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Spielte man nicht den »Wilhelm Tell« an jenem tragischen Opernabend? So seht den neuen Wilhelm Tell: einen hochgewachsenen Mann mit breiten Schultern, breiter Brust und Bart, mit wilden, schwarzen Haaren, mit mutigen und schwermütigen und schwärmerischen, schwarzen Augen, adliger Nase, merkwürdig roten Lippen, weissen Zähnen, weisser Haut. Das ist der schöne und erschütternde Felice Orsini, neununddreissig Jahre alt, ein Mann, ein wunderbarer Mann, Graf nach Aussehn und Aussage – und da dieser Mann wahrlich ist, wie er scheint, und sagt, wie er ist, und nichts im Zweifel lässt, nichts verheimlicht, beschönigt oder verhässlicht und grad steht für alles, was er wollte und tat, so gibt es kein Deuteln an dem Adel auch seines Blutes, an dem Erbe römischer Grossartigkeit: Graf Felice aus dem Hause jener Orsini, die Päpste stellten und gewaltige Herren und deren geringster noch ein Würdenträger ist, allein durch den Namen, und ein Anspruchsvoller gegen das Leben.
Nun, hat dieser Erbe herrischen Vermögens, hat der Nachfahre von Granden der Kirche, des Krieges und des Genusses an sich gedacht, an seinen persönlichen Ruhm, an sein privates Glück, an die Vermächtniswürde und Selbstermächtigung seines feudalen Namens, als er aus dem Anspruch des Lebens auf die männlichste Art den Befehl des Lebens machte, der zugleich soldatische Todesbereitschaft war und beinahe mythologisches Abenteuer? Nein, er hat nur an die Idee gedacht, und die Idee ist heldisch und tugendhaft von Grund auf: die Befreiung des Vaterlands. Dazu gehören alle Mittel, die der Zweck heiligt: Kampf gegen die Bedrücker in jeder Form, Revolution, Konspiration, Anarchie.
Was ist es für ein Heldenleben gewesen, das er schildert – ein unglaubhaftes Leben, ein Roman der überwundenen Romantik, würde er es nicht mit seiner weichen, tiefen, aufregenden und lähmenden, einkreisenden und mitnehmenden, ganz und gar wahrhaftigen Stimme von jeder Anzweiflung losgesprochen haben. Den Zwölfjährigen rührte schon das Schicksal an, das einzigartige und einzige, als der Vater, ehemaliger napoleonischer Offizier und wichtiger Carbonaro, Anno Einunddreissig in den grossen Sumpf geriet, in dem die italienische Freiheit versank. (Und welcher andere wichtige Carbonaro geriet damals ebenfalls in den grossen Sumpf und kam doch heraus, mit dunklen Mitteln, durch hohe Helfer, und liess nicht nur den leiblichen Bruder erstickt zurück, sondern auch die vielen Brüder und Vettern der Idee und die Idee selber, nicht wahr? – welche frühe und dramatische Beziehung zu dem zwölfjährigen Kind der Idee!)
Schicksal also kann ererbt werden und im Blut sein, wie es nicht allein der Sohn der Napoleonidin Hortense beweist. Aber das Erbe des vaterländischen Martyriums, das der Jüngling Orsini zu tragen hatte, war keine umhegte Arenenberger Legende auf dämmrigem Goldgrund, sondern hart und heftig bewegtes Epos vom politischen Kämpfer, Verschwörung und Empörung, Sinn und Inhalt solchen verwegenen Lebens fordern von je und immer wieder die todfeindliche Staatsmacht heraus, die zugleich die Übermacht ist – denn nur das Missverhältnis der Kräfte macht Märtyrer und Helden – und die rebellische Existenz mit Kerker, Standgericht und Schafott vernichtet oder in Verbannung zwingt. Dies alles sind Stationen des Orsinischen Passionals, und ihre Wiederholungen verringern nicht den Glanz des Tragöden-Schicksals noch des Berichtes.
Die beiden grossen Staatsfeinde des anarchischen Befreiers sind historisch gegeben: der Kirchenstaat und Österreich. Gegen sie geht der Held in den ersten zwei Dritteln seines Lebenskrieges an, und sie schlagen mit gehöriger Übermacht zurück.
Der Sechsundzwanzigjährige wird wegen Verbrechens gegen die Sicherheit des Staates vom Obersten Römischen Gerichtshof zur lebenslänglichen Galeere verurteilt – was ist das anders als die Belehnung mit höchster revolutionärer Würde?, denn noch bleibt der schöne und schon geweihte Kopf auf den Schultern. Der Siebenundzwanzigjährige empfängt die Amnestie Pio Nonos zu seinem Regierungsantritt als die überaus pünktliche, aber doch nur pflichtgemässe Wechseleinlösung der nationalen Vorsehung und lernt, die Zwangsstaatsbegriffe von der Länge des verhafteten Lebens und der Gewalt über die gefährlichen Köpfe noch geringer zu schätzen als bisher, und stürzt sich in die Arbeit für das grosse Jahr des europäischen Aufstandes.
Achtundvierzig kommt, Rom wird rot, der Neunundzwanzigjährige wird verdienter Würdenträger, Mitglied des Nationalkonvents, ausserordentlicher Kommissar in den Marken, ein strenger Beamter der neuen Freiheit, ein rücksichtsloser Zwangseinnehmer und gefürchteter Paradiesverkünder – und wie er seine kurze Satrapenzeit schildert und zu sagen nicht vergisst, dass er trotz seiner regionalen Allgewalt um keinen Skudo sich bereicherte, heben sich auf fragwürdige Weise die überroten Lippen von den weissen Zähnen; denn man wusste nicht recht, ob er die Zähne zeigen oder lächeln wollte. Das rote Rom wird entfärbt, die junge Republik erschlagen – von wem? Man weiss es, man sieht schon den zwangvollen Ablauf des Schicksals: der Held lockert die Lippen auf. Die zurückgekehrte Inquisition nennt seine Paradiesverkündung Hochverrat und seine Requisitionen Diebstahl. Aber er ist schon ausserhalb ihrer Gewalt, man weiss nicht recht wie, er irrt durch Europa, einen kunstvollen und schutzreichen Irrgarten, wenn man zur Geheimbruderschaft der politischen Märtyrer gehört und nirgends anders mehr zu Hause ist als in seinen Verästelungen. Er ist in London, in der Schweiz, in Piemont, in der Lombardei, unter tausend Namen, unter tausend Gefahren, die zum Handwerk gehören und kaum erwähnt zu werden brauchen. So vergehen die Jahre im Grubenkrieg gegen die drei Feinde – gegen die drei? Nun, fragt jemand noch, wer der Dritte ist?
In welcher Sappe man auch arbeitet: man treibt die Minen vor, es kommt auf die Himmelsrichtung nicht mehr an. Man fabriziert Unruhe; das schliesst die Fabrikation von Bomben ein. Im Kampf des Einzelnen gegen den Staat kann die scheinbar wahnwitzige Ungleichheit der Kräfte nur ausgeglichen werden, indem der Anarchist den Staat ebenfalls zu einer Person macht und als Person angreift, vorzüglich eben in der Person des gekrönten Hauptes. Das nötigt zur Fabrikation von Bomben und Attentaten.
Die Frage, die nicht mehr zu unterdrücken ist: ob der einzelkämpferische Held im Falle des Kampferfolges ein Mörder ist, wird zumeist doch wieder vom historischen Erfolg abhängig gemacht. Denn möglicherweise ist er doch ein Wilhelm Tell. Und wenn, wie bei dem Märtyrer Orsini, die Reinheit der Gesinnung und der Aussage zusammen mit dem schönen Zeugnis der Gestalt keine schimpfliche Bezeichnung zulässt, dann ist wohl auch der historische Erfolg für die Absolution entbehrlich.
Ja, der Held erklärt, im nobeln Fluss der erstaunlichen Erzählung, dass er vor drei Jahren den jungen Franz-Joseph hat töten wollen – er sagt es nicht so; denn das wäre die Sprache eines Mörders. Er spricht von einer Verschwörung gegen das Leben des Kaisers von Österreich, von ihrer Aufdeckung und von der Todesdrohung, die zu ihm, dem Bedrohenden, zurückkehrt. Dieses Zurückschnellen des Todes gegen den, der ihn aussendet, gegen den Kameraden schliesslich, gehört zur Berufsgefahr und härtet das Herz ab. Das Unternehmen misslingt, das Verderben schlägt zurück, man hat damit zu rechnen. Der Held wird gefangen, zum Tode verurteilt und erwartet in der Zitadelle zu Mantua die Exekution. Er schildert nicht seine Haltung; denn sie ist selbstverständlich: man wird wohl neuerlich die Probe auf das Exempel machen können.
Diese Parenthese, mit aufgelockerten Lippen gesprochen, erschüttert sehr – und in diesem gespannten Augenblick tritt die Frau, die schöne, namenlose Frau, in die Geschichte seines Lebens, zum ersten Mal. Bei einem solchen Mann – seht ihn nur an! – ist es mit den Frauen wie mit den Gefahren: sie gehören dazu, sie sind immer da; aber er erwähnt nur die Besonderen. Die Frau, die jetzt in die Handlung eingreift, wunderbar und wünschenswert, ist der Erwähnung so würdig wie die besondere Gefahr, der sie begegnet. Ein paar Tage vor der Hinrichtung schmuggelt sie eine Feile in den Kerker des Geliebten, er durchsägt acht Gitterstangen, er zerreisst sein Bettuch und knüpft es zu einem Seil, er lässt sich die furchtbaren vierzig Meter herab, ach, das Seil reisst, der Held fällt in die Tiefe, der Himmel will, dass es Frost ist und der Weiher gefroren, der Halbtote ertrinkt nicht und erfriert nicht, eine geheimnisvolle Jagdgesellschaft findet ihn und rettet ihn, vom Himmel zur Stelle geschickt oder von der grossen Liebe.
Woher kennt man alles dies? Nun ja, aus Romanen, vorzüglich sogar aus Carbonaro-Romanen vorletzter Mode. Aber wie kläglich ist die Phantasie der Schreiber gegen die Wahrheit dieser Lebens-Aussage! Die Erregung wächst, die Schicksalsgeschichte schwächt sich nicht durch zeitweilige Wunderrettungen ab, die Handlung rückt der Gegenwart auf den Leib, der Held flieht nach London und bereitet den Tod gegen den Dritten vor, den Schicksalsträchtigen, den Abtrünnigen und Feme-Verfallenen – und alle wissen doch schon: es ist wieder ein Tod, der zurückschnellt.
Der Held ist neununddreissig – das ist kein Alter für den Tod oder nur bei Götterlieblingen. Aber die Götter pflegen keinen erfolglosen Verschwörer zu lieben, und der Grubenkämpfer pflegt keinen Anspruch auf die zärtliche Heimholung des jünglingshaften Genius zu machen; denn er hat hier zu tun. Die breite Brust und die Armmuskeln spannen den Anzugstoff – das ist kein Körper für den Tod. Der Kopf auf dem Athletenhals wird weder durch den Sturm der Erzählung noch durch die Last der Tat zur Neige gebracht, er steht gerade. Und was ist er für ein Erzähler, wie gut erzählt er, wie glatt und merkwürdig geübt. Gut, die Übung ist erklärlich, es kommt heraus, dass er die letzten drei Jahre in England von Vorträgen über das abenteuerliche Dasein eines italienischen Freiheitskämpfers gelebt, ja, von Lesungen über sein eigenes Heldenleben, gegen Eintrittsgeld, und dass er nicht schlecht davon gelebt hat und dass er davon die ziemlich kostspieligen Vorbereitungen für die Todschleuder gegen den Dritten bestreiten konnte. Was für ein starkes, verwegenes und zuversichtliches Leben also, Turm des Lebens neben den gebrochenen Schächern, den winselnden Wracken der drei Komplizen, denen er doch die Tatverantwortung abnimmt – und neben ihm setzt doch der respektlose oder gar verräterische Tod zum Sprung an, kein Rettungswunder geschieht, keine Frau ist da als schöne, namenlose Helferin?
