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Als sich die zwanzigjährige Contessa Virginia Castiglione anschickte das zweite Kaiserreich zu erobern, verkannte sie nicht die Gunst der Zeit, aber den Charakter dieser Gunst. Sie irrte sich im Gewicht ihrer Aufgabe, die nicht von grossartiger Schwere und Bedeutung war wie eine neue Judith-Historie – so ungefähr nahm sie es an –, sondern von einer belustigenden Leichtigkeit. Die Zeit gehörte der Frau, der schönen Frau; aber da es viele schöne Frauen gab, da es schon so war, als schüfe sich die Zeit die vielen schönen Frauen, die sie verbrauchte, schuf sie auch eine Art Normalmass ihrer Gewogenheit, eine Auszeichnung, der viele teilhaftig werden konnten, und sorgte mit einer gewissen Hoffart dafür, dass sich die Schönheit und ihr Schicksal oder ihr Erfolg nicht rar machen konnten. Eine Zeit, die Glück, Schönheit und Jugend ausschreit und dennoch mehr sein will als ein gewaltiger Jahrmarkt – die auch mehr ist, weil sie ihre Superlative mit Geist mischt, nämlich mit Ironie: eine solche Zeit lässt keine Sonderfälle zu, keine Seltenheiten des Glücks und der Schönheit. Denn das Seltene bedingt Mangel, hier aber ist Überfluss, ein solches Angebot gar, dass der Preis durchschnittlich sein muss. Die Zeit verlangt und vergibt also nur leichte Gunst, nicht allein aus Leichtsinn, sondern auch aus Berechnung, sogar aus dem Trieb der Selbsterhaltung.
So kam es, dass die junge Florentinerin im gleichsam blinden Schwung ihrer Seltenheitsansprüche und antiken Energien lauter offene Türen einrannte und im Schlafzimmer des Kaisers stand, ehe sie es sich recht versah. So kam es, dass sie mit dem Höhepunkt begann, ohne doch die voraussehbare Ironie der Zeit zu begreifen, die ihr Schicksal bergab legte von Anfang an, ganz ohne die anmutige Kurve der Normal-Gewogenheit, und ihr erst auf dem Abstieg erlaubte, sich mit der versäumten Fatalität, der beinahe historischen, zu schmücken wie mit dem berühmten Smaragd, den ihr der Kaiser geschenkt hatte, und als nachträgliche Dämonin die Männer zu ruinieren.
Sie war eine Fremde, wie Eugenie; sie war ungewöhnlich schön und ungewöhnlich kalt wie Eugenie. Aber die Kaiserin, die kluge und keusche Frau, hütete sich, das Ungewöhnliche zu betonen. Sie spürte, dass der leichte Sinn ihrer Zeit ironisch war und dass die Frivolität des Kaiserreichs, das die Welt mit der Mode eroberte wie das erste Imperium mit dem Adler, als Staats-Ritus der fraulichen Anmut mitzumachen war. Sie konnte es sich erlauben, als oberste Trägerin des Glücks, der Schönheit und der Eleganz eine untadlige Frau zu bleiben und den sittlichen Leichtsinn den anderen zu überlassen, ohne doch wiederum in die Übertreibung der Prüderie zu fallen. (Sie übertrieb wohl nur ihre nicht angeborene Hoheit und kam dadurch zu einer Formalität des Hochmuts, zu einem Erhabenheits-Zeremoniell, das allein schon genügte, um sie nicht ganz zu lieben.) Es herrschte der Realismus der Anmut: sie wusste es oder sie spürte es. Der grosse Realist Talleyrand, ein Teufel der Anmut und mit bedeutsamen Beziehungen zu dieser seiner Nachwelt, hatte eine für die National-Frivolität seiner Nachfolger wichtige Sentenz geprägt: »Tout ce qui est exagéré, est inexistant.« Die leichtsinnige Zeit vertrug die Übertreibung doch nur im geistigen Elan, wie im Falle Rochefort, aber nicht als Diktatur oder gar als politische Schicksalsführung des schönen Körpers, des nichts als schönen Körpers, wie im Falle der Castiglione. Sie bewunderte und genoss nach Gebühr das Wirkliche dieser Frau, eben ihre Schönheit; aber sie missbilligte schon die Übertreibung ihrer natürlichen Kälte, nämlich ihre unnatürliche Lasterhaftigkeit, und vollends über die Exaltation ihres politisch-dämonischen Anspruchs lachte sie. Die Zeit gab auf Form, sie gestattete die Verderbtheit der Frau nur in der Form der Liebe und alle Tollheit nur in der Grenze der anmutigen Verführung. Der zeitgenössische Realist und politische Teufel, jener Cavour, irrte sich im Leichtsinn des Kaiserreichs oder in der Intelligenz des schönen Körpers, als er etliche Zeit nach der Geburt des Thronfolgers seine Cousine Virginia Castiglione ermunterte, nach Paris zu gehen und den neuen Holofernes nicht zu ermorden, sondern – weil er ja zugleich auch der neue Nebukadnezar war – im Gegenteil glücklich zu machen bis zur persönlichen Hörigkeit und politischen Dankbarkeit. (Denn aus dem Gelübde der Geburtsnacht war nichts geworden als eine stürmische Sitzung des Friedenskongresses und ein ölglattes Protokoll, das das Leid Italiens aufnahm und vielleicht begrub; und seitdem wieder schwieg die kaiserliche Sphinx.)
