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Kunst


99

In solcher Knechtschaft, solchem Überdruss,
In falschem Wähnen, in Gefahr der Seele
Soll meisseln ich die göttlichen Gestalten.

100

Herab von hoher Berge grossen Trümmern,
Wo mich verschlossen in sich barg ein Fels,
Stieg ich und finde wider meinen Willen
Tief unten nun mich hier in diesem Steinbruch.

101

Als Leitstern des Berufs, der mir bestimmt,
Ward mir verlieh'n bei der Geburt die Schönheit,
Für beide Künste Leuchte mir und Spiegel.
Wer andres glaubt, ergiebt sich falscher Meinung,
Es trägt nur sie das Aug' zu jenen Höhen,
Nach denen malend ich und meisselnd strebe.

Denn thöricht, unbesonnen ist die Meinung,
Die in den Sinn herab verlegt die Schönheit,
Sie, die zum Himmel hebt den heilen Geist;
Ein krankes Auge nimmer kann vom Ird'schen
Zum Göttlichen sich heben, nie dort weilen,
Wohin man ohne Gnade nicht gelangt.

102

Mit einem Herz von Schwefel, Fleisch von Werg,
Mit Knochen, die aus trocknem Holz bestehen,
Mit einer zaum- und führerlosen Seele,
Mit hitz'ger Gier und allzugrosser Lust,

Mit blinder, lahmer, schwächlicher Vernunft
Inmitten all der Schlingen dieser Welt –
Wie wär's ein Wunder, würd' ich blitzesschnell
Vom ersten Feuer, das mir naht, entzündet?

Für schöne Kunst auch, die, herab vom Himmel
Mit mir gekommen, die Natur besiegt,
Wenn man um sie sich allezeit bemüht:

Nicht taub, nicht blind ward ich für sie geboren,
Der Schönheit Feuerkraft entspricht mein Wesen –
Die Schuld trägt Der, der mich geweiht der Gluth.

103

Mein Auge, das sich sehnt nach schönen Dingen,
Die Seele, die nach ihrem Heil verlangt,
Nur eine Kraft vermag sie
Zum Himmel auf zu tragen: Schau'n des Schönen!
Von allen höchsten Sternen
Senkt sich ein Glanz herab,
Der zu sich zieht das Sehnen:
Man nennt ihn Liebe hier!
Und Ein's nur rathet recht
Dem edlen Herzen und entfacht ihm Liebe:
Ein Antlitz, dessen Augen Sternen gleichen!

104

Im Herzen wurzelt meine Liebe nicht,
Denn meine Lieb' zu dir ist ohne Herz:
Verbunden ist sie nicht mit Sterblichem,
Das ganz erfüllt von Wahn und bösem Trachten.

Als meine Seele schied von Gott, gab Liebe
Ein reines Auge mir, dir Licht und Schönheit,
D'rum muss mein Sehnen selbst in dem, was sterblich
An dir zu unserm Leiden, Gott erkennen!

Wie Wärme nicht getrennt sein kann vom Feuer,
So vom Urschönen nicht die Schauenskraft,
Die, ihm entstammt, lobpreiset, was ihm gleichet.

Dorthin, wo ich zuerst dich liebte, strebend,
D'rum flücht' ich liebend mich in deine Augen:
Trägst du in ihnen doch das Paradies!

105

In Gnaden, Amor, sag', ob meine Augen
Die wahre Schönheit seh'n, nach der ich strebe,
Ob es ein inn'res Bild der Schönheit ist,
Das meinem Blick sich zeigt in ihrem Antlitz!

Du musst es wissen, denn du kommst mit ihr,
Den Frieden mir zu rauben, d'rob erzürnet
Ich nicht den kleinsten Seufzer missen möchte,
Noch mir ein minder glühend Feuer wünschen.

»Die Schönheit, die du siehst, gehört ihr an,
Doch wächst sie, wenn empor zu bess'rer Stätte
Durch's Aug', das sterbliche, sie strebt zur Seele.«

»Dort wird sie göttlich, schön in voller Reine,
Es theilt sich das Unsterbliche ihr mit –
Sie schwebt, nicht andre Schönheit, dir vor Augen.«

106

Ich weiss nicht, ist es das ersehnte Licht
Von ihrem Schöpfer, das die Seele fühlt,
Ist's die Erinn'rung einer andren Schönheit,
Die, einst erschaut, im Inn'ren widerscheint?