Oh, die Frauen sind da, es ist die Zeit der schönen Frauen, wenn auch nicht der namenlosen. Es ist, im Zeichen der Börse und des allgemeinen Imperials, keine Zeit für Männer, die ihren stolzen Kopf berufsmässig aufs Spiel setzen. Deshalb ist der erwiesene Held von einziger Art.
Die schönen Frauen sind wichtig wie vor hundert Jahren oder wichtiger noch, angesehener noch; der soziologische Umfang ihrer Bedeutung verkörpert sich in der monströsen Krinoline, die den Mann an die Wand drückt, den Unhelden; die Frau hält die Erfolgsleiter des Mannes, und die Himmelsleiter ist jene Grosse Treppe in den Tuilerien, auf der die Krinolinen hinansteigen, zwischen den schimmernden Erzengeln der Cent-Gardes, und genau wissen, von welchem Würdenträger sie sich auf die Schleppe treten lassen müssen, damit der Unheld höher kommt, – und vielleicht ist es einmal der Kaiser, immer noch der Ersehnte, eben erst vom Tod gestreifte und jetzt doch der Rückschleuderer des Todes. Welch ein Glück, dass er leben geblieben ist, der liebe, höchste Frauenfreund – welch ein Glück, liesse er den Anderen leben, den einmaligen Helden und Frauenliebling!
Nur wer die Macht hat, darf sich erlauben, widerspruchsvoll zu sein. Die Frauen fühlen sich so mächtig, dass sie den Kaiser und den Helden lieben, gleichzeitig, und der Tod, der zwischen den beiden hin und her züngelt wie eine Stichflamme, erhitzt sie sonderbar. Sie sind fiebrig: sie schicken Blumen in die Tuilerien und ins Gefängnis, sie drängen sich vor dem Schloss und vor dem Schwurgericht und vor den Buchläden, die beider Bilder ausstellen, – und dann, mit den Steigerungen des Prozesses und der Kolportage des heroischen Lebens, entscheidet es sich: der Held ist der schönere, jüngere und unglücklichere. Sie lieben ihn mehr, sie zittern für ihn, sie denken im Stil seines Lebensberichtes – Mantua und die Retterin –, sie denken an die Erfolgsleiter der Zeit, die sie halten, sie denken an die Freiheitsleiter für den Helden. Sie stimmen für Begnadigung. Sie wünschen Gnade. Sie befehlen Gnade.
(Und der Generalintendant der Schönen Künste, gewiss doch auch ein schöner Mann, hat schwere Tage; denn seine Freundin, die böse Blume, bekanntlich ebenfalls Patriotin, politische Emissärin und Verschwörerin, geht in ihrer Leidenschaft für den Landsmann so weit, dass sie dämonische Zusammenhänge und Mitwisserschaft andeutet, von dunklen Vorereignissen raunend, an denen sie unheimlich beteiligt war, von nächtlichen Schüssen und Komplotten in ihrem Passy, von verstörtem Kaiser und von wilder Polizei – und die Polizei ist doch wirklich wild und ungalant in jenen Tagen, mit tausend Ohren empfänglich für solches Geflüster – und dass sie den grossen Mann befreien wird; denn vielleicht sei sie es gewesen – wer kennt denn ihr geheimnisvolles Leben? –, die ihn vor drei Jahren schon aus Mantua befreit hat. Der Intendant ist starr und von solchen lila Blitzen der Kombinationslust und der Skandalbereitschaft denn doch geblendet. Er bedenkt zweierlei: entweder Rapport beim Kaiser oder Weitergabe der Dämonin an den Nächsten. Da er ein Mann der Zeit ist, ein Unheld also und ein ungläubiger Spötter, entschliesst er sich für den Nachfolger, und sei es auch der noch schönere Orsini.)
Nur wer die Macht hat, darf sich erlauben, widerspruchsvoll zu sein. Der Kaiser hat die Macht. Er schafft das tyrannische Sicherheitsgesetz und lässt der Mörder-Glorifizierung jede Freiheit, im Gerichtssaal, in der Presse, auf der Strasse. Selbst der bedeutsame Polizeipräfekt Pietri begreift den Widerspruch nicht und schüttelt den Kopf. Er ist ein ungalanter Mann, die Krinolinen lassen sich von ihm nicht auf die Schleppe treten, sie weichen ihm aus. Er schüttelt den Kopf; regiert im Grund doch die Frau das Kaiserreich?
Auch die Räume der Kaiserin lagen dem Garten zu und erstreckten sich längs der Dianagalerie; aber sie waren im ersten Stock, die des Kaisers (und des Söhnchens) im Erdgeschoss. Die Treppe, die beim Uhren-Pavillon zu ihnen hinaufstieg, führte in eine andere Welt. Die Räume unten waren ernst, ruhig, ziemlich einfach und merkwürdig benommen von der gleichsam unlauteren Stille des Bewohners, von seiner Schläfrigkeit, in der Absicht und Bedürfnis in undeutlicher Mischung brauten, von der Nebelschutzfarbe seiner Seele. Denn in der Wohnung schlägt sich die Seele des Menschen nieder, sie nimmt mehr von ihm an als der Anzug, der nur Form und Ruch des Körpers festhält; sie nimmt von ihm das innere Geheimnis und lebt davon, ein Vampir von inniger Tücke, und hängt es auf in vertraulicher Verräterei.
Die Räume oben, die der schönsten Frau, waren märchenhaft; denn sie beherbergten das Zeitmärchen, und das war eine wunderlich hastige, fremdartige und unruhige Geschichte, eine über sich selber staunende und sofort doch auch raffsüchtige und aufstapelnde Zauberei. Das Zeitmärchenhafte glaubte an Pracht und Prunk wie ein Kindermärchen; aber nur diese unerlebte Vorstellung war kindlich: das Märchen selber war ja eine Frau, eine ganz unkindliche, die sich mit kühlem Kalkül sehr viel wünschte und immer noch mehr, noch viel mehr bekam. Und als sie ihre Feenkraft erkannte, wandte sie sie sofort an, etwas wahllos und heftig, mit südlicher Freude an der bunten Fülle, mit spanischem Temperament, das seltsamerweise nicht zur Lebensäusserung gehörte – denn sie war mehr kalt als warm –, nicht zur eigenen Person, sondern exzentrisch zu den Dingen der Umgebung, zum Gehäuse ihrer Märchenexistenz. Sie war Kaiserin, so plötzlich und unwahrscheinlich wie das ganze Kaiserreich; aber die Wirklichkeit war nicht mehr zu leugnen, sondern im schlimmsten Fall nur anfechtbar. Ihre Energie, gänzlich erfahrungslos, aber dennoch klug, galt von Anfang an der Verteidigung einer Wirklichkeit, die unglaubhaft war. Sie verfocht also auch das Unglaubhafte, das Märchen, sie dachte garnicht daran, es auszutreiben und durch das Alltägliche zu ersetzen, – denn das Alltägliche konnte nicht das Kaiserliche sein, und der kaiserliche Alltag, den es dann auch gab und den sie mit anmutiger Einfachheit übte, ging keinen etwas an, er war nicht die Repräsentation, sondern das Privatleben. Sie zeigte von Anfang an, dass das Wunderbare nicht nur wirklich sei, sondern sogar dem auserwählten Schicksal zieme, sie betrat als bleiches und verlegenes Mädchen Notre-Dame und verliess es als gekrönte und vollkommene Kaiserin, sie gelangte zur Vollkommenheit des äusseren Bildes ohne Übergang, ohne Übung, ohne Vorbereitung, ohne Überlieferung – das innere ging keinen etwas an, nicht einmal den undeutlichen Märchenkaiser – und so baute sie sich nach ihrem nagelneuen Begriff von Märchen und Macht das staunenswerte, nein, das staunenspflichtige Gebäude des Wunders aus bis zum Wunderlichen.
Das Märchen verlöre an Zauber, stünde es allen offen und gäbe es sich gemein. So umbaute sie es mit dem ältesten und unbiegsamsten Zeremoniell, das sie auftreiben konnte – bekanntlich mit dem spanisch-habsburgisch-wittelsbachischen. Die Spötter sagten, dass man, um zu ihr zu gelangen, die fünf Umwallungen der verbotenen Stadt durchqueren müsse. Man durchquerte sie gerne, es lohnte sich wie in den Geschichten von Tausendundeiner Nacht. Man liess sich von den Garden prüfen und zu den Huissiers schicken, silberbestickten Braunröcken in Eskarpins und Schnallenschuhen. Man folgte ihnen gehorsam die Treppe hinauf, auf deren Absätzen Lakaien standen, feierlich, unbeweglich, und dich nicht ansehen, man kommt in den Wartesaal und wird einem eleganten Kämmerer ausgeliefert, der dich ansieht und leise ausfragt, zumal nach deinen Titeln, und dann in den ersten der berühmten Salons führt.
Hier, im Grünen Salon, in dem die Damen vom Dienst sich über Stickereien langweilen, tat sich das Märchen auf, die Verwirrung des übervollen Raums, hier war alles grün, die Sessel, die Tischdecken, die Teppiche, die Vorhänge, die Freskendecke mit Camaïeux auf wassergrünem Grund und gleichgetönten Arabesken. Und hier schon wogte es von Blumen, von gemalten zumal, auf dem Plafond und über den Türen, und dort zeigten sich auch grüne Vögel zwischen den Blüten. Es gab zu staunen; aber die grüne Station war kurz, ein Durchgang nur, und man gelangte in den Rosa Salon. Dort hatte man zu warten; denn es war der Vorraum zum Sanktuarium. Dort sollte man sich sammeln; denn nebenan war Eugenie. Nun, die Sammlung fiel nicht leicht im rosa Rausch des Zimmers und unter der übermässigen Ausstreuung von Blumen, von gemalten, und blumigen Allegorien, und einem lieblich bewegten und wogenden Plafond, rosa Zimmerhimmel, der den Triumph der Flora zeigte und mit perlmutternen Frauenbrüsten, Vogelflügeln und Blumenblüten die Blicke von der wichtigen Doppeltür ablenkte und zu sich herauf zog. Dennoch aber fühlte man, verwirrt und erwartungsvoll: alles dies war der Triumph der Kaiserin.
Einmal dann gingen die beiden Türflügel auf, man hörte schon den Chef des Protokolls seinen Ritus zelebrieren, man wusste auch durch manche Unterweisung, dass jetzt das Gebührende zu tun war: aber man liess zuerst doch den Blick frei, um das Märchenzentrum zu sehen, das Eugenie-Gehäuse, den Blauen Salon. Das war das Azurene in jederlei Gestalt, nein, in jederlei erstarrten Bewegung, in allen Formen und Förmchen der Unruhe, der Überfülle und der Zweckfeindschaft (denn das Märchenhafte hat ja nichts mit dem Zwecklichen gemein). Das war ein grosses Gewoge und Geriesel in Blau, und sonderbarerweise rieselten auch die Möbel. Der Raum war aufgefältelt, eingedreht, gekräuselt, gelockt und gebauscht wie das Preiswerk eines Haarkünstlers oder Zuckerbäckers. Die Bergkristallüster, die Kamine, die Portieren waren gewaltig, Sessel, Stühle und Tische winzig: alles doch gerafft, geschweift, geschnitzt und eingelegt und ausgestellt. Über die Unruhe der Dinge ging dann noch die kunstreiche Unordnung der Dingelchen, die Ausstreuung der Nippes, ein Niederschlag des Unnützen, Winzigen und Zerbrechlichen, auf den Tischchen, die doch schon unter schwerbestickten Teppichen kauerten, auf gewundenen Gestellchen, Kommödchen, zwischen Pendülen, Sèvres-Vasen und barocken Leuchtern auf den skulptierten Kaminen, wo man auch hinschaute – und immer noch fand sich Platz für Blumen, für gemalte, künstliche und auch für natürliche.
