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207
Was wird aus mir? Was willst von neuem du
Aus trocknem Holz und trübem Herzen machen?
Sag' mir's ein wenig, Amor,
Damit ich wisse, was mein Zustand ist!
Am Ziele sind des Lebenslaufes Jahre
Dem Pfeile gleich, wenn er erreicht die Scheibe,
D'rum muss das heisse Feuer sich beschwicht'gen.
Vergang'nes Leid verzeih' ich, ihm verdank' ich,
Dass stumpf dein Pfeil sich bricht an meinem Herzen.
Nicht Raum ist mehr in mir für Liebesproben,
Und wäre dein Geschoss auch neues Spiel
Für meine Augen, für mein zages Herz –
Wünscht dieses noch wie einst?
Nein, Amor, es besiegt, verachtet dich,
Nur weil es wen'ger Kraft, als einst, besitzt.
Hoffst du vielleicht, durch neue Schönheit rückwärts
Mich wendend, in Gefahr mich zu verstricken,
Wo selbst der Weiseste sich schwach vertheidigt?
Viel kürzer ist das Leid in höh'rem Alter,
D'rum werd' ich, wie das Eis, im Feuer sein,
Das, statt zu zünden, selber sich verzehret.
Es wehrt der Tod in diesem Lebensalter
Den wilden Arm, die scharfen Pfeile ab,
Die so viel Unheil wirken,
Dass keinen Zustand, weder Ort noch Zeit
Noch irgend welches Glück sie je verschonen.
Die mit dem Tode Zwiesprach' hält, die Seele,
Mit ihm des Rathes pflegend über sich,
Ohn' Unterlass gequält von neuem Argwohn,
Vom Leib Erlösung hoffend Tag auf Tag,
Sie macht sich in Gedanken auf den Weg,
Von Hoffnung und von Furcht verwirrt und traurig.
Wie bist du, Amor, ach! so schnellen Blickes,
So gar verwegen, kühn, bewaffnet, stark,
Dass du die Todsgedanken,
Die mir geziemen, mir verjagst, um Laub
Und Blüthen dürrem Baume zu entlocken!
Was kann ich noch? Was soll ich? Hab' ich nicht
In deinem Reiche alle Zeit verbracht?
Nicht eine Stund' war mein in so viel Jahren.
Welch' Trugbild, welche Stärke, welche List
Zwingt, Undankbarer, mich zu dir zurück,
Der Tod im Herzen, Mitleid trägt im Munde?
Wie wäre ehrlos, thöricht
Die auferweckte Seele, dich auf's neue
Zu suchen, der den Tod ihr früher gab!
Des kaum Gebor'nen harret schon die Erde,
Und alle ird'sche Schönheit schwindet stündlich:
Wer liebt, ich seh's, kann sich nicht mehr befreien.
Es wandern grosse Sünd' und grimme Rache
Seiband, und einzig, wer sich wenig schätzet,
Der eilt dem eig'nen Unheil eifrig nach.
Wohin willst du mich treiben,
Dass mir der letzte Tag, statt gut zu sein,
Zum Tag des Schadens und der Schande wird?
208
Aus süssem Weinen in ein schmerzlich Lachen
Bin ich herab gesunken und in Unrast
Aus ew'gem Frieden, denn wo Wahrheit schweiget,
Da wird Vernunft von Sinnlichkeit besiegt.
Ich weiss nicht, trägt die Schuld an solchem Übel,
Das mehr erfreut, je mehr es wächst, dein Antlitz?
Trägt sie mein Herz, trägt sie des Lichtes Gluth,
Die paradiesentstammte deiner Augen?
Denn deine Schönheit ist kein sterblich Ding,
Nein! kam, ein Göttliches, vom Himmel uns;
D'rum tröst' ich mich, wenn ich in Gluth vergehe,
Es muss ja deine Nähe Tod mir bringen.
Bestimmt der Himmel selbst die Todeswaffen,
Wer darf des Unrechts, sterbe ich, dich zeih'n?
209
Wie doch vermagst du, Frau,
Als sterblich Wesen, ob du göttlich gleich
An Schönheit, hier bei uns
Zu leben, essen, schlafen und zu sprechen?
Löst deine Huld den Zweifel
Und folgt ich dann dir nicht, für solche Sünde
Welch' eine Strafe gäb' es, gross genug?