Eine politische Agentin also, die das Abgründige ihrer Mission in die Regie ihres Auftritts und in die Draperie ihrer Aufmachung übernimmt, hatte in dieser scharfäugigen Stadt nicht viel zu bestellen. Man wusste sofort und genau, woher sie kam und was sie wollte; der offizielle Spötter und Schlagwortpräger, genannt der Seneca der Tuilerien, jener Mitbewohner der Rue des Beaux-Arts Nr. 10 und hochberühmte Autor der »Carmen« und anderer kalter Novellen der heissen Leidenschaft – Prosper Mérimée also hatte zur Freude seiner Freundin, der Kaiserin, und seiner anderen schönen Freundinnen sofort den Kriegsnamen für die junge Dame der Renaissance bereit: »Notre-Dame de Cavour«. Das Wort war ebenso witzig wie boshaft, dabei doch nicht ungalant; und genau so behandelte die Zeit diesen dunklen Stern. Der Stern ging, wie es sich gehörte, in der Cavourschen Geschäftsstelle auf, in der piemontesischen Gesandtschaft, der Stern ging in Lila auf, und Amethyst war auch der Schmuck, der auf dem überaus kühnen, aber vollendeten Dekolleté lagerte. Die Farbe war neu für Paris, das seine Göttinnen in Weiss, Rosa, Himmelblau oder Meergrün zu hüllen liebte; aber man erkannte sofort, dass es sich um die Verdeutlichung der piemontesischen Dämonie handelte. Man nahm die Farbe an und auch die Trägerin, die so ruchlos schön war, dass den Männern das politische Lächeln verging. Die Frauen aber, die sich um Unwägbarkeiten nicht kümmern, wenn sie abwägen, hatten von Anfang an nicht gelächelt. Der Stern war aufgegangen und glänzte von nun an überall, er stand im Firmament der Ballnächte, immer in Lila, immer nackter. Die zahllosen Männer, die sich der Göttin näherten, durften alles sehen und nichts berühren. Sie durften sich alles wünschen und wurden grausam eingeladen, ihre Wünsche auf das Eis der sternhaften (und dennoch verlogenen) Wunschlosigkeit zu legen. Das tat den Wünschen nicht gut, und es wurde offenbar, dass die Dämonie bei aller Unzulänglichkeit eine vertrackte Sache war. Die Sensation war heftig. Der Kammerherr Baciocchi, für Prüfung und Auslese von Göttinnen zuständig, erstattete dem Kaiser bereits Bericht. Die Geheimpolizei, die beste der Welt, legte bereits einen Akt mit dem schönen Namen an.
