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Die Stadt stöhnt. Die alte Stadt Paris wird verjüngt, und es tut weh. Die Stadt, die glaubt, sie sei schön in Ewigkeit, wird verschönt – und es sieht doch aus, als werde sie vernichtet. Sie wird gepackt, an allen Enden, zerrissen, zerschnitten, zerschlagen. Über die Gassen und Häuser, die im Wege stehen, prasseln die Todesurteile, immerzu. Ein mächtiges Kreuz wird ausgehoben: die Nord-Süd-Ader, die West-Ost-Ader. Es ist seltsam, dass eine Stadt gleichsam gekreuzigt wird, um der Schönheit und der Verjüngung willen. Es ist eine seltsame Zeit.
Man möchte meinen, die Spitzhacke regiere, die Steinsäge kreische die Zeithymne, der Staub der Zertrümmerungen hisse die Zeitfahne, und das Aufgebot der Termiten, der endlos einströmenden Arbeiter, durch die Aufgabe und das Handwerkszeug gefährlich erscheinend, gar rebellisch – man kannte ja Rebellion –, sei die feindselige Zeitarmee. Dem ist aber nicht so. Dies alles sind Werkzeuge der obersten Zuversicht in der Hand des neuen Stadtdiktators, der ein Genie sein soll, ein Genie im Verständnis für den Genius seines Herrn. Der Plan regiert, die neue Ordnung, die neue Vernunft, die neue Schönheit und das neue Glück.
Der Plan will die Auferstehung von Paris in nobler, gesunder und ordentlicher Gestalt. Um lauter Tugenden also wird die Stadt berannt und kreuzweise in Schutt gelegt. Um lauter Tugenden? Die Zuversicht hat nichts zu verbergen, der Generalplan nennt die Dinge beim Namen, die Dinge auf der Sonnenseite und auf der Schattenseite des staatlichen und städtischen Lebens. Wenn man die öffentlichen Bauwerke, die Paläste, Kirchen, Kasernen von dem Wust und den Geschwüren der Anbauten befreit, so tut man es dem Auge zuliebe, dass es die Schönheiten in den Tagen der Feste freier und angenehmer erschaue, und da es nicht nur gute Tage, sondern auch böse Tage gibt, da der weise Herr auch an die bösesten denkt, an die Tage des Aufruhrs, so tut man es, um die Schönheiten besser verteidigen zu können. Man zerstört systematisch die Gassen und Gässchen, die die Herde der Epidemien sind, der Unmoral und auch der Unbotmässigkeit. Man errichtet die grossen Boulevards, die mächtigen Alleen von den Bahnhöfen zum Zentrum, damit Licht und Luft und Geld und Verkehr grossartig zirkulieren können – und auch die Truppen in den Zeiten der Rebellion. Gehören denn Ruhe und Ordnung nicht zu den künftigen Tugenden der erschütterten Stadt? Ist nicht Staatserhaltung gleich Glückserhaltung? Ist das neue Glück nicht das Glück der autoritären Regierung, des Kaisers? Der Generalplan des Herrn Haussmann, Seinepräfekt, sagt, was Cäsar will, und führt es aus. Ausweiten: das ist das neue Wort der Zeit, die Umschreibung der zuversichtlichen Zerstörung. Man weitet die Quartiere aus, in deren alten Schächten die alte Empörung gedeiht: Saint-Antoine, Saint-Martin, Saint-Denis, die Hänge des Quartier Latin. Die Spitzhacke arbeitet, die Anarchie stirbt in Schuttwirbeln und Staubfontänen, man kennt sich aus in Verschwörungen und ihren Schlupfwinkeln, der Kaiser selber war einmal Verschwörer; doch die Zeit für derlei ist vorbei, das neue Glück braucht breite, helle Stadtadern, das neue Kreuz auf Paris erlaubt den raschesten Stoss ins Zentrum, von der Garnison Courbevoie im Westen und von der Garnison Vincennes im Osten – im Falle der Rebellion, und die Meuterergässchen rings um den gefährlichen Grèveplatz, der die Guillotine arbeiten sah, und um sein widerspenstiges Stadthaus, wo jetzt Herr Haussmann die Stadt in ihre neue Grossartigkeit martert, die uralten Meuterergässchen mit den poetischen Namen: die Tannerie, die Vannerie, die Mortellerie, die Joaillerie, die Vieille-Lanterne, böse, stickige Gässchen der Wut und der Ansteckung, müssen sterben. Aber der Bois de Boulogne lebt auf und ist schöner als der Hydepark, und überallhin wird das Grün getrieben, bis über den abgehobelten Cholerahügel von Sainte Geneviève.
