Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Natur und Menschenloos


51

Nur ich, im Schatten glühend, bleib' zurück,
Entzieht der Welt die Sonne ihre Strahlen;
Ein Jeder darf sich freuen: ich in Schmerzen,
Zur Erde hingestreckt, ich klag' und weine.

52

O wehe! wehe mir! ich bin verrathen
Von flücht'gen Lebenstagen und vom Spiegel,
Der doch, genau befragt, die Wahrheit sagt.
So geht es Dem, der allzulang' verzieht,
Wie ich es that: entflohen ist die Zeit
Und eines Tags erkennt man sich als Greis!
Nicht kann ich mehr bereu'n, nicht mehr mich rüsten,
Nicht mehr berathen, da der Tod schon nah'.
Mir selber feindgesinnt,
Vergiess' umsonst ich seufzend viele Thränen –
Kein gröss'rer Schaden, als verlor'ne Zeit!

O weh mir, weh! vergang'ner Zeit gedenkend,
Nicht find' ich auch nur einen einz'gen Tag,
Der unter allen ganz mein eigen war.
Betrügerische Hoffnung, eitles Sehnen,
In Weinen, Lieben, Glühen, Seufzen wurden
Sie meiner Herr – ich hab's erkannt, erprobet,
Kein menschliches Gefühl ist mir mehr neu.
Der Wahrheit ferngerückt
Vergeh' ich in Gefahren,
Da kürzer wird die Zeit, die mir noch bleibt;
Doch währt' sie länger auch, nie würd' ich's müde.

Ermattet schreit' ich, ach! weiss nicht wohin?
Und fürchte, dass Vergangenes mich zwingt,
Das Ziel zu seh'n, ob auch das Aug' ich schliesse.
Jetzt da die Zeit die Hülle mir verwandelt,
Werd' stündlich und zugleich von Tod und Seele,
Von beiden ich geprüft auf meinen Zustand.
Und täuscht mein Urtheil nicht –
Gott gebe, dass es täusche! –
Bedroht mich ew'ge Strafe,
Weil ich, das Gute wissend, meine Freiheit
Missbraucht zu Bösem – Herr! was kann ich hoffen?

53

Der, welcher einst aus Nichts die Zeit gemacht,
Die früher, als der Mensch entstand, nicht war,
Er gab, sie scheidend, einem Theil die Sonne,
Dem andren, näher uns um viel, den Mond.

Und sind aus beiden Zufall, Loos und Schicksal
Des Einzelnen im Augenblick entsprungen:
Mir ward bei der Geburt und in der Wiege
Die dunkle Zeit als mir verwandt bestimmt.

Und wie die Nacht wird um so dunkler,
Je mehr sie Nacht, als wollt' sie sich bestärken,
So steigr' ich mich zu meiner Qual im Bösen.

Doch giebt mir Eines Trost: vergönnt ist mir,
Die Nacht mir zu erhellen durch die Sonne,
Die zum Geleit Euch ward bei der Geburt.

54

Rings eingeschloss'ner Ort, bedeckter Raum,
Was immer von Materie nur umgeben,
Bewahrt in sich die Nacht bei hellem Tage,
Dem Sonnenspiel des Lichtes sich verschliessend.

Doch einer Flamme Schein besiegt die Nacht,
Ja mehr! ihr göttlich Wesen wird vertrieben
Von viel gering'rem Ding als Sonnenlicht:
Selbst eines Glühwurms Leuchten macht sie schwinden.

Der Sonne Gluth, wo sich ihr Erde bietet,
Vom Pflug des kühnen Ackermanns bestürmt,
Entlockt dem Samen Pflanzen tausendfach –

Doch nur im Schatten wird gepflanzt der Mensch,
D'rum sind die Nächte heil'ger als die Tage,
Da mehr der Mensch als andre Früchte werth.

55

O Nacht, o trotz des Dunkels süsse Zeit
(Da jedes Wirken Frieden sucht als Ziel),
Wohl kennt und wohl versteht dich, wer dich preist,
Und wer dich ehrt, erfreut sich klaren Geistes.

Du schneidest ab des müden Denkens Faden,
Denn sich're Ruhe bringt dein feuchter Schatten,
Und aus der Tiefe trägst du oft im Traume
Zu jenen Höhen mich, auf die ich hoffe.

