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Die Vogelscheuche

Auch die Vogelscheuche hatte Eltern. Der Bauernvater gebar sie sozusagen geistig. »Du, Alte,« sagte er, »ich mein' alleweil, unser Krautacker draus kunnt a Vogelscheuchen vertrag'n, was meinst d'?«

Die Mutter meinte, was der Vater meinte, und gebar die Vogelscheuche leiblich. »Nimm das Drecketste, was d' hast,« ordnete der Rabenvater an.

Die Alte suchte folgsam im ganzen Hause herum. Aber es war eines jener Häuser, wo kein Dreck geduldet wird, auch bei abgelegten Kleidern nicht. »Dann also wenigstens das Schlechteste und Aelteste, hast d' g'hört. Alte.«

Sie hörte leicht, die alte Rees. Aber das Schlechteste? Schlecht war schlechterdings kein Stück im Haus. Selbstgewebte Stoffe hielten damals bis dreizehn Kilometer hinter Weihnachten, tauchten ins Vergessen und erwachten bei den Enkeln als »fast beinahe schier bereits ganz nigelnagelneu noch.«

Blieb vom eheherrlichen Befehl »das Aelteste«. Das suchte die alte Rees herfür. Es war ein blauer Weiberrock, ein grüner Frauenspenzer, ein mühseliges Hemd und ein Kirchgangshut vom vorvorigen Jahrhundert. Das hängte die alte Rees zu Hause an einen Kreuzstock. Probeweise. Und hielt das alte Köpfel kritisch schief bei der Betrachterei. »Nich' übel,« hätten sie in der Stadt gesagt. »Kleidet Sie direkt entzückend, gnädige Frau,« hätte die Probiermamsell dazugesetzt. Und die gnädige Frau hätte es geglaubt. Aber Vogelscheuchen sind keine gnädigen Frauen und deshalb nicht halb so leichtgläubig.

»Bin ich auch nur eine Vogelscheuche,« brummelte sie heiser, wie sie's dem Bauern abgelernt, »ein bissel netter kunntst mich deretweg'n schon z'sammenrichten, hast d' g'hört. Alte.« Rees fuhr zusammen. Kaum geboren, hatte sich die Vogelscheuche schon das Kommandieren angewöhnt. »Akkrat wie der Alisi,« murmelte die Rees und – folgte.

»Ist wahr,« sagte sie vor sich hin und zog wieder eine Schublad' um die andere, »ist ja wahr auch, man kann sie doch net so unter die Leut' lassen wie a – Vogelscheuchen!« Und dann hatte sie dem grünen Spenzer noch ein wenig G'schnür hinaufgenäht, g'rad und g'schneckelt, wie's ihr g'rade einfiel, und der blaue Rock bekam ein rotes Säumlein, und das mühselige Hemd hatte sie wahrhaftig zierlich fast gefältet, nur für den Kirchgangshut aus dem vorvorigen Jahrhundert fand sie keine Verbesserung. Aber da brachte die Magd eine blödsinnig lange und gesprenkelte Kunstfeder. »Die hat der Gockel einer Stadtmadam heimlich hinterm Hühnerstall ausg'rupft,« erzählt sie.

Der Alisi hielt jetzt auch den Kopf schief vor der Probevogelscheuche, zupfte am Geschnür des grünen Spenzers, zog am roten Rocksaum, schnüffelte kritisch um die Hemdenfältung –, »Alte,« sagte er, »die is' viel z'schön für a Scheuch, die zieht ja d' Vögel her, statt daß sie's verjagt – aber halt, die Feder da, die g'sprenkelte, die bleede, die macht's wieder gut –, die halt kei' Vogel aus!«

Und jetzt war es an die sieben Jahre, daß die Vogelscheuche Dienst tat. Guten Dienst. In Scharen kam das Vogelzeug, angelockt vom Kraut und sauber'n G'schnür und roten Saum, aber heiser krächzend stoben sie gleich wieder fort auf andere Aecker: »Um Gottes willen, Kinder,« sagte die Amsel, »habt ihr die Feder g'sehn, die blöde!?« – »Eine Feder,« sagte der Rabe, »das war doch ein Flintenschaft!« – »Nein, ein Schwert ist es gewesen, ein gezücktes,« behauptete die Krähe zitternd. – »Und ich, ich glaub' an einen Hexenfinger, der uns hakelt, wenn wir auf den Acker fliegen!« schrie die Dohle.

