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Während die nationalsozialistische Bewegung immer mehr anschwillt und immer breitere Volksmassen umfaßt, schreitet der psychische Verfall der Führer in rapidem Tempo fort. Ein paar Millionen Deutsche werden von einer Handvoll Narren gegängelt. So war es früher auch, jawohl, aber diesmal ist der klinische Befund greifbarer. Im Münchner Parteipalais betätigt sich der Generalissimus als Innendekorateur, ein Gott, der hoch im Braun und Blauen über Ovationen und Mißbilligungen thront. Nur Herr Doktor Joseph Goebbels steht noch munter im Gefecht, aber in was für einem. Tag für Tag schreibt er im »Angriff«, »was für ein brav Kerl« er ist, um mit Schelmuffsky zu reden. Selten wohl hat ein junger Geschäftsmann, der aus Sparsamkeitsgründen sein eigener Propagandachef sein muß, über sich selbst mit größerer Zufriedenheit Prospekte geschrieben. Goebbels kennt jetzt nur noch ein einziges wichtig zu nehmendes Politikum: die eigne werte Person. Er benutzt jede Gelegenheit, um seinen männlichen Bewunderern und den Scharen germanischer Tempeljungfrauen, die sich um ihn drängen, von der Tüchtigkeit der Firma zu erzählen. Eine kleine Anpflaumung in einem Zeitungsartikel, die sich mit seinem nicht grade hundertprozentig proletarischen Lebensstil befaßt, erwidert Goebbels mit einer umfangreichen Darlegung, wie, wo und wann er wohnt, was der Chauffeur kriegt et cetera. Kein Detail bleibt uns erspart. Nächstens wird Taillenweite und Hutnummer mitgeteilt werden, und was dann noch übrigbleibt, will ich lieber nicht erwähnen. Sonst schreitet die Zensur ein.
Es ist begreiflich, daß Goebbels auch sein Attentat haben mußte. Ob die Zusendung von ein paar Knallbonbons an seine Adresse auf ihn selbst zurückgeht, ob es sich dabei um einen Ulk handelt, den sich jemand in Weinlaune mit dem Steglitzer Dutsche gemacht hat, jedenfalls hat sich der Retter Alldeutschlands aus eigner Berufung dabei nicht sehr heroisch aufgeführt. Wer Europa mit Giftgasgeschwadern überziehen, mindestens das deutsche Vaterland in ein kleines Bürgerkriegsgemetzel tauchen will, muß einen mit Kinderfeuerwerk ausgeführten Angriff auf das eigne körperliche Wohlbefinden mit besserer Laune ertragen. Doch dieser hysterische Zappelwisch von einem Tribunen bricht in ein unartikuliertes Gekreisch aus. Nun wäre dieses Zwischenspiel nur komisch zu nehmen, wenn es nicht vierundzwanzig Stunden später in Hamburg wirklich geknallt hätte, und das war kein Spielzeug. Damit stoßen wir auf ein ernsteres Thema. Denn tagtäglich werden im »Angriff« und den andern völkischen Blättern die wildesten Abrechnungen mit den Gegnern in Aussicht gestellt. Täglich wird ein andrer zu den Leuten geworfen, »die wir uns aufsparen wollen für eine legale Abrechnung, die einmal kommt, wenn wir die Macht in der Hand haben«. Dieses Spiel begann, als Adolphus Rex vor dem Reichsgericht »rollende Köpfe« ankündigte. Und so geht es seitdem weiter, »natürlich gesetzlich, natürlich erst, wenn wir die Macht in der Hand haben«. Joseph Légalité, der unerbittliche Revolutionär, teilt in seinem Blättchen die tägliche Komplettierung der Ächtungslisten mit. Damals beim Leipziger Offiziersprozeß hätte der Reichsanwalt sofort gegen Hitler vorgehen müssen. Was würde wohl der Anwalt eines monarchischen Staates gegen eine Oppositionspartei unternehmen, die für den Fall der Machtergreifung die Hinrichtung des Königs und seiner Minister in Aussicht stellt? Er würde von der Legalität Rechtens Gebrauch machen, und das Revolutionstribunal des kommenden Reiches säße zunächst einmal auf der Anklagebank des noch in Kraft befindlichen.
Schon sind aus Fememördern Femerichter geworden, und die Hamburger Meuchelmörder fühlen sich gewiß als Vollstrecker eines Rechts, das morgen schon herrschen kann. Eine schamlose Umwertung einfachster Begriffe von Anstand und Recht frißt sich mehr und mehr in die deutschen Gehirne ein. Der schlichte SA-Mann, der den Mitbürger mit den andern Farben am Rock wie ein böses Tier abschießt, betrachtet die Gegner einfach als politische Verbrecher, die zu bestrafen die schlappe Republik versäumt. So wird es ihm von den Führern eingehämmert. Die zynische und verlogene Parole »Wir bleiben legal« heißt schon lange nicht mehr: »Wir treten nicht über die Grenzen bestehender Gesetze«, sondern: »Wir lassen uns nicht ertappen und streiten alles ab.« Der Staat hat gemütlich zugesehen, bis sich aus Straßenraufereien und -schießereien allmählich bürgerkriegsähnliche Zustände entwickelten, und er reibt sich noch jetzt erstaunt die Augen, wo wieder eine neue Phase begonnen hat: die der offenen Attentate gegen bestimmte Personen. Zwei Morde in achtundvierzig Stunden, das ist ein verheißungsvoller Beginn. Man wird nicht mit einem Schlage das nationalistische Komitatschigesindel, das überall schußbereit im Gebüsch lauert, entwaffnen können. Aber diese elende, feige Phrase von der Legalität, die sollte man den Führern endlich aus der wohlgepflegten Hand schlagen, damit die Herrschaften nicht im sichern Bureau die Verantwortung für eine neue Mordwelle ohne große Beschwernis ableugnen können. Wie mannhaft wirkt nicht neben dieser Drückebergerei die Erklärung des inzwischen verstorbenen Pöhner im Münchner Hitler-Ludendorff-Prozeß von 1924: »Aus meiner ganzen Einstellung mache ich kein Hehl. Ich habe dem Staatsanwalt erklärt: Was Sie mir jetzt als Hochverrat vorwerfen, dies Geschäft treibe ich seit fünf Jahren.« Auch Bürger Joseph Légalité, der vorsichtige Umstürzler, treibt dies Geschäft, aber mit Rückversicherung.
(Die Weltbühne, 24. März 1931)