgemeine Erhebung der vielen, vielen Filialverbände seiner süddeutschen Gründungen: »– Mut, du fährst den Cäsar und sein allmächtiges Glück!«
In der Nacht vom 8. zum 9. November 1923 zerplatzt die letzte Illusion. Rom und Wittelsbach, die geheimen Kräfte hinter den Kulissen, haben interveniert. An den Verbündeten von gestern legen Kahr und Lossow Hand an. Die ungeheure Spannung, die monatelang Deutschland in hysterische Zuckungen brachte, endet auf dem Odeonsplatz mit blutigem Gelächter. Der General des Weltkrieges, zum Spießgesellen übergeklappter Straßendemagogen geworden, in seinem Cut platt auf dem Bauch liegend, während die Kugeln pfeifen, dann ganz prosaisch arretiert, eine Spottfigur der ganzen Welt. Gibt es ein Land außer Deutschland, wo man sich von solchen Blessuren der Reputation erholt?
Und Ludendorff erholt sich. Dank der freundlich schonenden Staatsanwaltschaft, dank Hitlers frischem Naturburschenton vor Gericht, dank der unsympathischen Physiognomien Kahrs und Lossows. Man hat ein gewisses Mitgefühl mit dem so plump Begaunerten. Man lacht auch über die ahnungslose Offenherzigkeit, mit der er die Römische Kirche schimpfiert. Er weiß wieder mal nicht, was er anrichtet, sagt man. Er weiß es wirklich nicht.
Die völkische Welle trägt ihn mächtig empor. Die Epidemie der Deutschen Tage trägt ihn nach Norddeutschland, wo er fast zur mythischen Gestalt geworden. Der 4. Mai, der den Seinen dreißig Mandate bringt, macht einen Strich unter eine Serie von Defaiten. Aber der Putschgeneral wächst nicht zum politischen Führer. Mürrisch und immer beleidigt sitzt er im Parlament. Seine zusammengewürfelte Partei trägt den Wurmfraß in sich. Hitler fehlt. Ludendorff taugt nicht zum Arbiter; sein Name sinkt zum Kampfobjekt; der Befehlsgewohnte bleibt ohne Autorität.
Die bayerische Regierung saniert das Gelände um ihn. Er fühlt sich eingekreist, verlassen, verraten. Er wagt einen letzten desperaten Sprung: er attackiert Rupprecht selbst, er will den Kernstoß führen gegen die Sippen, die ihn erst mißbraucht und dann geächtet haben. Der Effekt ist bekannt. Die bayerische Generalität wendet sich mit kühlem Achselzucken ab; er wird still und ohne Aufregung hinauskomplimentiert wie ein kleiner Plebejer, der sich in eine aristokratische Gesellschaft verlaufen. Das alles geht ohne Sensation vor sich. Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht mehr für einen streitsüchtigen alten Herrn. Der Heros ist geborsten. Man hat andere Sorgen. Seine Völkischen werden am 7. Dezember zermahlen werden. Er wird diesmal noch in den Reichstag einziehen und dort ein gelegentlich belächeltes Mauerblümchen-Dasein führen, wie etwa der selige Ahlwardt in seinen letzten Jahren.
Das ist Erich Ludendorff, der General der Niederlagen. Und wenn sich plötzlich diese böse, verstockte Zunge lösen und er offen und natürlich ein Plädoyer halten wollte für seine von ihm selbst und von andern oft mißbrauchte Menschlichkeit, es würde immer das eine herauskommen: – er mußte scheitern, weil der Widerspruch größer war als der Mensch. Ein Mathematiker des Schlachtfeldes, ein Grundbuchbeamter des Todes, von dem kein wärmender Strahl ausgeht, der niemals im Scheine des Überlebensgroßen dasteht und stets Anbetung und Unterwerfung heischt und nicht Bewertung. Und wenn er das kleine Geschmeiß anklagt, das ihm den Platz in Walhall nicht gewähren will, dann ist um ihn für Augenblicke eine Luft wie um Shakespeares verbissenen, hartherzig überheblichen Patrizier Coriolan, von dem ein Tribun sagt:
Du sprichst vom Volk,
als wärest du ein Gott, der kommt zu strafen,
und nicht ein Mensch wie sie.
(Das Tage-Buch, 8. November 1924)