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232
Vielleicht, damit ich Mitleid lern' mit Andren,
Nicht Andrer Schwächen spottend mehr verlache,
Auf eig'ne Tugend stolz, mir selbst vertrauend,
Sank meine Seele, ihres Werths verlustig.
Nicht weiss ich, unter welchem andren Banner,
Das, wenn nicht Sieg, doch Rettung böte, kämpfen,
Nicht, wie dem Untergang entflieh'n im Lärme
Des Feindgetümmels, hält mich Deine Macht nicht.
O Fleisch, o Blut, o Kreuz, o Todesleiden,
Rechtfertigt mich und sühnet meine Sünde,
In der ich, wie mein Vater, ward geboren.
Nur Du allein bist gut! Dein höchstes Mitleid
Gewähr' mir Hülfe, der ich so verkommen,
So nah' dem Tode und so fern von Gott!
233
Unwürdig ist die Seele nicht, die hofft
Auf ew'ges Leben, um in Ruh' und Frieden
Sich zu bereichern mit der Wundermünze,
Geprägt vom Himmel, von der Welt vergeudet.
234
Warum erfasst so spät, warum nicht öfter
Mich jene inn're Gluth des festen Glaubens,
Die von der Erde trägt das Herz zu Höhen,
In die es nie gelangt aus eig'ner Kraft?
Vielleicht bestimmtest solche Zwischenzeit
Von einem Liebesboten Du zum andren,
Weil Selt'nes gröss'ren Werth besitzt und Kraft,
Und heisser man ersehnt, was wen'ger nahe.
Die Nacht ist Zwischenzeit, der Tag das Licht:
Macht eisig sie das Herz, entflammt es dieser
In Liebe, Glaube und in Himmelsfeuer!
— — — — — — — — —
235
Von welcher Feile Biss
Wird deine müde Hülle doch verzehrt,
O meine kranke Seele! Wann doch löst dich
Vom Leib die Zeit, dass du gen Himmel kehrest,
So rein und froh, wie einst,
Befreit vom Schleier banger Sterblichkeit?
Ob letzte, kurze Jahre
Das Haar verändern, ändern
Kann nimmer ich Gewohnheit, altgefügte,
Die mich im höh'ren Alter stärker zwingt.
Verhehlen kann ich's nicht:
Die Todten, Amor, neid' ich;
Bestürzt, verworren zittert
Und fürchtet für ihr Heil in mir die Seele.
O Herr! In letzter Stunde
Streck' Du erbarmend nach mir aus die Arme,
Nimm mich mir selbst, mach' mich Dir wohlgefällig!
236
Wenn die Vergangenheit zurück mir kehrt,
Wie stündlich ich's erfahre,
Dann, falsche Welt, erkenne ich gar wohl
Des menschlichen Geschlechtes Wahn und Schaden.
Das Herz, das deinem Schmeicheln
Und deinen eitlen Freuden sich ergiebt,
Erwecket in der Seele schmerzlich Wehe:
Wohl weiss es, wer es fühlt,
Wie oft den Frieden du
Versprichst und Gutes, das du selbst nicht hast
Noch jemals haben wirst!
Wer lang' hier weilt, ist weniger begnadet;
Denn leichter führt zum Himmel kürz'res Leben.
237
Geführt von vielen Jahren nah' zum Ende,
Wohl spät, o Welt, erkenn' ich deine Freuden:
Den Frieden, den du nicht besitzst, versprichst du
Und Ruhe, die vor der Geburt schon stirbt.
Die Scham und Furcht, dem Alter
Vom Himmel zugewiesen,
Erneu'n den süssen Wahn,
Der, lebt man ihm zu sehr,
Die Seele tödtet und dem Leibe schadet.
Ich sag' es aus Erfahrung
An mir gemacht: nur Dem wird droben Heil,
Dem, kaum geboren, schon der Tod sich naht.
238
Ihr Sel'gen, die im Himmel ihr euch freut
Ob Thränen, die auf Erden nicht belohnet,
Bestürmt auch dort noch Liebe
Die Seelen oder gab der Tod euch Ruh?
»In zeitlos ew'gem Frieden
Ist hier vergönnt zu lieben,
Von Neid und angsterfüllten Klagen frei.«
Dann dient's zu meinem Schaden,
Leb' ich, wie ihr gewahret,
Der Liebe Sklave in so grossen Leiden.