Dort sass sie, auf einem Sesselchen ohne Lehne, eigentlich auf einem grossen Kissen; denn sie trug die Krinoline, und das Kleid war blau, die vollkommene Kaiserin war noch nicht erreicht, getrennt noch von der kurzen Stille, in der nur das blaue Wunder des Raums lautlos lärmte und in die die drei Ehrenerweisungen des Protokolls genau, gefällig und unabänderlich hineinzupassen hatten. Es kamen die drei tiefen Verbeugungen, die wohlgeübten: die erste auf der Türschwelle, die zweite auf der Wegmitte, die dritte vor Eugenie. Jetzt war das Märchen erobert – und siehe, es lächelte lustig oder gar belustigt.
Als der Kaiser eintrat – spät, still, nicht durch die feierliche Doppeltür –, brach die Schmetterstimme des Generals und neuen Innenministers ab: die kleine Gesellschaft, ausser Eugenie, erhob sich und verbeugte sich, in den erfahrenen Händen die Teetassen balancierend. Er ging durch die blaue Pracht, vorgebeugt, mit dünnem Lächeln, die Rechte hinter dem Rücken (als wollte er die Unruhfinger verstecken), mit der Linken, die die Zigarette hielt, den Respekt der Menschen und vielleicht auch den Prunksturm des Salons beschwichtigend. Er ging zu Eugenie, hob ihre Hand an die Lippen und tätschelte sie dann leicht, als wollte er auch sie beschwichtigen. Sie lächelte und sah zu ihm hinauf; aber das Lächeln und der Blick gehörten nicht zusammen: das Lächeln war für die anderen Augen, nur der Blick für ihn, ein rechthaberischer und zugleich auch misstrauischer Blick. Doch sein Gesicht gab ja Blicken keinen Halt, nicht den Halt der angeschauten Augen, seine Augen waren nicht da. Er wandte auch schon den Kopf, als suche er in dem aufgeregten Gedränge der blauen Dinge nach einem Platz, vielleicht aber auch nach Augen, die nicht auffuhren in Rechthaberei, Misstrauen oder Neugierde. Vielleicht suchte er die schönen, dunklen, ruhigen Augen der Walewska. Dann ging er ein wenig abseits und setzte sich auf ein seltsames Möbel, auf ein leeres, kreisrundes Sofa, aus dessen Mitte über dem Rund des Rückenpolsters ein bronzener Kübel wuchs, und aus dem Kübel fuhr ein blaugrünes Märchengewächs mit starren, stillen, harten Blättern, eine Zwergpalme etwa, und die Palme war aus Blech.
Man setzte sich und sprach noch immer nichts. Teetassen klapperten. Der Kaiser kreuzte die Beine, hob begütigend die Hand mit der Zigarette und sagte: »Aber bitte!« Er lehnte sich zurück und sackte gleichzeitig zusammen. Das war seine Art, im Sessel zu sitzen. Er machte sich klein, schien es.
Warum kommt er eigentlich, dachte die Walewska, die nicht weit von ihm sass, warum provoziert er den unvermeidlichen Disput mit ihr? Das fragte sich wohl auch die kleine Gesellschaft der Vertrauten und Kundigen.
»Wir sprachen vom Gesetz«, sagte Eugenie plötzlich mit ihrer aufgerauhten Stimme, »das heisst, General Espinasse sprach davon, sehr interessant und orientierend, sehr militärisch natürlich. Es scheint mir eine gute Sache, das Gesetz.«
›Das Gesetz‹ war das Sicherheits-Gesetz, eine gute Sache. ›Der Prozess‹ war Orsini. Die beiden Begriffe regierten die Stunde, die gute Sache und die andere Sache. Der Kaiser schob die Hände unter die Achsel und lächelte hinter der Rauchwolke: sie nennt es eine gute Sache.
Der General war ein kleiner, sehniger Mann, ein scharfer Herr mit Imperial, und sein Gesicht war so mager, dass unter dem Backenknochen eine Grube war, ein grosses, grimmiges Grübchen, vom Schatten der Vertiefung schwarz getuscht. Er hing an dem Kaiser, dessen Gesicht er militärisch trug und dessen Weg er kriegerisch mitgegangen war, von Anfang an: als Oberstleutnant der römischen Expedition, als Oberst des Staatsstreiches, als Brigadier der Kaiserproklamation, als Divisionär des Krimkriegs und jetzt als kommandierender Innenminister des ›Gesetzes‹. Er war die andere, die scharfe Seite des neuen Cäsars, seine Faust und sein Faustschlag, sein Säbel und sein Säbelhieb, er war gutbeschäftigt, wie man sieht, nützlich und wichtig, zuständig zumal für jenen neuen, ungütigen, gnadenlosen und womöglich kriegerischen Weg, der jetzt wieder einmal begangen zu werden schien. Seine steile und eilige Laufbahn also konnte ihn noch höher führen, gar auf den politischen oder militärischen Gipfel, der in die Geschichte ragt. (Nun, sie führte ihn, ohne im Schwung nachzulassen oder in der Richtung zu schwanken, zum Soldatentod, fünfzehn Monate später.) Er glaubte an sein Glück – das war der Kaiser. Er hing an ihm, dem treuen Glück, dem treuen Herrn, der Frauen wechselt, aber niemals Freunde, und dankbar ist zu beiden. Er kennt die beiden Formeln, die heute den Blauen Salon beschäftigen: die gute und die andere Sache. Die gute ist seine Sache, sein Ressort, die andere die der fremden Kaiserin. Er weiss Bescheid wie jeder im Märchenzimmer, er will den Kaiser vor der anderen Sache schützen. Er wird sie heute abend nicht aufkommen lassen und sie kurzerhand mit der Allgemeinen Sicherheit zudecken.
Aber hatte Eugenie mit dem Wort der Anerkennung nicht schon die Debatte geschlossen und ihm das Wort entzogen? Wollte sie nicht schon das Thema wechseln – vielleicht nur, weil der Kaiser da war, der ergeben Lächelnde –, sprang nicht plötzlich ihr Blick von ihren Händen auf die Blechpalme über ihm, als hätte sie bereits das erste Wort, den ersten Stein für ihn zur Hand (und sie wird ihn nicht gross nach ihm werfen, sondern einfach von oben auf seinen stillen Kopf herunterfallen lassen), – spielen nicht schon über der schönen, freien Stirn der Walewska, seiner Bundesgenossin, die Peinfalten der hilflos gewissen Erwartung? So galt es, rasch zu handeln und das Unförmliche und Eigenmächtige der Weiterrede auf die Rechnung seiner bekannten – und eben auch ein wenig spöttisch vermerkten – Soldatennatur setzen zu lassen.
In die neue und heftige Stille, die sich nach Eugenies Gutachten aufgetan hatte, schmetterte der General (und sein Wehrgehänge klirrte mit): »Jawohl, eine gute Sache!« Und dann folgte ein merkwürdiger Zischlaut, der die mageren Wangen blähte und selbst das Schattenloch auswischte und auffüllte, für diese Sekunde wenigstens. Das war der denaturierte Fluch der Bekräftigung, das Gottverdammich oder Sapristi oder Sakrament oder gar noch hässlicheres Kraftwort des alten Frontoffiziers, das sich in seine Rede stahl wie von ungefähr und gerade noch im letzten Augenblick zurückgehalten und umgewandelt wurde. Gottverdammich, man war bei Hofe, hatte sporenklirrend und ganz leise zischend die drei Ehrenerweisungen des Blauen Salons absolviert, war den kalten und umsichtigen Märchenaugen der schönsten und höchsten Frau ausgesetzt und musste sich zusammennehmen. Aber man musste nun auch wieder sprechen, um dem Kaiser zu helfen, – und verdammt noch einmal, was sollte man eigentlich noch sagen? Der General spreizte über dem funkelnden Degenkorb die Finger in den engen, weissen Handschuhen; er hatte kurze, kräftige, haarige Hände, grobe Hände, schlagfrohe, gerne zur Faust sich ballende, die unter der kurialen Hülle litten wie seine eingesperrten Flüche. – Jawohl, das Reich hat zu sehr mit der Besänftigung der anarchischen Leidenschaften gerechnet, die Grossmut des Kaisers, seine Gnaden, seine Amnestien haben diese Hoffnungen gestärkt. Der Erfolg: das Attentat. Jetzt sind die Augen geöffnet, jetzt sieht man den wilden Hass und die mörderische Absicht der revolutionären Parteien. Jetzt muss man dem Land helfen, durch das Gesetz. Jetzt ist es Zeit, höchste Zeit, zu zeigen, dass der Staat sich nicht bedrohen lässt, sondern den Drohungen zuvorkommt, unerbittlich. Jetzt, kraft des Gesetzes, wird man dafür sorgen, dass die Guten in Ruhe leben können, die Bösen aber zittern. – Nun, das war im grossen Ganzen die eigene Ministerialerklärung, die forsche Antrittsbotschaft des Ministergenerals – und vollends der letzte Satz, ein sehr bekannter Satz, gleichsam der volkstümliche Refrain des neuen Liedes von der guten Sache, war wörtlich zitiert.
»Wenn ich mich nicht sehr irre«, sagte auch schon die grausame Kaiserin, »habe ich Ähnliches bereits gehört oder gelesen, lieber Espinasse.«
Es lachte keiner, man lächelte nicht einmal. Wenn nicht alles täuschte, gab es viele Bundesgenossen unter den Eingeweihten und vielleicht nicht einen, der dem scharfen Sachwalter keinen langen Atem wünschte. Der stille Kaiser unter dem Baumtrug schien sehr aufmerksam oder sehr unaufmerksam, man wusste es nicht. Und der General ergab sich keineswegs, im Gegenteil, es gehörte zu seinen soldatischen Tugenden, mit der wachsenden Gefahr an Angriffsgeist zu gewinnen. Allerdings wuchs mit dem Angriffsgeist wiederum auch die Gefahr der grobianischen Redeweise. Er fühlte sie noch dunkel, als er sich in einen schneidigen Kommentar der Gesetzespraxis stürzte; aber er vergass sie leider im Sturm eines prächtigen Exempels, einer angenommenen anarcho-revolutionären Erhebung, die er nun nach allen Regeln der Kriegskunst und des Sicherheitsgesetzes niederschlug. Da gab es von der Präventivhaft bis zur Deportation, von der Strassenkampftaktik (durch das glücksneue Paris ein wahres Kinderspiel), bis zu den standrechtlichen Erschiessungen, kurz also: von der kompletten Ausrottung der Giftpflanze mit Stumpf und Stiel soviel Stoff für das Thema, soviel fachliche Entwicklungsmöglichkeiten auch, dass man einmal schliesslich würde auf den Krimkrieg springen können – und damit wäre die Schlacht dieses Abends gewonnen; denn der Kaiser blieb niemals länger als eine kleine Stunde. Aber mit dem Fachlichen kamen die Fachworte angestürmt wie eine Kavallerieattacke, und die Berufssprache des Generals ritt nun einmal auf den Sätteln der Flüche: das Temperament ging durch, der frische, fröhliche Krieg war da, der alte Kamerad – die grimmigen Grübchen füllten sich kräftig auf, der Backenschatten zerstob, das Gesicht wurde beinahe füllig, beinahe lustig, und es zischte nicht, sondern schrie rund heraus: »Jetzt nur zwei Kompagnien mit den neuen Minié-Gewehren eingesetzt – zack! – jetzt nur zwei Minuten Schnellfeuer – tacktacktackteufel! – und die Schweine sind hin, Gottverdammich …«
Die Rede riss ab, das Gesicht der schönsten Frau hob sich ein wenig, und diese kleine Bewegung schnitt die Rede ab, und sie fiel, noch ganz warm, ins kalte Wasser ihres Blickes und versank zischend. Doch das Zischen war jetzt gänzlich unnütz und töricht nachträglich, die Backen verfielen zu Schattengruben. Aber in die böse Stille tickte ein Laut, ein winziges Lachen – der Kaiser lachte Rauchwölkchen durch die Nase; und als Eugenie zu ihm hinsah, mit einem Ruck des Kopfes, immer noch mit dem ertränkenden Blick, nahm er höflich die Zigarette aus dem Mund und sagte: »Eine gute Sache, meine Liebe.«
Nun war wohl alles verloren. Der General stand auf, ohne sich aufzurichten, es war fast so, als wolle er seinen Degen übergeben. Aber er verbeugte sich nur sehr tief, eine vierte Ehrenerweisung, die nicht einmal vorgeschrieben war, er schuf in der Niederlage ein Zusatz-Protokoll und den Text dazu: »Eure Majestät wollen gütigst geruhen, mir zu verzeihen.« Das war formvollendet und möglicherweise sogar die Rettung.