Ist's ein Gerücht, ein Traum, der, klar den Augen,
Dem Herzen gegenwärtig, Wahrheit vortäuscht,
Ein brennendes Gefühl mir hinterlassend?
Vielleicht ist's das, was jetzt mich weinen macht.

Ich fühl' es und ich such' es, doch zur Seite
Ist mir kein Führer und ich weiss es nicht
Zu finden, scheint mir's Einer auch zu weisen.

Dies, Herrin, ward aus mir, seit ich Euch sah,
Ein Ja und Nein, ein Bittersüsses zwingt mich –
Gewisslich! Eure Augen sind's gewesen!

106 a

Andere Version von 106

Ich weiss nicht, ist's ein inn'res Bild des Lichtes,
Wie alle mehr es oder wen'ger fühlen,
Ist von Erinn'rung geist'gen Schönheitsschauens
Ein Strahl es, der mir hell das Herz durchleuchtet?

Ist es die Feuersgluth des früh'ren Daseins,
Die in der Seele widerstrahlt und glänzt
Und alles Sinnen, das zum Wahren führt,
So oft in heisser Sehnsucht zu sich zieht?

107

Wozu spornt mich die Kraft der Schönheit an?
– Denn Nichts in dieser Welt ergötzt mich sonst –
Empor zu Geistern lebend mich zu schwingen
Durch Gnade, wie es keine höh're giebt!

Steht mit dem Schöpfer voll das Werk in Einklang,
Wie kann Gerechtigkeit der Schuld mich zeih'n,
Wenn, lieberglüht, ich jedes edle Wesen
Verehr' als Abbild göttlicher Idee?

108

Es kann ein grösster Künstler nichts ersinnen,
Was unter seiner Fläche nicht ein Marmor
In sich enthielt', doch nur die Hand, die ganz
Dem Geist gehorcht, erreicht das Bild im Steine.

So birgt in dir sich, göttlich holde Stolze!
Das Übel, das ich fliehe, und das Gute,
Das ich erhoff', und tödtlich wird es mir,
Dass meine Kunst nicht g'nüget meinem Wunsche.

Nicht Amor, deine Schönheit nicht, noch Härte,
Nicht Zufall, nicht Verachtung, nicht Bestimmung
Noch Schicksalsloos trägt Schuld an meinem Leiden:

Denn Mitleid birgst und Tod Du ja zugleich
Im Herzen, doch es weiss mein nied'rer Geist,
In Lieb' erglüht, nur Tod daraus zu ziehen.

109

Wie ein lebendig Bild in hartem Fels,
O Herrin, man erschafft,
Den Stein vermindernd so,
Dass die Gestalt, je mehr er schwindet, vortritt,
So wird das wen'ge Gute
In angsterfüllter Seele
Verhüllt von allzu grosser Last des Fleisches,
Dess' herbe, harte Schale sie umgiebt.
Von solcher Aussenhülle
Nur du kannst sie befrei'n –
Mir selber fehlt der Wille und die Kraft!

110

Wird schön ein Antlitz durch ein frohes Herz
Und hässlich durch ein trübes – muss die Schöne,
Die grausam mich beherrscht,
Dann nicht, wie ich für sie, für mich auch glühen?
Denn meinem Aug' verlieh
Ein heller Stern die Kraft,
Zu schau'n der Schönheit unterschied'ne Formen.
Sich selber ist sie grausam,
Wenn sie mich zwingt zu sagen:
»Mein Herz, ach! ist's, das bleich ihr Bildniss macht!«
Denn giebt sich selbst der Künstler
Im Bildniss einer Frau,
Wie malt' er sie, beraubt sie ihn des Trostes?
D'rum besser wär's uns Beiden,
Gäb' trocknen Auges, freudig ich sie wieder –
Dann, selbst nicht hässlich, würd' ich schön sie machen!

111

Geschieht es wohl, dass in dem Block ein Bildner
Sich selber ähnlich macht des Andern Bildniss,
So bild' ich meine Herrin todtenbleich
Und düster, so, wie Sie mich selber machte;
Mein eignes Antlitz, scheint es,
Nehm' ich zum Vorbild, glaub' ich Sie zu formen.
Vom Stein wohl könnt' ich sagen,
In dem ich Sie gestalte,
Dass er an rauher Härte gleicht Ihr selber;
Und d'rum, so lang Sie mich
Verachtend tödtet, kann ich
Nichts andres meisseln, als mein eignes Leid.
Doch rettet Kunst die Schönheit
Für spät're Zeit – Ihr Dauer zu verschaffen,
Wird froh mich machen und Ihr Bildniss schön.