Schliesslich war es soweit, dass der Kaiser, von so deutlicher Unternehmungslust und scharfer Zielsetzung in gute Laune versetzt, die Dame zu sehen wünschte. Das Treffen fand bei der Cousine Mathilde statt, im Rahmen ihrer schon beinahe historischen Dienstag-Empfänge, und es war nicht das erste Mal, dass diese geistvolle und sehr unabhängige Frau dem Vetter mit solchen nicht ganz ungefährlichen oder sogar etwas giftigen Darbietungen kam. Es bestand zwischen Mathilde und Louis – sie nannte ihn für sich noch immer so – viel Freundschaft und Achtung, es war wohl so, dass diese beiden Menschen, die hinter dem Wandschirm ihrer Zeittoleranz anderes Zeitgut anhäuften, nämlich die Menschenverachtung und die Resignation (und es von einander wussten), sich gerade um ihres Geheimbesitzes willen respektierten und sich wegen ihrer ähnlichen Zeiterkenntnis geschwisterlich zugetan waren. Aber daneben gab es wohl noch eine persönliche Rechnung zwischen ihnen, die niemals aufging oder die doch nur der zugeschlossene Mann geregelt zu haben schien. Sie war ja einmal, vor zwanzig Jahren, für einen flüchtigen und verlegenen Augenblick seine Braut gewesen und sie hatte von ihm Verwirrungen empfangen, die deshalb nicht flüchtig waren, weil sie über den ersten kleinen Taumel der Sinne hinaus mit dem irritierenden, zugleich anziehenden und abstossenden, bewegten und bewegenden, schliesslich gar zeiterschütternden Schicksal des Mannes verhaftet blieben. Es war die Zeit der Präsidentschaft gekommen, wo sie, Mathilde, die erste Dame Frankreichs war, und wo doch wohl zugleich mit der möglichen Erwartung, die gültige Repräsentanz statt der ersatzmässigen zu erhalten, die Einsicht kam, dass der vieldeutige Mann der Zukunft zum mindesten die Vergangenheitsrechnung dieser ersten Liebe abgeschlossen zu haben schien, wenn nicht gar vollkommen vergessen. Sie war zu klug und zu stolz, um ihn daran zu erinnern. Aber ob es das heimliche Leid war, das sich in ein heimliches Vergeltungsbedürfnis verwandelte, oder ob sie nur immer noch am Schlepptau seines Schicksals hing und es auf keinen Fall loslassen wollte: sie zahlte ihm die eigene Lebensverwirrung mit fremden Verwirrungen heim. Sie tat es mit einer seltsamen Art von Selbstlosigkeit, einer schmerzlichen Art; denn sie tat sich weher damit als ihm, der sich, scheinbar unverwundbar, mit den Verwirrungen vergnügte. Sie war es ja gewesen, die ihm die schönste Frau zu sehen gab, ihre Freundin Eugenie von Teba; und hatte sie es auch nur getan, um ihn vor seiner weizenblonden Staats-Maitresse Lizzy Howard zu retten (die sich bereits das Malmaison-Bett der Josefine hatte nachmachen lassen), so hatte sie doch eine Kaiserin gemacht und den eigenen Verzicht besiegelt. Sie gab nicht einmal klein bei – das war nicht ihre Art –, sie warnte ihn vor der kalten, frommen und berechneten Frau, sie zeigte ohne weiteres, dass sie die Freundin nicht liebte, sie korrigierte sich auch nicht nach dem Triumph der anderen, nein, Mathilde liebte nicht Eugenie, sie zeigte eine ganz gemessene und verhüllte Opposition, nicht die grosse ihres Bruders Plonplon, der trotz der zwei Millionen jährlich nicht verschwieg, dass er die Kaiserin hasste, – die Kousine lancierte hin und wieder Frauen, sie beschoss die Tuilerien, in denen sie nicht zu oft erschien, mit Verwirrungen: vielleicht wollte sie nicht einmal so sehr den Cäsar treffen als die Cäsarine.
Der Dämonin amethystfarbene Toilette begann zwar erst in der Gegend des Magens, unter der hauchdünnen Andeutung einer Korsage, aber sie war mit Hermelin verbrämt und zeigte dadurch an, dass die kaiserliche Stunde schlüge. Auch diese Demonstration war unnötig; denn es gab in den Salons der Mathilde keinen, der es nicht gewusst hätte. Trotzdem unterliess es nicht der weltberühmte Eroberer von Sebastopol und [jüngste] Marschall, der sehr verliebt und mit seinem obersten Kriegsherrn nicht das erste Mal unzufrieden war, ihr militärisch knapp und dringlich zuzusetzen; denn der Kaiser war noch nicht da. Virginia