Doch Manchem, dessen Auge
Aus eigner Kraft nicht sieht,
Ist träg' der Geist, der Liebe Kraft zu fühlen.
In mich dein Bild d'rum zeichne,
Wie ich es thu' auf Stein, auf weisses Blatt,
Das, eben leer, schon zeiget, was ich will.
210
Schon tausendmal ward ich in vielen Jahren
Gelähmt, besiegt, verwundet, ja getödtet
Von dir, durch eig'ne Schuld! Und wieder glaubt' ich
Trotz weissem Haar dem thörichten Versprechen?
Wie oft hast du die grambeschwerten Glieder
Gebunden mir, wie oft gelöst! Die Flanke
Gestachelt mit dem Sporn, dass zu mir selbst
Ich kaum gelangt', in Thränen ganz gebadet!
Ich klage, Amor, über dich, dich mein' ich,
Dein Schmeicheln rührt mich nicht – was nützt es,
Mit wildem Bogen in das Nichts zu zielen?
Verbranntem Holze naht nicht Wurm noch Säge,
Und zu verfolgen Einen, der gehemmt
Durch Unbeweglichkeit, ist grosse Schande.
211
Dem Gifte öffnet' ich als Thor die Augen,
Da wildem Pfeil sie freien Einlass boten,
Zum Nest und zum Gelass den süssen Blicken
Gab das Gedächtniss ich, das nimmer schwindet.
Ich schuf das Herz zum Amboss, Blasebalg
Ward mir die Brust: so schmied' ich glühend Seufzer!
— — — — — — — — —
212
Der Sklave, den sein Herr mit rauhen Ketten
Im Kerker hält gefangen, ohne Hoffnung
Gewöhnt sich an des Elends Zustand so,
Dass kaum er in die Freiheit kehren möchte.
Den Tiger und die Schlange, wie den Löwen,
Im dichten Wald daheim, bezähmt Gewohnheit,
Durch Übung und durch Schweiss verdoppelt sich
Des jungen Künstlers Kraft in Schaffensmühen.
Nur Feuer fügt sich solcher Regel nicht,
Denn, tilgt es aus des grünen Holzes Feuchte,
So währt und nährt es auch den kalten Greis.
Ihn spornend, giebt es ihm zurück die Jugend,
Erneut, entflammt, erheitert und verjüngt ihn,
Dass Liebeshauch ihm Herz und Seel' umfange.
Sei's Heuchelei, sei's Spott,
Wer sagt, dass Schande es im Alter bringe,
Zu lieben göttliche Gestalt, der lügt!
Nicht sündigt, traumbefreit,
Die Seele, Werke der Natur zu lieben,
Kennt sie nur gut Gewicht und Maass und Ziel.
213
Kleinodien, Ketten, Festesschmuck und Perlen –
Wer achtet Menschenwerk,
Gewahrt er Ihre göttlichen Gebärden,
Von denen Gold und Silber
Verdoppelt erst empfangen ihren Glanz!
Und mehr als eig'ner Kraft
Verdankt der Stein sein Leuchten Ihren Augen!
— — — — — — — — —
214
Da mir vom Alter das Verlangen,
Das blind und taub zugleich, geraubt,
Schliess' mit dem Tod, so müde,
So nah' dem letzten Worte, ich den Pakt.
Die Seele, die in Furcht,
Sie heisst mich flieh'n dein schönes Antlitz, Herrin,
Dess' Reize mit Gefahren mich bedrohen!
Doch Liebe trotzt der Wahrheit,
Entflammt mit Gluth und Hoffnung
Von neuem mir das Herz und scheint zu sagen:
Nicht irdisch ist es, was du liebest!
— — — — — — — — —
215
Bist du ein Gott nicht, Amor,
Der, was er will, auch kann?
O thu' für mich, vermagst du's,
Was ich für dich, wär' Amor ich, wohl thäte!
Nicht ziemt von Schönheitssehnen
Erweckte Hoffnung Dem,
Der nah' dem Tod, – viel wen'ger Wunscherfüllung.
Versetze dich in mich:
Ist süss uns, was uns drückt?
Verdoppelt wird durch kurze Huld die Marter.
Auch dies noch sag' ich dir:
Ist hart der Tod selbst Unglücksel'gen,
Was ist er dem in höchstem Glück Ereilten?
216
Zeigt ein'ge Schönheit sich in einer Frau
Gepaart mit Hässlichkeit,
Muss ich dann diese lieben,
Der Wonne halb', die jene mir gewährt?