Ist Freund der Liebenden
Der Himmel, undankbar die Erde,
Wozu ward ich geboren?
Zu langem Leben? dies ist, was erschreckt –
Ob kurz auch, währt's zu lang für Den, der leidet.
239
O lass mich Dich an jedem Orte schauen!
Wenn ich entbrannt von ird'scher Schönheit bin,
Erlischt solch' Feuer in des Deinen Nähe,
Von dem, wie einst vom andren, ich entbrenne.
Nur Dich, mein theurer Herr, ruf ich zur Hülfe,
Zu wehren meiner blinden Qual, der eitlen:
Nur Du kannst innen mir erneu'n und aussen
Den Sinn und Willen und die träge Kraft.
Der Zeit hast überliefert Du die Seele,
Die göttliche in schwache, müde Hülle
Zu grausamem Geschicke eingekerkert.
Mein Leben zu verändern, was vermag ich?
Es fehlt mir alles Gute ohne Dich,
Nur Gotteskraft kann Menschenloos verwandeln.
240
– – – – – – – – – – – – vom Wahn
Der ird'schen Liebe, der die Welt erfüllt,
Der ihres Lebens Quell, befreit ist Keiner.
Und hebt die Gnade nicht das edle Sehnen
Der Auserwählten zu der ew'gen Schönheit,
Welch' Elend ist es dann, ein Mensch zu sein!
241
Ich möchte wollen, Herr, was ich nicht will.
Von Eis ein Schleier heimlich trennt vom Herzen
Das Feuer, es verlöschend, – meiner Feder
Entspricht mein Thun nicht, meine Schrift, sie lügt.
Dich lieb' ich mit der Zunge, doch ins Herz
Dringt Liebe nicht, nicht öffnet sich sein Thor
Der Gnade, dass hinein sie sich ergiesse
Und mitleidslosen Hochmuth d'raus vertreibe.
Zerreiss den Schleier, Herr, zerbrich die Mauer,
Die, allzu hart, der Sonne deines Lichtes,
Das ach! der Welt erlosch, den Durchgang wehrt,
Und sende dieses Licht, das uns verhiessen,
Der Seele, Deiner Braut, auf dass entflammt
Nur dich noch fühle zweifelsfrei das Herz!
242
Der Unruh' und der Wirrniss Grund vermag
Die Seele nur in schwerer Schuld zu finden,
Die ihr verborgen blieb, doch nicht dem Mitleid,
Dem unermess'nen, das dem Elend hilft.
Ich spreche, Herr! zu Dir, denn alles Mühen
Beglückt, hilft nicht Dein Blut dem Menschen, nicht:
Erbarm' Dich meiner, denn ich ward geboren
Als Dir Befohl'ner – thu, wie Du gewohnt!
243
In kaltem Eise glühte einst das Feuer,
Jetzt ward die heisse Gluth zu kaltem Eis,
Da, Liebe! was unlöslich schien, sich löste:
Was Festesfreude war, ist nun mir Tod.
Die Raum und Zeit der Lust vergönnt, die Liebe,
Sie wird zur schweren Last der müden Seele
Im letzten Elend
— — — — — — — — —
244
Schon hat auf seiner Wanderfahrt mein Leben
Durch Meeressturm im ungewissen Kahn
Erreicht den Hafen, wo man Rechenschaft
Von gutem und von bösem Werke giebt.
Erkennen muss ich jetzt, wie wahnbeschwert
Die Phantasie mir, zärtlich schmeichelnd, war,
Die zum Idol die Kunst erhob, zum Herrscher,
Und jenes Sehnen, das nur Leiden bringt.
Das Liebesträumen, sorglos einst und heiter,
Was wird aus ihm, nun doppelt naht der Tod,
Der eine mir gewiss, der and're drohend?
Nicht Malen und nicht Meisseln friedet mehr
Die Seele: Gottes Liebe sucht sie einzig,
Die von dem Kreuz die Arme nach uns öffnet!
245
All' meine Wahngedanken, die unzähl'gen,
Sie sollten in des Lebens letzten Jahren
In einem einz'gen aufgeh'n, der mir Führer
Zu ew'gen heit'ren Himmelstagen sei,
Doch was vermag ich, nahst Du, Herr, mir nicht
Mit alter unaussprechlich grosser Güte!
246
Der Welt geschwätz'ge Fabeln raubten mir
Die Zeit, die Gott mir gab, ihn zu erkennen!