»Was ist denn zu verzeihen?«, fragte Eugenie unfreundlich und sah auf die Blechpalme. »Doch nicht Ihre präsumtive Energie, die zum Gesetz gehört. Der geschilderte Fall wäre zwar beklagenswert, aber nicht anders zu behandeln.«
Dies nun war verwirrend, und der Bussfertige musste sich fragen, ob die Flüche bereits verziehen waren oder überhört werden sollten – oder ob er doch vielleicht garnicht geflucht, sondern nur gezischt hatte, ihren Blick so missverstehend wie Napoleons Lachen. Sie indessen sagte nicht, dass er sich wieder setzen könne. So stand er einsam und aussichtslos in dem schwierigen Märchen: vielleicht war es doch die Strafe. Und die Rede war nun einmal versackt. Er schaute den Kaiser an, um den es doch ging, er entschuldigte sich mit dem Blick, aber er rief nicht um Hilfe.
Der Kaiser strich sich über die Stirn, wie in fortwährendem Kampf mit der Müdigkeit, und sagte dann langsam: »Träte zum Beispiel der geschilderte Fall ein, wenn ich tot wäre oder krank oder abwesend – eine nicht ausserhalb des Möglichen liegende Konstellation –, dann würde also auch die Regentin die dargestellte Energie der Staats-Exekutive fraglos aufbringen.«
Die Pause jetzt war nur kurz – warum reizte er sie, warum wollte er sie in den Fäden der Gefühlsunordnung fangen? Sie zerriss sie doch leicht. Was kümmerte sie der Nachweis, dass sie widerspruchsvoll sei? Sie konnte es sich erlauben; denn wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. »Ein sehr bedingter Satz, lieber Freund«, sagte sie mit ihrer rauhen Stimme, »dabei bringe ich doch schon jetzt, als Frau nur, die Energie auf, die Energie des Herzens, eine Staatsexekution zu beklagen und einen der Gnade Würdigen der Gnade zu empfehlen.«
»Sie hören, lieber Espinasse«, meinte der Kaiser und zeigte mit der Zigarette in die Richtung auf den verlorenen General, »gnadenswürdige Staatsfeinde brauchen unter der Regentin die Hoffnung nicht zu verlieren.«
»Nein!«, rief Eugenie heftig und ganz heiser, »das ist wohl ein Missverständnis! Wenn Gott es haben will und es sein muss, dass ich die Regentschaft ausübe, gilt für mich nur das Wohl des Reichs. Das ist dann doch meine Pflicht, das brauche ich nicht zu betonen. Und ich weiss recht gut: man kann nicht mit dem Herzen regieren.«
»Man kann nicht mit dem Herzen regieren«, wiederholte der Kaiser. Aber es konnte doch auch eine Frage sein, eine boshafte gar.
Sie sah ihm ins Gesicht, mit einem Ruck des Kopfes, und ihre schönen, hochgebogenen Brauen zogen sich in der Verwirrung zusammen. »Jetzt aber kann ich doch noch als Frau sprechen und zu einem ganz bestimmten, ganz akuten Fall …«
»Zum Fall Orsini?«, erkundigte er sich höflich.
Der stehende General wurde vernehmlich, mit Sporen und Wehrgehänge, gleich als stünde er stramm: aber er war doch nur zusammengefahren. Die Walewska, mit zuckender Stirn, hielt das Kleid am Hals zusammen; denn jetzt wird es kalt und hässlich im blauen Märchen. Die Kaiserin, die immer gerade sitzt und gross ist, wenn sie sitzt (eine Sitzmajestät wie er, gäbe er sich die Mühe), senkte ein wenig Kopf und Oberkörper, als nähme sie einen Anlauf. Dann überrannte sie seine sträfliche Frage und sprang in die andere Sache. Weil sie im Schwung war, im Vorstoss ihrer langverhaltenen Angriffslust, wurden ihre Worte kühner und stechender, als es die Kampflage erforderte; denn zu recht besehen, rührten sich die Feinde nicht, sondern hatten Angst oder fragten nur sträflich. »Mörder«, brach sie aus, richtete sich ganz gerade auf und schaute langsam die Runde ab – die Schultern gingen mit dem kreisenden Angriff mit, es sah zugleich gefährlich und reizend aus, und sie hielt nicht bei dem Kaiser an, sondern, zurückschwingend und mit nicht genauem Ziel, etwa bei der Walewska, »Mörder sind abscheulich und verächtlich! Wem mein Gefühl die Achtung nicht versagt, der ist kein Mörder!«
Man war ganz still, die Walewska senkte den Kopf, als träfe das Apodikt sie ganz besonders, der Kaiser rauchte verträumt.
»Man kann zum Töten kommen, ohne Mörder zu sein. Muss ich das jemandem erklären, der Uniform trägt?«
Nur der General trug Uniform und er klirrte leise, in ergeben stummer Verneinung.
»Was jenen Mann zum Töten gebracht hat, ist die Exaltation eines ehrenhaften und ehrenwerten Gefühls, eines notwendigerweise wechselseitigen Gefühls: Freiheitsliebe und Tyrannenhass.«
Alle Köpfe hoben sich. Wer hatte diese beiden Worte ausgesprochen? Die schönste Kaiserin, die designierte Reichsregentin, die Gutachterin der ›guten Sache‹ – ja, die Frau des Bedrohten, die selber Bedrohte – war es möglich? Der Kaiser blies den Rauch fort: doch man sah keinen Ärger auf seinem Gesicht, sondern nur ein duldsames Lächeln. Eugenie sah es, sie sah alles, ihre Augen waren die Vorposten – vielleicht war es nicht Duldsamkeit, sondern Spott, und was gab es jetzt zu lächeln?
»Oh, ich kenne dieses Gefühl, das Wechselgefühl, die Liebe für das Vaterland und den Hass gegen den fremden Unterdrücker – wir in Spanien kannten diesen Hass gegen die Franzosen, nach den napoleonischen Kriegen …«
Eugenie sah sehr schön aus, und selbst ihre kalte Augen brannten, sie brannten langsam die Runde entlang, die Schultern gingen mit, aber die Feinde verbrannten nicht, sie entzündeten sich nur oder sie spiegelten, in jedem erhobenen Gesicht, die Flamme ihrer Feindschaft zurück. – Die Fremde!, dachte jeder, das gedachte Wort flattert ein Jahrhundert zurück und hockt wie eine Krähe über dem Schicksal der Marie-Antoinette, und im Märchenschloss gibt es viele Bilder von ihr und hier und da auch Möbel von ihr: der Blaue Salon hockt wie ein grosser, zerzauster Märchenvogel über den schwarzen Gedanken. Eugenie, die Scharfsichtige, fuhr auf, mit den Augen nur: die blecherne Palme, die unrührbare doch, rührte die Trugblätter wie unter einem kurzen Windstoss. Unter ihr der Kaiser stiess sich von der Polsterbank ab. War es Feindschaft auch bei ihm, ganz seltene Empörung, so selten wie ihr Brandblick? – Nein, er sah friedlichen Gesichts auf die Uhr – es war vollkommen unangebracht und sehr kränkend, in diesem Augenblick auf die Uhr zu sehen.
»Kurz: ein mutiger Mann, ein stolzer, bedeutender und unglücklicher Mann. Und er hat meine Achtung. Und ich werde nicht aufhören …«
Sie stockte. Die Feinde erhoben sich, der General, nicht mehr allein auf den Beinen, klirrte eine besonders laute und hingegebene Ehrenerweisung, er klirrte gleichsam von Herzen. Der Kaiser ging durch das Zimmer, und seine unruhigen Finger beschwichtigten die Ehrerbietung. Er trat zu Eugenie, nahm ihre Hand und tätschelte sie. »Willst du, meine Liebe, dass wir ihn zum Diner einladen?«, fragte er und küsste artig ihre Hand. Sie sah rasch in die Runde. Eine Kaiserin bekämpft keine Lacher. Sie lachte noch rechtzeitig mit.
Der Kaiser ging langsam die Treppe hinunter. Die Hand auf seinem Rücken arbeitete mit ruhelosen Fingern, die Finger schlugen einen Triller auf den Daumen, oder Daumen und Zeigefinger rührten sich, als zählten sie endlos Geld. Der dicke Läufer liess keinen Laut des Trittes zu, der Kaiser trat nicht schwer auf, und seine Schuhe knarrten nicht. Er hasste knarrendes Schuhwerk. Er hasste den grossen und den kleinen Lärm. Hier schon war es ganz still, die andere Welt begann schon auf der Treppe, das laute, blaue Wunder sperrte sich selber ein.
Hier und da standen Lakaien und Türhüter, unmenschlich stumm und starr, schöne, bunte Menschen doch. Der Kaiser fingerte begütigend mit der Zigarettenhand an ihnen vorbei, ohne sie anzusehen, auch ohne sie zu beleben. Es war eine Gewohnheit der Finger, ein Fingerspiel. Der hochgewachsene Leibgardist vor dem Arbeitskabinett zeigte im Spiegel seiner Silberbrust einen verkürzten und verbogenen Kaiser, der vor ihm stehen blieb, flüchtig sich im Kürass sah und freundlich fragte: »Ist er schon da?«
»Jawohl, Majestät«, sagte der Mann und riss die Tür auf.
»Sie können ins Gangzimmer gehen und es sich bequem machen«, sagte der Kaiser, »ich läute dann.« –
Der Polizeipräfekt stand an der Fensterwand, vor der Marmorbüste der Mutter Hortense, zwischen den zwei zierlichen Stühlchen für die Besucher, im ziemlichen Abstand vom Schreibtisch. Er wusste ganz genau, wo er zu stehen hatte. Der Kaiser war kein zeremonieller Pedant und der Präfekt gewiss kein Höfling; aber der eine liebte es nicht, dass man ihm zu nahe komme, und der andere begriff gerade dies; denn es ging ihm ähnlich, selbst mit dem Kaiser, dem er anhing. Er verbeugte sich kurz, es war eine beinahe unwillige Bewegung, doch es sah nur so aus, es lag an seiner gedrungenen Statur und seinem kurzen Hals – es gibt Menschen, die sich nicht beugen zu können scheinen, halsstarrige. Jetzt stand er wieder, untersetzt, zuverlässig, unfreundlich und, ganz in der Tiefe, mit klopfendem Herzen. Sein Herz war nicht empfindlich, es gehörte zum festen Körper, zum handfesten Leben, welches mit Abhärtung und Verschalung des Gefühls schon früh begonnen hatte. Wenn das Herz jetzt dennoch klopfte, musste es die Gründe für die Unruhe ahnen, die der Kopf nicht kannte.
