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Hindenburg und sein Ruhm

Wir haben ihm zum Schluß gar nicht mehr gesagt, wo die einzelnen Korps standen.

Oberst Bauer

Der Generalfeldmarschall von Hindenburg gehört zu jenen artigen Kindern Fortunas, die schon bei Lebzeiten in die große Legende eingehen. Scharfkantigen Geistern und geladenen Temperamenten wird solch ein Vorzug nicht zuteil. Auch die Göttin des Glücks ist bequem wie alle Erzieher.

Wir verdanken dem seligen Lichtenberg jene tiefe psychologische Bemerkung über den Mann, der seinen Homer so gründlich im Kopfe trug, daß er immer Agamemnon statt angenommen las. Welch wunderbare Bloßlegung einer winzigen seelischen Geheimzelle, welch wunderbare Entdeckung einer geheimen Strömung, die den flachen Wellengang des Alltags pathetisch kräuselt! Hindenburgs märchenhafter Ruhm? Sein deutsches Publikum will Agamemnon, will den Helden. Und sieht deshalb die nüchterne Wirklichkeit in einer Verklärung von Kriegsglanz und Staatsmannsweisheit. Und sieht deshalb seinen Helden in einem hochbetagten Mann, der schon vor dreizehn Jahren, als man ihn aus seiner Pensionsruhe holte, ein überalterter General war, der seine Erhöhung vornehmlich einer noblen Geduld verdankte, die ihn ebenso fähig machte, sein Podagra wie eine Reihe ehrgeiziger, genialisch flackernder Unterführer zu ertragen. Anfang August 1914 zweifelte er lebhaft an seiner Reaktivierung und ahnte nicht im Traum, was sein Kaiser und gar noch die Republik mit ihm vorhatte.

Die Legende ist ihm immer treu geblieben. Den vorlauten, hoffärtigen Schüler Ludendorff hat sie verworfen und schließlich auf der Eselsbank abgeladen, den schlichten Hindenburg, der stets nur geantwortet hat, wenn er gefragt wurde, dagegen zum Primus gemacht. Sie hat Tannenberg anekdotisch ausgeschmückt, indem sie die Geschichte von der jahrelang zurückliegenden Konzeption der Ostpreußenschlacht erfand. Ja, sie erfand die freundliche Idyllik des pfeifeschmauchenden Pensionärs zu Hannover, der sich die Mußestunden mit der Skizzierung der Idee vertreibt, wie man am besten hunderttausend Russen ersäuft. In Wirklichkeit hat sich der alte Herr ebensowenig für Masuren wie für Timbuktu interessiert. Sogar seinen Kaiser soll er in einer Manöverkritik hart mitgenommen haben, deshalb der frühe Ruhestand. Solche Geschichten machen schnell volkstümlich. Ein konservativer General zwar, aber einer, der selbst Wilhelm die Wahrheit sagt, murmelten die Liberalen und Sozis. Die Legende ist fertig. Sie blieb ihm treu. 1918 finden wir ihn auf dem Boden der Tatsachen. Das war vernünftig, aber nicht ganz royalistisch. Verachtung kommt über die türmende Dynastie. Doch dem alten Generalissimus jauchzt man zu. Er hält zum Volk, posaunt Fama. Vergessen, daß sein beliebter Name ebenso wie der Ludendorffs die Politik der Kriegsverlängerung gedeckt hat. Vergessen sein entsetzlich ahnungsloser Ausspruch, daß ihm der Krieg wie eine Badekur vorkommt. Vergessen, daß er noch 1918 das barbarische Anbinden zur Erhaltung der Manneszucht notwendig hielt. Vergessen, daß er so ganz nebenbei auch den Krieg verloren hat. In dieser Stunde wird die Legende vom Retter geboren, und ein paar Jahre später hat die erstarkte Reaktion den Tip für ihre historische Rechtfertigung. In den Tagen allgemeiner Auflösung, heißt es, hat ein kaiserlicher General das Heer geordnet zurückgeführt und Deutschland aus der Anarchie gerettet.

Wenn man die Gloriolen abzieht, bleibt ein auffallend rüstiger alter Herr, niemals sehr regen Geistes, ein Hausvater von vielen Qualitäten, im Amt bescheiden und taktvoll und, da ohne Reibungsflächen, beliebt und gern dorthin gestellt, wo begabte, aber sonst schwer genießbare Untergebene einen weniger geruhigen Vorgesetzten zur Raserei bringen könnten. Als Kommandierender wird ihm Bernhardi zugewiesen, der spätere alldeutsche Poltron, als Militär ein unbequemer, streitlustiger Modernist. 1914 sucht man einen Chef für den als Talent hochgewerteten, aber sonst mürrischen und kritiksüchtigen Ludendorff. Die Wahl fällt folgerichtig auf den Mann, den kein Bernhardi ins Grab ärgern konnte. Die ausländische Militärkritik durchschaut diese Berühmtheit besser. Die deutsche Strategie, von Tannenberg bis zur letzten französischen Sommeschlacht, verbucht sie auf Ludendorffs Konto. Hindenburg ist ihr nur ein Name. Wie stand es um den Kriegesfürsten des deutschen Millionenheeres? »Wir sagten ihm zum Schluß gar nicht mehr, wo die einzelnen Korps standen«, verriet der mitteilsame Oberst Bauer in einem Gespräch mit Hans Delbrück. Und der Nestor der deutschen Kriegshistorie teilt das mit und nennt den Feldherrn Hindenburg im Anschluß daran eine »ehrwürdige Null«. Das war allerdings noch vor dem letzten großen Avancement.