Wird mir getrübt die Freude,
So ruft das schön're Theil
Sich die Vernunft zu Hülfe,
Dass kleinen Fehler liebend sie entschuld'ge.
Doch nennt Verdruss es Amor,
Was solcher Anblick weckt,
Und pflegt erregt zu sagen,
In seinem Reich nicht gälte die Vernunft.
Der Himmel aber heischt von mir,
Selbst Missgefäll'gem Mitleid nicht zu weigern,
Denn auch der Augen Skrupel heilt Gewohnheit.
217
Gar selt'ne Schönheit spornet
Und peitscht mich Zügellosen,
Ob auch vorbei der Mittag,
Ja! Non' und Vesper, und der Abend naht.
Verlacht sieht sich der Tod
Von meinen Lebensjahren, und das Schicksal
Vermag noch nicht, mir Frieden zu gewähren.
Schon hatt' ich mich gefügt
In weisses Haar und in mein hohes Alter,
Empfing das Pfand des andern Lebens schon,
Wie tiefe Herzensreue es verheisst.
Doch gröss'ren Schaden leidet,
Wer ohne Todesfurcht
Im Kampfe mit dem alten Feind, dem Feuer,
Der eig'nen Kraft vertraut:
Erinn'rung bleibt, es bleibt das Ohr ihr offen –
Was nützet, ohne Gnade, uns das Alter?
218
Noch heilte, Amor, nicht die kleinste Wunde
Von allen, die dein goldner Pfeil mir schuf,
Und schon führt ahnend mich
Dein Geist von altem Leid zu neuem, schlimm'rem.
Sind Greise vor dir sichrer,
Müsst' ich entkommen, oder suchst du Todte?
Ziehst wider mich, den Lahmen
Und Nackten, du die Sehne
Im Zeichen dieser Augen,
Die mehr als deine kühnsten Pfeile tödten,
Was giebt es, das mir helfe?
Nicht Helm, nicht Schild zumal,
Nein einzig, was vergessen
Mich lehrt der Ehre und zum Schimpf dir wird.
Doch, was mir Rettung böte:
Die Flucht ist träge für mich schwachen Greis –
Und, Amor, Sieg durch Andrer Flucht ist ruhmlos.
219
Wann immer auch sich zeiget mein Idol
Den Augen meines schwachen, starken Herzens,
Drängt zwischen Herz und Bild der Tod sich ein
Und treibt's hinweg, je mehr er mich erschreckt.
Indess' die Seele gröss'res Glück erhoffet
Von solchem Zwang, als sonst von einem Schicksal,
Bewaffnet sieghaft Amor zur Vertheid'gung
Mit höh'rer Wahrheit sich, die so er kündet:
»Ein einz'ges Mal nur,« sagt er, »kann man sterben
Und kehrt nicht mehr zurück – was wird aus Dem,
Den Liebe tödtet, lebte er in mir?«
»Löst sich die Seele auf durch Gluth der Liebe,
Die an sich zieht das Herz wie ein Magnet,
Kehrt heim, wie Gold geläutert, sie zu Gott.«
220
Wird man, wie Mancher sagt, durch Leiden schön,
Erfahre ich, beraubt der Schönheit weinend,
Dass Krankheit dienlich ist:
Mein Unglück wird zum Leben mir und Glück.
Denn Schaden bringt der Seele
Der Liebe süsses Gift, vom Wahn erstrebt;
Und feindlich Schicksal kann,
Verhindert am Triumphe,
Herab nicht schmettern Den, der niedrig fliegt.
Entbehrung, nackt und einsam,
Wie mitleidsvoll und gütig
Wird deine Geissel mir zur süssen Zucht!
Der Pilgerin, der Seele,
Gereicht zu höh'rem Heil, als kleiner Sieg,
Im Kampfe oder Spiel verlieren lernen!
221
Es dringt in einem Augenblick durch's Auge
In's Herz ein jeglich Ding, das schön erscheinet:
So weit geräumig ist die Bahn, dass Einlass
Sie Hunderten, ja! Tausenden gewährt,
Von jeder Art und Loos –, darob erschreck' ich,
Von Wahn belastet und von Eifersqual,
Und weiss nicht, welches Antlitz unter allen
Mir vor dem Tod Befried'gung ganz gewähre.