Die Dohle bekam recht. Das Kraut schoß ungeschoren hoch. Im Bauernhof schmunzelten sie. »Ja, so eine Scheuch' halt!« sagte die Magd. »Sie trau'n sich halt net her, weil's gar so noblicht ausschaut,« sagte die Bäuerin. »Sie scheuch'n 's halt, weil's gar so verdraaht ausschaugt,« sagte der Bauer.

Wäre noch von Interesse, was die Vogelscheuche sagte. Die trällerte und vertanzte ihre Kindheit im Wind. Einer Vogelscheuche Kindheit ist aber mit dem dritten Jahr zu Ende. Im vierten wurde sie gesetzter und sang Kirchenlieder. Als sie aber im siebenten noch keinen Mann bekommen hatte, tat sie zierlich mit dem g'schneckelten Geschnür des Spenzers, schwänzelte mit dem hochgehobenen Rotsaum ihres Rockes, bat den Wind um etwas jugendliche Faltenblähung ihres Hemds und winkte mit der Riesenfeder nach dem Weg hinüber, wo am Sonntag die Städter gingen: »Heda, bin ich nicht nett und adrett, und wer führt mich nun zur Hochzeit, he!«

»Hochzeit, hohe Zeit, höchste Zeit!« krächzte vom Nachbarfeld der Rabe, der sich wegen des Flintenschaftes der ewigen Braut noch immer nicht näher traute.

»Wenn sie doch einer nähme,« schrie die Krähe, »daß wir das Scheusal endlich los sind!«

Aber die Städter lachten. »Seht nur die drollige Vogelscheuche,« deuteten sie herüber, »sieht sie nicht aus wie eine späte Jungfer – Gott behüt' mich!«

»Aber das müßt ihr doch bekennen,« rief die Scheuche, »fescher war noch keine angezogen als ich, und totzumachen bin ich auch nicht, aus so gutem Stoffe wie ich bin!«

»Hör' doch, Rosa,« sagte die Witwe zu ihrer Tochter, »wie der Wind pfeift durch die Vogelscheuche dort.«

Aber Rosa hörte nicht. Sie hatte es so genötig mit dem jungen Mann an ihrer Seite, der sich so lange nicht erklären wollte. Es war ein fester Mensch mit einem Bauernschritt. Seine Väter mußten da herumgesessen sein, nicht sehr weit vom Krautacker.

Daher kam es, daß auch die Vogelscheuche um ihn warb. »Mensch,« schrie sie herüber, »kennst mich nicht mehr; meine Schwester selig hat ein kleines Gschpusi g'habt mit deinem Urgroßvater seinem Bruder, wenn ich's recht im Kopf hab', ist's vor nicht viel mehr als hundert Jahr' g'west – weißt's denn nicht, besinn' dich doch …«

Und der junge Mann besann sich: »Wie ist mir's doch – hat nicht einen solchen roten Saum am blauen Rock noch meine Mutter gehabt – und ist nicht Großmutter mit einem solch verschnürten grünen Spenzer in die Kirch' gegangen – und das luftige Hemd, wo hab' ich's doch schon g'sehn – und den heimeligen Hut – schade, daß er gar so eine dumme Feder drauf hat – gerade so wie – wie –?« Zur Seite auf die Rosa schielte er mit ihrem aufgepappten Flitterstaat vom Warenhaus, dem dünnen Bluserl und dem Schlenkerrockerl, dem aufgetriebenen Donnerhut und – wahrhaftig, ganz genau dieselbe blöde Feder steckte drauf – in dem, was aus dem Kopf herauswachst, sind doch alle Weiber gleich, sogar die Vogelscheuchen – obgleich die da drüben sonst durchaus nicht übel war, sondern fast vertraut … Hat sie nicht eben ihre Arme so gehoben, als wenn sie ihn umarmen wollte …

Und wie Rosa auch an seiner Seite flatterte und kicherte und schäkerte und Müh' sich gab, die schwere Müh' – er mußte immer wieder rückwärts schauen, wo's ihn von der Vorzeit her umarmen wollte …