 

Er hat den Locarno-Pakt und den Beitritt zum Völkerbund unterzeichnet. Ein guter Präsident der parlamentarischen Demokratie, der pflichtgemäß unterzeichnet, ob sein Herz dabei ist oder dagegen, nicht wahr? Doch zweimal ist er seinen eignen Weg gegangen, und da ist er den Leuten gefolgt, die seine Leute sind trotz alledem, und nicht den Schwarzrotgoldenen, die ihm »als vom Volke gewählten Präsidenten alle schuldige Achtung erweisen«. Das eine Mal, als er die staatliche Besitzergreifung der Fürstenvermögen in dem berühmten Brief an seinen Wahlmacher von Loebell Raub nannte. Das andre Mal jetzt in Tannenberg, wo er unter dem Jubel aller Revanchefreunde seine Kriegsschuldbotschaft an die Welt richtete.

Es ist seltsam, daß gerade die tollsten Militaristen nicht schlafen können, wenn man sie der Kriegsanstiftung bezichtigt. Diese Philosophen der Kraft müßten es doch als ein Verdienst ansehen, etwas zur Ausrottung des skrofulösen und brustschwachen Packs getan zu haben, das den heldischen Herrenrassen den Lebensraum verengt. Wenn wir uns recht erinnern, hat doch während der Verhandlungskrise von Brest-Litowsk ein alldeutsches Blatt geschrieben, man müßte Gott auf den Knien danken, daß der Friede nicht zustande gekommen sei. Diesen so vorzüglich betonierten Gewissen kann es wohl auf das bißchen Kriegsschuld nicht ankommen. Doch die Wahrheit ist, daß diese Schar von Unschuldslämmern aus lauter guten Monarchisten und Revanchards besteht, die immer nur an die Reinwaschung der Monarchie denken, während sie den Protest gegen die angebliche Verunglimpfung des deutschen Volkes im Munde führen. Mag ihr Marschall-Präsident ruhig den Rheinpakt unterschreiben. Sie glauben ja nicht an Verträge. Die Schuldfrage ist ihnen wichtiger. Würde der Präsident sich hier verweigern, wäre er des Kaisers Freund nicht mehr. Und so sagt er gehorsamst das Credo des deutschen Nationalismus auf – nachdem zwei Tage vorher sein Außenminister in Genf ein paar deutsche Pazifisten Lügner und Lumpen genannt hat, weil sie der Meinung Ausdruck gegeben haben, daß es mit der geistigen Abrüstung zu Haus nicht so weit her sei, wie der Herr Außenminister immer behaupte. Ein Vorschlag zur Güte: warum verschließt man sich draußen eigentlich dem deutschen Verlangen nach einer unparteiischen Untersuchung der Schuldfrage? Warum ist man in London und Paris immer so schrecklich böse, wenn eine deutsche Zelebrität ihre Unschuld in den Lautsprecher stöhnt? Es ist doch noch sehr die Frage, wer bei einer objektiven Untersuchung schuldig befunden würde.

 

Der 2. Oktober wird zu einem ungeheuren Jubelfest aller Schwarzweißroten, zu einem Generalappell aller werden, die Agamemnon für angenommen lesen. Die Leute können zufrieden sein. Der alte Herr hat seine Sache als Probekaiser gut gemacht. Die Kritik der Demokraten und Sozialisten geht nicht über das Zimmer seines Kabinettchefs, trifft ärgstenfalls seine Berater und macht vor seinem ehrwürdigen Alter halt. Auch bei der rötesten Opposition hat man im Grunde viel für ihn übrig. Und es gibt allerhand wilde Linksradikale, die, wenn man Hindenburg sagt, jenes geheime Beben verspüren wie manche überzeugte Atheisten, wenn der Name Gottes fällt. Während ein matter Burgfriede der Republik zu Scheinsiegen verhilft, steigt die Reaktion tiefer und tiefer in die Macht. Keine noch so sorgliche Beachtung der gebotenen Formen kann die Tatsache verdecken, daß dies Oberhaupt des Reiches von seinen Anhängern nur als historisches Provisorium, als Übergang in ein Ungewisses betrachtet wird. Hinter ihm steht nicht mehr die Gewißheit republikanischer Kontinuität, sondern ein gefährliches Vielleicht.

(Die Weltbühne, 27. September 1927)


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