sass auf einem niedrigen, lehnenlosen Sessel, wie ihn die ausladende Mode der Krinoline geschaffen hatte. Die ironische Zeit erfand sich eine Schönheitshülle, die – wahrlich weit entfernt, ein Panzer zu sein – doch etwas von einer Fortifikation an sich hatte und selbst Berufsstrategen die Annäherung erschwerte. Die Krinoline wuchs und wuchs und wölbte sich als Schutzglocke um die zarten und blossen Göttinnen. Wie soll man ihnen nahe kommen, wenn sie unverrückbar und listig genau im Mittelpunkt ihres verbauten Kreises sitzen, wie ihnen das Zärtliche und Unziemliche zuflüstern, wenn es schon immer schwieriger wurde, ihnen auf die ziemlichste und herkömmlichste Weise den Arm zu bieten? Man musste sich verrenken und abbiegen und kam doch nicht ans Ziel oder nur mühselig und keineswegs auf Erobererart; denn die kostbare Bastei durfte bei alledem nicht beschädigt werden, und Unfälle dieser Art hatten zuweilen, bei wichtigen, gichtigen Exzellenzen oder reichen, dicken Bäuchen, Verpflichtungen zur Folge, die der Kavalier erst nach dem Ziel auf sich zu nehmen pflegte. Es wäre eine Zeit für Schlangenmänner, wenn die Zeit nicht gerade, von der körperlichen Disposition des Mannes ganz abgesehen, der Herrenmode und den Uniformen eine Knappheit und Straffheit angesagt hätte, mit zusätzlichen Geheimkorrekturen von Korsetts, Brustpolstern und Hosenstegen, die die Gelenkigkeit auch des biegsamsten Mannes erschwerten. So war der Reifen unter dem Rock schon eine kleine Dämonie an sich, und der Krim-Marschall gab sich weder mit Flüstern noch mit Rumpfbeugen ab, zumal er doch niemals allein an der Peripherie des violetten Gestirns hockte, sondern schoss seine Liebe kurz und bündig ins Zentrum, das gewohnte Kommando in Stimme und Haltung. Virginia sass wie eine schöne, böse Blume, wunderbar anzusehen, unangreifbar, und rührte sich kaum: aus umgekehrtem lila Riesenkelch wuchs die weisse, schmale Körperblüte. Sie sprach niemals viel, ihr fehlte ganz die Gabe der anmutigen Mitteilung, des meisterlichen Plauderns, des holden Dialogs, der Andeutung und der Vieldeutung, die die Frauen der Zeit auszeichnete. Virginia war eindeutig und, da es nicht viel war, was sie zu deuten hatte, einsilbig. Bild und Sinnbild ihrer Erscheinung sprachen für sich selbst, sie gab dazu hin und wieder ein paar kategorische und skandalöse Erklärungen. »Was fehlt noch?«, hatte sie in der ersten Zeit den Feldherrn angefahren, als er sie mit dem strategischen Blick abtastete, »hier!«, und sie streckte ein Bein aus der Schutzglocke, ein Wunder von einem Bein und darüber das Teufelswerk der Spitzenverwirrung, – »Den Rest können Sie sich denken, Exzellenz.« Der Eroberer dachte sich den Rest und liess nicht nach. Auch jetzt, in zwölfter Stunde, die die Göttin vor Erwartung starr und stumm machte, dachte er noch an Sturm und Sieg, aber auch an den erklärlichen und den unerklärlichen Widerstand.
»Zum Teufel mit der Krinoline!«, kommandierte er, aus dem alten Gedanken heraus, in einer Gefechtspause.
»Ich werde sie vielleicht abschaffen«, antwortete sie unerwartet, »aber nicht um Ihretwillen.« Ihre Hoffart war grenzenlos in dieser Stunde; und da sie zu tun pflegte, was sie sagte, versuchte sie ein wenig später in der Tat, die Schutzglocke zu zertrümmern und mit umfassbaren Hüften zu erscheinen, möglicherweise um des eroberten, wenn auch nicht unterlegenen Cäsar willen, vielleicht aber auch nur für den eigenen Ruhm. Doch die Mode war wie das Imperium: sie kümmerte sich nicht um die Emanzipation des einen Hüftenpaars, sie vergrösserte sogar spöttisch den Bannkreisreifen, und die einsam Schlanke, die dieses Mal selbst das Lächeln der Frauen erntete, Allerweltslächeln, kroch geschlagen in die Schutzglocke zurück und rächte sich nur mit dem deutlichen Verzicht auf das Korsett; denn das konnte sie sich leisten. Und als endlich die Zeit selber die Krinoline abgeschafft hatte, war Welttragisches geschehn und die Castiglione wieder einsam, eine früh alte, früh dicke, ganz vergessene Frau.