»Ach, da sind Sie ja, lieber Pietri«, sagte der Kaiser, seine unruhigen Finger spielten den Gruss zu ihm hin, der Blick war doch schon bei seinem tiefen Schutzsessel neben dem Geheimschrank mit den bronzenen Griffgirlanden, unter der grossen Karte von Paris. Der Sessel war das Ziel, er ging jetzt sogar rascher, so als sei nicht viel Zeit zu verlieren. Doch als er dann sass und sitzend noch zusammensackte, sagte er nur: »Nehmen Sie bitte Platz«, und jetzt schloss er die Augen.
Er hatte offenbar Zeit übrig; man konnte sogar meinen, er schliefe ein wenig. Aber es war nur die Ruhe, die Sesselruhe, in der er sich verkroch. So still war es, dass man den fortgeworfenen Zigarettenrest in der Aschenschale neben ihm verbrennen hörte. Nur die Hände, die über den Seitenpolstern hingen, rührten sich dann und wann im Spiel der Finger.
Dann sah er auf, stützte den Arm auf die Lehne und spielte mit den Haarsträhnen über den Ohren. Pietri sass unter Hortense; wo sein bärtig grimmiger Kopf aufhörte, begann die weisse Starrheit der steinernen Mutter. Sie war immer da, früher gab sie sogar stummen Zuspruch und den steinewigen Glauben an ihn; jetzt, da die Lebendige die Überhand hatte, das laute Märchen mit der aufgerauhten Stimme, jetzt gab die Mutter nur noch den Segen der Stille.
»Ja«, sagte der Kaiser, »der Prozess, der Sie so ärgert, Pietri, entspricht mir politisch sehr. Allerdings ist der Augenblick gekommen, wo ein Eingriff nötig wird. Zu diesem Zweck sind Sie hier, aber nicht als Präfekt, sondern als Vertrauensmann.«
Pietri brachte den hartnäckigen Kopf mit Mühe zu einer kleinen Bewegung des Dankes.
»Ich will nicht von Staatsgeheimnis sprechen, Pietri, das ist ein hochtrabendes Wort und schlägt sich doch in irgend einem Geheimakt nieder. Ich spreche nur von Vertrauen. Ich habe das Vertrauen, dass Sie den Inhalt unseres Gesprächs nicht einmal in Ihrem Tagebuch festhalten oder auch nur andeuten.«
»Ich nehme es auf meinen Diensteid«, sagte der Präfekt und sah zornig aus; aber es war nur das klopfende Herz.
»Geben Sie mir bitte Feuer«, sagte der Kaiser, und seine Hand tappte neben sich in die Schale mit Zigaretten. Pietri stand auf, mit der kleinen Unterbrechung nicht unzufrieden. Man konnte sich in aller Eile einige Arten des verlangten Eingriffs zurecht legen, um nicht überrumpelt zu werden, – vielleicht ging es doch endlich um eine Einschränkung der überbordenden Publizistik, um eine Modifizierung der viel zu sensationellen Verhandlungstechnik, um eine strengere Behandlung der höchst ungezogenen Strasse; ach nein, darum geht es nicht, man soll sich nichts vormachen, unser Louis schlägt wieder einmal eine konspirative Volte, er kann ja nicht anders, er strapaziert wieder einmal das Gewissen, das eigene und das fremde, – vielleicht will er den Orsini vergiften, vielleicht will er ihm die Gefängnistür öffnen, dass er verschwinde: was weiss man? Pietri beugte sich über den Sessel, der Kaiser hob das Gesicht zu ihm auf, das Streichholzflämmchen erhellte es einen Augenblick, ein überraschend waches, gespanntes und geschärftes Gesicht, und dann erlosch es unter dem Ausstoss des Rauches.
»Danke«, sagte der Kaiser, und der Brand der Zigarette frass sich sehr schnell das Papier hinauf, so hastig rauchte er, »ich habe übrigens Schwierigkeiten von Seiten der Kaiserin, menschlich sehr achtenswerte Einwände und Widerstände, Sie wissen es wohl. Sie haben sehr darauf zu sehn, dass da nicht der Versuch gemacht wird, die Richter zu beeinflussen. Sonst mag die Regung der schönen Seele ruhig als Fama kursieren.«
Pietri ging rückwärts zu seinem Stühlchen. Die Nähe des Kaisers bekam ihm nicht. Er war noch rot vom Bücken. Er setzte sich, erwartete den Angriff und fühlte sich schutzlos. – Vielleicht will er Unmenschliches, dachte er, aber das wäre doch gegen seine Art, er hat doch das Gericht und das Gesetz …
»Um zur Sache zu kommen, Pietri. Es handelt sich darum, dem Angeklagten Orsini noch vor dem Plädoyer den Wahnwitz, die Sinnlosigkeit, die politische Todsünde seines Anschlages auf mein Leben begreiflich zu machen. Er ist also darüber aufzuklären, dass ich der einzige wahre und tätige Freund seines Landes bin – und das ist das Freie und Geeinte Italien.«
Der Kaiser sprach sehr langsam und deutlich, er hatte die Zigarette aus dem Mund genommen und skandierte mit der leicht gehobenen Hand die Worte. Er schaute in die Luft. Pietri rührte sich nicht.
»Es ist ihm zu sagen, Pietri, dass ich einen endlos langen, unendlich schwierigen Weg zu gehen hatte, einen siebenundzwanzigjahrelangen Weg (er soll es sich ausrechnen, wann ich ihn begann): aber dass er nicht dreissig Jahre lang sein wird, bis ich am Ziel bin. Es ist ihm zu sagen, dass ich vor dem Ziel stehe und dass ich es schon sehe. Er hat sich selber die Frage zu beantworten, ob es für sein Land gut gewesen wäre, wenn ich neulich, das Ziel im Blick, zusammen mit seiner Bombe krepierte.«
Das ist klug, dachte der Präfekt, ich begreife ja, ich glaube, dass ich ihn begreife, es ist irgendwie klug, aber nicht die Wahrheit; denn wenn es die Wahrheit wäre …
»Das ist noch nicht alles, Pietri, natürlich nicht. Es ist die Einleitung. – Der Mann ist eitel, masslos eitel. Ich will etwas von ihm, das ihm gefallen wird: ich will die Demonstration seiner Eitelkeit, und zwar in der heroischen Manier, die ihm liegt. Ich will, dass er an mich einen Brief schreibe, ja, dass der Angeklagte Orsini an den Kaiser der Franzosen, den er hat ermorden wollen, einen Brief schreibe. Es ist keinesfalls nötig, dass er darin Reue zeige oder den Wahnwitz seiner Tat bezeuge. Das darf er mit sich allein abmachen. Forderte ich es, so wäre es möglich, dass er es verweigerte, er oder sein bedeutender Anwalt. Ich will einen Brief, in dem er mich beschwört, seinem Land die Unabhängigkeit zu geben. Sein bedeutender Anwalt soll ihn stilisieren, er kann es, sein Plädoyer soll Weltgeschichte spielen, es wird der grösste forensische Tag seines Lebens mit dem Ausblick auf grosse, politische Tage – nicht wahr? Ich habe Verständnis für allerlei, das wenigstens kann man mir nachsagen. Der Gerichtspräsident hat die Publikation des Briefes in der vom Verteidiger gewählten Form nicht nur zu tolerieren, sondern auch der breitesten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«
Es ist klug, dachte Pietri und war starr, ich begreife, er will wohl ein für allemal aus der carbonarischen Gefahrzone herauskommen. Aber wenn es auch wahr ist, wenn es auch Wahrheit ist …
»Sie fahren jetzt sofort ins Mazas-Gefängnis, Pietri, und konferieren mit dem Angeklagten. Ich sage ausdrücklich: konferieren; denn Sie haben ihm nichts zu befehlen. Sie haben ihm nicht zu drohen, Sie sind in der Zelle nicht Polizeipräsident, sondern Mittelsmann. Sie sprechen in meinem Auftrag, ohne Zeugen, so freundlich, wie es Ihnen möglich ist. Sie sprechen italienisch, um jedes Missverständnis auszuschliessen, auch wegen der Wache am Zellenfenster. Sie machen sich unterwegs keine Notizen, wünsche ich. Der Auftrag ist ja einfach und Ihr Gedächtnis bekanntlich gut. Besteht noch irgend eine Unklarheit?«
»Nein«, sagte der Präfekt schwerfällig, »oder doch: rettet es ihm den Kopf?«
Der Kaiser blies den Rauch fort. »Inwiefern?«, fragte er zurück, »in die Historie oder sogar in die Legende, ja. Anders kann ich Ihre Frage nicht verstehen – und noch viel weniger beantworten. – Das wäre wohl alles. Und machen Sie es gut.«
Wenn es die Wahrheit ist, dachte Pietri, immer noch sitzend, und es scheint mir wahrhaftiger noch als klug: dann kommt Krieg.
Über seinem dunklen, blanken und entsetzten Blick war die weisse Blindheit Hortenses – und das war plötzlich schaurig. Der Kaiser sagte mit abgewandtem Kopf: »Lassen Sie sich nicht mehr aufhalten«, und zog an der Klingelschnur neben dem Sessel.
Hinter der Estrade des Gerichtspräsidenten erhob sich das grosse Kruzifix. Es beunruhigte den Journalisten Rochefort, der im Zuschauerraum sass, – einen Ungläubigen doch, einen unchristlichen Menschen, einen Hasser, den Mann, den einzigen vielleicht, der schon am Mordtag von der Partei des Mörders war. Der Gekreuzigte fuhr hinter dem Richtstuhl auf, als sei sein schlankes Kreuz nicht an die Wand genagelt wie er an das Kreuz, sondern als schwebe es frei, freiwillig über den Roben des Staates. So schien es dem erregten und beklommenen Feind des Staates. Wird hier denn Recht gesprochen im Namen Jesu? Wird hier nicht Recht gesprochen im Namen des unrechten Kaisers, dessen geschmeicheltes Bild herrisch an der Längswand des Schwurgerichtssaales hing?
Es war mehr im Raum, mehr für ihn, fühlte Rochefort, als Spannung und Druck des entscheidenden Gerichtstages. Unvereinbares war vereint, das Kruzifix, das Kaiserbild, und dann die Köpfe der handelnden und behandelten Männer. Rochefort, der hassen oder lieben wollte, kam nicht mit sich ins Reine, es war sein altes Leid. Der schwebende Christus beklemmte ihn, weil er, der Heiland und das ewige Wunder des Opfers, nicht über den Opfern des Staates aufging, sondern über dem Staat selber, über irgend einen kalten, steifen und würdevollen Talarträger, der auf Tod und Leben zu erkennen das Amt hatte. Ja, und das Kaiserbild störte ihn, das geschmeichelte, von einem glatten und ordenbehangenen Hofmaler verfertigte; denn der Hass konnte es nicht anspringen. Der hassbereite Blick, der in das dargestellte Gesicht sprang, musste erkennen, dass die überkommene Herrscherhaltung, die der Maler seiner Figur gab, wenig zu dem stillen, klugen, noblen und leidend ernsten Antlitz passte. Wo ist hier die Schmeichellüge?, fragte sich der Kritiker. – Wo anders als in den gemalten, in den angemalten Tugenden!, antwortete böse der Hasser, und da die unbestechlichen Augen dennoch wussten, dass es keine gerechte Antwort war, störte ihn das Bild. Und ihn störte der feine, bartlose, blasse Kopf und die blasse Rede von des Kaisers Kläger; denn der Generalstaatsanwalt schien das Gescheiteste zu tun, was er mit seiner undankbaren und peinlich sieghaften Rolle anfangen konnte: er behinderte nicht, sondern er förderte fast den grossen Tag des grossen Verteidigers.
