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Siebenter Theil
Buch der Mönche

61

Siebenter Theil
Erste Rede

Rāhulos Ermahnung

I

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen. Um diese Zeit aber weilte der ehrwürdige Rāhulo im Mangohage. Ambalaṭṭhikā, nahe bei Rājagaham, von De Lorenzo richtig erklärt.

Als nun der Erhabene gegen Abend die Gedenkensruhe beendet hatte, begab er sich nach dem Mangohage, dorthin wo der ehrwürdige Rāhulo sich aufhielt. Und es sah der ehrwürdige Rāhulo den Erhabenen von ferne herankommen, und als er ihn gesehn stellte er einen Stuhl zurecht und Wasser für die Füße. Es setzte sich der Erhabene auf den dargebotenen Sitz, und als er saß spülte er sich die Füße ab. Und auch der ehrwürdige Rāhulo setzte sich, nach des Erhabenen Begrüßung, zur Seite nieder.

Und der Erhabene ließ einen geringen Rest von Wasser im Becken zurück und wandte sich an den ehrwürdigen Rāhulo:

»Siehst du wohl, Rāhulo, diesen geringen Rest von Wasser da im Becken?«

»Ja, o Herr!«

»Ebenso gering ist, Rāhulo, das Asketenthum derer, die sich vor bewusster Lüge nicht scheuen.«

Und der Erhabene goss diesen geringen Rest von Wasser aus und sprach zum ehrwürdigen Rāhulo:

»Siehst du wohl, Rāhulo, dass dieser geringe Rest von Wasser ausgegossen ist?«

»Ja, o Herr!«

»Ebenso ausgegossen ist, Rāhulo, das Asketenthum derer, die sich vor bewusster Lüge nicht scheuen.«

Und der Erhabene kehrte das Wasserbecken um und sagte zum ehrwürdigen Rāhulo:

»Siehst du wohl, Rāhulo, dass dieses Wasserbecken umgekehrt ist?«

»Ja, o Herr!«

»Ebenso umgekehrt ist, Rāhulo, das Asketenthum derer, die sich vor bewusster Lüge nicht scheuen.«

Und der Erhabene kehrte das Wasserbecken auf und fragte den ehrwürdigen Rāhulo:

»Siehst du wohl, Rāhulo, dass dieses Wasserbecken hohl und leer ist?«

»Ja, o Herr!«

»Ebenso hohl und leer ist, Rāhulo, das Asketenthum derer, die sich vor bewusster Lüge nicht scheuen.

»Gleichwie etwa, Rāhulo, wenn ein Königselephant, mit Doppelhauern, zum Angriff geeignet, zum Kampf erzogen, in den Kampf gerathen mit den Vorderfüßen sein Werk verrichtet und mit den Hinterfüßen sein Werk verrichtet, mit dem Vorderleibe sein Werk verrichtet und mit dem Hinterleibe sein Werk verrichtet, mit dem Kopfe sein Werk verrichtet, mit den Ohren sein Werk verrichtet, mit den Hauern sein Werk verrichtet, mit dem Schwänze sein Werk verrichtet und nur den Rüssel zurückhält; da weiß der Elephantenlenker: ›Nicht hat der Königselephant das Leben preisgegeben.‹ Wenn aber, Rāhulo, ein Königselephant, mit Doppelhauern, zum Angriff geeignet, zum Kampf erzogen, in den Kampf gerathen mit den Vorderfüßen sein Werk verrichtet und mit den Hinterfüßen sein Werk verrichtet, mit dem Vorderleibe sein Werk verrichtet und mit dem Hinterleibe sein Werk verrichtet, mit dem Kopfe sein Werk verrichtet, mit den Ohren sein Werk verrichtet, mit den Hauern sein Werk verrichtet, mit dem Schwänze sein Werk verrichtet und mit dem Rüssel sein Werk verrichtet; da weiß der Elephantenlenker: ›Preisgegeben hat der Königselephant das Leben, alles ist jetzt der Königselephant imstande zu thun.‹ Ebenso nun auch, Rāhulo, sag' ich, dass wer sich da vor bewusster Lüge nicht scheut alles Böse zu thun imstande ist. Darum merke dir, Rāhulo: ›Nicht einmal im Scherze will ich Lüge reden‹: also hast du dich, Rāhulo, wohl zu üben.

