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Auch ein Bergerlebnis.
Durch die Räume der Sparkassen fluten fast nur Frauen. Zweiarmig gabelt sich der Strom beim Eintritt, Frauen, die abheben, Frauen, die einzahlen. Ein Menschenkenner nahm mich einmal mit und lehrte mich aus dem Gesichtsausdruck der Eintretenden im vorhinein bestimmen, ob sie Gelder holten oder Gelder brächten.
Das war vor dem Kriege. Heute, braucht es kein Gesichterstudium mehr. Die Merkmalszeichen sind hinaufgerutscht: An den Hüten sollt ihr sie erkennen – Frauen mit Hüten holen Geld ab, Frauen ohne Hüte bringen's. Eine große Umlagerung geht vor sich. In den Kassenschränken – ein Schein schaut wie der andere aus – sieht man nichts davon. Aber fragt den Sparkassenbuchhalter nach den Kontenköpfen. Die Doktorskonten, wird er sagen, gehen ein, die Beamtenkonten tauchen unter, die Mittelstände blassen ab. Eisendreherkonten heben ihre Köpfe, Kohlenhauerkonten rücken an in Massen. Langsam hatten jene alten Konten Geldring angesetzt um Geldring. Die neuen Sparguthaben schießen rasch ins Kraut.
Ob sie auf die Dauer schwanken oder zähgebaut sind, habe ich gefragt.
»Die innere Struktur von Konten«, war die Antwort, »kann man erst nach Jahren sehen. Bis heute wachsen sie und wachsen.«
»Und die Zinsen?« fragte ich.
Der alte Bankbuchhalter – ich kannte ihn von einer Zugspitzfahrt – sah mich dunkel an: »Die Zinsen?« sagte er, »die Zinsen steigen in die Berge.«
Ich bin den Zinsen nachgestiegen. In den Kurhotels, am Fuß der Berge, hab ich nachgefragt. Der Hotelbuchhalter wußte nichts von Eisendreherkonten. »Unsre neuen Kundenkonten haben hinterm Namen keinerlei Berufszusatz«, lächelte er, »Franz Profitlich, Schieber, machte sich nicht gut.«
Da bin ich in die Berge selbst gestiegen. Einen Bergführer traf ich unterwegs. Wie es ginge, fragte ich. »Schlecht, Herr«, war die Antwort, »nichts zu tun. Der neue Reichtum fährt im Tal Karossen. Die alten Bergliebhaber können keinen Führer mehr bezahlen und die neuen steigen ohne Führer auf in Scharen.«
Ich schlug die Fremdenbücher in den Hütten auf. Von der Kontenliste der Sparkasse waren sie die getreue Abschrift. Die alten Bergfahrer fehlten. »Die dreitausend Zugspitzmeter könnte ich noch zwingen«, hatte der Mann in der Sparkasse gesagt, »die Steilgeldwand des Mittagessens droben aber kann ich nicht erkraften.«
»Die neuen Bergstudenten können's, sagte ein Politiker. Sein Zeigefinger fuhr durch die Berufsspalte des Fremdenbuchs – Arbeiter, Arbeiter, Arbeiter – ihm verzogen sich die Lippen: »Unsre Berge werden Augen machen!«
»Es sind auch ihre Berge«, sagte ein alter Herr.
Lärmend brach ein Trupp ein: »Heda, Wirtschaft! Speisekarte!«
Nach dem Essen, als sie durch das Fenster nach den Spitzen sahen, ein Gegröhle: »Nebel? Regen? Unverschämtheit!«
»Immer Ruhe, meine Herren«, sagte der Alte, »streiken Sie, so dürfen's Berge auch.«
Große Augen erst, dann ein Gelächter: »Der Mann hat recht. Vielleicht wirds Wetter bester, wenn wir dem Genossen Berg ein Zugeständnis machen!«
»Ich kenne ihn schon länger. Er will ganz genau dasselbe, was ihr auch für euch gewollt und durchgesetzt habt: ernstgenommen werden.«
Mürrische Gesichter. Der Trupp brach auf. Neue Trupps kamen durch. Alle strebten nach der Spitze, die mit grauen Urweltsaugen zwischen Nebelschleiern unbeteiligt auf uns niederstarrte.
Der Tag verging. Der Abend kam.
»Wenn ich denke,« sagte der Parteimann, »daß an einem Feiertag fünfhundert dieser Menschen diese Zugspitzeinsamkeit zertrampelt haben – mir wird übel.«
Sagte der Alte: »Auch wir in unsren jungen Tagen waren übermütig lärmende Studenten dieser Berge –«
»Bis wir sie begriffen hatten, aber Leute dieses Schlages –«
»Werden auch einmal begreifen, was die Berge wirklich sagen.«
»Sie begreifen höchstens, daß sie heute obenauf sind, und den Teufel scheren sie sich darum, daß die andern jetzt im Tale bleiben müssen –«
»Die andren hatten sich auch nicht um sie gekümmert. Genug des Streits. So gehn wir in die Irre. So wird nie das Mißgunstpendel stillstehen. Wenn uns eins vereinen kann, so sinds die Berge –«
Auf ging die Türe. Von der Spitze kam der erste Trupp zurück. Kein Gelärm mehr. In sein Lohnbuch zeichnete ein Dreher einen Berggeist, den sein innres Auge droben geschaut hatte. Ein Mechaniker begann mit glühendem Kopf ein Bergtagebuch. Dann wurden sie müde, totmüde. »In die Klappe!« hieß es.
Als sie über den freien Platz zum Schlafhaus gingen, schien der Mond und jagten Wolken. Mit gebleichten Riesenrippen reckte sich der Berg.
»Ein Lied«, sagte der Mechaniker, »ein Lied –«
»Die Arbeitermarseillaise«, sagte ein Fräser.
»Heil dir im Siegerkranz«, sagte spöttisch der Parteimann.
Der Alte aber wies hinauf zum Firn: »Das eine wie das andere – bff, ein Stäubchen nur aus seinem Aermel, der sich seit hunderttausenden von Fahrten übers Land reckt als ein Teil des Landes, das wir alle lieben.«
Und plötzlich fingen sie an zu singen, der Mechaniker, der Dreher, der Fräser, der Parteimann: »Deutschland, Deutschland über alles …«
Der Mond glänzte und die Wolken jagten, unverwandten Auges hörte uns der Berg zu. Oder schlief er? »Er hat nichts mit unserm Glück zu tun und nichts mit unserm Kummer«, dachte ich schaudernd. Da griffen Nebelgeisterhände aus den Rippen und bargen unsre Strophen in den Schründen.