O Schatten du des Todes, der du bannest
Der Seele Elend, das dem Herzen Feind,
Betrübten bringst die letzte, beste Heilung,

Du machst gesunden unser schwaches Fleisch,
Du stillst die Thränen, friedest alle Mühe
Und reinigst von Beschwer und Zorn den Guten.

56

Wenn Phöbus seine Strahlenarme nicht
Um dieser Erde kalte, feuchte Kugel
Ausbreitend schlingt, so nennt, was von der Sonne
Nicht mehr umfangen wird, die Menge: Nacht.

Die ist so schwach, dass eine kleine Fackel,
Die Einer ansteckt dorten, wo sie leuchtet,
Des Lebens sie beraubt, und ist so zart,
Dass Feuerstrahl am Zunder sie zerreisst.

Und muss man dennoch sie ein Etwas nennen,
Nenn' ich sie Kind des Phöbus und der Erde,
Denn Jener zeugt den Schatten, Diese wahrt ihn.

Doch wie es sei, es irret, wer sie lobet:
Sie lebt, die düstre Witwe, so in Ängsten,
Dass selbst ein Glühwurm sie bekämpfen kann.

57

Ist auch die Sonne stets die selb' und gleiche,
Die dieses Weltall hoch und quer bewegt,
So zeigt sie sich doch nicht stets gleicher Weise,
Nein! spendet Segen stärker oder minder.

Dem Einen scheint sie so, dem Andren anders,
Bald hell, bald dunkel, leuchtend bald, bald trübe
Je nach der Kraft, die unser kranker Geist
Entgegenbringt der Gottesoffenbarung.

Im Herzen, das empfänglich, heftet mehr sich,
Darf ich so sagen, an ihr Schein und Wesen,
Und wird zum einz'gen Führer ihm und Leuchte.

— — — — —  — — — —

58

Wie, von dem Wind gescheucht, die Flamme wächst,
So strahlt vom Himmel hochgepries'ne Tugend,
Je mehr sie angegriffen, um so heller.

59

Allegorie

— — — — —  — — — —

Ein Riese auch ist dort, von solcher Grösse,
Dass uns sein Blick hier unten nicht gewahrt,
Und oft hat er zertreten eine Stadt
Und sie zertrümmert mit des Fusses Sohle:
Zur Sonne strebt er, baut sich hohe Thürme,
Zu nah'n dem Himmel, doch er sieht ihn nicht,
Denn seinem mächt'gen Leibe ist verliehen
Ein Auge nur, und dies sitzt in der Ferse.

So sieht auf Erden er vergeh'n die Dinge
Und trägt das starre Haupt den Sternen nahe,
Zwei Tagereisen weit sieht man hier unten
Die grossen Beine, struppig ist sein Fell.
Da droben fühlt er Winter nicht noch Sommer,
Die Jahreszeiten sind gleich schön ihm alle,
Und reichet seine Stirne bis zum Himmel,
So ragt sein Fuss auf Erden bergeshoch.

Was unsrem Fuss ein winzig Sandkorn ist,
Das sind für seine Sohle hohe Berge;
In seiner Beine dichtem Felle leben
So grosse, vielgeformte Ungeheuer,
Ein Walfisch wär' 'ne Mücke neben ihnen.
Nur Eins setzt in Verwirrung ihn und Schmerzen:
Wenn Rauch und Staub und Splitter ihm der Wind
In jenes einz'ge Auge wirbelnd treibt.

Ein grosses, träges altes Weib hat er
Bei sich: die nährt und säugt sein scheusslich Wesen
Und lässt nicht ab, ihn mahnend zu bestärken
In seines Frevels blind verwegnem Rasen.
Getrennt von ihm weilt sie in enger Höhle,
In grossen Vesten und in hohen Mauern;
Ist müssig er, lebt sie in Finsternissen
Und schickt dem Volke Hungersnoth und Mangel.

Von gelber bleicher Farbe, trägt das Zeichen
Von ihrem Herrn sie auf dem schwang'ren Leibe,
Sie wächst von Andrer Leid und wird verzehrt
Von Andrer Glück, nie satt trotz aller Speisen.
Nicht Zaum noch Grenzen kennt ihr Lauf;
Die Andern hasst sie, liebt sich selbst nicht:
Von Stein hat sie das Herz, den Arm von Eisen
Und schlingt so Berg wie Meer in ihren Bauch.