Nicht nur, dass Seiner Gnade ich vergass:
Ich nützte sie, um stärker noch zu sünd'gen.
Was Andre weise, macht mich blind und thöricht
Und hemmt die Einsicht mir in meinen Irrthum,
Die Hoffnung schwindet, doch die Sehnsucht wächst:
Du woll'st befrei'n mich, Gott, von Eigenliebe.
Erlasse mir den halben Weg zum Himmel,
Mein theurer Herr, denn für die Hälfte selbst
Bedarf zum Aufstieg Deiner Hülfe ich!
Mach' mir verhasst den falschen Werth der Welt
Und was als ihre Schönheit ich verehre,
Auf dass ich Leben vor dem Tod mir sich're!
247
Von Tag zu Tag seit meinen ersten Jahren
Warst, Herr, Du Hülfe mir und Führer,
D'rum hofft auch jetzt die Seele, dass den Beistand
Du mir verdoppelst, da ich doppelt leide.
248
Geringer, nied'rer giebt's kein irdisch Ding,
Als ich mich fühle, lebst Du nicht in mir!
So hoch das Streben, ach! so schwach die Kraft,
Die müde, die den Geist um Nachsicht bittet.
O jene Kette reiche, Herr, mir dar,
Die alle Himmelsgabe an sich knüpft:
Den Glauben, den ich fest umklammern möchte,
Den ganz zu hegen eig'ne Schuld mir wehrt.
Um so viel grösser, als sie selten, acht' ich
Die Gabe aller Gaben, um so grösser,
Als ohne sie kein Friede in der Welt.
Hast Du mit Deinem Blute nicht gegeizt,
Was nützte uns solch' Spende Deiner Milde,
Schliesst Glaube nicht des Himmels Pforte auf.
249
Entledigt meiner Last, der drückend schweren,
Mein theurer Herr, und von der Welt gelöst,
Kehr' ich, der Barke gleich, zu Dir zurück
Aus Sturmesgraus in süssen Hafensfrieden.
Die Dornen, Nägel, Deiner Hände Male,
Dein Antlitz huld- und mitleidsvoll gesenkt,
Verheissen meiner trüben Seele Gnade
In tiefer Reue und des Heiles Hoffnung.
Mit Richterblick nicht prüfe das Vergang'ne
Dein heil'ges Aug', der Kränkung sich verschliesse
Dein Ohr, auf dass Dein strenger Arm nicht strafe!
Dein Blut allein von Sünden rein mich wasche
Und spende, wie mein Alter es verlangt,
Mir schnell're Hülfe, aller Schuld Vergebung!
250
Es würden süss wohl meine Bitten klingen,
Lieh'st Du mir das Vermögen, Dich zu bitten:
Denn nirgends wächst auf meinem schwachen Boden,
Aus sich allein gezeitigt, gute Frucht.
Nur du bist Samen frommer, keuscher Werke,
Die, ausgestreut von Dir nur, sich entfalten;
Aus eig'ner Kraft Dir folgen, wer vermöcht' es,
Wenn Du ihm Deinen heil'gen Weg nicht weist!
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251
Beschwert von Jahren, sündenvoll, beherrscht
Von böser, eingewurzelter Gewohnheit,
Seh' ich den Tod in doppelter Gestalt
Schon nah' und nähre doch mit Gift mein Herz.
Nicht eig'ne Kräfte hab' ich, die genügten,
Mir Leben, Liebe, Brauch und Loos zu ändern,
Wenn Hülfe Du nicht bietest, göttlich helle,
Die Führer ist und Zaum auf irrem Wege.
Mein theurer Herr! 's ist nicht genug, die Sehnsucht
Nach dort mir zu erwecken, wo die Seele
Geschaffen wird auf's neu', wie einst aus Nichts,
Nein! eh' Du sie des Sterblichen entkleidest,
Verkürze mir die hohe, steile Strasse,
Dass mir gewiss die Heimkehr sei und lichter!
252
Erinn'rung des Vergang'nen, schmerzt sie auch,
Ist lieb mir doch, ruft sie im Herzen wach
Der Sünden Elend, Rechenschaft verlangend
Für die verlor'ne Zeit, die unersetzlich.
Sie ist mir lieb, denn vor dem Tod erfahr' ich,
Wie kurze Dauer ird'scher Lust bestimmt,
Und sie betrübt mich, denn für grosse Sünden
Giebt's selten Gnade in der letzten Stunde.