Der Verteidiger nun war Maître Favre, Jules Favre, Frankreichs berühmtester Advokat. Er sah aus wie ein alter Löwe oder ein alter Lotse. Das schon mehr graue als dunkle Gelock fuhr wild und ohne Übergang als Haar und Bart rings um das offene, mutige und scharfsichtige Antlitz. Gross und breit sass der Mund unter der kurzen, breiten Nase, ein mächtiger Mund. Die Augen lagen tief unter den geraden Brauen und sahen aus, als blickten sie weit und genau, verantwortliche Augen. Ja, das war er doch auch: Löwe und Lotse, streitbarer Achtundvierziger, Staatsstreichsfeind und Mitunterzeichner des unvergesslichen Hugo-Manifestes, und gerade jetzt, als einer der Fünf von der Opposition, hatte er wieder das Schiff bestiegen, das selbsttrunkene Staatsschiff, um es aus der grossen Staatslüge zu steuern oder zerschellen zu lassen. Dieser verehrte Mann war doch zu lieben, Rochefort, dieses nie beirrte, zuverlässige und zukunftsweisende Gesicht allein kann doch den Sinn für Hoheit, Würde und Recht, der hier im Raum und über den besonderen Köpfen spukt, ins Reine bringen, ins Eindeutige, und auf sich selber vereinen!
Aber war es denn die Stimme des Löwen und der Ruf des Lotsen: dieses grossmächtige Plädoyer, das jetzt den Saal einnahm wie eine Woge und über alle Köpfe zusammenschlug und den Atem raubte? Wusste nicht der Kritiker des Theaters, was es war? Er wusste es wohl, es war nur ein Kunstwerk, eine advokatorische Glanzleistung, eine grossartig schamlose Ausnützung der Gefühle, die an den verlorenen und um so heftiger erschütternden Helden verschwendet werden. Schon begannen die Frauen zu schluchzen, die vielen schönen, eleganten Frauen, die dort sassen, wo der unelegante, dürre, bittere Rochefort sass, und die doch nicht in diesen bitteren Saal gehörten.
Was gehört denn hierher, wer darf es entscheiden, zum Teufel!, fragte er sich und zog die Teufelsbrauen zusammen, gehört die Stimme des Meisters hierher, diese Meisterstimme, die alle Register besitzt und gebraucht, Stahlstimme und Silberstimme, die alle Worte hat, glatt und mühelos alle fälligen Worte der wunderbar bereiten und biegsamen Sprache? Ist die virtuose Beredsamkeit das, was hier am Platz ist, das, und nichts anderes – ist sie bedingungslos vereinbar mit dem Antlitz des Löwen und Lotsen? Ach, und für was spricht denn der gewaltige Fürsprech: für die Errettung des Helden, für den Freispruch, für die Begnadigung?
Nein doch, nein doch, seine überlebensgrosse Eloquenz sorgt sich für die Unsterblichkeit des Helden, und das ist zunächst einmal der Tod, dem er ihn tönend überantwortet. Das Orchester seiner Worte spielt zum Tod auf, prächtig und unerbittlich. Er zeigt die blutrote Gloriole des Märtyrers, rot von seinem Blut, aus dem die Freiheit blühen wird. Ist das löwenhafte Verteidigung, ist das politischer Lotsenruf? Nein, antwortete der Rezensent, es ist Theater, schaurig gutes und wirksames Theater! Nein, antwortet der erschütterte Mensch, es ist eine Leichenrede, glorreich und grausam; denn die Leiche lebt noch und hört zu!
Orsini hörte zu. Er sass, von zwei Gendarmen flankiert, unter dem mächtigen Mund, der für ihn sprach, er sass ganz nahe unter der Quelle der reichen Rede und schien auf gesammelte und ruhige Weise erquickt. Er hielt den schönen Kopf aufrecht, er hielt ihn dem Regen des Nachrufs hin, mit gehobener Stirn, so wie einer, dem es gut tut für die Schläfen. Der Epilog war nur für ihn, der Ruhm war nur bei ihm, der Schicksalsraum war nur um ihn; denn die drei Anderen neben ihm, die armen Schacher, die elenden, winselnden oder dumpfen Handlanger, galten nicht und dienten nur als Folie. Er sah sie nicht an, er brauchte es nicht; denn er hatte ja die ganze Schuld auf sich genommen und trug jetzt schon die Unsterblichkeit, zu ihrer Entschuldigung. Er lauschte auf den Epilog, sein Kopf empfing den Balsam des Nachruhms, er liess sich schon einbalsamieren, als wunderschönes Bild des Lebens, als Vorbild.
Ist es nicht bewundernswert, dass sich ein Mensch an seinem Totenbild weidet, wie einer vor dem Spiegel? Ist solches überirdische Wohlgefallen an sich nicht schon so etwas wie Grösse? Ist dieser heroische Narziss, der ausging, Tyrannen zu töten, und doch am Ziel nur wieder sich sieht, als Idealbild der Erfolglosigkeit, und schon in seinen abgeschlagenen Kopf verliebt, nicht dennoch zu lieben?
Bist du jemals wohlgefällig gewesen, Rochefort, Ausbund der Hässlichkeit? Sieh dir diesen Mann an, der dir die Arbeit leicht machen wollte und dessen Partei du als erster ergriffen hast und sie auf deine wüste Art bewahrtest, auch als noch die vielen Lämpchen mit den ambulanten Grabhügelchen in die Apotheke glitten (weil ja der Kaiser die Schuld trug und nicht der Mörder, nicht wahr?, und das Blut der Getroffenen über den Verfehlten komme). Sieh nicht das Bild an der Wand an, das schmeichelnde, das nun einmal nicht zu hassen ist, Rochefort, sondern diesen noch lebendigen und wunderbar gesammelten Mann, den du lieben willst, und frage dich, warum du ihn nicht lieben kannst und was nicht stimmt bei ihm wie bei dem Fürsprech. Stört dich bei ihm die virtuose Mannhaftigkeit wie bei dem anderen die vollkommene Beredsamkeit?
Orsini sah keinen Menschen an, und dennoch war sein Gesicht nicht abgelöst von den Blicken, weder versponnen noch selbstvergessen. Es gibt Gesichter der öffentlichen Sicht, die von den Blicken festgehämmert sind und die Last der Zuschauer nicht mehr spüren. Das ergibt eine Art von Hauthärte und -teilnahmslosigkeit wie bei alten Politikern oder Schauspielern, eine gewisse Maskenhaftigkeit trotz gutfunktionierender Scharniere der Mimik. Der Kritiker sah, dass Orsini, dessen öffentliche Schönheit gefestigt war, aber nicht verhärtet, zu ihnen nicht gehörte. Dann gibt es publike Gesichter, die ausgestellt die Gabe haben, sich selbst zu sehen, in jedem Augenblick, von jeder Seite, und die, auf das genaueste über sich Bescheid wissend, sich von aussen korrigieren und jeden gewünschten Ausdruck festhalten können. Das nannte der Kritiker die Spiegelmenschen, recht seltene Exemplare schauspielerischer Prädestination, bei Männern rarer noch als bei Frauen. Er kannte eine vollendete Begabung dieser Art: das war die tote Rachel gewesen; und er vermutete eine ähnliche Begabung auf der noch grösseren Bühne: nicht etwa den Cäsar selber, der nur aus der Not seines ungehörigen Gesichts die imperiale Tugend gemacht hatte – eine wackere Leistung, dachte der Hasser, vielleicht seine grösste –, nicht ihn, sondern die Cäsarine.
Man hört merkwürdige Geschichten über sie, dachte Rochefort, überraschende Ansichten und Bemühungen, sie soll von der Partei sein, von seiner und also auch von meiner, von der Mörder-Partei kurz gesagt, – und es ist ihr Fluch oder mein Fluch, dass sie mir doch nicht sympathischer wird deshalb. Es stimmt etwas nicht dabei, nichts stimmt in diesem Schicksalsraum. Vielleicht ist es ihr gemeinsames Spiegelmenschentum, das sie zusammenbringt und mich draussen lässt mit meinen ungehobelten Erkenntnissen. Was fange ich mit diesem Spiegelhelden an, wenn er mich das Grausige auszudenken treibt, wie er noch seinen abgeschlagenen Kopf von aussen sehen wird und in der Kontrolle hat? Ja, er wird wollen und er wird es einrichten, dass man den Anblick seines rollenden Kopfes ertragen kann, eines vollkommenen Gebildes auch ohne Rumpf, des Halbgottkopfes mit der weissen Stirnkuppel und den überroten Lippen im schwarzen Bart. – Jetzt wusste Rochefort, dass es die roten Lippen waren, die ihn anwiderten. Was wird er mit seinen roten Lippen machen, wenn der Kopf vom Rumpf springt, fragte er sich, schon ganz in Wut über solche Lästerung des Lebens und des Todes.
Der Fürsprech hob die Arme und er hob die Stimme: »Und nach alledem wollen Sie nicht den unlöschbaren, unbändigen, unversöhnlichen Hass seines Herzens begreifen, den Hass gegen die Feinde seines Vaterlandes!« Der Lotse sprach es nicht als Frage, sondern als Ausruf. Dann riss er die Hände herunter, senkte den Kopf und sah auf die Balustrade oder auf das schwarze, volle, glatte Haar Orsinis.
Das war wohl das Ende des Plädoyers: ein vollkommen verlogener Anwurf gegen die vor lauter Begreifen taumelnde und schluchzende Öffentlichkeit, ein sinnloser Angriff auch gegen die Richter, die es aber nicht zu treffen schien; denn sie sassen wie aus Stein. Aber der Kritiker war getroffen und knetete seine hageren Hände, dass sie knackten. – Es stimmt nicht, dachte er, hier stimmt nichts. Denn ich weiss, nur ich weiss hier, was Hass ist, unlöschbarer, unbändiger, unversöhnlicher Hass. Was ist das für ein Redeschluss, der auf mich gemünzt sein könnte, auf einen Unbekannten, und den Spiegelhelden so verfehlt wie er den Kaiser! Was ist noch dieser Schlusstrich unter sein Leben für eine Spiegelfechterei!
Aber es war noch nicht der Schluss. Der Raum rührte sich nicht. Der Fürsprech öffnete plötzlich einen Aktendeckel, wie gestossen, und sprach wieder, seine Stimme war dunkel und rund wie ein Cello, und zwischen seinen Händen war ein Bogen beschriebenen Papiers: »Ich verlese jetzt in französischer Übersetzung einen Brief, den der Angeklagte als feierliches Testament an den Kaiser gerichtet hat.«
Was war das? Seit wann testiert der Hasser für den Gehassten? Und wenn es nichts weiter ist als eine möglicherweise geniale Einlage des Prozessvirtuosen, so fällt sie doch aus Ordnung und Übung dieses unerbittlich würdigen und formalen Gerichts. Was wagt man hier gegen den verhängten Staatszwang? Erleben wir nicht eben das Zeitverbrechen der »Allgemeinen Sicherheit«? Leben wir nicht unter der Diktatur? Wo steckte sie während des Prozesses, wo steckt sie jetzt? Sie hängt sympathisch und still an der Wand. Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu, sage ich. Was tun jetzt die Roben des gerichthaltenden Staates? Sie sitzen würdig und stumm, in eisiger Duldsamkeit. Nur der Zuschauerraum summt auf, vielleicht in neuer Hoffnung.