Die Welt durchwandern ihre sieben Söhne,
Von einem Pol zum andern sie durchstöbernd,
Die stellen nach mit List und Krieg den Guten,
Und ihrer jeder tausend Glieder hat;
Der Hölle Abgrund öffnen sie und schliessen:
So gross die Beute, die im Schwarm sie machen!
Und ihre Glieder schlingen schleichend sich
Um uns wie Epheu um der Mauern Steine.

60

Lob des Landlebens

Nach dem Aufenthalt in Spoleto 1556

O Freude, ungewohnt und höchsten Werthes,
Zu seh'n, wie keck die Ziegen einen Fels
Erklettern, hier und dort auf Höhen weiden,
Und drunten, stehend bald, bald langsam schreitend
Zu rauhen Klängen des Fagotts der Hirte
In schlichtem Liede sich das Herz befreit,
Indess die Schöne, achtlos, harten Herzens,
Die Schweine unter einer Eiche hütet.

O Freude auch, die Hütte dort zu sehen,
Aus Stroh und Lehm gebaut auf einer Höhe.
Der deckt den Tisch, ein Andrer schürt das Feuer
Im Schutz des Schattens, den die Buche spendet,
Die Schweine mästet Der vergnügt und schabt sie.
Den Sattel zwingt dem Esel auf der Vierte,
Der Alte aber, karg an Worten, freut sich
Still vor der Thür im Sonnenschein zu sitzen.

Das Inn're zeigt sich aussen: ihr Besitz
Ist Frieden ohne Gold noch Gier nach Golde.
Am Tag, wenn sie hinaus, das Land zu pflügen,
Kannst ihre Schätze Stück für Stück du zählen:
Verlust nicht fürchtend, lassen unverriegelt
Das Haus geöffnet sie auf gutes Glück.
Dann nach der Arbeit froh die Ruhe suchend,
Von Eicheln satt, auf Streu sie Schlummer finden.

Nicht Raum an solchem Ort ist für den Neid,
Der Hochmuth findet nur sich selbst als Beute,
Denn Jener Wunsch steht nur auf grüne Wiesen,
Auf solche Kräuter, die am schönsten blüh'n.
Ein Pflug, das ist ihr allerhöchster Schatz,
Sie ehrt die Pflugschar statt Juwelen,
Ein Paar von Körben g'nüget zur Kredenz,
Und Hack' und Schaufel sind statt Goldgefässen.

O blinde Habsucht! O ihr niedren Geister,
Die ihr die Gaben der Natur missbraucht!
Nur Gold und Land und reiche Herrschaft suchend,
Macht Hochmuth euer Handeln stark und hart.
Ihr folgt der Trägheit und der Wollust Lehren,
Aus Neid bedachtsam schafft ihr Andren Böses
Und merkt es nicht, so unersättlich gehrend,
Wie kurz die Zeit, wie Wenig hier genügt.

Die sich dereinst in alter Zeit den Hunger
Mit Eicheln und den Durst mit Wasser stillten,
Nehmt euch als Beispiel, Führer, Licht und Spiegel,
Als Zaum für Lüste und für Gaumenfreuden!
Und meinem Worte leiht das Ohr ein wenig:
Auch wer, so gross er sei, der Welt gebietet,
Hört nicht zu wünschen auf, entbehrt des Friedens,
Dess' sich der Bauer freut bei seinen Ochsen.

Geschmückt mit Gold und Steinen quält sich unstet
In Sorgen, schreckenbleichen Blicks, der Reichthum;
Von jedem Regen, jedem Wind beängstigt
Merkt er auf Wunderzeichen, Vorbedeutung.
Die Armuth, heiter alle Schätze fliehend,
Erwirbt sie sich und weiss nicht, wie und wann,
In ihren Wäldern sicher, grobgekleidet,
Von Pflichten, Sorgen und Prozessen frei.

Das Soll und Haben, seltsam fremde Bräuche,
Was Gut, was Böse, was der Kunst Vollendung,
Das Alles macht dem Bauer nicht Beschwerde;
Sein schlichtes Theil ist Kraut und Milch und Wasser,
Sein kunstlos Singen, seiner Hände Schwielen
Ersetzen Konto und Prozente ihm;
Den Wucher bringt für ihn hervor die Erde,
Und ohne Angst vertraut er sich dem Schicksal.