112

Wie ist's doch möglich, Herrin, was Erfahrung
Uns Allen lehrt: dass ein lebendig Bild,
Geformt in hartem Steinblock, überdauert
Den Schöpfer, den die Zeit in Asche wandelt?

Der Wirkung räumt den Herrscherplatz die Ursach',
Wenn von der Kunst besiegt wird die Natur.
Ich weiss, denn schöne Bildnerkunst belehrt mich,
Dass vor dem Kunstwerk machtlos Zeit und Tod.

D'rum kann ich lang uns Beide leben machen,
Wie es auch sei, in Farben oder Stein
Der Einen und des Andren Antlitz formend,

So dass noch tausend Jahr' nach unsrem Tode
Man seh', wie schön Ihr wart, wie elend ich!
Und dass ich thöricht nicht, wenn ich Euch liebte.

113

Vermag die Kunst lebendig
Für immer zu erhalten
Ihr Antlitz in dem blossen Marmor,
Dem Werke meiner Hand –
Was sollt' der Himmel, dessen Werk Sie, thun
Für Die, die sterblich nicht,
Nein! göttlich Jedem dünket?
Und dennoch scheidet Sie nach kurzem Weilen.
Es hinkt Ihr Schicksal auf der rechten Seite,
Verharrt ein Stein, indess Sie selbst vergehet.
Wer wird die Rache üben?
Nur die Natur, da ihrer Söhne Werk
Hier dauert, doch ihr eignes Raub der Zeit!

114

Hoch wird entzückt gesundes, kräft'ges Fühlen
Von einem Werk der ersten aller Künste,
Die höh'res Sein in Wachs, in Thon, im Steine
Dem Leib verleiht in Antlitz und Gebärden.

Und wenn die Zeit, beleid'gend rauh und tölpisch
Das Bild entstellt, zerbricht, ja selbst zerstückelt,
So bleibt Erinn'rung an die einst'ge Schönheit
Und lenkt auf höh'res Ziel die eitle Freude.

— — — — —  — — — —

115

Hat göttlich hohe Kunst ein Bild empfangen
Von der Gestalt und Haltung eines Menschen,
So ist ein schlicht Modell aus nied'rem Stoffe
Das jenem Bild entstammte Erstgebor'ne.

Im Marmorblock wird dann zum zweiten Male
Das Bild geboren, hält sein Wort der Meissel,
Und neu ersteht es in so grosser Schönheit,
Dass nichts ihm nehmen kann die ew'ge Dauer.

So ward geboren ich, mir selbst Modell,
Um dann vollendeter, als mein Modell,
Neu zu ersteh'n durch Euch, hochhehre Frau.

Wenn Ihr erbarmend Mängel mir ersetzt
Und Überflüss'ges wegfeilt – welcher Busse
Harrt meine Lieb' in Bess'rung und Belehrung?

116

Andere Version von 115

Hat unser göttlich Theil ein Bild empfangen
Von eines Menschen Antlitz und Bewegung,
Gewinnt, ein ärmliches Modell, es Leben
Und Werth im Steine erst, vom Zwang befreit.

So auch auf grobem Blatt versucht die Hand,
Eh' sie bereit, den Pinsel zu ergreifen,
Was als das Schönste gilt vor weisen Richtern,
Und prüft es neu, die Dinge wohl vertheilend.

117

Wenn äuss'rer Schönheit ich, die ich erschaut,
Die Seele näh're, die im Aug' sie fasset,
So wächst das inn're Bild und jenes weicht,
In Feigheit gleichsam und sich selbst nicht achtend.

— — — — —  — — — —

118

Auf Vittoria Colonna nach ihrem Tode

Verleiht mein roher Meissel harten Steinen
Bald diese menschliche Gestalt, bald jene,
So ist es meine Hand, die ihn bewegt,
Den hülfsbedürft'gen leitet, hält und führt;

Doch jener Meissel, der im Himmel weilt,
Macht sich und andre schön aus eigner Kraft
Und fertigt, da kein Hammer ohne Hammer
Entsteht, lebendig alle andren an.

Und weil des Hammers Schlag von gröss'rer Macht,
Je mehr er ob dem Amboss sich erhebt,
Schwang über mich sich dieser himmelwärts.

D'rum wird mein Meissel ungefertigt bleiben,
Wenn nicht des Himmels Werkstatt zur Vollendung
Ihm hilft, denn hier auf Erden gab's nur einen.