Die Stadt stöhnt, schwitzt und blutet auf dem Streckbett der systematischen Tugenden; aber ihren Menschen geht es nicht schlecht dabei. Gewiss leiden sie mit ihrer Stadt mit, die alten Leute zumal, die Sentimentalischen, die etwas abgestandenen Lyriker der Romantik, die Liebhaber der krausen Winkel und natürlich auch die aus der Mode gekommenen Verschwörer. Aber die Stadt wird doch um ihrer Menschen willen jung und schön und gesund und gesittet: wo wird so wie hier aus der Not eine Tugend gemacht? Wo wird wie in diesem krachenden, berstenden und auferstehenden Paris aus Mumien und Leichen der ausgelittenen Häuser, aus Schutt und Schrot und Staub Kapital geschlagen, das wunderbare Kapital der Entschädigungen? (Und schon bilden sich Agenturen, die den Spekulationsfledderern entschädigungspflichtige Häuserleichen vermitteln.) Wie mächtig springen die Mietpreise in die Höhe, wie tropisch wuchert der Grundstücksmarkt! Und wo sollte Widerspruch und Widerstand entstehen, wenn es keine öffentliche Meinung gibt? Es gibt nur die Meinung der obersten Zuversicht. Die Meinung ist, dass das Leben schön sei. Die wohlmeinende Hand liegt auf dem Reich, auf der Presse, auf den Mündern. Ihr dürft sprechen, gewiss doch, aber nur das Lob des schönen Lebens und, da ihr Spötter seid von je, ein wenig auch über die Unzulänglichkeit der Mitmenschen, selbst der Gesellschaft, ganz leise auch über den prunkklirrenden Hof, doch nicht über die Regierung, doch niemals über den Thron. Man weiss, der Kaiser hat eine zarte, sanfte, nur etwas nervöse Hand. Doch was hat er für Augen? – Man fragt es nicht laut, man lässt seine unruhige Glückshand auf den Mündern.
Das Leben ist schön. Mein Gott, warum ist es schön? Die leidvolle Stadt soll ja erst schön werden. Und da ist der Krieg, der Krimkrieg, barbarischer Krieg in der Barbarei, Krieg gegen die Russen, Krieg der Seuchen gegen die Soldaten, gegen Russen, Franzosen, Engländer und Türken, unterschiedslos – dreihunderttausend Tote, hört doch, und davon nur ein Fünftel Gefallene, vier Fünftel von den Seuchen Gemordete. Was ist das für ein Krieg, und warum führt Frankreich diesen Krieg? – Wer fragt es laut? Keiner fragt es laut. Und Sebastopol ist gefallen: was für ein Sieg, was für ein Glück! Und im Aussenministerium tagt der europäische Friedenskongress, gelenkt von den Tuilerien, die Welt lauscht auf die sparsamen und gütigen Worte des Kaisers. – Vive l'Empereur! Das darf man schrein. Das schreit man.
Das Leben ist schön? Da war die furchtbare Agrarkrise gewesen, mit den Teufelinnen der Lebensmittelnot, der Hungerrevolten, der Teuerung und der Hausse-Spekulationen im Gefolge. Da war die Cholera, in den drei letzten Jahren drei Mal aufspringend, nur im Winter sich duckend: sie würgte Paris und sichelte sich eine Gasse bis ins Rhônetal, bis ans Mittelmeer – und das Land wusste nicht, wie viele sie traf, die Menschen kannten nur die Opfer, die sie sahen und von denen sie hörten, denn die Zeitungen mussten schweigen. Dann kamen die Überschwemmungen. Es war, als ob die Ströme rebellierten, weil es die Menschen nicht mehr taten. Die Garonne, der Allier, der Cher und die Loire tobten auf, und am furchtbarsten wütete die Rhône. – Ist das nicht Unheil und Leid genug?
Doch da ist der Kaiser mit der Glückshand. Er besiegte Hungersnot und Teuerung mit Brotkassen, Hilfskassen, Preisfestsetzungen, Einfuhrreglementierungen, Arbeitsbeschaffungen und mit der Polizei. Er besiegt die Ströme mit neuen Dämmen. Er besiegt auch wohl die Cholera; denn sie wird nicht mehr in dem ausgeweiteten, lichtfrohen, luftvollen Paris erscheinen, nicht mehr in den anderen Städten, die nach dem gleichen Rezept gesund gemacht werden. Er wird bei der nächsten Kammereröffnung sagen, sanft und versonnen wie immer: »Es ist meine Ehrenpflicht, dass unter meiner Regierung die Ströme wie die Revolution in ihr Bett zurückkehren und es nicht mehr verlassen können.« Er spricht nicht oft solche Worte, die der liebe Gott sprechen könnte. Seine Art ist bescheiden und verträumt, so kaiserlich sie ist.
Die Menschen finden das Leben schön wie den neuen Industriepalast aus Stein, Glas und Eisen, zweiunddreissigtausend Meter Oberfläche, vierhundertacht Fenster, Stätte der Weltausstellung – grosszügige Weltausstellung, sogar Russland fehlt nicht unter den Ausstellern; denn hier sind die Champs Elysées, Juniglanz über den Baumwipfeln, und fern, fern ist die Krim mit der Ausstellung von jeder Art Tod und Leid, so fern, dass man die fünf Millionen Besucher des Industriepalastes – die Queen war unter ihnen – ganz leise daran erinnern darf, ganz leise rühren, indem man ihnen, als Industriezweig, reizende Modelle von Ambulanzwagen, chirurgischen Instrumenten und modernsten Prothesen zeigt, Krimkriegmodelle.
Das Leben ist schön und wird immer schöner. Ihr habt Glück, das Kaiserglück. Das Leben meint es gut mit euch: seht euch um. Niemals waren die Frauen schöner und wichtiger. Denn niemals gab es eine schönere Kaiserin.