Er ehrt und liebt und fürchtet Gott, in Glauben,
In Hoffnung und in Inbrunst zu ihm flehend
Für Vieh und Weide, für der Hände Arbeit,
Für seine Kuh, die trägt, für seinen Stier.
Der Zweifel, das Vielleicht, das Wie, Warum:
Die Bösen finden bei ihm keine Stätte,
Denn seines schlichten Glaubens heisse Bitten
Verpflichten Gott, erzwingen Gunst des Himmels.

Den Zweifel sieht man, hinkend und bewaffnet,
Heuschrecken gleich im Sprung sich rührend
Und von Natur bei jedem Wetter zitternd,
Wie Schilf im Sumpf, vom Windeshauch beweget.
»Warum« ist mager und gar viele Schlüssel
Am Gürtel trägt's, doch weil sie gut nicht passen,
Feilt es herum an allen Thüren, Schlössern
Und schleicht bei Nacht, dem Dunkel sich vertrauend.

Das Wie und das Vielleicht sind nah verwandt
Und sind Giganten von so grosser Höhe,
Dass sie die Sonne zu erreichen trachten,
Ob auch von deren Glanz ihr Blick erblindet;
Den Städten rauben sie mit trotz'ger Brust
Das Licht, in Schatten ihre Schönheit hüllend,
Und suchen auf dem Wege schroffe Felsen,
Mit Fäusten deren Festigkeit zu prüfen.

Es geht die Wahrheit nackt und arm und einsam,
Die hohen Werth bei niedrem Volk nur findet.
Ein einz'ges Auge hat sie, leuchtend klar,
Von Gold ihr Körper, von Demant ihr Herz,
In Nöthen wächst sie, stolzer sich erhebend,
Erstorben kaum, ersteht sie tausendfach;
Von aussen schimmert grün sie wie Smaragd
Und ihren Freunden steht sie treu zur Seite.

Die Augen keusch und tief gesenkt zur Erde,
In gold'nen, bunt gestickten Stoff gekleidet,
Gerechte nur bekämpfend, schleicht die Falschheit,
Die heuchelnd alle Welt zu lieben vorgiebt.
Da sie von Eis, versteckt sie sich der Sonne.
Am Hof ist sie zu Haus und sucht den Schatten,
Und zur Begleitung und zum Schutze hat sie
Bei sich die Zwietracht, den Betrug, die Lüge.

Die Schmeichelei ist dort auch, vielbeschäftigt,
Von jugendlicher Art, bekannt und schön,
In reicher Kleidung, bunter noch an Farben,
Als sie den Frühlingsblumen schenkt der Himmel;
Mit süsser List erreicht sie, was sie will,
Und spricht von dem nur, was den Andern lieb:
Sie weiss zugleich zu weinen und zu lachen,
Mit Blicken schwörend, stiehlt sie mit der Hand.

Nicht nur die Mutter der Verbrechen ist sie
Bei Hof, nein Amme auch, mit ihrer Milch
Ernährt sie die und fördert sie vertheid'gend.

— — — — —  — — — —

61

In Michelangelos Haus
unter dem Bilde eines Skelettes

Euch sag' ich, die der Welt ihr preisgegeben
Zugleich den Leib, die Seele und den Geist:
Nur dieser dunkle Sarg ist euer Theil.

62

Barzeletta

Was entsteht, verfällt dem Tode
In der Flucht der Zeit, die Sonne
Lässt kein einzig Ding am Leben.
Was uns freut und was uns schmerzet,
Es vergeht wie Geist und Rede,
Und die uns vorangegangen,
Schatten sind sie, Rauch im Winde.
Menschen waren wir wie ihr,
Fröhlich, traurig, wie ihr selber,
Sind nun, wie ihr es gewahret,
Baar des Lebens, Staub und Erde.
Jeglich Ding verfällt dem Tode!
Einstmals waren unsre Augen
Lichterfüllt in jedem Winkel,
Jetzund leer und schwarz, voll Grauen:
Also bringt die Zeit es mit sich.

— — — — —  — — — —


 << zurück weiter >>