»Sie werden, hoffen wir, die Mode der Venus Anadyomene kreieren, Gräfin Virginia, nur ein bisschen Meerschaum, sonst nichts«, sagte ein anderer Mann an der Peripherie. Das war, wie schon aus den Worten hervorging, kein Feldherr, sondern ein Kunstbetrachter von Beruf, sogar einer der wichtigsten des Reichs mit dem Titel des Oberintendanten der Schönen Künste, der Herr des Louvre, Freund und Kenner aller Pariser Modellmädchen, wenn auch nicht der ihrer Maler. Dieser Würdenträger, ein Graf mit flämischem Namen, war selber schön wie ein Modell, wie ein Antinous, jedoch mit fächerförmigem Bart, und so war er auch nur beruflich so etwas wie ein Kaiserliebling, als Mann jedoch ausschliesslich und grosszügig für Frauen da. Er war seit einem Jahrzehnt der offizielle Freund Mathildens, der leibliche sozusagen (denn für die Seele hatte sie einen berühmt zarten Maler und vielleicht auch noch den zarten Kaiser selber); er hatte ihr alles zu verdanken, sein Glück, seine Stellung, seine unleugbare Macht – nur eben nicht seine männliche Schönheit, die doch wiederum der Grund für ihre lange und vorteilhafte Liebe war. Sie aber, Mathilde, war niemals schön gewesen, sondern nur hübsch, gewiss auch klug und reich und überdies Prinzessin Bonaparte, also mit genügender Anziehungskraft für das Modell eines spätrömischen Idealjünglings: inzwischen jedoch war der bärtige Antinous immer schöner und grossartiger geworden, sie dagegen eine hohe Dreissigerin mit Fettansatz, einigen Runen im runden Gesicht und eine neuabschätzende, oft abschätzige Schärfe in den runden, flinken Augen, die früher nichts als lustig gewesen waren. Gewiss war sie immer noch die Mathilde Bonaparte, und ihre Bedeutung wurde nicht geringer, seitdem sie wieder von der zweiten Dame des Reichs zur ersten Dame der höflichen Hofopposition geworden war, mit keinem geringeren als dem freimütigen und höchst unbekümmerten Cäsar selber als Verbindungsmann zwischen den Tuilerien und ihrem kultivierten Haus in der Rue de Courcelles. So blieb es geboten, Vorsicht und Rücksicht walten zu lassen, und so breitete der Oberintendant des Schönen seine männliche Grosszügigkeit nicht gerade vor ihren Augen aus, die genug zu wissen schienen und dabei in ihrer spöttischen Vorwurfslosigkeit nicht immer angenehm anzuschauen waren.
Jetzt zum ersten Mal vergass er Vorsicht und Rücksicht. Die Leidenschaft für die böse Blume war zugleich beruflich und persönlich, der Kunstbetrachter und der schöne Mann wurden hingerissen, die Leidenschaft war also vollkommen. Er war dabei gewesen, als der Stern aufging – denn es gab kein gesellschaftliches Ereignis ohne ihn –, er hatte geholfen, ihn in die Höhe zu bringen, er hatte auch schon versucht, ihn zu besitzen. Doch er war gelassener, vielleicht auch selbstsicherer als der Feldherr, er kannte sich mit der Laufbahn solcher Sterne aus und fand es nicht zu spät, sie bei ihrem Abstieg aufzufangen. Er gab dem Kaiser, was des Kaisers ist. Er trug sich nur ins Register ein, auf eine zugleich verwegene und gemessene Art, die der Göttin keine Gelegenheit zu apodiktischen Unverfrorenheiten gab und ihr dennoch sehr viel besser gefiel als die Degenassauts des Krim-Marschalls. So kam es später denn auch wie von ungefähr, dass er dem Kaiser nachfolgte, als erster einer ziemlich langen Reihe und als einziger, dem es nichts oder wenig kostete; denn er selber war kostbar, und die alten Idealschönheiten seines musealen Amtsbezirkes standen gemach als unendliche Perspektive hinter der Pracht seines Leibes. Die heillose Welt behauptete denn auch, die gerechte Nachfolge sei im heiligen Louvre zelebriert worden.
Jetzt trug er sich ins Register ein, vor Mathildens Augen, und war dabei noch viel verliebter, als er tat. Keiner wusste es besser als seine alte Freundin; denn keiner kannte ihn besser. Was war sie für eine sonderbare Frau, die alte Freundin, dass sie so viele Verwirrungen abschoss, selber im Schussfeld? Dies aber merkte man nicht; denn sie war gesprächig, gewandt, für alle da, wie immer. Sie trat auch gerne an die Peripherie der umlagerten Dämonin, die sie mit einer gewissen Dankbarkeit und einer ganz kleinen Unsicherheit anlächelte; denn warum eigentlich förderte die Kaiserbase und souveräne Dame sie auf so dankenswerte Weise? Förderungen durch Frauen wurden nicht von ihr erwartet und bedeuteten vielleicht Praktiken gefährlicher Art. Man konnte Konkurrentinnen vernichten, nichts war leichter. Aber sollte man unvorhergesehene Protektorinnen verschonen oder verderben? Dies war die Frage, die schwierigste dieses bedeutsamen Abends. Virginia aber war schöner, wenn sie nicht lächelte; sie war eine dramatische Schönheit. Der Oberintendant empfahl dem Seelenfreund, der artig und selbstlos der Runde angehörte, Virginia Anadyomene zu malen, er selber, ein wenig Liebhaber in plastischen Künsten, würde sie modellieren, gleichzeitig, damit es in einem ginge. Der Seelenfreund sah besorgt die alte Freundin an. Mathilde fragte lächelnd: »Würden Sie es erlauben, Contessa?«
»Warum nicht, wenn Sie es erlauben, Altezza«, antwortete die Castiglione, und es war eine taktlose Antwort.