Das heisse Sehnen, das sich voll genüget
An ird'scher Schönheit, stammt nicht, wie die Seele,
Vom Himmel, sondern ist nur Menschenwille;
Doch strebt es höher, will's von deinem Namen
Nichts, Amor, der du andres suchst, mehr wissen,
Nicht fürchtend mehr des Leibes tück'schen Feind.
222
Was wird aus ihr nach vielen Jahren, Amor,
Da alle Schönheit wird zum Raub der Zeit?
Ihr Ruhm? – Auch dieser flieht und fliegt davon
Und schwindet mehr dahin, als ich es wünschte.
— — — — — — — — —
223
Wenn mir das Antlitz Jener, die ich meine,
Nicht seiner Augen Huld verweigert hätte,
Durch welches heiss're Feuer
Hätt'st, Amor, du auf Probe mich gestellt,
Da ich, obgleich verhindert
Am vollen Schau'n, schon jetzt von Gluth verzehrt?
Wer nichts verlieren kann,
Nimmt wen'ger Theil am Spiele,
Es schwindet im Genusse das Verlangen:
Im satten Geist nicht findet
Die Hoffnung Raum, und nimmer
Ergrünet sie im schmerzenfreien Glück.
Doch sag' von Jener ich:
Erfüllte sie verschwend'risch auch mein Wünschen,
Nie fänd' Befried'gung doch mein hohes Sehnen!
224
In solchem meinem Elend giebt dein Antlitz
Mir, wie die Sonne, Licht zugleich und Schatten.
— — — — — — — — —
225
Du giebst aus deines Reichtums Fülle mir,
Von mir verlangst du nicht vorhand'ne Dinge.
226
Was kann, was soll ich? Willst du mehr von mir noch,
Bevor ich sterbe, Amor?
— — — — — — — — —
Sag' ihr, dass allezeit
Dein wilder Stern besieget ihr Erbarmen.
227
Wohl denk' und weiss ich, dass verborg'ne Schuld
Den Geist mit grossen Martern mir beschweret,
Und dass der eig'nen Sinne Gluth dem Herzen
Den Frieden und dem Wunsch die Hoffnung raubt,
Doch wenn du, Amor, hilfst, wie kann er fürchten,
Dass Gnade nachlässt, eh' er selbst verschieden?
— — — — — — — — —
228
Wird Stein zersprengt und wird geschmolzen Eisen
Vom Feuer, das doch Sohn der beiden Harten,
Was wird dann stärkste Höllengluth erst thun
Mit ihrem Feind, dem trocknen Bündel Stroh?
229
Bring, Liebe, mir die Zeit zurück, da lose
Ich Zaum und Zügel liess der blinden Gluth,
Gieb' mir das heit're Engelsantlitz wieder,
Mit dem begraben ward jedwede Tugend!
Die schnellen ems'gen Schritte gieb mir wieder,
Die für den Zeitbeschwerten ach! so langsam,
Der Brust zurück das Wasser und das Feuer,
Willst du an mir dich sätt'gen noch einmal!
Ernährst du, Liebe, wirklich nur von Thränen
Der Sterblichen, den bittersüssen, dich,
Kannst wenig du am müden Greis dich freuen:
Die Seele, fast gelangt zum andern Ufer,
Schirmt sich mit frömm'ren Pfeilen gegen deine,
Was will das Feuer mit verbranntem Holz?
230
Erstarrt in Eis, in Feuersgluthen lodernd,
Mit Altersleid mich waffnend und mit Scham,
Seh', trüb in Schmerzen hoffend,
Die Zukunft ich im Spiegel des Vergang'nen.
Und minder nicht als Böses,
Bedrückt das Gute mich, da's wenig dauert.
So fleh' ich stündlich zu verzeih'n mir beide,
Die meiner müd' schon wurden: Glück und Unglück.
Und seh' es wohl, dass höchste Gunst und Gnade
Ein Leben ist, das kurze Stunden währet,
Denn nur der Tod ist alles Lebens Heilung.
231
Der Sünde leb' ich, leb' mir selbst ersterbend,
Was in mir lebt, bin ich nicht, ist die Sünde!
Mein Gutes stammt vom Himmel, doch das Böse
Aus meinem Willen, dessen ich nicht Herr!
Geknechtet ward die Freiheit mir, vergöttert
Hab' ich mein irdisch Theil: unsel'ger Zustand!
Zu welchem Elend ach! ward ich geboren?