Der Fürsprech verlas: »Majestät! Da meine eigenen Aussagen gegen mich genügen, um mich in den Tod zu schicken, werde ich ihn gelassen ertragen und nicht um Gnade bitten; denn ich werde mich niemals vor dem Mann demütigen, der den Freiheitskeim meines unglücklichen Vaterlandes getötet hat. Aber ich will noch einen letzten Versuch machen, um Italien zu helfen. So beschwöre ich Eure Majestät, meinem Land die Unabhängigkeit zu geben, die es 1849 durch die Schuld der Franzosen verloren hat. Denken Sie daran, Majestät, dass die Italiener, darunter mein Vater, freudig und überall ihr Blut für Napoleon den Grossen vergossen, wohin [er] sie auch führte. Denken Sie daran, Majestät, dass sie ihm auch nach seinem Sturz noch die Treue wahrten. Vergessen Sie nie, Majestät: so lange Italien nicht frei ist, wird die Ruhe Europas und die Ruhe Eurer Majestät nur eine Schimäre sein. Sire, weisen Sie nicht den letzten Wunsch eines Patrioten auf den Stufen des Schafotts zurück, befreien Sie mein Vaterland, und die Segnung von fünfundzwanzig Millionen seiner Bürger wird Ihnen auf die Nachwelt folgen!«
Rochefort rieb sich die bucklige Stirn. Was geschah hier? Der sonderbare Brief klang nicht wie eine Übersetzung, sondern sehr original in der vollendeten Sprache des Anwalts. Doch was konnte einen Jules Favre, ob als forensischen Artisten oder als politischen Löwen, veranlassen, eine solche Epistel zu erfinden? Was konnte den Logiker bewegen, ein Pronunciamento zu verfassen oder zu verkünden, dessen erster Satz in völligem Widerspruch zum übrigen Inhalt steht? Der Abtreiber der Freiheit wird zu ihrem Geburtshelfer gemacht: wie geht das zusammen? Ein Delinquent wagt eine Erpressung und nennt zugleich das Lösegeld: ist das erhört? Und anstatt den grossen, den posthumen Kampf zu wagen, wie man es nach dem ersten Satz erwarten konnte, und das vertane Leben und das vergossene Blut und die ganze frische Legende gegen den Freiheitsmörder zu empören, wird er, der fremde Todfeind, zum Vollstrecker des nationalen Testaments erklärt. Was geht hier vor? Warum schweigt der vertretene Staat in seiner Starre? Weiss er denn nicht, was der Kaufpreis für die kaiserliche Ruhe ist? Weiss er denn nicht, was die Testamentsvollstreckung bedeutet? Krieg! Hört ihr nicht? Interventionskrieg! Warum protestiert hier niemand gegen das kriegshetzerische Melodram?
Das Gericht rührte sich nicht, Frauen weinten leise, Orsini sah aufmerksam in die Luft, und der mächtige Mund über ihm ertönte: »Meine Herren, um Ihre Pflicht zu tun, ohne Leidenschaft, ohne Schwäche: dazu haben Sie nicht die Beschwörungen des Herrn Generalstaatsanwalts nötig. Aber Gott, der uns alle richten wird, Gott, vor dem die Grossen dieser Welt so erscheinen wie sie sind, ohne den Tross ihrer Höflinge und ihrer Schmeichler, Gott, der allein das Ausmass unserer Sünden misst, die Stärke der Gewalten, die uns hinreissen, und die Sühne, die sie auslöscht: Gott wird seinen Spruch nach dem Euren fällen, und vielleicht wird er die Gnade nicht verweigern, die auf der Erde die Menschen für unmöglich gehalten haben werden.«
Was soll auch Gott noch in diesem gottlosen Spiel?, dachte Rochefort gequält.
Das Gericht fällte das Todesurteil gegen Orsini und die zwei armen Schächer Pieri und di Rudio, der dritte, Gomez, erbärmlichste Kreatur, wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Das grosse Kruzifix fuhr hinter dem Spruchkünder auf. Das leidensernste Kaiserbild gab seinen Namen her.
Vor Rochefort sass eine Frau, eine der vielen schönen Frauen dieser Zeit, die wimmerte in ihr Taschentuch, immerzu: »Nein! nein!« Aber Orsini lächelte doch, die blutroten Lippen auflockernd, so als habe er die Gnade.
Wer hat hier recht, der Teufel weiss es!, dachte Rochefort und ging zornig, von jeder Partei ausgeschlossen.
Der Kaiser blieb vor der Wandkarte des glücksneuen Paris stehen und suchte mit den Augen den Weg, den die Abgeurteilten zu fahren hatten: vom Mazas-Gefängnis nach dem Roquette-Gefängnis, der letzten Station vor der Guillotine oder dem Schiff nach Cayenne. Der Weg war nicht weit.
Eugenie sass in seinem grossen Sessel, blass und nervös. Er erinnerte sich nicht, dass sie jemals dort gesessen hatte, – dass jemals ein anderer dort gesessen hatte als er und täglich eine kleine, halbe Stunde auf seinem Schoss sein Kind. Er konnte sich nicht daran gewöhnen, sie dort zu sehen.
»Ich bitte dich«, sagte sie leise und rauh, »ich bitte dich …«
Er ging wieder auf und ab. »Wie kann ich es denn, meine Liebe«, meinte er sanft; »das Thema ist doch von uns schon ganz ausgeschöpft, du weisst doch, warum ich es nicht kann. Handelte es sich nur um mich: ich begnadigte ihn herzlich gern, schon um deines guten Herzens willen …«
»Es geht nicht ums gute Herz«, unterbrach sie widerspenstig.
»Nein, es geht um einen Massenmord an Unschuldigen, um hundertfünfzig zerfetzte und verletzte Körper – und das muss gesühnt werden.«
Sie hatte den Kopf gegen die Lehne des Sessels gepresst und verfolgte ihn mit den Augen, das Kinn etwas gehoben. »Nein«, sagte sie, »es handelt sich um dich. Du willst ihn umbringen, aus Angst, und ich will ihn retten, ebenfalls aus Angst.«
»Ich dachte, aus Wertschätzung«, warf er ein, »oder aus Heldenverehrung. – Ausserdem kommt er ja, auch wenn er zu lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt würde, als Bombenwerfer doch nicht mehr in Betracht. Was soll es also mit meiner Angst?«
»Ich weiss es nicht«, antwortete sie beengt, und er hörte ihre tiefe Unruhe, »ich kenne mich mit deiner Angst nicht aus; aber mit meiner Angst kenne ich mich aus, – und die bewusste Stelle in seinem Brief ist ja deutlich genug.«
Die Hand hinter seinem Rücken schlug den Fingerwirbel. »Welche Verwirrung, mon amie! Was hat denn die bewusste Stelle mit seiner Begnadigung – ja, was hat sie überhaupt mit ihm zu tun?«
»Mit dir«, sagte sie heiser und hastig, »mit dir, Louis! Dieser Brief ist unheimlich, es lauert so viel Unglück überall, und ich weiss nie, wo du stehst, Louis …« Er blieb stehen, er stand gerade vor der steinweissen Hortense und sah sie an, nicht Eugenie. »Du lieber Gott«, flüsterte Eugenie, »wenn dieser Brief und seine auffälligen Umstände in deinem Sinn wären und du dir die Ruhe verschafftest nach dem Briefrezept: es wäre ein Unglück auch dies.«
Er sah der Hortense in die milchigen Augen. »Auch dies?«, fragte er zurück, »auch das Heldentestament ein Unglück? Ja, wo stehst denn du, Eugenie? Ich meinte doch beinahe, du stündest beim schönen Feind.«
»Louis!«, rief sie. Er drehte sich um und kam zu ihr. Sie beugte sich vor und fasste nach seiner Hand. »Ich stehe doch beim Kind«, sagte sie, und ihr Atem flackerte, »und ich habe Angst …« Sie liess sich ganz schnell vom Sessel gleiten und lag auf den Knien. »Solche Angst habe ich …«, sagte sie, vor Heiserkeit rasselnd.
»Wie peinlich, Eugenie!«, flüsterte er und wollte sie hochziehen.
Sie war sehr schwer plötzlich. »Das bringt Unglück, Louis!«, schluchzte sie, zwischen seinen Händen hängend, »das bringt dem Kind Unglück, sage ich dir! Dieser Tod sucht einen anderen Tod, sage ich dir!«
»Aber er will doch nicht begnadigt werden!«, rief er und wandte voll Scham den Kopf ab, »das bringt ihn ja um seine Grossartigkeit!«
»Er will!«, rief sie, »er will! Es gibt keinen Menschen, der nicht leben will! Und wenn er keine Angst hat: ich habe Angst vor seinem Tod, und ich will nicht, dass du ihn in irgendeine Rechnung stellst, das darfst du nicht, das rächt sich am Kind …« Sie zog das Wort in die Länge wie einen langen Seufzer, und dann war es schon Weinen oder ein leises, tiefes, aufgerauhtes Heulen, schmerzlich und hässlich.
Er sah gequält die Wände entlang, die dies alles sahen und hörten, und Schlosswände haben tausend Augen und Ohren. »Also gut, also gut«, flüsterte er ganz verlegen, »ich werde den Ministerrat einberufen, ausserordentlichen Ministerrat, möglichst noch heute, sonst morgen, hörst du? – und ich werde die Begnadigung vorschlagen …«
Sie stand plötzlich auf, so heftig, dass er zurücktrat, hatte schon ihre kalten, zurechtweisenden oder abweisenden Augen, sah an ihm vorbei und presste ihr Spitzentüchlein auf den Mund, als ob sie eine böse Antwort verschliessen oder das Weinen verstopfen wollte. Sie ging an ihm vorbei zur Tür, gerade zwar, aber mit bebenden Schultern. Er sah ihr nach, wie erwartungsvoll; doch er ging ihr nicht nach. Noch vor der Tür schüttelte sich ihr Schmerz oder ihr Zorn frei – man wusste nicht recht, was es war. Im Vorzimmer wurde es lauter – man wird es durch das ganze Land hören, dachte er böse, – aber es klang eher nach Lachen als nach Weinen. Sie war sich im klaren, schien es.
Er setzte sich in seinen Sessel.
Rochefort hatte schon einmal eine Hinrichtung gesehen. Er war damals ein ganz junger Student und wollte wohl feststellen, wie es mit seinen Nerven stünde, wenn es wieder einmal Revolutionstribunale gäbe und er möglicherweise der Öffentliche Ankläger sein würde. Er, aus dem Abiturientenjahrgang Achtundvierzig, fühlte das Zeug dazu, aber er spürte zugleich auch ein ungewisses Misstrauen gegen das eigene Vermögen, das Grässliche zu schauen. Das Misstrauen war berechtigt; denn er bestand die Nervenprobe ganz und gar nicht. Als jener vierschrötige Uhrmachergeselle, der seinen Meister erschlagen hatte, die Schafottstufen hinaufkroch, mit irren Augen und ganz verrenktem Gesicht, so als sei es von der Angst, von der Vor-Guillotine der Angst schon aus der Form des Lebens geschlagen, flatterten vor den Augen des Terror-Studenten bereits neblige Schleier, und dieser Nebel wurde im Nu so dicht, dass kaum noch das abfallende Messer durchblitzte, und als der hartdumpfe Aufschlag des Messers auf den Block und der dumpfweiche Aufprall des kopflosen Körpers auf die Planken ganz von fern in die sausenden Ohren drangen, umklammerte er schon den nächsten Baum, um nicht aufs Pflaster zu sinken, und wusste nichts mehr von sich, und später fühlte er ein kaltes Metall im Genick, kein tödlich scharfes, sondern ein sanftes und rundes, wohl einen Schlüssel, er roch Riechsalz und hörte eine barmherzige Stimme: »Wohl ein Anverwandter des armen Teufels.« Die Härteprüfung damals war nicht bestanden worden.