Er (der Meissel, unter dem Vittoria gemeint ist) war einzig auf der Welt, mit seiner grossen Tugend die Tugend zu erhöhen; er hatte hier keinen, der den Blasebalg handhabte; jetzt im Himmel wird er viele Gefährten haben, da dort Niemand weilt, dem nicht die Tugend lieb gewesen. Daher ich hoffe, dass von dort oben mein Meissel hier unten wird vollendet werden. – Jetzt im Himmel wird es Einen geben, der den Blasebalg fuhrt, denn hier unten hatte er keinen Gehülfen beim Amboss, auf dem die Tugenden geschmiedet werden.

119

Wie leere Form verlanget
Nach Silbers oder Goldes Feuerstrom
Und das vollkomm'ne Werk
Nur, wenn die Form zerbrochen, tritt hervor,
So durch der Liebe Feuer
Erfülle ich das Sehnen
Der leeren Seele mit der grossen Schönheit
Der Frau, die ich verehre,
Die meines schwachen Leibes Herz und Seele!
Und durch so engen Raum
Senkt sich in mich die Hehre, Hochgeliebte,
Dass sie hervorzieh'n heisst: mich selbst zerstören.

120

So freund dem kalten Stein ist inn'res Feuer,
Dass es, entlockt ihm, ihn durch Brand umfachend
Und dann in Kalk ihn wandelnd, doch das Leben
Als andrer Steine Kitt ihm ewig sichert.

Wenn so dem Feuer trotzt der Stein, besiegt er,
Nun höh'ren Werths, der Jahreszeiten Unbill,
Der Seele gleich, die aus der Höll' geläutert
Zum Himmel kehrt, zu göttlich hohen andren.

So giebt mir Feuer, das in mir verborgen,
Wenn flammend es, aus mir herausgeschlagen,
Mich ganz verzehrt, erlöschend höh'res Leben.

Und wahrlich, leb' ich selbst als Rauch und Asche,
Wohl werd' ich ewig sein, von Gluth gehärtet,
Denn gold'nen Hammers Schlag, nicht Eisen, formt mich.

121

Nach vielen Jahren nur und vielen Proben
Gelingt's dem weisen Künstler, nah' dem Tod,
Nach trefflicher Idee
In hartem Stein lebend'ges Bild zu formen:
Denn hohe, neue Dinge
Erreicht man spät, und wenig Frist bleibt übrig.
So irrte auch Natur
Von einem Antlitz zu dem andren lange,
Bis sie in dir zur Schönheit Gipfel kam,
Und ist gealtert nun und muss vergehen.
D'rob nähret Furcht,
Der Schönheit eng verbunden,
Mit ungewohnter Kost mein grosses Sehnen,
Denn, seh' ich dich, so weiss ich nicht,
Was gröss'ren Schaden bringe oder Nutzen:
Des Weltalls Ende oder Schauenswonne!

122

Im Giebel einer Thüre

Wer keine Blätter sucht,
Im Mai hierher nicht komme!

Über Buonarrotos »Nacht« von Giovanni Strozzi

Die Nacht, die holdbewegt im Schlummer hier
Du siehst, sie ward geformt von einem Engel
Aus diesem Stein: sie lebt, der Schlaf verräth es!
Glaubst du es nicht, erweck' sie! sie wird reden.

123

Buonarrotos Antwort

Lieb ist der Schlaf mir, Stein zu sein noch lieber,
So lang die Schmach und das Verderben dauert:
Nichts seh'n, nichts hören ist mir hohes Glück,
D'rum wecke mich nicht auf, oh! rede leise!

124

— — — — —  — — — —

Nicht kann, mein theurer Herr, die frische Jugend
Empfinden, wie im Alter sich verwandeln
Geschmack und Neigung, Wünsche und Gedanken.

Was Ird'sches sie verliert, gewinnt die Seele;
Und Kunst und Tod verein'gen sich nicht gut:
Was kannst du denn von mir noch mehr erhoffen?

125

— — — — —  — — — —

Erweckt dein Name mir im Geist ein Bild,
So kommt mit ihm des Todes Bild zugleich,
Bei dessen Anblick Kunst und Geist versagen.

Doch muss, wie Mancher glaubt, ich mich bescheiden,
In's Leben einst zurückzukehren, werd' ich
Dir dienen, kehrt zurück auch meine Kunst.

126

Vollkomm'ne Übung nicht erlangt,
Wer nicht an's Ende kam
Des Lebens und der Kunst.


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