»Was meinst du wohl, Rāhulo: wozu taugt ein Spiegel?«

»Um sich zu betrachten, o Herr!«

»Ebenso nun auch soll man sich, Rāhulo, betrachten und betrachten bevor man Thaten begeht, betrachten und betrachten bevor man Worte spricht, betrachten und betrachten bevor man Gedanken hegt.

»Was immer du, Rāhulo, für eine That begehn willst, eben diese That sollst du dir betrachten: ›Wie, wenn diese That, die ich da begehn will, mich selber beschwerte, oder andere beschwerte, oder alle beide beschwerte? Das wär' eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet.‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begehn will, die kann mich selber beschweren, kann andere beschweren, kann alle beide beschweren: es ist eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eine derartige That sicherlich zu lassen. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begehn will, die kann weder mich beschweren, noch kann sie andere beschweren, kann keinen von beiden beschweren: es ist eine heilsame That, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eine derartige That zu thun.

»Und während du, Rāhulo, eine That begehst, sollst du dir eben diese That betrachten: ›Weil ich nun diese That begehe, beschwert sie mich da selber, oder beschwert sie etwa andere, oder beschwert sie alle beide? Ist es eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begehe, die beschwert mich selber, oder sie beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einer derartigen That Einhalt zu thun. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begehe, die beschwert weder mich selber, noch beschwert sie andere, beschwert keinen von beiden: es ist eine heilsame That, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eine derartige That zu fördern.

»Und hast du, Rāhulo, eine That begangen, so sollst du dir eben diese That betrachten: ›Weil ich nun diese That begangen habe, beschwert sie mich da selber, oder beschwert sie etwa andere, oder beschwert sie alle beide? Ist es eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begangen habe, die beschwert mich selber, oder sie beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist eine unheilsame That, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eine derartige That dem Meister oder erfahrenen Ordensbrüdern anzugeben, aufzudecken, darzulegen; und hast du sie angegeben, aufgedeckt, dargelegt, dich künftighin zu hüten. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Diese That, die ich da begangen habe, die beschwert weder mich selber, noch beschwert sie andere, beschwert keinen von beiden: es ist eine heilsame That, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eben diese sälig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu pflegen.

»Was immer du, Rāhulo, für ein Wort sprechen willst, eben dieses Wort sollst du dir betrachten: ›Wie, wenn dieses Wort, das ich da sprechen will, mich selber beschwerte, oder andere beschwerte, oder alle beide beschwerte? Das wär' ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet.‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da sprechen will, das kann mich selber beschweren, kann andere beschweren, kann alle beide beschweren: es ist ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, ein derartiges Wort sicherlich zu lassen. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da sprechen will, das kann weder mich beschweren, noch kann es andere beschweren, kann keinen von beiden beschweren: es ist ein heilsames Wort, das Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, ein derartiges Wort zu sprechen.

»Und während du, Rāhulo, ein Wort sprichst, sollst du dir eben dieses Wort betrachten: ›Weil ich nun dieses Wort spreche, beschwert es mich da selber, oder beschwert es etwa andere, oder beschwert es alle beide? Ist es ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da spreche, das beschwert mich selber, oder es beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einem derartigen Worte Einhalt zu thun. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da spreche, das beschwert weder mich selber, noch beschwert es andere, beschwert keinen von beiden: es ist ein heilsames Wort, das Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, ein derartiges Wort zu fördern.

»Und hast du, Rāhulo, ein Wort gesprochen, so sollst du dir eben dieses Wort betrachten: ›Weil ich nun dieses Wort gesprochen habe, beschwert es mich da selber, oder beschwert es etwa andere, oder beschwert es alle beide? Ist es ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da gesprochen habe, das beschwert mich selber, oder es beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist ein unheilsames Wort, das Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, ein derartiges Wort dem Meister oder erfahrenen Ordensbrüdern anzugeben, aufzudecken, darzulegen; und hast du es angegeben, aufgedeckt, dargelegt, dich künftighin zu hüten. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieses Wort, das ich da gesprochen habe, das beschwert weder mich selber, noch beschwert es andere, beschwert keinen von beiden: es ist ein heilsames Wort, das Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eben diese sälig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu pflegen.