Das war im Sommer neunzehnhundertvierzehn an einem Sonntagnachmittag. Am Freitag drauf war Krieg, und am nächsten Sonntagnachmittag marschierte Fräulein Rosas unerklärter Bräutigam durch Belgien. Dann durch die Jahre, durch den ganzen Krieg, noch immer unerklärt und nur von Zeit zu Zeit mit einem Blick nach rückwärts, wo es dunkelrotberockt, grünbespenzert, weißbehemdet, sonderbare Ahnenarme aus der Vorzeit nach ihm schwang und nicht umzubringen war, so wenig wie der Stoff, aus dem sie damals Hausgemachtes spannen …

Wogegen jetzt – daß Gott erbarm, was spannen sie und webten sie für schauderhaftes Zeug im vierten Kriegsjahr. Hat es nicht am letzten Sonntag der Rosa Leib und Glieder papiergewebig umflüstert und umknistert? So daß sie's mit der Angst bekam auf dem Spaziergang: »Morgen kommt er aus dem Feld zurück. Mutter, wird's solange halten?«

»Ich will froh sein, wenn es heute hält,« sagte die Mutter mit einem Blick zum wolkenüberhangenen Himmel.

Bumm, brach es los aus allen Schleusen. Wie sich die Rosa unter dem Gesträuch auch geduckt und klein gemacht hat, ihr Papiernes hat sich mitgeduckt und ist mitzusammengeschnurrt. Kein Wunder, daß die Mutter schrie: »Nein, Rosa, so kannst du nicht zur Stadt. Auf mir blieb's sitzen. Mit Fingern deuteten sie auf mich und –«

»Dann geh' allein, ich werd' mir schon zu helfen misten.« Denn sie hatte etwas winken sehen, übers Feld her.

Mutter war fort. Rosa schlich zum Krautacker. Rosa bat die Vogelscheuche: »Habe Mitleid. Denke mal, er sähe mich in diesem Aufzug!«

»Was kann da ich tun?« stellte sich die Vogelscheuche an.

»Mich bekleiden. Du bist kein Papier. Du bist deftig.«

»Aber nicht modern.«

»Gott, modern! Was liegt im Krieg daran. Und dann, ich glaub', er macht sich gar nichts aus Modernem –«

»Ich weiß,« nickte die Vogelscheuche aus der Vorzeit her, »ich weiß recht gut – hm, wenn ich ihm auf diese Weise wieder nahekommen könnte …«

Huschelig ins Kraut geduckt, gab's einen raschen Tausch. So rasch, daß nach einer kleinen Weile zwei blöde Federn, eine von der Rosa, eine von der Scheuche, schießgewehrig übers Feld hinstarrten, während es darunter so papierig raschelte, daß die Vögel aus den Nachbaräckern schrien: »Jetzt macht sie gar noch mehr Spektakel, eine Doppelflinte hat sie auch, Gott bewahr' uns«

Zu Hause bei der Witwe aber saß derweil der Urlaubsmann. Der war schon früher eingetroffen. Angstvoll sah die Mutter nach der Tür und rutschte auf dem Stuhle: »Rosa hatte nämlich unterwegs Malheur. Wenn sie heimkommt, müssen Sie entschuldigen, daß sie zunächst verschwindet, um zu –«

Bautz geht die Tür auf, und herein kommt, blauberockt und rotbelitzt, grünbespenzert und verschnürt, mit einem Hemd, das, vom Gewitter sauber abgewaschen, faltig sich ein wenig übers Mieder schob, und einem unverwelkten Kirchgangshut, deftig um und um und ohne alle blöde Federei, die –

»Rosa!« schnellt's den Soldaten von der Vorzeit her mit einem Schrei an ihre Brust, »Rosa, meine Rosa!«

Und nun war alles gut.

Nur in einem Bauernhause überm Acker drüben gab's anderen Tags ein kleines Kopfschütteln durch das Fenster.

»Schaug, Alte,« sagte der Alisibauer, »was hat denn der Soldat am Arm?«

»Unsere Vogelscheuch!« schlug es der Bäuerin die Hände überm Kopf zusammen, »meiner Seel', von unserer Vogelscheuch a Kind!«


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