»Ich erlaube Ihnen jede Blösse«, lächelte Mathilde.
»Dann«, sagte die Castiglione in ihrem etwas harten Französisch und mit ihrer etwas harten Stimme, »ja, dann darf der Marschall den Meerschaum schlagen, damit es in einem geht.«
»Ich werde schlagen«, versicherte der Feldherr und sah finster auf die Schutzglocke.
»Es geht zu viel in einem«, protestierte der bärtige Antinous, »man treibt Missbrauch mit meiner Liebhaberei, man missbraucht das schöne Wort. Als Liebhaber, Virginia, schätze ich keine Simultanvorstellungen.«
Mathilde verliess die Peripherie, beinahe unbemerkt. Nur der Seelenfreund bemerkte es und glaubte, sie ginge, weil sie es nicht mehr aushalte. Er blickte ihr bekümmert nach. Doch Mathilde ging, weil ein Gong durch das Haus hallte, ein besonderer Gong, der Kaiser-Gong.
Irgendwo aber sass ein Kavalier mit dem ausserordentlichen Namen Francesco Verasis Conte di Castiglione di Castigliola d'Asti. Das war der Mann der bösen Blume – wahrhaftig, ihn gab es. Es war eine unglückselige Existenz, ein peinlicher Fall. Und er wird schliesslich einmal vom Pferd fallen und auf der Stelle tot sein. Aber er wird auch dann schon noch viel zu lange gelebt haben.
Mathilde sagte zu ihrem Vetter: »Sie ist dumm, Louis, nicht süss dumm, sondern sauer dumm, sie bringt euch sogar um die angenehmen Früchte der Dummheit.«
Der Kaiser kam in Frack und Escarpins; denn in den Tuilerien war Hofball. Er kam nur auf einen Sprung. Doch als er in den Salon trat, mit seinem etwas zaghaften Schritt, leicht vorgebeugt, die Rechte auf dem Rücken, in der erhobenen Linken die brennende Zigarette, mochte man denken, er habe viel Zeit. Man war aufgestanden, man verbeugte sich tief, man knixte tief. Es war in dem Gesicht des Kaisers nicht eigentlich ein Lächeln, sondern nur ein heller Schein von Liebenswürdigkeit. Während er ein paar freundliche Worte austeilte, sehr leise und wie verlegen, sah er, ein wenig schläfrig, zur bösen Blume hin. Mathilde stellte sie vor.
Virginia stand sehr aufrecht und hatte den Hofknix nur angedeutet. Sie war etwas grösser als er. Sie hatte das Gemmengesicht der noblen Florentinerin, schmales Gesicht von genauer und gleichsam dichter Schönheit, die schmale Nase sehr sanft gebogen, der kleine Mund ein wenig hart, die Augen wunderbar geschnitten, gleichzeitig schwarz und klar, klar wie schwarzes Glas und merkwürdig fähig, ohne Freude, ohne Angst, ohne Licht, ohne Schatten, ohne eine Antwort in sich hineinsehen zu lassen. Er sah in sie hinein, er war hinter Wolken.
Der Kaiser sah sie an, stehend, rauchend, stumm. Die Peripherie war leer geworden. Er setzte sich nicht und hiess sie nicht sitzen. Doch es war keiner von beiden verlegen.
Plötzlich fragte er: »Wie heissen Sie, Madame? Ich habe Ihren Namen vergessen.«
Sie zuckte nicht einmal mit den langen Wimpern, sie sagte ernst: »Castiglione, Sire.«
»Den Vornamen, bitte.«
»Virginia.«
»Nennt man Sie so? Es scheint mir unglaubhaft.«
»Man nennt mich Nicchia, Sire.«
»Nicchia. Und wie soll ich Sie nennen?«
»Nicchia, Sire.«
»Nicchia. Ich werde es mir überlegen. Vielleicht finde ich etwas anderes. Ich sage es Ihnen heute in acht Tagen. Sie werden eine Einladung nach Saint Cloud erhalten.«
Dann ging er. Mathilde, die ihn hinausbegleitete, fragte ihn nicht, und er sagte nichts, er sprach von anderem. Virginia setzte sich wieder auf ihren lehnenlosen Sessel. Es war ihr nichts anzumerken. Die Peripherie belebte sich sofort.