Warum bekämpfte er immer weniger den Wunsch, die Exekution Orsinis anzuschauen! Ging es wieder um eine Nervenprobe? Hielt er sich für kräftiger, weil er zehn Jahre älter war als das erste Mal? O nein, er hielt sich für unsicherer noch; denn die Erfahrung der zehn Jahre besagte nur, dass er noch immer ein Nichts war, einer, der sich verbrannte, statt Brand zu stiften. Doch dieser abscheulich sensationelle Prozess war nicht geeignet, Brandstiftung in der abgeurteilten Form vorbildlich zu machen. Nein, man wird niemals mit Bomben kämpfen, man ist für andere Waffen geboren. Das ist kein Lehrspiel gewesen und der Held kein Exempel. Aber es war ja noch schlimmer: dieser absonderliche Prozess, in dem nichts zu stimmen schien, nicht einmal das erwiesene Heldentum, weder Liebe noch Hass, weder die Tat noch die Sühne, und der dennoch in einer beinahe bärbeissigen Ordnung und Würde abrollte, verschob zum ersten Mal in Rocheforts Leben die wunderbar festen Grenzen zwischen Neigung und Abneigung: und die Sicherheit der Gefühle war doch seine Wegzehrung. Was besass er sonst, der Nichtser?
Hört, der Kaiser wollte den Bedroher seines Lebens begnadigen, es ging durch die ganze Presse, es ging gut zusammen mit der bekannten Teilnahme der Kaiserin am Schicksal des Verurteilten, es zeugte von Grossherzigkeit und von menschlichem Mut, sollte man meinen. Es entsprach dem Kaiserbild an der Gerichtssaalwand, möchte man sagen. Aber das Bild ist geschmeichelt, sage ich euch. Denn warum gebrauchte er nicht einfach sein souveränes Begnadigungsrecht, warum unterwarf er es der Entscheidung des Ministerrats, warum liess er seinen Edelmut überstimmen, wie es vorauszusehen war, wohl auch von ihm? Ich sage euch, er wollte die Verantwortung von sich abwälzen und seine Ruhe vor der merkwürdig gestachelten Cäsarine haben, – das sieht ihm viel ähnlicher als das grosse Herz. Der Ministerrat majorisierte ihn einstimmig (und konnte auch nicht anders handeln), gewährte nur die Begnadigung des armen Schächers Rudio und bot seine Gesamtdemission an, falls der harte Cäsar der Allgemeinen Sicherheit hartnäckig auch in seinem Gnadenwillen bliebe. Er blieb es nicht, es war vollkommen vernünftig. Man macht wegen eines Massenmörders keine Staatskrise.
So wurde es nur eine Krise für die Kaiserin, eine ziemlich rätselhafte Erschütterung, vielleicht Mitleid, vielleicht Zusammengehörigkeit der Spiegelmenschen, vielleicht ahnungsvoller Aberglaube des mediterranen Gefühls, vielleicht auch nur Hysterie. Rochefort wusste genau Bescheid; denn er traf auf der Concorde seinen Jugendfreund, den Sekretär der Kaiserin, seinen Verbindungsmann mit den Tuilerien, und der erzählte ihm voll Mitgefühl von dem erbarmungswürdigen Gelächter der schönsten Frau. Ja, es war ein Lachkrampf oder ein Weinkrampf, den er und ein Kollege aus dem Blauen Salon hörten, – es war zugleich auch wie Eselsgeschrei, das rauh und grässlich mit dem Atem aus und ein ging, sehr rasch und eintönig. »Es war wegen Orsini«, erklärte mit gerunzelter Stirn der Sekretär, auch ein Pietri, »und es war sonderbarerweise noch vor der Entscheidung des Ministerrats. Vielleicht hat sie das zweite Gesicht.«
Dies alles war verworren, und Rochefort war durcheinander. Es gab für ihn nicht den Ausweg, auf die Anhöhe der Objektivität zu klettern und unparteiisch zu sein. Er war kein Historiker, er war ein Hasser und fühlte sein Feuer bedroht. Was hatte er sonst? Er war im Nebenberuf Theaterkritiker, und es wäre schlimm genug, käme er aus der Kritik des Orsinischen Theaters nicht heraus. Er brauchte die Lösung, und so blieb nur die Lösung des schönen Hauptes vom Rumpf übrig: denn das wagte kein Theater. Wird Rochefort es aushalten oder wird er umfallen wie vor zehn Jahren? Doch wenn der Held so stirbt wie versprochen, wird der Kritiker stehen bleiben, kritiklos, voll Bewunderung.
Polizeipräfekt Pietri riss an seinem schwarzen Schnauzbart und sah zornig aus; aber es war nur Unbehagen und zugleich auch Respekt – eine unbehagliche Bewunderung, wie sie ihm der Kaiser abzunötigen pflegte. Er meldete: »Mir ist soeben von der Gefängnisdirektion ein zweiter Brief des Delinquenten an Eure Majestät übergeben worden, sozusagen aus der Armesünderzelle. Es ist überflüssig, zu betonen, dass dieses erstaunliche Dokument ohne eine neuerliche Beeinflussung von meiner Seite entstanden ist; denn ich hatte dazu keinen Auftrag. Der Brief ist in italienischer Sprache geschrieben und scheint nicht vom Verteidiger redigiert.«
Der Kaiser stützte die Stirn in die Hand und sagte müde: »Lesen Sie vor!«
»Die Zuneigung Eurer Majestät für Italien ist für mich in der Todesstunde kein geringer Trost. Vor meinem letzten Atemzug erkläre ich, dass der Meuchelmord, unter welchem Vorwand er sich auch verberge, nicht zu meinen Grundsätzen gehört, wenn ich auch in verhängnisvollem Irrtum das Attentat vom 14. Januar organisiert habe. Meine Landsleute sollen nicht mit diesem Mittel rechnen. Sie sollen aus meinem Mund die Lehre empfangen, dass nur ihre Entsagung, ihre Hingabe und ihre Einigkeit Italien befreien kann.«
Pietri schwieg. Nach einer Weile sagte der Kaiser: »Geben Sie es in die Presse.« Er strich sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Nein, geben Sie es noch nicht in die Presse. Geben Sie den Brief an den piemontesischen Gesandten. Ich ermächtige ihn, nein, ich fordere ihn auf, diesen Brief und den ersten in der ›Gazetta Ufficiale‹ von Turin zu veröffentlichen. Die Presse übernimmt es dann.«
Der Präfekt öffnete den Mund und schloss ihn – dann fragte er doch, nicht einmal leise: »Und Österreich?«
Der Kaiser überhörte die Frage.
Der Westwind dieses Märzmorgens wehte über den bösen Platz zwischen zwei Gefängnissen, dem der Abgeurteilten und dem der jugendlichen Verbrecher, und durch das eben aufgeschlagene Blutgerüst und zwischen die Menschenmenge hindurch zum nahen Père-Lachaise. Alles im Wind strebte zum grossen Friedhof hin: die Röcke der Frauen, die Hüte der Männer, die Helmbüsche der Gendarmen, die Mähnen der Pferde, das Wimmern des Armesünderglöckchens und jetzt auch, punkt dreiviertel sieben, die Hemden der beiden Delinquenten, die aus dem Gefängnistor geführt wurden. Rochefort im Wind dachte an das zweimonatalte Grab der Rachel, des grossen Spiegelmenschen. Er war ganz ruhig, er staunte über seine Ruhe.
Die beiden kamen langsam heran, zuerst der untersetzte Schächer, dann der hochgewachsene Held. Neben jedem schritt ein betender Priester mit dem Kreuz, keiner von beiden schien sich um sie zu kümmern. Beide trugen die Pein und das Kleid der Parriziden, wie es das Gesetz vorschrieb: barfuss, im langen, weissen Hemd, über dem Kopf einen schwarzen Schleier, so schritten sie zur Richtstätte.
Ich werde sein Gesicht nicht sehn, dachte Rochefort, ich werde es mir vorstellen können, wie ich es will.
Der Schächer Pieri sang, wahrhaftig, er sang stossweise und dann schwieg er, nein, er schwieg nicht; denn der schwarze Schleier vor seinem Mund blieb in Bewegung. Jetzt kam wieder der Stoss des Gesanges. Er sang das Girondistenlied, mit scheppernder Stimme, grässlich falsch, er sang immer nur den Anfang: »Mourir pour la patrie …«, weiter kam er nicht.
Das ist Regie Orsini, dachte Rochefort und biss die Zähne aufeinander, aber es klappt nicht, es klappt Gottseidank nicht.
»Mourir pour la patrie …«, heulte der Schächer, den Schleierblick des Helden im kahlrasierten Nacken, dann brach er ab. Doch der Schleier vor dem Mund flatterte weiter, und der Mund flatterte weiter, ganz sinnlose Worte, Angstworte im Angstrhythmus: »Eh bien, mon vieux …, eh bien, mon vieux …, eh bien, mon vieux …«, immer lauter und mit einer Stimme, die mit jedem Schritt sich von der Menschenstimme entfernte.
Der Held hinter ihm sagte mit seinem weichen, tönenden Bass, mit seinem Orgelbass: »Calma, Pieri.« »Eh bien, mon vieux …, eh bien, mon vieux …« »Calma, Pieri, calma!« »Mourir pour la patrie …«, kreischte der Schächer.
Sie gingen vorüber. Rochefort war gelb, so gelb wie der Kaiser. Ich bin für den armen Sünder, dachte er.
Am Fuss des Schafotts wird den beiden der Kopfschleier abgenommen. Rochefort sieht scharf hin. Das Gesicht des Schächers ist wie seine Stimme, es ist schon aus der Menschenform gelaufen. Doch wer kümmert sich um dieses arme, vergangene, entlassene Gesicht, wer sieht es auch nur an, seinen Schweiss, seine Flecken, seine Schwellungen und seine Löcher? Durch die Menge fährt die Bewunderung, wie der Westwind zum Père-Lachaise. Seht das Heldengesicht! Der nackte Athletenhals trägt den Kopf wie einen köstlichen und unverlierbaren Besitz. Das Antlitz ist von einer klaren Schönheit, auf der Kuppelstirn ist der Glanz des jungen Tages, er schaut ruhig und fest über den Platz, und die überroten Lippen lockern sich auf, wie zu einem Lächeln.
Er sieht sich ja, stöhnte Rochefort, und die Lippen sind abscheulich und der Schächer schöner …
Die beiden steigen die Stufen zur Plattform hinauf, und Rochefort weiss ganz genau, wie es sein muss: der Schächer hat ja nicht mehr die eigenen Beine, ihn fliehen die Glieder wie das Gesicht und die Stimme, er klettert mit fremden, fliehenden Beinen. Der Held steigt schön und kraftvoll. Oben wird das Urteil verlesen. Dem Schächer flieht das Kinn, der Held trägt alles Licht auf dem Haupt. Die Gehilfen packen das Bündel Pieri. Er kreischt: »Mourir pour la patrie … Mourir …«
Rochefort schliesst die Augen. – Vater im Himmel, du liebst den armen Sünder, ich auch! –
Man kann lautlos brüllen, so dass man nichts sonst hört, nichts. Rochefort steht fest auf den Beinen, er öffnet die Augen. Das schräge Messer ist schon wieder aufgehisst wie eine Silberflagge.
Orsini weist die Henkersknechte zurück wie ein König, und sie gehorchen ihm wie einem König. Er reckt die mächtigen Schultern und wölbt unter dem Hemd die mächtige Brust und fährt mit dem Blick den ganzen Platz aus, und sein Apostelgesicht badet sich noch einmal in tausend Blicken, und dann dröhnt sein Orgelbass in die Welt:
»Viva l'Italia! Viva la Francia!«
»Nein! Nein!«, schreit Rochefort, heiss vor Hass. (Vielleicht schrie er nicht laut, sondern nur für sich, er wusste es später nicht mehr, er verheimlichte später, dass er dabei war, er verheimlichte es sogar seinem Tagebuch.) Er dreht sich um und drängt sich in die Menge. Alle Gesichter blicken über ihn hinweg, alle Augen sind aufgerissen, auch die Münder, schon bereit für den allgemeinen Schrei des Entsetzens, der dann über dem fernen, hartdumpfen Schlag zusammenschlägt.