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Freunde saßen in der Abendkühle. Unversehens küßte das in Wolken scheidende Gestirn noch einen Strauch, der schon schlafen gehen wollte. Er blinzelte. Eine Mücke flog aus seinem Auge. Verloren sirrte sie im Raum: »Die Welt soll schön sein – Gott behüte …«
Da, ein zweites Blinzeln des Gesträuchs im Abendglast: ein Schwarm von Mücken schwirrte in die Welt. Sie nahmen Fühlung. Sie spürten die Gemeinschaft. Die Welt war nicht mehr kahl. Irgend etwas mußte da der Mühe wert sein. Aber was?
»Was soll ich?« summte eine. »Was soll ich?« eine zweite. »Was soll ich?« summten tausend. Rhythmus kam hinein und Tanz. Auf einmal wußten sie es alle: Leben sollt ihr, leben!
Die Freunde hatten die Zigarren weggelegt. Sie saßen plötzlich im Parkett der größten Bühne dieser Welt. Da wird nicht geraucht. Da ist es feierlicher, denn in einer Kirche.
Die Mücken tanzten. Keiner hatte sie diesen Tanz gelehrt. Was so alt ist, braucht man nicht zu lehren. Die Mücken Pharaos tanzten diesen Tanz schon. Pharao, das war doch gestern? Wenn der Tanz nicht älter war – Foxtrott, fahr dahin! Fragt einmal die Mücken, so am Rande jener Wälder tanzten, die als Kohlenrauch dort drüben aus dem Schornstein wirbeln! »Aelter, älter!« summen sie, »uralt wie der Ahnen Reihe, die zum ersten Lebensatem dieser Erde rückwärts reicht.«
Den Freunden wird's so eigen. Ihre Herzen schlagen einen Marsch zum Herzen der Welt. Aus Ewigkeiten aufwärtswinkend weht der Mückentänze Schleier.
Einer unserer Freunde ist ein Realist. Die Zigarre will er wieder nehmen. »Gehen wir zur Tagesordnung über«, will er sagen. Er sagt es nicht. Sein Nachbar, dem die Welt voll Rätsel ist, kam ihm zuvor: »Wie wunderbar doch dieser Tanz ist!«
»Ich kann nichts Wunderbares daran finden.«
»Sieh schärfer zu.«
Er sah schärfer zu, verfolgte eine Mücke unbarmherzig durch das Zickzack ihres Fluges, bis ihm fast die Augen übergingen: »Unsinn, es kommt nichts dabei heraus.«
»Du mußt das Ganze nehmen – siehst du jetzt das rätselhafte immergleiche Muster?«
»Muster? Na, du bist ein wenig überschwänglich.«
»Dasselbe Muster haben ihre Schwärme schon vor Jahrmillionen in die Luft gestickt. Weißt du, was ich glaube?«
»Nun, laß hören, Träumer.«
»Könnten wir ergründen, wie der Rhythmus dieses Tanzgebildes gewebt ist –« Er stockte.
»Na, was dann, Sinnierer?«
»– so könnten wir dem Rhythmus alles Lebens in das Herz schaun.«
»Klingt wie ein Gedicht. Aber immerhin, man könnte mal exakt der Sache nachgehen: Jede zehnte Mücke eines Schwarms in rote Farbe tauchen, Tausendstelsekundenaufnahmen eines Kinematographen aneinanderreihen, dann in Glasplatten übereinanderlegen – die einzelnen Bewegungskurven koordinatenweise zueinander in Beziehung setzen …«
Er sprach noch lange. Die Mückentänze hat es nicht gestört, den Gedankentanz der Freunde nur ein wenig. Endlich schwieg er. »Ihr versteht doch?« setzte er hinzu.
»Verstehst du, wie jede Mücke jeden Augenblick von jeder anderen Mücke weiß, wie sie die Figuren zu dem ganzen Tanzlied schlingen muß?«
»Gott, sie werden sich verständigen.«
»Uebertrage einer Mücke Größe, übertrage die Entfernung zweier Mücken doch auf dich und mich, so bist du hier und ich auf jenem Berg dort oben – so, nun laß' uns rhythmisch zueinander tanzen – kannst du's?«
»Nein.«
»Freilich kannst du's. Freilich können wir's. In seltenen Augenblicken bringen wir's so weit, wie diese Mücken schon von Urbeginn an sind.«
»Schmeichelhaft für uns – und wann zum Beispiel?«
»Das letztemal war's im August des Jahres neunzehnhundertvierzehn – sahst du's wimmeln auf den großen Plätzen? – Der letzte Mann in Köln war eines Rhythmus voll mit einem letzten Mann in Memel.«
»Du destillierst ein bißchen viel aus diesen Mückenschwärmen –«
»Es ist lang nicht alles. Sieh, wie diese Fliege durch des Mückentanzes zartes Muster stiebt.«
»Was ist groß dabei zu sehen?«
»Der Menschheit beste Tänze werden ähnlich überschnitten – schau, jetzt durchfliegt ein Schmetterling, den Schwarm. Sie empfinden diesen Lichtgesellen als ein Ungeheuer – wie doch alles relativ ist.«
Der andere war aufgestanden. Sein Körper wandelte durch die Mückentänze wie ein Gebirge.
»Sie empfinden dich, wie wir's empfänden, wenn die Alpen sich erhöben, durch uns Menschen durchzuwandeln.«
»Verdammt! Jetzt ist mir eine in das Auge gekommen.«
Er rieb am Lid. Ein winzig Körperchen fiel flügellahm auf seine Hand, mühsam krabbelte es weiter. Der Mückenhaufe hatte einen Augenblick lang stillgestanden. Jetzt ging's wie ein leichtes Zucken über ihn –
»Ha, ich versteh' es: ›Schicksal!‹ zucken sie dem Freunde nach, unbegreiflich Schicksal! – Laßt uns weitertanzen!«
»Nun hör' mal, du treibst das Mückengleichnis mit den Menschen doch zu weit!«
»Worin?«
»Mögen diese Dinger immerhin ihr Mückenschicksal haben – wir haben unseren Willen! – Was gibt's Karline?«
»Gnä Herr, ein Telegramm,« sagte das Dienstmädchen.
»Geben Sie.« Er riß es auf, durchflog's, erbleichte – ohne Abschied wankte er über den gelben Kies zu seiner Villa, mühsam stieg er die Verandatreppe hinauf …
Wir sahen uns an, den Gesang der Mücken in den Ohren. Einer zuckte die Achseln: »Er ist einem Schicksal in das Aug' geflogen – armer Kerl – laßt uns gehen.«