Der Kaiser ruderte, Virginia sass am Steuer. Das Gleichnis scheint ein Triumph der violetten Dämonie, sowohl der privaten als auch der politischen. Es war jedoch ungewiss, ob die Steuernde daran dachte. Vor ihr war der Rudernde, er strengte sich nicht an, er tippte nur aufs Wasser, man kam dennoch weiter; er sah ihr unverwandt ins Gesicht, nicht werbend, sondern beobachtend – das spürte sogar sie. Er sah nicht einen Augenblick an ihr vorbei ans langsam abrückende Ufer. Dort, in ihrem Rücken, am Rande des Parks, der in der jungen Maisonne flirrte, war die Kaiserin mit allen anderen. Es war unwahrscheinlich, man träumt kaum solche Siege, Virginia zwar war keine Träumerin. Was hinter ihr lag, erforderte keine Rücksicht. Die Kaiserin hatte kaum mit ihr gesprochen, der Kaiser übrigens auch nicht. Man war in einer langen Reihe kleiner zweisitziger Jagdwagen durch den Park gefahren. Sie fuhr sehr weit hinten, neben sich den Oberintendanten, der vor zweideutigen Stilisierungen kaum noch verständlich war. Der Park roch nach Frühling und war mit Sonnengold überstäubt. Die Kaiserin war schön, dass man erschrecken konnte; aber sie war erkältet, sie war bekanntlich immerzu erkältet, und hatte eine etwas rote Nase. Ausserdem war sie kurzbeinig, so gut es auch die Krinoline verbarg, und das sagenhafte Altgold ihres Haares wurde immer heller und gemeinhin blonder, jedenfalls eine Folge ihres bekannten Goldpuders; und dann hatte sie ja ein Kind gehabt: das macht ein von Natur lockeres Fleisch nicht fester; und schliesslich war sie doch rund zehn Jahre älter, ob sie wollte oder nicht. Man kann also ihre Unliebenswürdigkeit verstehn und wird sie ihr dennoch heimzahlen. Virginia fragte unvermittelt, wer eigentlich vorne mit dem Kaiser führe. Es sei die Walewska, antwortete der Oberintendant, die reizende Aussenministerin, eigentlich aber Ministerin der Mitte, stünde sie doch in besonderer und unterschiedlicher Hinsicht in der Mitte, die garnicht mittelmässige Walewska – aus dem Fächerbart wehten komplizierte Wortspiele. Die Sprache dieses Hofes war nicht leicht, man hörte nicht mehr zu, beschloss aber, auf jeden Fall den Mann dieser mittehaltenden Frau, einen schönen Mann zu alledem, durch besondere Freundlichkeit auszuzeichnen. Dann kam man an das Ziel der Landpartie: das Schlösschen mit dem grossen Weiher. – Das Brautnachtschlösschen, kommentierte Antinous mit dunklen Redewendungen. Welcher Brautnacht?, wollte man begreiflicherweise wissen; doch der Bart fächerte sich nur auf und antwortete nicht. Vielleicht war es eine dumme Frage. Der Kaiser sass schon im Boot, schaukelte sich leicht und fragte, ohne sich viel umzuschauen: »Wo ist die Gräfin Castiglione?« Der Name sprang eilig über die Gesellschaft, die sich, schon von Lakaien in Jägergrün betreut, auf der Wiese lagerte. Virginia schritt zum Teich. Die Italienerin geht so schwingend weich wie die Spanierin und so wunderbar bühnensicher wie die Pariserin. Es war an diesem Gang zum Boot nichts auszusetzen. »Bestanden«, sagte der zurückgebliebene Chef der Schönen Künste zum Krim-Marschall, der finster seinen schwarzen oder geschwärzten Hufeisenbart strich. (Er trug kein Kaisergesicht.) Virginia hob mit einer ausserordentlich hübschen Bewegung die Krinoline an und stieg ins Boot, von zwei diensttuenden Kavalieren unterstützt. Sie hatte noch dies gesehen: dass die Kaiserin wunderschön zwischen Frühlingsblumen sass, allerdings auf einem Plaid, Frühlingsblumen auch auf dem grossen, glockigen Hut – dass sie mit dem Rücken zum Weiher sass.
Es stand also Rücken gegen Rücken, und das grüne Wasser schob sie langsam auseinander.
Das Wasser war dunkelgrün, dick und zäh vor Grün, ganz anders wie der helle, leichte Mai ringsum. Es trug hier und da eine trockene, hässliche Haut von Grün, ein dünnes, grünes Pelzchen, es roch modrig, es gluckste kaum – ein unfreundliches und unwilliges Wasser.
Der Rudernde trug den mausgrauen, sehr hohen Zylinder tief in der Stirn und sah dadurch strenger aus als das übliche Bild, das man sich von ihm machte. Rechts und links hingen ihm die modischen Büschel der Schläfenhaare, vom Hut heruntergedrückt, über die Ohren. Die Augen waren nur auf einen Spalt geöffnet, aber die Sonne sass ihm garnicht im Gesicht. Er blinzelte die Frau an, er zielte sie an und sah nicht aus wie ein Verliebter. Sogar sie spürte es.
