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Es gibt Gesetze der Ewigkeit. Es gibt Strömungen der Zeit. Es gibt Bücher des Jahres. Es gibt Forderungen des Tages.
Womit hältst du's heute?
Ich halte es mit der Forderung des Tages.
Tagesforderung? Ich weiß, du rümpfst die Nase. Du belehrst mich, daß es andere Dinge gäbe, die der Edlen Schweiß wert seien, heute, wo das Vaterland am Boden läge.
Gemach, gemach, ich seh' durch deinen Tag, als wäre er aus Glas. Denn, Bruder, sieh, dein Tag ist auch der meine.
Aufsteh'n seh ich dich aus weißer Nacht. Seh' dich, wie du dich durchs dumpfe Dämmerzimmer hin zum Fenster tastest: Stählern grau und mitleidslos der Morgenhimmel draußen. Du würdest dich nicht wundern, ginge heute keine Sonne auf. Denn dein Deutschland liegt am Boden und da droben hängen harte Sterne.
Heda, sechs Uhr schlägt's. Dampfend zieht dein Arbeitstag herauf. Und du schnatterst noch im Hemd? Schlaf aus den Augen! ist die Forderung des Tages. Ins Gewand, Verehrter – sachte, bitte, daß der ehrendünne Rock nicht reißt. Der Not zum Trotz ohne Löcher durch den Tag zu wandeln, ist die Forderung des Tages.
Deine Morgenschale raucht. Du nennst's Kaffee. Also ist's Kaffee. Du brichst dein kartoffelknätschig Brot. Also ist es Brot. Die kargen Dinge deines Lebens diesem unnachsichtlich und doch heiter mit den Namen vorzustellen, die dein Stolz dir vorschreibt, ist die Forderung des Tages. Aber, sagst du, Deutschland liegt am Boden. Gut, kommt es dadurch höher, daß du im Haus umherschiltst: »Pfui des Gesöffes! pfui des Mehlpapps an den Zähnen!«?
Mürrisch rennst du an die Arbeit durch verdrossene Straßen, klemmst dich keifend in die Trambahnenge, feindselig schaust du deinem Nachbarn ins Gesicht. Denn, sagst du, Deutschland liegt am Boden und man wird hart wie seine Sterne. Freund, Freund, du vermeinst die Sterne also mit Verdrießlichkeiten zu versöhnen? Nein, blank dein Angesicht am Morgen! ist die Forderung des Tages.
Auf geht die Türe deiner Werkstatt – übermächtig gähnt dich deine Arbeit an. Verschlissene Maschinen, dünn die Tinte, ärmlich das Papier, o kümmerlich Ergebnis deiner Arbeit! Ja, Deutschland liegt am Boden und da droben hängen harte Sterne – ist's da noch der Mühe wert, den Arm zu heben? Kannst du denn ein Schicksal ändern? Ja, du kannst's mit deiner Lässigkeit: zum Schlimmer'n. Ist das die Forderung deines Tages? Mensch, sag ich dir, pack deine Arbeit an! Sonst packt die Arbeit dich an!
Es klopft. Sieh, da legt ein Mensch dir einen Plan vor, wie man jetzt im Trüben fischen könnte. Bei dem Kuddelmuddel völlig ungefährlich, sagt er griesig lächelnd. Deutschland läge doch am Boden, und wenn du nicht mittätest, tät's ein anderer. Also, sagt er, hebe deine Hand und unterzeichne. – Ja, sag ich dir, erhebe deine Hand und hau' ihm eine 'runter! Verschlagenheit, Profitlichkeit mag immerhin die Forderung der Zeit sein – Anständigkeit ist Forderung des Tages!
Feierabend – und du brütest in der Ecke über deiner Zeitung. Schüchtern kommen deine Kinder. Weil du still hältst, wächst ihr Mut. Sie suchen an dir hochzuklettern. Mancher Vater, der sie jetzt verdrießlich angefahren hätte. Nein, so bist du nicht. Du nimmst ihre Köpfe, einen um den anderen, in die Hände: »Kind, unsere Zeit ist bös. Böser kann die eure werden, wenn ihr ganz versklavt seid.« Der Kinder Frohsinn friert. Erschrocken sehen sie sich an: »Ist's wahr, Vater, ist das wahr?« – »Ja,« sagst du überlegen, »Deutschland liegt am Boden.«
Der Teufel soll dich holen, Kindermutzerschwätzer! Ist dir dein Vaterland noch nicht genug geduckt? Willst du mit deiner Armesündermiene auch das Deutschland deiner Kinder in die Sümpfe zerren? Zum Donner, freu' dich, daß aus deines Weibes Schoß und deinen Lenden Kinder sprossen, die lilienlächelnd den Morast durchwachsen, daß er wieder fest und sicher werde! Mit deinem Weibe deiner Kinder dich zu freuen, ist die Forderung des Tages!
Die Kinder sind zu Bett. Mühselig schreibst du noch an einer Arbeit, dein Gehalt, das hint und vorn zu knapp geworden, aufzubessern. An deiner Seite stopft dein Weib die Löcher eurer Strümpfe. Müd' sinken Hand und Nadel. Vorwurfraschelnd wenden sich die Blätter deiner Arbeit. Auf fährt dein Weib, stopft weiter, stopft und stopft, legt jetzt hin die Nadel, fährt dir sachte mit der tagzerstochenen Hand an eingesunkenen Schläfen lang. »Laß mich,« sagst du, »jetzt ist alles gleich, denn Deutschland liegt am Boden und da droben hängen harte Sterne – laß es gut sein, Weib, denn was läge noch an unserm bißchen Liebe?«
»Alles,« sagt sie leise, »alles Mann …«
Da wich dein Alb. Weinend liegst du der Getreuen an der Brust. Still wirst du und stiller. Warm und rauschend schießt in dir silberne Erkenntnis hoch: Fünfzig Jahre haben wir am Neubau unseres Reiches hinausgebaut ins Leere – Erkerchen und Türmchen. Es ist endlich an der Zeit, die Mauersenkel an die Innenwände anzulegen. Ja, Deutschland liegt am Boden – darum ist's an dir und deinen Brüdern, deinen Schwestern, daß ihr wachset. Denn, Bruder, sieh, du bist das neue Deutschland und du sollst's von innen her, vom Kleinsten, bauen, größer machen, reiner. Solches ist die Forderung des Tages, deines Tages, Bruder!