»Was immer du, Rāhulo, für einen Gedanken hegen willst, eben diesen Gedanken sollst du dir betrachten: ›Wie, wenn dieser Gedanke, den ich da hegen will, mich selber beschwerte, oder andere beschwerte, oder alle beide beschwerte? Das wär' ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet.‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da hegen will, der kann mich selber beschweren, kann andere beschweren, kann alle beide beschweren: es ist ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einen derartigen Gedanken sicherlich zu lassen. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da hegen will, der kann weder mich beschweren, noch kann er andere beschweren, kann keinen von beiden beschweren: es ist ein heilsamer Gedanke, der Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einen derartigen Gedanken zu hegen.

»Und während du, Rāhulo, einen Gedanken hegst, sollst du dir eben diesen Gedanken betrachten: ›Weil ich nun diesen Gedanken hege, beschwert er mich da selber, oder beschwert er etwa andere, oder beschwert er alle beide? Ist es ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da hege, der beschwert mich selber, oder er beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einem derartigen Gedanken Einhalt zu thun. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da hege, der beschwert weder mich selber, noch beschwert er andere, beschwert keinen von beiden: es ist ein heilsamer Gedanke, der Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, einen derartigen Gedanken zu fördern.

»Und hast du, Rāhulo, einen Gedanken gehegt, so sollst du dir eben diesen Gedanken betrachten: ›Weil ich nun diesen Gedanken gehegt habe, beschwert er mich da selber, oder beschwert er etwa andere, oder beschwert er alle beide? Ist es ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‹ Wenn du, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da gehegt habe, der beschwert mich selber, oder er beschwert andere, oder beschwert alle beide: es ist ein unheilsamer Gedanke, der Leiden aufzieht, Leiden züchtet‹, so hast du dann, Rāhulo, vor diesem Gedanken Grauen, Entsetzen, Abscheu zu fassen; und hast du Grauen, Entsetzen, Abscheu gefasst, dich künftighin zu hüten. Wenn du aber, Rāhulo, bei der Betrachtung merkst: ›Dieser Gedanke, den ich da gehegt habe, der beschwert weder mich selber, noch beschwert er andere, beschwert keinen von beiden: es ist ein heilsamer Gedanke, der Wohl aufzieht, Wohl züchtet‹, so hast du, Rāhulo, eben diese sälig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu pflegen.

»Denn wer immer auch, Rāhulo, von den Asketen oder den Priestern in vergangenen Zeiten seine Thaten geläutert, seine Worte geläutert, seine Gedanken geläutert hat, ein jeder hat also und also betrachtend und betrachtend seine Thaten geläutert, betrachtend und betrachtend seine Worte geläutert, betrachtend und betrachtend seine Gedanken geläutert. Und wer immer auch, Rāhulo, von den Asketen oder den Priestern in künftigen Zeiten seine Thaten läutern, seine Worte läutern, seine Gedanken läutern wird, ein jeder wird also und also betrachtend und betrachtend seine Thaten läutern, betrachtend und betrachtend seine Worte läutern, betrachtend und betrachtend seine Gedanken läutern. Und wer immer auch, Rāhulo, von den Asketen oder den Priestern in der Gegenwart seine Thaten läutert, seine Worte läutert, seine Gedanken läutert, ein jeder läutert also und also betrachtend und betrachtend seine Thaten, betrachtend und betrachtend läutert er seine Worte, betrachtend und betrachtend läutert er seine Gedanken.

»Darum merke hier, Rāhulo: ›Betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Thaten läutern, betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Worte läutern, betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Gedanken läutern‹: so habt ihr euch, Rāhulo, wohl zu üben.«

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Rāhulo über das Wort des Erhabenen. Diese Rede, sowie die vierundzwanzigste der selben Sammlung, hat Asoko auf dem Bairāter Edikte den Mönchen und Nonnen, Anhängern und Anhängerinen, namentlich und mit genauer Kennzeichnung, empfohlen, als »Rāhulos Ermahnung: Abscheu vor Lüge«, bez. als »Upatissos Fragen«; cf. meine Anm. 25, Seite 781 des ersten Bandes, und in der Wiener Zeitschrift f. d. Kunde des Morgenlandes vol. XI. p. 159.
Vergl. den Archæotropus im 537. Jātakam v. 35:

Sace pi vāto girim āvaheyya,
cando ca suriyo ca chamā pateyyuṃ,
sabbā va najjo paṭisotaṃ vajeyyuṃ:
na tveva 'haṃ rāja musā bhaṇeyyam.


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