»Nicchia heisst Muschel«, sagte er endlich, »nicht wahr?, oder auch Nische. Ich finde Sie, offen gesagt, weder in der einen noch in der anderen. Sie sind zu deutlich für eine Perle, Madame, und schon gar für ein Mauerblümchen. Wie finden Sie dagegen Gina?«
»Ganz vortrefflich, Sire.«
»Man sagt, Gina, Sie schlafen auf schwarzseidener Bettwäsche. Ist das ein Wunsch Ihres traurigen Mannes?«
»Mein Mann ist vollkommen wunschlos und kann Paris verlassen.«
»Man sollte ihn Nicchia heissen, den verwunschenen Mann, und darf ihn ruhig in Paris lassen, in einer Muschel oder in einer Nische. Aber ist das schwarze Laken kein gar zu düsterer Untergrund?«
»Schwarz macht Weiss noch weisser, Sire.«
»Sie lieben das Deutliche, Gina, Sie zeichnen sich dadurch geradezu aus. Man sagt, Sie haben sich für diese Einladung ein Nachthemd von unbeschreiblicher Kostbarkeit machen lassen. Sind Sie so gewiss, dass es hier bewundert werden wird, Gina?«
Er weiss alles, dachte sie, ein gutes Zeichen – und sie sagte und nickte mit dem Kopf, auf dem ganz schief und klein ein lila Schäferhütchen sass: »Ganz gewiss, mein Kaiser.«
Die Anrede war so hübsch, dass er lächelte. Er liess die Ruder fahren und zündete sich eine Zigarette an. »Haben Sie das Hemd in Ihrem Ridikül?«, fragte er und blies mit den Worten das Zündholz aus. Was soll man darauf antworten?
»Ich wusste nicht, Majestät«, antwortete sie, leicht nach rückwärts weisend, »dass hier das Brautnachtschlösschen ist.«
Seine Augen wurden noch kleiner. »Die Richtung ist falsch, Madame«, sprach er unfreundlich, »auch die Bezeichnung.«
O weh, dachte sie, dann war es dort mit Eugenie. –
»Dabei steuern Sie ganz richtig«, fuhr er fort. Das verstand sie nicht. Sie sah einen Augenblick an ihm vorbei über das grünhäutige Wasser.
»Man sagt, Gina, Sie hätten gesagt, dass Sie einmal in diesem Hemd begraben werden möchten. Der Ausspruch zeugt von viel Gemüt, erzeugt aber Unbehagen. Nur Lyriker vertragen die Verbindung von Brauthemd mit Leichenhemd.«
Wem habe ich das gesagt?, fragte sie sich; ach, ich habe es vielen gesagt …
»Ich bin ein Mensch, Gina, der vor dem Tod Angst hat und deshalb manchmal furchtbar gierig ist.« Er rauchte noch einen heftigen Zug und warf die Zigarette fort. »Ich bin ein Mann, Gina, der sich von der Frau leidenschaftlich gerne herausfordern lässt – unter der Bedingung, dass sie vor dem eigenen Mut keine Angst kriegt. Zum Mut aber, finde ich, braucht es nicht des Brauthemds, zur Angst nicht des Leichenhemds.«
Sie hob den Kopf und war etwas blass. Sie verstand ihn nicht recht; aber er hatte die Augen aufgemacht, und es waren beinahe erschreckende Augen, mit wolkiger Begierde überzogen wie der See mit flauschiger Schicht.
»Sie steuern ganz richtig, Gina, mir gefällt Ihre deutliche Begabung. Da kommt bald das Inselchen, umstanden mit Weiden und Erlen und dichtem Weissdorn. Und in der Mitte ist das Bett, kein schwarzes, ein grünes Bett. – Aber jetzt müssen Sie etwas sagen, Gina, oder falsch steuern.«
Sie sagte sofort: »Sire, ich liebe Sie.«
Er antwortete nicht, aber er lächelte ein wenig, langsam weiter rudernd. –
Nach einer kleinen Stunde kamen sie zurück. Die Steuernde sah, dass auf der Blumenwiese nur noch ein paar Herren sassen. Das war schade; denn sie hielt diese Rückkehr für bemerkenswerter noch als die Abfahrt und war bereit gewesen, dem Rücken mit dem Glockenhut die Front zu bieten. Sie stieg aus, mit einer wunderhübschen Bewegung die Krinoline raffend, vom Kaiser unterstützt.