Denn, soll man auch, was Du verhiessest, glauben,
Zu kühn doch wär' die Hoffnung, Deine Liebe,
Sie werde jedes Säumniss, Herr, verzeih'n!
Und doch! es giebt Dein Blut uns zu verstehen:
Wie seinesgleichen nicht Dein Leiden fand,
So kennen Deine Gaben auch kein Maass!
253
Des Todes sicher, doch noch nicht der Stunde!
Kurz ist das Leben, wenig bleibt mir übrig;
Den Sinnen lieb ist diese ird'sche Wohnung,
Der Seele nicht, die mich zu sterben bittet.
Die Welt ist blind und schlechtes Beispiel, siegend,
Macht alle edle Sitte untergeh'n;
Das Licht verlosch und mit ihm jeder Frohmuth,
Das Falsche triumphirt, das Wahre birgt sich.
Wann wird geschehen, Herr, was wir erwarten,
Die an Dich glauben? Allzulanges Zögern
Nimmt uns die Hoffnung, macht die Seele sterblich.
Was nützt das grosse Licht, das Du verhiessest,
Trifft uns der Tod und bleibt, der Rettung baar,
Die Seele ewig so, wie er sie überraschte!
254
Geschieht's auch oft, dass starker Lebensdrang
Zu vielen Jahren viele mir verspricht,
Er ändert's nicht: der Tod kommt stündlich näher,
Nur wo er minder schmerzt, naht er sich zögernd.
Was wünscht Genusses halb' man läng'res Leben,
Lehrt Elend einzig zu verehren Gott?
Ein heit'res Schicksal und ein langes Dasein,
Sie schaden nur, je mehr sie uns ergötzen.
Vergönnt bisweilen, Herr, mir Deine Gnade,
Dass jener Eifer, der mit Trost und Muth
Die Seele stärkt, das Herz in Gluth versetze,
Da ich aus eig'ner Kraft ja nichts vermag –
Das wär' die Stunde himmelwärts zu eilen,
Denn langes Leben schwächt den guten Willen.
255
Es waren froh und schmerzverstört zugleich
Die sel'gen Geister, dass nicht sie, nur Du
Den Tod erlittest, um des Himmels Thor
Mit Deinem Blut den Menschen zu erschliessen.
Erfreut – da Du erlöst die Kreatur
Vom ersten Fall, der sie in's Elend stiess!
Betrübt – weil, herbster Strafe Du verfallen,
Ein Knecht der Knechte, wardst an's Kreuz geschlagen.
Woher Du kamst, der Himmel selbst verrieth es,
Die Augen schliessend, auf that sich die Erde,
Die Berge bebten und die Wasser tobten.
Dem finst'ren Reich entstiegen Patriarchen,
Es wuchs das Leiden der gefall'nen Engel, –
Der Mensch nur jauchzt', durch Taufe neugeboren.
256
Bedarf's nach langgewohnter böser Thorheit
Zur Reinigung von ihr noch läng'rer Zeit,
Nicht gönnt der Tod, so nahe schon, uns diese,
Noch bietet sich ein Zügel dar dem bösen Wollen.
257
Mein Auge trauert ob der meisten Dinge,
Mein Herz ob Allem, was die Welt enthält:
Hätt'st Du Dich selbst als güt'ge, theure Gabe
Geschenkt mir nicht, was macht' ich mit dem Leben?
Für meine Schuld, genährt von bösem Beispiel
In dichter Finsterniss, die mich umhüllt,
Erhoff' von Dir ich Hülfe und Vergebung,
Wie Jedem sie Dein Anblick schon verheisst!
258
Durch nichts kannst besser, Herr! Du mich befrei'n
Von Lieb' und eitler Neigungen Gefahr,
Als durch das Missgeschick und Unglücksfälle,
Die von der Welt die Deinen lösen los.
Mein theurer Herr, der, hüllend und enthüllend,
Mit Deinem Blute Du die Seele reinigst
Von unbegrenzter Schuld und ird'schem Drange!
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259
Viel' Jahre hab' in dir ich lebend, Amor,
Von dir ernährt die Seele und zum Theil,
Wenn auch nicht ganz, den Leib, – und Hoffnungssehnen
Befähigt' mich zur Kunst, der wunderbaren.
Doch müde jetzt beflügl' ich den Gedanken
Und schwing' mich auf zum höh'ren Reich des Friedens.
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